TAGEBUCHAUFZEICHNUNGEN SEPTEMBER/OKTOBER 1983 (Wien)
Mittwoch, 29. September 1983
Mit Lillian1 zu Eva Mattes. Ihre Schwere und Traurigkeit, ihre Wärme und Neugierde gefallen mir – und in den nächsten Stunden intensives Kennenlernen; gemeinsam am Naschmarkt, danach noch im Restaurant Smutny. Eva lieb zu mir und ich zu ihr – eine PERSÖNLICHKEIT, wie man sie selten findet. Da will man auch von sich etwas hergeben, wenn jemand so ist. Im Smutny meine Frage nach Evas Mutter2, die UFA-Schauspielerin war – das führt zu einem leidenschaftlichen Eva-Monolog, denn ihre Mutter war wahrscheinlich eine Geliebte von Goebbels. Beim Abschied Evas Einladung, wir sollen sie in München besuchen kommen – ihr intensiver Blick beim Adieu. (...) Abends bei Marietta Torberg3 eingeladen, Karin4 und Klaus Maria Brandauer stoßen dazu, KMB in Übertreibungslaune, wie immer, aber seine Nacherzählung der Audienz bei Papst Johannes Paul II. hat höchste Qualität, wer kann das so wiedergeben, mit so viel Erzähl-Perfektion? Wir lachen Tränen. Manchmal KMB’s Forcieren, als sei er unsicher, nicht unsicher im Erzählen, sondern im »Normalsein«: er kann nicht ruhig und normal sein, hat den Ruhm immer als BEWUßTSEIN im Nacken. Mit Marietta und den Brandauers ins Restaurant ‚Argentina’. Karin gefällt mir sehr, ihre Ruhe und ECHTHEIT. Nun ist die Reihe an mir, zu erzählen, ich gebe meine Los-Angeles-Erlebnisse zum Teil wieder. (...) Karin spricht von Filmplänen, KMB von Regie- und Spielplänen. Der Abend anregungsreich, unwienerisch.
16. Oktober 1983, Sonntag
Um 11h15 in der Staatsoper, Matinee mit Ernst Krenek5, muß ihn DRINGEND sprechen, er war mit Anna verheiratet, ist außerdem Fischböck im Roman ‚Verdi’ – Dr. Dusek führt ein Gespräch mit E.K., K. wirkt greisenhaft und eingebildet. Danach ein Liederzyklus: ‚Reisebuch aus den österreichischen Alpen’, 20 Lieder, die mir wirklich sehr gefallen, bin vollkommen überrascht. Auch gut vorgetragen und Klavierbegleitung bestens. Danach ganz kurz mit K. gesprochen, er ist erstaunlich umgänglich, ich möge ihn Donnerstag oder Freitag anrufen – »dann machen wir uns etwas aus.« Sehr wichtig für mein Buch!
20. Oktober 1983, Donnerstag
Gehe zu Linds6 Lesung, Galerie Würthle, furchtbar, man muß stehen, die Luft ist stickig, die Lesung schlecht. Marietta und Ilse Torberg7 dort, Ulrich Weinzierl in ihrem Schlepptau – wollte ihn längst kennenlernen – und das kann sogar eine Freundschaft werden; er gefällt mir. Seine sanfte Art. Möchte ihn näher kennenlernen. Wir bleiben nach der Lesung zusammen, im Restaurant ‚Drei Hacken’ kein Platz, schreckliches Essen im ‚Grünen Anker’. Und wir verstehen uns bestens: Marietta, Ilse, Ulrich und ich. Sprechen auch ad Franz Werfel, Thomas Mann, Reich Ranicki, etc. Nach Abschied von den alten Damen bleiben wir noch kurz beisammen, Ulrich und ich.
27. Oktober 1983, Donnerstag
Ich bin um halb 11h im Musikverein, um Ernst Krenek zu sprechen – herrlicher Tag heute, klar, Sonne, warm. Krenek und seine Frau empfangen mich in einem Konferenzsaal des Musikverlags ‚Universal Edition’ – wir sprechen ca. 40 Minuten nur, ein wenig enttäuschend, obwohl K. freundlicher ist, als ich gedacht hätte. Er will mir gerne helfen, kann aber irgendwie nicht aus sich heraus – mich stört auch irgendwie seine Frau, die nach einer halben Stunde bereits auf die Uhr sieht. Das eigenartige Augenflackern K.’s! Und er betont, bestimmt nicht Vorbild für den Musiker Fischböck im Verdi-Roman8 zu sein. Seine heftige Ablehnung Almas9 gefällt mir.
29. Oktober 1983, Samstag
Besuche morgens meine geliebte Lillian, ca. eine Stunde bei ihr, bis sie zum Drehort fährt, inniger Moment, begleite sie zur Straßenbahn – wenn sie sich mir gegenüber öffnet, ist sie die Frau für’s Leben. Wenn sie sich verschließt, wird alles zu Stein und Trauer in mir. / Wandere etwas ziellos umher, bevor ich nach Hause zurückkehre. Telephoniere lang mit Brigitte10, über ihr neues Buch11 sprechen wir, das Katholische wird Thema sein. Sie erzählt mir viel ad ihrer verkorksten Kindheit und dem schrecklichen Verhältnis zu der älteren Halbschwester, von der sie verprügelt wurde, mehrmals, wie sie sich jetzt erst erinnert...
Lillian Birnbaum, Fotografin, Filmproduzentin, die spätere Ehefrau des Autors ↩
Margit Symo, 1913 – 1992 ↩
Witwe des Schriftstellers Friedrich Torberg ↩
Karin Brandauer, 1945–1992, war eine österreichische Filmregisseurin und Drehbuchautorin ↩
Der Komponist Ernst Krenek (1900 – 1991) heiratete 1924 Anna Mahler. Die Ehe wurde nach einem Jahr geschieden. ↩
Jakov Lind, Schriftsteller und Maler, 1927 – 2007 ↩
Die Schwester von Friedrich Torberg ↩
Sowohl Werfel selbst, als auch Anna Mahler bezeichneten Krenek als Vorbild für die Figur des Fischböck ↩
Gemeint ist seine ehemalige Schwiegermutter Alma Mahler-Werfel (1879 – 1964) ↩
Brigitte Schwaiger, österreichische Schriftstellerin (1949 – 2010) ↩
Sie arbeitete damals an ihrem Roman Der Himmel ist süß – Eine Beichte, der 1984 erschien. ↩