Zoom auf den Epo­chen­ver­schlep­per

Schreibheft 105
Schreib­heft 105

Neu­es und Al­tes über und von Gre­gor von Rezz­ori

An­lass­los fin­det sich im neu­en Schreib­heft von Nor­bert Wehr un­ter an­de­rem ein Dos­sier über den 1998 ver­stor­be­nen Gre­gor von Rezz­ori, ku­ra­tiert von Jo­sé Aní­bal Cam­pos und Jan Wilm. Ge­bo­ren wur­de von Rezz­ori 1914 in Czer­no­witz, da­mals Teil der Habs­bur­ger Mon­ar­chie. Nach dem Er­sten Welt­krieg fiel die Bu­ko­wi­na vor­über­ge­hend an Ru­mä­ni­en, spä­ter wur­de sie von Sta­lin ein­ver­leibt. Von Rezz­ori, der fünf Spra­chen flie­ßend be­herrsch­te, pen­del­te zwi­schen Öster­reich und Ru­mä­ni­en, stran­de­te schließ­lich En­de der 1930er Jah­re als de fac­to Staa­ten­lo­ser in Ber­lin und be­gann zu schrei­ben. Zum En­de des Krie­ges ver­ließ er Ber­lin nach Schle­si­en. Von da aus floh er vor den Rus­sen und wur­de mit et­was Glück Mit­ar­bei­ter des NWDR. In den 1950er Jah­ren er­fand er sein fik­ti­ves »Ma­ghre­bi­ni­en«, ein Phan­ta­sie­land mit star­ken Be­zü­gen auf sei­ne ehe­ma­li­ge Hei­mat und, wie es im Schreib­heft heißt, »mit­un­ter pi­kar­esken iro­ni­schen Ele­gi­en auf ein ver­sun­ke­nes Mit­tel­eu­ro­pa«. (Ei­ni­ge Ein­blicke in die­ses Ma­ghre­bi­ni­en lie­fert ein Vor­trag aus 2017 von Ju­rij An­drucho­wytsch ). Wie so oft wur­de Er­folg auch Bür­de. Sei­ne spä­te­re Pro­sa nahm man ins­be­son­de­re im deutsch­spra­chi­gen Raum nicht be­son­ders ernst. Von Rezz­ori wur­den Images ver­passt, Mär­chen­on­kel und Le­be­mann et­wa, spä­ter dann »Grand­sei­gneur«. Mein­te man es gut, nann­te man ihn »Epo­chen­ver­schlep­per«, ei­ne Be­zeich­nung, die er für sich selbst ge­fun­den ha­ben will. Da­mit sei »das ana­chro­ni­sti­sche Über­lap­pen von Wirk­lich­keits­ele­men­ten, die spe­zi­fisch ei­ner ver­gan­ge­nen Epo­che an­ge­hö­ren, in die dar­auf­fol­gen­de« ge­meint, so sei­ne De­fi­ni­ti­on.

Ei­ne Ti­tel­ge­schich­te im Spie­gel in den 1960er Jah­ren fiel we­nig schmei­chel­haft für ihn aus und soll­te das Bild über ihn vie­le Jah­re be­stim­men. Je­der kann­te ihn und er kann­te je­den; ei­ne Art »Ze­lig« des Kul­tur­be­triebs. Seit Mit­te der 1960er Jah­re wohn­te er mit sei­ner drit­ten Frau in ei­nem von ihm suk­zes­si­ve re­no­vier­ten An­we­sen in der Tos­ka­na. Ne­ben Il­lu­strier­ten-Ar­ti­keln (er selbst nann­te es »jour­na­li­sti­sche Pro­sti­tu­ti­on«), Feuil­le­tons und Ro­ma­nen schrieb er auch Film-Dreh­bü­cher und trat als Ge­le­gen­heits­schau­spie­ler auf, ob­wohl er kein Ci­ne­ast war. In Vi­va Ma­ria von Lou­is Mal­le et­wa als Zau­be­rer. Über die Dreh­ar­bei­ten in ei­ner fünf­mo­na­ti­gen Zeit­kap­sel, den Re­gis­seur Lou­is Mal­le, die bei­den Haupt­dar­stel­le­rin­nen Jean­ne Mo­reau und Bri­git­te Bar­dot, die Art und Wei­se, wie ein Film ent­steht und sei­ne Rol­le im In­tri­gen­sta­del hat er ein lau­ni­ges Ta­ge­buch ge­führt, dass zu­nächst aus­schnitt­wei­se in drei ver­schie­de­nen Me­di­en er­schien und dann ge­sam­melt un­ter dem Ti­tel Die To­ten auf ih­re Plät­ze. Li­te­ra­risch wird es im­mer dann, wenn er von der Wei­te Me­xi­kos er­zählt, je­nes Lan­des, das er schon zu Be­ginn zum Bal­kan Ame­ri­kas er­klär­te.

Wei­ter­le­sen ...