Si­mon Strauß: In der Nä­he

Simon Strauß: In der Nähe
Si­mon Strauß: In der Nä­he

Es be­ginnt mit ei­ner me­lan­cho­li­schen Er­in­ne­rung an ei­ne Auf­füh­rung sei­ner Thea­ter AG von Thorn­ton Wil­ders Un­se­re klei­ne Stadt. Ein »sanf­tes Dra­ma« über Lie­be und Leid statt Gier und Angst nennt Si­mon Strauß die­ses Stück von 1938, ein »Gleich­nis über das Glück der Dau­er«. An­de­re wür­den es ei­ne Hom­mage an die Pro­vinz nen­nen. Strauß nimmt es als Vor­la­ge zu Über­le­gun­gen über das po­li­ti­sche Mit­ein­an­der in ei­ner glo­ba­li­sier­ten, un­über­sicht­li­chen Welt jen­seits fest ze­men­tier­ter Mei­nungs­kor­ri­do­re. In der Nä­he heißt das Buch des Ro­man­ciers und FAZ-Re­dak­teurs und es ist ei­ne Mi­schung aus Re­por­ta­ge, Streit­schrift, Ma­ni­fest und bis­wei­len so­gar Uto­pie.

Grover’s Ryle, die klei­ne Stadt bei Wil­der, ist ein Ort der Ge­mein­schaft, ei­ne klei­ne »Po­lis«. In der An­ti­ke be­stan­den Städ­te aus rund 20.000 Men­schen, ähn­lich dem Ort im Stück. Die Stadt ist ein ur-po­li­ti­sches Phä­no­men; sie be­steht aus Bür­gern (dar­in ist das Wort Burg ent­hal­ten). Die­se ken­nen sich, küm­mern sich, ar­ran­gie­ren sich. Strauß ist 1988 ge­bo­ren, wuchs in der Ucker­mark auf. Die Di­cho­to­mie zu Ost ge­gen West be­kam er über­lie­fert. In­ter­es­sant, wenn er er­zählt, wie un­be­darft man einst ei­ne LPG-Fah­ne als Zelt­decke be­nutzt ha­be. Erst wäh­rend ei­nes In­ter­nats­auf­ent­halts in Neu­see­land, im Spott der »Far­ming Boys«, die ihn mit Hit­ler-Gruß und Fra­gen nach der Mau­er kon­fron­tier­ten, än­der­te sich das.

Das »Ban­den-Ge­fühl«, das sich wäh­rend der Thea­ter AG ent­wickel­te, war rasch vor­bei. Nach dem Ab­itur kam das schnel­le »Aus-den-Au­gen-ver­lie­ren«. Auch Strauß jet­te­te für Bil­dung und Be­ruf um­her. Aber die Idee der Ge­mein­schaft, wie sie sich in Wil­ders Stück zeigt, lässt ihn nicht los. Strauß wohnt in Ber­lin und in der Ucker­mark; in der Nä­he liegt Prenz­lau, nicht zu ver­wech­seln mit dem Ber­li­ner Stadt­teil Prenz­lau­er Berg, je­ner »Mo­de­kiez, des­sen gut­si­tu­ier­te Dop­pel­mo­ral ger­ne mit La­sten­rad und Pri­vat­schul­be­such cha­rak­te­ri­siert wird«. Prenz­lau hat Po­lis-Grö­ße, wur­de erst­mals 1138 er­wähnt, hat­te in ih­rer Blü­te­zeit sie­ben Kir­chen und drei Klö­ster und galt im 15. Jahr­hun­dert als »Haupt­stadt der Ucker­mark«. Zwei Jah­re wird Si­mon Strauß die­sen Ort im­mer wie­der be­su­chen, als »Bür­ger in der Nach­bar­schaft, der sich für ei­ne Fra­ge be­son­ders in­ter­es­siert: Wie ist im Zei­chen wach­sen­der Selbst­ge­rech­tig­keit und di­gi­tal be­feu­er­ter Schmählust noch Ge­mein­schaft mög­lich?«

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Si­mon Strauss: Rö­mi­sche Ta­ge

Simon Strauss: Römische Tage
Si­mon Strauss:
Rö­mi­sche Ta­ge

Ein 1. Ju­li, ein männ­li­cher Ich-Er­zäh­ler, Mit­te 30, An­kunft in Rom, »zwei­hun­dert­ein­und­drei­ßig Jah­re und acht Mo­na­te nach Goe­the«. Al­so ein Schrift­stel­ler, der da schreibt? Ein Sti­pen­di­at et­wa? Ir­gend­wann ist von ei­nem No­tiz­buch die Re­de. Aber auch von ei­ner Vor­stands­sit­zung, so als ken­ne sich der Er­zäh­ler da­mit aus. Man er­fährt zu Be­ginn von ei­ner Flucht, um »die Ge­gen­wart ab­zu­schüt­teln«. »Rom als Heil­an­stalt«. Hei­lung von was?

Ein­zug in die Via del Cor­so, »ein Zim­mer schräg ge­gen­über von der Ca­sa di Goe­the, Goe­thes Haus«. Wie­der die­se Re­fe­renz. Und er ahnt sie, die Kli­schees, das Zerr­bild von Rom, all die­ser be­rühm­ten Or­te, Stra­ßen, Plät­ze, das Be­kann­te, dass schon al­le ge­se­hen ha­ben, und dass er, der »Lei­dens­tou­rist« auch se­hen möch­te und zwar so, wie es noch nie je­mand ge­se­hen hat. Der Wunsch nach der Nai­vi­tät des er­sten Blicks. Es gibt viel To­po­gra­phie und viel Ge­schich­te in die­sem Buch. Und ein Nach­den­ken, Sin­nie­ren über das, was man Ge­gen­wart nennt und was im An­sich­tig­wer­den die­ser mo­der­nen Me­tro­po­le mit de­ren Jahr­tau­sen­de al­ten Bau­wer­ken kon­tra­stiert. Et­wa wenn er den Ort von Cae­sars Er­mor­dung re­kon­stru­iert und par­al­lel da­zu das ge­gen­wär­ti­ge Stadt­bild be­schreibt.

Be­son­ders zu Be­ginn ist der Grund­ton des Bu­ches wie schon in »Sie­ben Näch­te« von ei­ner trot­zi­gen Weh­mut be­stimmt. »Sie­ben Näch­te«, je­nes Buch, das zu ei­nem Li­te­ra­tur­skan­dal wur­de, weil es nicht den er­wünsch­ten Mu­stern ei­ner po­li­tisch-iden­ti­täts­gläu­bi­gen Zeit­kri­tik ent­sprach. Das Ver­mis­sen des Dio­ny­si­schen als un­er­träg­lich emp­fun­de­ne Pro­vo­ka­ti­on. Man such­te da­her fast ver­zwei­felt bis hin zur Sip­pen­haft nach In­di­zi­en für den Duk­tus der »Neu­en Rech­ten«. Im Ver­lauf die­ses Ver­suchs ei­ner Ehr­ab­schnei­dung zeig­ten sich deut­lich die Vor­bo­ten ei­ner (Li­te­ra­tur- und auch Kunst-)Kritik, die sich auf das Ab­su­chen ver­bo­te­ner oder min­de­stens »um­strit­ten« de­kla­rier­ter Ter­mi­ni kon­zen­triert, die not­falls so lan­ge de­kon­tex­tua­li­siert wer­den, bis die An­kla­ge­schrift »passt«.

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