Chri­stoph Rans­mayr: Egal wo­hin, Ba­by

Christoph Ransmayr: Egal wohin, Baby
Chri­stoph Rans­mayr: Egal wo­hin, Ba­by

Sieb­zig »Mi­kro­ro­ma­ne« auf et­was mehr als 250 Sei­ten prä­sen­tiert Chri­stoph Rans­mayr in sei­nem neue­sten Buch mit dem zu­nächst leicht ir­ri­tie­ren­den Ti­tel Egal wo­hin, Ba­by. Na­tür­lich ist die Ka­te­go­rie Mi­kro­ro­man ein Wi­der­spruch in sich, denn ein Text von drei oder fünf Sei­ten ist kein Ro­man. Aber Er­zäh­lun­gen im klas­si­schen Sinn sind es auch nicht. Nach je ei­nem Fo­to er­folgt der Text, der wie­der­um Ort und Ge­gen­stand der Ab­bil­dung er­läu­tert. Manch­mal kommt es fast zum Er­zäh­len, häu­fi­ger je­doch ist es ein Auf­flackern ei­ner Si­tua­ti­on.

Zu Be­ginn je­doch ei­ne Di­stan­zie­rung: Hier er­zäh­le kein Ich, kein Rans­mayr, son­dern wir se­hen, er­le­ben ei­nen ge­wis­sen Lor­can, ei­nen Na­men »aus ei­nem bis­lang nur aus Krit­ze­lei­en be­stehen­den, noch un­ge­schrie­be­nen Ro­man, der den Ti­tel tra­gen soll Swan oder Der Puls der Ster­ne und von der Ent­deckung der wah­ren Grö­ße des Uni­ver­sums han­deln soll.«

Vie­le Or­te und Er­in­ne­run­gen dürf­te Rans­mayr-Le­sern bei­spiels­wei­se aus dem At­las ei­nes ängst­li­chen Man­nes oder der Er­zäh­lungs­samm­lung Als ich noch un­sterb­lich war be­kannt vor­kom­men und bis­wei­len wir­ken die hier kon­stru­ier­ten Mi­kro­ro­ma­ne wie ge­raff­te Wie­der­ga­ben der aus­führ­li­che­ren Tex­te. Man sieht ihn un­ter an­de­rem in der Ark­tis des Franz-Jo­sef-Lan­des auf rus­si­schen Eis­bre­chern, in der Az­te­ken-Me­tro­po­le Te­noch­ti­tlán, beim in­di­schen Ster­nen­fest Ta­na­ba­ta, im ober­öster­rei­chi­schen To­ten Ge­bir­ge, in der al­ge­ri­schen Erg-Oa­se auf dem Weg nach Tim­buk­tu oder auf ei­ner Nil­fahrt. Er be­sucht die Ro­bin­son-Crusoe‑, Oster- und Pit­cairn-In­seln, rät­selt über die merk­wür­di­gen Ku­gel­ge­bil­de auf der Champ-In­sel, be­wun­dert die sub­tro­pi­sche Viel­falt des Gar­tens des Cast­le­ha­ven Hou­se, be­reist Hand­lungs­or­te der Il­li­as und Odys­see und ent­wickelt am Grab Ho­mers sei­ne ei­ge­ne Theo­rie über den Ur­sprung der bei­den Epen. Sel­te­ner gibt es Er­gän­zun­gen zu den lan­gen Tex­ten, wie et­wa über die­se Bunt­stift­zeich­nung von Emi­ly Chri­sti­an von den Pit­cairn-In­seln, die Lor­can vom Ka­pi­tän des Schif­fes ge­schenkt wur­de, der ihn auf die In­sel brach­te. Emi­ly war »ein sie­ben­jäh­ri­ges Mäd­chen und Nach­fah­rin des Steu­er­manns­maats und An­füh­rers der Meu­te­rer Flet­cher Chri­sti­an« und mal­te Pfer­de, ob­wohl sie noch nie wel­che ge­se­hen hat­te.

Wei­ter­le­sen ...

Chri­stoph Rans­mayr: Als ich noch un­sterb­lich war

Christoph Ransmayr: Als ich noch unsterblich war
Chri­stoph Rans­mayr: Als ich noch un­sterb­lich war

Ei­gent­lich sind es drei­zehn Er­zäh­lun­gen, die Chri­stoph Rans­mayr in sei­nem neu­en Buch ver­sam­melt hat. Al­le­samt sind sie zwi­schen 1997 und 2018 pu­bli­ziert wor­den und wer­den jetzt mit dem leicht-re­si­gna­ti­ven Ti­tel Als ich noch un­sterb­lich war end­lich an ei­nem Ort zu­sam­men­ge­fasst. Wo­bei der aber­gläu­bi­sche Au­tor in ei­nem klei­nen Vor­wort von »12a« spricht, um die­se un­ge­lieb­te Zahl zu ver­mei­den. Man kann al­ler­dings auch ein­fach die Ein­lei­tung als 14. Ge­schich­te le­sen, zu­mal dort das Co­ver vom bren­nen­den Schab­racken­ta­pir er­läu­tert wird.

Rans­mayr spricht in 12a von »Spiel­for­men der Er­zähl­kunst« und be­weist in die­sem Band sei­ne Viel­sei­tig­keit. Die Ti­tel­ge­schich­te, die den Band er­öff­net, han­delt von ihm als Kind, wel­ches beim Es­sen der Buch­sta­ben­sup­pe durch die Mut­ter an­ge­lernt wird »mit ei­nem Löf­fel voll Buchstaben…die Welt in der Hand« zu hal­ten und sich dem »Zau­ber der Ver­wand­lung von et­was in Spra­che et­was selt­sam Fried­li­ches« hin­zu­ge­ben. Die­ser pa­ra­die­sisch an­mu­ten­de Zu­stand kommt zu ei­nem jä­hen En­de, als die Mut­ter »kaum sech­zig­jäh­rig, an ei­nem hei­ßen Au­gust­tag starb«. Auf dem To­ten­bett aus Ver­zweif­lung nach Wor­ten rin­gend, mahn­te die Mut­ter ih­ren Sohn ge­sti­ku­lie­rend zur Stil­le. Ein be­we­gen­des Bild.

Auch die an vor­letz­ter Stel­le wie bei­läu­fig ein­ge­ar­bei­te­te Va­ter­ge­schich­te An der Bah­re ei­nes frei­en Man­nes er­greift den Le­ser. Karl-Fried­rich Rans­mayr wird hier als ein Wie­der­gän­ger von Mi­cha­el Kohl­haas er­zählt. Da­bei klingt es zu­nächst mehr nach Bart­le­by. Rans­mayrs Va­ter wi­der­stand als Schü­ler dem Druck, auf ei­ne Na­zi-Eli­te­schu­le zu ge­hen und lehn­te es spä­ter ab, die Of­fi­ziers­lauf­bahn in der Wehr­macht ein­zu­schla­gen. »Ich woll­te un­ter die­sen Leu­ten nichts wer­den«, er­klär­te er hin­ter­her. Nach dem Krieg wur­de er Leh­rer und en­ga­gier­te sich eh­ren­amt­lich, ver­fass­te Ein­ga­ben und Ge­su­che »für Bau­ern, Hand­wer­ker, Gast­wir­te, Faß­bin­der und Schicht­ar­bei­ter«, schließ­lich stell­ver­tre­ten­der Bür­ger­mei­ster und ver­gab hemds­är­me­lig und un­kon­ven­tio­nell Kre­di­te an Klein­ge­wer­be­trei­ben­de. Sei­ne Be­liebt­heit weck­te Nei­der, man de­nun­zier­te ihn, Gel­der ver­un­treut zu ha­ben. Es wur­de er­mit­telt, Karl-Fried­rich Rans­mayr »ver­lor sei­ne Stel­le als Ober­leh­rer, ver­lor al­le sei­ne Funk­tio­nen in den Ver­ei­nen des Or­tes und na­tür­lich auch sei­nen Rang als stell­ver­tre­ten­der Bür­ger­mei­ster«. Der Pro­zess er­gab, dass er sich zwar nicht be­rei­chert und der Ge­mein­de kei­nen Scha­den zu­ge­fügt hat­te, aber der ju­ri­sti­sche Tat­be­stand der Un­treue blieb be­stehen. »Aber Kohl­haas, mein Va­ter, woll­te zum er­sten Mal in sei­nem Le­ben kei­ne Nach­sicht, auch kei­ne Mil­de, son­dern Ge­rech­tig­keit« und »wei­ger­te sich, das Ur­teil an­zu­neh­men.« Im­mer­hin: »Nach fünf Jah­ren Nacht­ar­beit am Fließ­band der Pa­pier­fa­brik« er­folg­te die voll­stän­di­ge Re­ha­bi­li­ta­ti­on. Dann starb sei­ne Frau, Rans­mayrs Mut­ter. Der Va­ter »lehnte…die Wie­der­auf­nah­me in die dörf­li­che Ge­mein­schaft ab« und or­ga­ni­sier­te sein Le­ben neu. Ein zärt­lich-be­wun­dern­der Ton ist in die­ser Er­zäh­lung ein­ge­wo­ben.

Wei­ter­le­sen ...

Chri­stoph Rans­mayr: Der Fall­mei­ster

Christoph Ransmayr: Der Fallmeister
Chri­stoph Rans­mayr:
Der Fall­mei­ster

»Ei­ne kur­ze Ge­schich­te vom Tö­ten« lau­tet der Un­ter­ti­tel von Chri­stoph Rans­mayrs neue­stem Ro­man »Der Fall­mei­ster«. Das Co­ver zeigt ei­nen Eis­vo­gel, der stoß­tau­chend un­ter Was­ser ei­nen Fisch er­beu­tet. Ei­ne für den Ro­man zu­tref­fen­de Sym­bo­lik.

Tat­säch­lich be­ginnt das Buch mit ei­ner ful­mi­nan­ten Be­schrei­bung ei­ner Schleu­sen­fahrt durch den »Gro­ßen Fall«, ei­nem Was­ser­fall auf dem »Wei­ßen Fluß«. Der Schleu­ser, der den Ti­tel »Fall­mei­ster« trägt, ist der Va­ter des Er­zäh­lers. Er be­treibt nicht nur ein Mu­se­um, son­dern über­führt re­gel­mä­ßig mit gro­ßem Ge­schick die Salz­trans­por­te der Graf­schaft Ban­don, in der die Fa­mi­lie lebt, durch den Was­ser­fall. Der Ort ist fik­tiv (gut­wil­li­ge Re­zen­sen­ten for­schen – war­um auch im­mer – nach Ent­spre­chun­gen in der rea­len Welt). Im Ro­man ist Eu­ro­pa (und mit ihm die USA) in Klein­staa­ten, »bös­ar­ti­ge Zwer­gen­rei­che«, zer­fal­len, die re­strik­ti­ve Ein­wan­de­rungs­ge­set­ze ver­an­las­sen und un­ter­ein­an­der Krie­ge füh­ren.

Die Fa­mi­lie be­steht ne­ben dem Va­ter und dem Ich-Er­zäh­ler (bei­de blei­ben na­men­los) aus Mi­ra, der vier Jah­re äl­te­ren Schwe­ster, die an der Glas­kno­chen­krank­heit lei­det und der Mut­ter Ja­na, ei­ner Ein­wan­de­rin, die der Va­ter für das Mu­se­um als Gra­phi­ke­rin ein­stell­te und dann hei­ra­te­te. Ir­gend­wann ist de­ren Auf­ent­halts­er­laub­nis er­lo­schen und Ja­na muss zu­rück in ih­re Hei­mat fah­ren, zur In­sel Cres, die, wie man spä­ter er­fährt, vom ve­ne­zia­ni­schen Tri­um­vi­rat er­obert wur­de und nun Cher­so heißt. Der Va­ter ist be­rüch­tigt für sei­nen Jäh­zorn bei der klein­sten Ge­le­gen­heit; ge­walt­tä­tig ist er nicht. Die sanft­mü­ti­ge Mut­ter nennt ihn ei­nen »Teu­fel«. Im wei­te­ren Ver­lauf des Ro­mans wird man nicht nur für die­se Cha­rak­te­ri­sie­run­gen Be­le­ge ver­mis­sen.

Die Fa­mi­lie lebt ab­ge­schie­den; nur zu Fe­sten kom­men Städ­ter. Das Kind ent­wickelt ei­ne sa­di­sti­sche Ader, übt sich da­bei, im Flug Hor­nis­sen mit der Sche­re zu zer­schnei­den (ein­mal wird er von sie­ben Hor­nis­sen­sti­chen in ei­ner Art Ra­che­ak­ti­on ge­plagt und fast ge­tö­tet), fängt Fi­sche mit der Hand, die er dann er­sticken lässt und da­bei zu­schaut oder fängt Mäu­se, die er Kat­zen zum Spie­len über­reicht. Dass die Mut­ter um Gna­de für die Tie­re bit­tet, be­rührt ihn nicht. Mit zu­neh­men­dem Al­ter ent­wickelt der Er­zäh­ler ein ero­ti­sches Ver­hält­nis zu sei­ner Schwe­ster Mi­ra. Man er­fährt, dass das In­zest­ver­bot schon lan­ge auf­ge­ho­ben ist. Da­mit wirkt der Akt von Mi­ra und ih­rem Bru­der auf ei­ner ge­heim­nis­vol­len Fluss­in­sel mit dem Na­men »Me­so­po­ta­mi­en« nicht mehr un­ge­wöhn­lich. Von nun an wird die Schwe­ster idea­li­siert, er be­zeich­net sie als »Pha­rao­nin« (sich sel­ber als »Pha­rao« – ei­ne An­deu­tung an den In­zest im vor­christ­li­chen Ägyp­ten).

Wei­ter­le­sen ...