Transversale Reisen durch die Welt der Romane
Es gibt ein Erzählen ohne Fiktion. Selbstverständlich. Wahrscheinlich ist Fiktion die spätere Erfindung, erzählt wurde seit Menschengedenken. Man kann nicht leben ohne Erzählung, deswegen brauchte Robinson seinen Freitag. Aber vielleicht trifft diese Aussage überhaupt nicht zu und beides, Erzählen und Fiktion, ist gleichursprünglich. Wenn erzählt wird, wird auch gelogen, selbst dann, wann der Erzähler nichts als die Wahrheit im Sinn hat.
All die vielen zeitgenössischen Erzähler, die nichts erfinden oder vorgeben, nichts zu erfinden. Die Reiseberichterstatter, Reporter, Biographen, Dokumentarschriftsteller. Historiker wie Jules Michelet, die Geschichte in Geschichten erzählen. Die Denkend-Erzählenden, Essayisten à la Montaigne. In unseren Breiten, ich nenne nur zwei, aus der selben Schulklasse (in Salzburg) hervorgegangen, recht unterschiedlichen Naturells: Peter Stephan Jungk und Karl-Markus Gauß.
Dagegen jene, die sich verkrampft um Fiktion bemühen. Als wären Erfindungen besser als die Wirklichkeit. Dagegen das – auch nicht sehr tiefgründige – Bonmot, die Wirklichkeit sei phantastischer als die Produkte der Phantasie. »Kannst ned erfinden.«
Jean Paul, noch einmal: zu prall sein Sack – der Sprachsack nämlich, wo die Realien eher spärlich sind. Zu wenig Leere in den Erzählungen; zu wenig Luft, zu wenig Schweigen. Zu barock? Die wahren Erzähler sind – Bolaño sprach von Luftpoeten, ich möchte, im hiesigen Kontext, sagen: – die wahren Erzähler sind Aereonarratoren. Wie heißen sie? Einige habe ich schon genannt.
Hier noch ein Name: Die Erzählungen des Dichters Dylan Thomas sind Schnitzwerke der Sprachkunst, und zugleich lassen sie, nein, schaffen sie Lufträume gleich jenen Leerstellen in einer guten französischen Baguette. Das könnte ein Ideal des Erzählens sein.