George Packer: Die AbwicklungIm vergangenen Sommer erschien George Packers »Die Abwicklung – Eine innere Geschichte des neuen Amerika« in deutscher Übersetzung. Das Buch hatte 2013 in den USA den »National Book Award« für Sachbücher gewonnen. Das mediale Echo im deutschsprachigen Raum war einhellig hymnisch. Eingedenk des Fernsehformats der Doku-Fiktion lag ein als »Sachbuch« deklariertes Werk vor, welches jedoch literarisch erzählend geschrieben ist. Und tatsächlich: Alle historischen Bezüge stimmen; selbst Kleinigkeiten halten der Recherche mühelos stand. Die Begeisterung über dieses Buch speist sich daraus, dass es dem Autor offensichtlich gelungen ist, den Spagat zwischen Literatur und politischer Aufklärung zu meistern. Der zweite Grund für den Enthusiasmus dürfte in der »schonungslosen« (FAZ) Schilderung der US-amerikanischen Mittelstandsverelendung liegen, die dem gängigen Narrativ des gescheiterten sogenannten »Neoliberalismus« zu entsprechen vorgibt. In diesem Buch werden die Fakten, wenn überhaupt, subkutan in eine spannende, gelegentlich tendenziöse Erzählung eingebettet. Meist beschränkt man sich auf Behauptungen, die pars pro toto Allgemeingültigkeit suggerieren. Damit ist die Richtung vorgegeben; Nachdenken braucht der Leser kaum noch. Er darf sich ungestört dem soghaften Erzählstrom hingeben.
Was ist »Abwicklung«? Es ist, so Packer, die »Abwicklung der Normen«, das, was man Deregulierung nennt, was zu einem Zurückentwickeln des Mittelschichtversprechens der USA führt. Und mit ihm verschwindet die institutionelle Kultur der Demokratie der Mittelschicht, die einmal so kongenial beschrieben wird: »General Motors, der Gewerkschaftsbund AFL-CIO, der ständige Ausschuss für Arbeitsbeziehungen, der Chef in der Stadt, Bauernverbände, die Bezirksverbände der Parteien, die Ford-Stiftung, der Rotary Club, die Frauenliga, CBS News, der ständige Ausschuss zur wirtschaftlichen Entwicklung, die Sozialversicherung, das Amt für Bodenschätze, das Bau- und Wohnungsamt, das Gesetz zur Schaffung des Autobahnnetzes, der Marshall-Plan, die NATO, der Rat für internationale Beziehungen, das Studienförderungsgesetz für Veteranen, die Armee.« Allgemein nennt man so etwas »Gesellschaftsvertrag«. Das Versprechen: Harte und ehrliche Arbeit bedeutete ökonomischen Wohlstand und adäquate Partizipation an und in der Gesellschaft, so das Ideal. Stattdessen ging die berüchtigte Schere immer weiter auseinander. An Persönlichkeiten wie Oprah Winfrey, Peter Thiel oder Sam Walton skizziert Packer die Ausnahmen: Sie wurden zu Milliardären, obwohl die Voraussetzungen auch hier nicht immer gut waren.