Wel­ten und Zei­ten I

Trans­ver­sa­le Rei­sen durch die Welt der Ro­ma­ne

Nichts ge­gen Na­me­drop­ping. Man be­geg­net mal die­sem, mal je­nem, in der Li­te­ra­tur und Gei­stes­welt wie im rich­ti­gen Le­ben, mal flüch­ti­ger, mal ernst­haf­ter, es ent­ste­hen Ver­bin­dun­gen, Ge­mein­sam­kei­ten wer­den ent­deckt, Ver­bin­dun­gen wer­den ge­löst, neu ge­knüpft, oder auch nicht: Un­ter­schie­de fest­ge­stellt, Ab­gren­zun­gen vor­ge­nom­men. Freund­schaf­ten und Be­kannt­schaf­ten. Und eben auch Feind­schaf­ten. Nicht al­les paßt zu­sam­men, nicht im­mer. Na­tür­lich wün­schen wir uns, daß mehr fällt als der Na­me. Viel­leicht der Gro­schen, im­mer wie­der ein­mal.

Al­ter­na­ti­ve Tra­di­ti­ons­li­ni­en auf­zei­gen, nicht im­mer das­sel­be wie­der­käu­en. Trans­ver­sa­le Rei­sen durch die Li­te­ra­tur­ge­schich­te. Wie je­ne, die jetzt über­all Frau­en am Werk se­hen in der Kunst, Mu­sik etc. Frei­lich, das lohnt nicht im­mer, oft ist das ideo­lo­gie­ge­lenkt. Wie bei der »wie­der­ent­deck­ten« Ba­rock­ly­ri­ke­rin Si­byl­la Schwarz, die 17-jäh­rig ver­stor­ben war. Nein, sie war eben kein weib­li­cher Rim­baud des 17. Jahr­hun­derts, son­dern be­sten­falls Main­stream, al­so mit­tel­mä­ßig, hat halt die Re­gel­poe­tik ei­nes Mar­tin Opitz an­ge­wen­det wie so vie­le an­de­re, die man des­we­gen aber nicht »wie­der­ent­decken« muß. Dich­ten war da­mals nichts an­de­res als ei­ne Schul­übung. Nur we­ni­ge ra­gen aus dem Main­stream, Gry­phi­us, Fle­ming, Gün­ther. Das al­les, wirk­lich al­les, zu le­sen, war mei­ne Be­schäf­ti­gung, als ich un­ge­fähr 23, 24 war. So­gar Si­byl­la Schwarz ist mir da­mals un­ter­ge­kom­men, in der Her­zog Au­gust-Bi­blio­thek zu Wol­fen­büt­tel.

Aber hier geht es um den Ro­man und dar­um, was von ihm bleibt. Trans­ver­sa­le Blicke, Sei­ten­blicke auf be­schei­de­ne­re Wer­ke, nicht im­mer nur die groß­spu­ri­gen, groß­mäch­ti­gen. Nicht der Groß­ro­man, eher die klei­ne­ren. Gad­dis, Faul­k­ner, Joy­ce, Proust, Mu­sil, Da­vid Fo­ster Wal­lace… all die Ge­walt­anstren­gun­gen be­ein­drucken mich nicht mehr. Auch nicht die spie­le­ri­sche Ge­walt ei­nes Pe­rec in La vie mo­de d‘emploi. Statt des­sen die zu­gäng­li­che­ren Wer­ke, et­wa Le Grand Me­aul­nes von Alain-Fou­rier. Oder Pa­trick Mo­dia­no (na ja, ein No­bel­preis­trä­ger…).

Sol­che Trans­ver­sa­li­tät be­deu­tet na­tür­lich nicht, sich ein­fach ei­ne Li­te­ra­tur­li­ste zu­sam­men­zu­wür­feln und dann die Bü­cher der Rei­he nach zu le­sen. Es be­deu­tet eher, sie »gleich­zei­tig« zu le­sen, wo­bei gleich­zei­tig nicht im chro­no­me­tri­schen Sinn zu ver­ste­hen ist, son­dern in ei­nem or­ga­ni­schen: Man liest sie al­le in ei­nem Zeit-Raum, der da­mit ei­ne be­son­de­re Qua­li­tät an­nimmt. Es geht 1. dar­um, Ähn­lich­kei­ten über hi­sto­ri­sche Epo­chen, un­ter­schied­li­che Spra­chen und Kul­tu­ren fest­zu­stel­len, 2. dar­um, im sel­ben Sinn Un­ter­schie­de fest­zu­stel­len, 3. dar­um, sich Über­ra­schun­gen zu öff­nen und un­vor­her­ge­se­he­ne Er­kennt­nis­se zu­zu­las­sen. Es ist al­so nicht das wis­sen­schaft­li­che Prin­zip des Auf­stel­lens ei­ner Hy­po­the­se, die dann be­stä­tigt, er­gänzt oder ver­wor­fen wird, und auch kein sta­ti­stisch-quan­ti­ta­ti­ves Prin­zip, bei dem Kor­re­la­tio­nen, Wie­der­ho­lun­gen, Nach­bar­schaf­ten be­rech­net wer­den, son­dern ein qua­li­täts­ori­en­tier­tes und nur be­dingt steu­er­ba­res Prin­zip, das Krea­ti­vi­tät in der Lek­tü­re, als clo­se re­a­ding und her­me­neu­ti­scher Vor­gang mit star­ker sub­jek­ti­ver Kom­po­nen­te ver­stan­den, er­lau­ben und för­dern soll­te.

Wei­ter­le­sen ...