Mein Häm­mer­chen

Seit sieb­zehn Jah­ren, fast so lan­ge, wie ich in Ja­pan le­be, be­sit­ze ich die­ses Sak­ko. Ich tra­ge es gern, es ist be­quem, et­was weit, schwarz oder von ei­nem sehr dunk­len Blau, bei Son­nen­licht glit­zert die Ober­flä­che manch­mal ganz leicht (kommt mir vor). Im Win­ter ist es recht warm, im Früh­ling und Herbst nicht zu warm, in Wahr­heit aber von be­schei­de­ner Qua­li­tät, fil­zig, ein we­nig aus­ge­beult, Staub und Här­chen und Fus­sel blei­ben am Stoff haf­ten, so daß ich oft dar­an her­um­zup­fe und ‑wi­sche. Ge­kauft ha­be ich es mit­ten in ei­nem der en­gen Gäß­chen ei­nes Markts ne­ben dem gro­ßen Ats­u­ta-Schrein in Na­go­ya, von ei­nem chi­ne­si­schen Händ­ler, der die Stücke in klei­ne­ren Men­gen vom Fest­land auf die In­sel brach­te. Bei Le­sun­gen und ähn­li­chen Ge­le­gen­hei­ten tra­ge ich das Sak­ko gern, weil ein Schrift­stel­ler nicht gar zu ele­gant wir­ken soll­te, ich an­de­rer­seits aber doch et­was dar­stel­len möch­te, ei­nen Ver­fas­ser von Bü­chern, ei­nen ma­ker, ei­nen poe­ta fa­ber; ei­nen, der et­was von sei­nem Hand­werk, den Wör­tern und Sät­zen, ver­steht.

Da traf es sich gut, als mir in der Al­ten Schmie­de, dem Ort in der Wie­ner In­nen­stadt, wo sich die Dich­ter und im­mer auch ein paar Hö­rer tref­fen, ei­ner der Ma­cher dort, ein Fä­den­zie­her im Hin­ter­grund, glau­be ich – so je­den­falls sieht er sich selbst –, ein klei­nes ro­tes Ding in die per­ple­xe Hand drück­te: ei­nen Ham­mer. Den konn­te, den soll­te ich an­stecken, und das tat ich, ans Re­vers mei­nes dunk­len Fa­ber-Sak­kos, das traf sich gut, da paß­te es hin, Rot auf Schwarz, rouge et noir, win­zig klein vor dem ozea­ni­schen Hin­ter­grund, dem um­hül­len­den Schwarz, ein Bluts­trop­fen, aus der Fer­ne ge­se­hen. En rouge et noir, mes lut­tes, mes fai­bles­ses…

Die Kämp­fe; Schwä­chen und Stär­ken. Der Ma­cher hat­te mit dem Au­ge ge­zwin­kert, oder zu­min­dest ver­schmitzt drein­ge­schaut. Der klei­ne Ham­mer war doch ein Sym­bol, er ver­wies auf et­was; et­was an­de­res, das er nicht selbst war, mit dem er viel­leicht in Zu­sam­men­hang stand, das er aber nicht war. Rich­tig – mir ist es erst viel spä­ter auf­ge­fal­len, beim näch­sten oder über­näch­sten Mal in der Schön­la­tern­gas­se, in der ich noch nie ei­ne schö­ne La­ter­ne ge­se­hen ha­be – rich­tig, da hing es, das Sym­bol, über den Köp­fen der Pas­san­ten, der Dich­ter und Hö­rer und Nacht­schwär­mer, da hing es, elek­tro­rot, um ein Viel­fa­ches grö­ßer als das Sym­bol­chen an mei­nem Re­vers, aber un­auf­fäl­lig im Ver­gleich zum Schlüs­sel, dem schmie­de­ei­ser­nen, ewi­gen, der da eben­falls hing, et­was prot­zig, nicht wahr? Al­so Schmie­de, Ham­mer, Werk­zeug, Mit­tel zu… Ei­ne Met­ony­mie, kei­ne Me­ta­pher.

Ab und zu wer­de ich ge­fragt, was der klei­ne Ham­mer zu be­deu­ten ha­be und war­um ich ihn tra­ge; an­de­re Ma­le se­he ich am Ge­sichts­aus­druck mei­nes Ge­gen­übers, daß es ir­ri­tiert ist, sich viel­leicht so­gar be­droht fühlt, wie ich mich vom schmie­de­ei­ser­nen Schlüs­sel be­droht fühl­te. Was hät­te ich de­nen, die sich zu fra­gen ge­trau­en, ant­wor­ten sol­len, was soll ich ih­nen sa­gen? Si­cher, das Sym­bol des Kom­mu­nis­mus, Ham­mer und Si­chel, bei­de Werk­zeu­ge zu­sam­men, ge­kreuzt, Ar­bei­ter und Bau­ern, Hu­fe für Pfer­de und Gras für Kü­he, vor­in­du­stri­el­le Sym­bo­le, wenn man’s recht be­denkt, al­so ro­man­tisch, kei­ne Angst, oder doch, Angst vor dem Un­heim­li­chen, nicht zu Durch­schau­en­den. Ei­ne Zeit­lang in mei­ner Ju­gend dach­te ich, der Kom­mu­nis­mus könn­te wirk­lich schö­ne Ver­hält­nis­se für uns al­le brin­gen, Zucker­erb­sen für je­der­mann, Bü­cher für al­le Schul­kin­der, al­so je­dem nach sei­nen Be­dürf­nis­sen, je­der nach sei­nen Fä­hig­kei­ten. Schö­ne Idea­le! Wenn man je­den tun läßt, wie er will, wird die­ser Je­der­mann, Mi­ster Ni­ne­ty-Ni­ne Per­cent, auf der fau­len Haut lie­gen blei­ben, kei­nen Ham­mer und kei­ne Si­chel an­rüh­ren, son­dern sich ei­ne Fla­sche Bier grap­schen und Fuß­ball­spie­le oder Por­nos oder Shop­ping­teaser in sein Hirn rein­zie­hen, und wer sorgt dann für die Be­dürf­nis­se bzw. die Gü­ter, die sie be­frie­di­gen. Un­mög­lich – das ha­be ich ir­gend­wann ein­ge­se­hen (nach­dem ich mich so­gar ein biß­chen »en­ga­giert« hat­te). Trotz­dem fin­de ich die Idee ei­nes sol­chen Blu­men­wie­sen­kom­mu­nis­mus im­mer noch schön und will nicht ganz von ihr las­sen. Flower Power! Viel­leicht ist das ja ein Grund, ei­ner der Grün­de, war­um ich das klei­ne ro­te Häm­mer­chen am Re­vers tra­ge: ei­ne hal­be Hoff­nung. Und der Grund, war­um der Ma­cher von der Al­ten Schmie­de die Din­ger in der Rock­ta­sche bei sich trägt, um ge­ge­be­nen­falls eins in ei­ne war­me Hand­flä­che glei­ten zu las­sen. Aber der meint das doch an­ders, kon­kre­ter, das Ro­te ist für ihn eher et­was wie der Fa­den auf dem un­end­li­chen Marsch durch die In­sti­tu­tio­nen, die­ses La­by­rinth, in dem man sich schon mal ver­ir­ren kann oder, um die Wahr­heit zu sa­gen, sich dau­ernd und dau­er­haft ver­irrt.

Wei­ter­le­sen ...