Der Wil­le zum Nicht­wis­sen (2/9)

An­mer­kun­gen zu ei­ner Hand­voll le­gen­dä­rer Sät­ze

2 – Se­lig die Ar­men im Gei­ste...

»Se­lig die Ar­men im Gei­ste, denn ih­rer ist das Him­mel­reich«: ei­ner der zahl­rei­chen be­rühm­ten Sät­zen, die Chri­stus zu­ge­schrie­ben wer­den. Auch der Hei­land hat sich al­so für Dumm­heit, für gei­sti­ge Be­schränkt­heit aus­ge­spro­chen. Wer aufs Rä­so­nie­ren ver­zich­tet, kommt leich­ter ins Him­mel­reich als die Welt­klu­gen, die Ver­nünft­ler, wie Lu­ther sie spä­ter nen­nen soll­te. Frei­lich, wir ha­ben da ein klei­nes, aber fei­nes Über­set­zungs­pro­blem: Wel­che Art von Gei­stig­keit ist im Mat­thä­us-Evan­ge­li­um ei­gent­lich ge­meint? Eher die re­li­giö­se, der man im Deut­schen das Ad­jek­tiv »geist­lich« zu­ord­net, oder die verstandes­mäßige, mit der wir uns in er­ster Li­nie welt­li­chen Din­gen zu­wen­den? Im grie­chi­schen Text steht das No­men »Pneu­ma«. Da die alt­grie­chi­sche Spra­che ein vor­christ­lich ge­präg­tes Zei­chen­sy­stem ist, soll­te man doch an­neh­men, daß der Ver­fas­ser des grie­chi­schen Tex­tes die zwei­te Be­deu­tung im Sinn hat­te (Lu­ther ver­wen­det in sei­ner Über­set­zung das Wort »geist­lich«). Al­so Leu­te, die nicht zu den Klu­gen, den Stu­dier­ten, den Schrift­ge­lehr­ten ge­hö­ren. Sieht man sich den Kon­text an, fügt sich die­ser Ty­pus in die Rei­he der Se­lig­prei­sun­gen, die die Sanft­mü­ti­gen, Barm­her­zi­gen, Fried­lie­ben­den be­tref­fen.

An an­de­rer Stel­le er­klärt Chri­stus die Kin­der zu den be­vor­zug­ten Be­woh­nern des Him­mel­reichs. Ein kind­li­cher Geist, ein ein­fa­ches, nicht ver­bil­de­tes Ge­müt kann oh­ne Wenn und Aber er­löst wer­den. Liest man sich durch die Ge­schich­ten vom Men­schen­sohn, so fällt auf, daß er be­vor­zugt Au­ßen­sei­ter um sich schar­te, dar­un­ter so­gar Ver­bre­cher und Pro­sti­tu­ier­te, ne­ben Lei­den­den und Ge­brech­li­chen. Die Un­wis­sen­den und gei­stig Minder­bemittelten pas­sen da ins Bild. Der My­sti­ker Mei­ster Eck­hart fand für die von Chri­stus ge­mein­te Ar­mut fol­gen­de For­mel: »Ein ar­mer Mensch ist, wer nichts will, nichts weiß und nichts hat.« Arm im Gei­ste sind für Eck­hart je­ne, die ab­ge­löst sind vom Wis­sen, nach­dem sie sich in ih­rer geist­li­chen Exi­stenz da­von frei­ge­macht ha­ben. Er ge­steht zu, daß es im welt­li­chen Le­ben um Lie­ben und Er­ken­nen geht, doch der Schritt zur Er­leuch­tung set­ze den Ver­zicht auf die­se mensch­li­chen Fä­hig­kei­ten vor­aus. Man kann sich kaum ei­nen schär­fe­ren Ge­gen­satz zu Eck­harts Ide­al­fi­gur vor­stel­len als den smart­phone­ab­hän­gi­gen di­gi­tal na­ti­ve, der zu je­der Ta­ges- und Nacht­zeit Such­ma­schi­nen, En­zy­klo­pä­dien, In­for­ma­ti­ons­dien­ste, Über­set­zug­s­al­go­rith­men be­nutzt. Frei­lich, man kann das auch an­ders­rum se­hen: Der di­gi­ta­li­sier­te Mensch braucht gar nichts zu wis­sen, da die mei­sten in­tel­lek­tu­el­len Funk­tio­nen von Ma­schi­nen und Rech­nern über­nom­men wor­den sind. In ge­wis­ser Wei­se ist der Smart­phone-Ma­ni­ker ein Ar­mer im Geist, der Gei­stig­keit und Ge­dächt­nis von sich ab­ge­trennt hat und sich nun ei­gent­lich hö­he­ren Din­gen zu­wen­den könn­te – wenn er nur Lust da­zu hät­te. Tat­säch­lich wen­det er sich bil­li­gen Ver­gnü­gun­gen zu, al­so welt­li­chen For­men der Dumm­heit.

Wei­ter­le­sen ...