
1966 sorgte der damals 24jährige österreichische Schriftsteller Peter Handke mit dem Theaterstück Publikumsbeschimpfung für Furore. Wenige Monate zuvor hatte er auf der Tagung der »Gruppe 47« in seiner berühmt gewordenen Einlassung von der »Beschreibungsimpotenz« eine kontroverse Kritik am »Neuen Realismus« der deutsch(sprachig)en Nachkriegsliteratur geübt, welche Sprache nur benutze, »um zu beschreiben, ohne daß aber die Sprache selber etwas rührt«. Handke attackierte in dem Theaterstück mit polemisch-skurrilen Aussagen von vier Schauspielern das gängige, für ihn überkommene, in Konventionen feststeckende Modell des Dramaturgietheaters (und, gegen Ende, auch der Rezeption des sich saturiert dem Konsum hingebenden Publikums). Inmitten der Empörung hatte man übersehen, dass er das Theater nicht zerstören, sondern reanimieren wollte.
Zwei Jahre später, am 11. Mai 1968, fand die Uraufführung von Kaspar an zwei Orten zugleich statt; ein Kompromiss, um die beiden um Handkes Stücke konkurrierenden Regisseure Claus Peymann (Frankfurt) und Günter Büch (Oberhausen) zufrieden zu stellen. Mehr als die Publikumsbeschimpfung entsprach Kaspar Handkes literarischer Sozialisation in der avantgardistischen »Grazer Gruppe« (bekannt auch als »Forum Stadtpark«), in der neue literarische Formen gesucht und die Sprache der zeitgenössischen Literatur radikal befragt wurde.
Trotz der weithin bekannteren Publikumsbeschimpfung dürfte Kaspar jenes Theaterstück Handkes sein, welches bisher am meisten von Kritikern, Literatur- und Theaterwissenschaftlern, Regisseuren und Schauspielern rezensiert, gedeutet, analysiert, inszeniert und gespielt wurde. Es ist daher ein doppeltes Wagnis, wenn die Künstlerin Amina Handke sich in einem Film dieses Stückes mehr als 50 Jahre danach annimmt. Zum einen ist der Autor ihr Vater und die Hauptrolle, die »Kaspera«, wurde besetzt mit ihrer Mutter, der Schauspielerin Libgart Schwarz, die im Film als »Ich« auftritt. Und zum anderen fragt man sich, welche neuen Betrachtungsweisen sich durch den Film ergeben werden. Am Ende, soviel sei verraten, ist man ziemlich überrascht.