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Ein reich­lich er­nüch­tern­der Text (mit ei­nem skur­ri­len Ti­tel): »Sieg der Es­sig­gur­ke« von Ivay­lo Dit­chev. Dit­chevs Ana­ly­se der be­reits vor der tat­säch­li­chen Mit­glied­schaft in der EU des­il­lu­sio­nier­ten Bul­ga­ren ent­spricht si­cher­lich den Tat­sa­chen. Die »Halb­wert­zeit«, in der die Eu­ro­päi­sche Uni­on noch Bür­ger zu be­gei­stern ver­mag, hat in den letz­ten Jah­ren dra­ma­tisch ab­ge­nom­men. Be­reits bei der letz­ten EU-Er­wei­te­rung im Mai 2005 hiel­ten sich in den Be­völ­ke­run­gen vie­ler neu­er Bei­tritts­län­der (Po­len; Tsche­chi­sche Re­pu­blik) EU-Geg­ner und EU-Be­für­wor­ter die Waa­ge. In­zwi­schen sind die Be­für­wor­ter längst in der Min­der­heit.

Dit­chevs Ana­ly­se, ein neu­er Na­tio­na­lis­mus stem­me sich so­zu­sa­gen ei­nem le­gis­la­ti­ven Bü­ro­kra­tie­mon­ster EU ent­ge­gen, wäh­rend die Na­tio­nal­re­gie­run­gen bei der (nach wie vor fra­gi­len) De­mo­kra­ti­sie­rung der Ge­sell­schaft ver­sa­gen, mag für Län­der wie Bul­ga­ri­en zu­tref­fen. Das be­schrie­be­ne Phä­no­men ist aber in der ge­sam­ten EU vi­ru­lent – auch bei Län­dern, die der Ge­mein­schaft seit Jahr­zehn­ten an­ge­hö­ren.

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Pe­ter Slo­ter­di­jk: Falls Eu­ro­pa er­wacht

Peter Sloterdijk: Falls Europa erwacht
Pe­ter Slo­ter­di­jk: Falls Eu­ro­pa er­wacht

Der Es­say von Pe­ter Slo­ter­di­jk ist be­reits 1994 er­schie­nen und wur­de 2002 als Ta­schen­buch neu auf­ge­legt (al­ler­dings wohl nicht über­ar­bei­tet). Er­schreckend ist, dass er von sei­ner Ak­tua­li­tät – au­sser, dass Eu­ro­pa in­zwi­schen aus 25 Mit­glie­dern be­steht – nichts ein­ge­büsst hat.

In teil­wei­se aben­teu­er­lich-lu­zi­den hi­sto­ri­schen Al­le­go­rien er­zählt Slo­ter­di­jk von ei­nem Eu­ro­pa, wel­ches sich durch das Trau­ma von 1945 von der po­li­ti­schen Büh­ne im­pe­ria­ler Mäch­te erst ein­mal ver­ab­schie­den muss­te – ein­ge­zwängt zwi­schen den USA und der So­wjet­uni­on, sym­bo­li­siert durch die Be­sat­zung und Tei­lung Deutsch­lands. Aus dem ehe­ma­li­gen „Sub­jekt“ (ge­schei­ter­ter) wur­de für ein hal­bes Jahr­hun­dert ein halb­mün­di­ges Ob­jekt von Mos­kau­er und Wa­shing­to­ner Kal­kü­len. Slo­ter­di­jk prägt den Be­griff der Ab­sence da­für. In kur­zen Rück­blen­den be­legt er, dass Eu­ro­pa vom Rö­mer­reich über das „Hei­li­ge Rö­mi­sche Reich Deut­scher Na­ti­on“ über die be­gin­nen­de Welt­ko­lo­nia­li­se­rung ab spä­te­stens 1492 im­mer in Reichs- bzw. im­pe­ria­len Struk­tu­ren agier­te (frei­lich un­ter wech­seln­den Ägi­den) – gip­felnd in den Ka­ta­stro­phen der Na­tio­nal­staa­te­rei des 19. Jahr­hun­derts – lau­ter „klei­ne Rei­che“, die, als die Ko­lo­nien ver­teilt wa­ren, ge­gen­sei­tig über­ein­an­der her­fie­len, um ih­ren Vor­bil­dern nach­zu­ei­fern.

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