Cy­borgs und Hu­ma­no­ide 2

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Ich möch­te der er­sten, heil­los un­voll­stän­di­gen Li­ste der Au­to­ma­ti­sie­run­gen ei­ne ganz an­de­re ge­gen­über­stel­len, die Li­ste der mensch­li­chen Ei­gen­schaf­ten und Fä­hig­kei­ten, so­weit sie nicht von Ma­schi­nen über­nom­men wer­den kön­nen, die al­so die Men­schen im Ver­gleich zur Ma­schi­ne aus­zeich­nen. Frü­her ha­ben Phi­lo­so­phen gern Mensch und Tier ver­gli­chen, um zu Aus­sa­gen über die Spe­zi­fik des er­ste­ren zu ge­lan­gen. Im 21. Jahr­hun­dert scheint es er­gie­bi­ger, den Men­schen mit der in­tel­li­gen­ten Ma­schi­ne zu ver­glei­chen. Und nicht nur er­gie­bi­ger – für mich als al­ten Hu­ma­ni­sten – old school, was will ich ma­chen – geht es vor al­lem dar­um, wel­che Ei­gen­schaf­ten und Fä­hig­kei­ten, et­wa durch die Be­quem­lich­keits­wir­kung des In­ter­nets und vor al­lem des Smart­phones, be­droht sein könn­ten und be­wahrt wer­den soll­ten. Ei­ne Zeit­lang, es ist schon ei­ni­ge Jah­re her, hat­te ich in Kants Kri­ti­ken ge­le­sen, weil ich dach­te, dort wä­ren un­se­re hu­ma­nen Ei­gen­schaf­ten auf­ge­li­stet, aber das hat mich nicht viel wei­ter ge­bracht – viel­leicht hat mir das dau­ern­de kan­ti­sche Ab­lei­ten- und Be­grün­den­müs­sen von Sät­zen den Über­blick ge­trübt. An­de­rer­seits glaubt oh­ne­hin je­der Mensch, we­nig­stens un­ge­fähr zu wis­sen, was ihn als Men­schen denn aus­macht. Ein kürz­lich er­schie­ne­nes Buch, Mensch­lich­keit von Jür­gen Gold­stein, ver­spricht, die Be­son­der­hei­ten zu­sam­men­zu­fas­sen, aber es sag­te mir nicht viel Neu­es: Re­nais­sance, Eras­mus, Mon­tai­gne (den ich halb aus­wen­dig kann), Auf­klä­rung, das al­les hat­te ich im sel­ben Sche­ma schon vor fünf­zig Jah­ren ge­lernt und ei­ni­ger­ma­ßen be­hal­ten. Auch daß Bio­lo­gis­mus und Ras­sis­mus und vor al­lem, wie Hit­ler und die Sei­nen die­se »Dis­zi­pli­nen« in die Tat um­setz­ten, das Ge­gen­teil von Hu­ma­nis­mus be­deu­tet. In­ter­es­sant in Gold­steins Buch sind al­ler­dings die spä­ten Ka­pi­tel über neue­re Be­stre­bun­gen, das Hu­ma­ne zu »über­win­den«. Tech­nik­chau­vi­nis­mus und An­ti- oder Post­hu­ma­nis­mus grei­fen da in­ein­an­der. Aber sonst? Was ist ei­gent­lich das Hu­ma­ne, und wie kann, wie soll es fort­be­stehen? Läßt es sich auf­li­sten? Muß es not­ge­drun­gen hy­brid, tech­no­id wer­den?

Ei­ne Ord­nung wer­de ich wohl nie in mei­ne Ah­nun­gen brin­gen kön­nen, da­zu be­darf es ei­nes sy­ste­ma­ti­sche­ren Gei­stes. Es wird bis auf wei­te­res bei ei­nem Brain­stor­ming blei­ben, das sich viel­leicht suk­zes­si­ve aus­wei­ten läßt. Fen­ster auf, Sturm im Kopf, die Blät­ter ra­scheln. Mehr als ein sol­ches Blät­ter­ra­scheln brin­ge ich nicht zu­stan­de. Kei­ne Hier­ar­chien. Man könn­te das An­ge­weh­te we­nig­stens al­pha­be­tisch ord­nen. Aber wo­zu?

Wir sind die Un­be­re­chen­ba­ren. Die­se Aus­sa­ge soll­te schon mal nicht am An­fang ste­hen son­dern am En­de, ei­ne Art Re­sü­mee. Un­se­re »Ap­pli­ka­tio­nen« – was auf deutsch nichts an­de­res heißt als: un­se­re An­wen­dun­gen (von Tech­no­lo­gie) – le­sen uns, be­rech­nen uns, rech­nen uns aus, sa­gen uns vor­her. Die Tech­no­lo­gie­kon­zer­ne stel­len uns, na­tür­lich nicht oh­ne Pro­fit­in­ter­es­se, Ko­pi­lo­ten, Ge­sprächs­part­ner, Die­ner, Freun­de, Seel­sor­ger zur Sei­te, das al­les in ei­ner Per­son, Ein­sam­keit ist aus der Welt ge­schafft, je­der­mann und je­de­frau geht in ste­ter Be­glei­tung durchs Le­ben, wie man in je­dem be­lie­bi­gen öf­fent­li­chen Raum be­ob­ach­ten kann.

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Cy­borgs und Hu­ma­no­ide 1

Si­sy­phos stirbt nicht, er kehrt im­mer wie­der zu­rück. Und wir keh­ren zu ihm zu­rück. »Oh­ne sein sinn­lo­ses Dra­ma wä­re das Le­ben sinn­los«, be­haup­te­te der me­xi­ka­ni­sche Dich­ter Jo­sé Emi­lio Pach­e­co einst. In­mit­ten all der Hy­pes, die über un­se­re Dis­plays rau­schen, mel­det sich das al­te Ge­fühl des Ab­sur­den zu­rück.

Si­sy­phos im Ma­schi­nen­raum ist kein Ro­man, auch als Es­say wür­de ich das Buch nicht be­zeich­nen. Die Ver­fas­se­rin, Mar­ti­na Heß­ler, ist Pro­fes­so­rin für Tech­nik­ge­schich­te, und sie stellt kei­ne li­te­ra­ri­schen An­sprü­che. Den­noch be­zieht sie sich am En­de ih­res Buchs, und auch am An­fang, auf Al­bert Ca­mus, und zwar auf des­sen Vor­stel­lung ei­nes glück­li­chen Si­sy­phos, der die Ab­sur­di­tät sei­nes Tuns – ei­nen Stein auf ei­nen Berg­gip­fel rol­len – ak­zep­tiert, mit sei­nem Schick­sal al­so ein­ver­stan­den ist. Heß­ler meint, Si­sy­phos könn­te den Stein doch ein­fach mal lie­gen las­sen. Das heißt, im zeit­ge­nös­si­schen Kon­text, die Tech­no­lo­gien nicht im­mer wei­ter­trei­ben, Un­zu­läng­lich­kei­ten ak­zep­tie­ren, so­wohl auf­sei­ten der Ma­schi­nen als auch auf­sei­ten der Men­schen.

Heß­ler fo­kus­siert stark auf Feh­ler­haf­tig­keit. Das ge­hört nun mal zu aka­de­mi­schen Stu­di­en, man muß sein For­schungs­feld ge­nau ein­gren­zen, De­fi­ni­tio­nen lie­fern, mög­lichst er­schöp­fen­de Dar­stel­lun­gen des Ge­gen­stands. Daß Tech­ni­ken und Tech­no­lo­gien ih­re ei­ge­ne Ent­wick­lungs­lo­gik ha­ben, un­ab­hän­gig von Feh­lern und Re­pa­ra­tu­ren, weiß sie wohl, macht es aber kaum gel­tend. Of­fen ge­stan­den, mir scheint die Fi­gur des Si­sy­phos für die Tech­nik­ge­schich­te und letzt­lich für al­le an­de­ren Ge­schich­ten nicht recht pas­send; sie scheint auch nicht pas­send für die Le­bens­not­wen­dig­keit ka­pi­ta­li­sti­scher Ge­sell­schafts­sy­ste­me, Pro­fi­te zu ma­xi­mie­ren. Oh­ne Stei­ge­rung gibt es hier (an­geb­lich) kei­ne wirt­schaft­li­che Exi­stenz. Da­her die Schwie­rig­keit, bei schrump­fen­der und al­tern­der Be­völ­ke­rung wie et­wa in Ja­pan das Sy­stem lang­sam zu­rück­zu­fah­ren, oh­ne es als Gan­zes ins Tru­deln zu brin­gen.

Die Au­torin zeigt sich skep­tisch ge­gen­über der Idee ei­nes kon­ti­nu­ier­li­chen Fort­schritts, und wer wür­de sol­che Skep­sis heu­te, am En­de des er­sten Vier­tels des 21. Jahr­hun­derts und rück­blickend auf das zwan­zig­ste, nicht tei­len. Aber die Men­schen als Ak­teu­re und Op­fer der Ge­schich­te, die sie gleich­zei­tig »ma­chen«, rol­len nicht im­mer den­sel­ben Stein auf im­mer den­sel­ben Berg. Sie än­dern ih­re Werk­zeu­ge und än­dern da­mit auch ih­re Um­welt, nicht zwangs­läu­fig zum Bes­se­ren, oft auch zum Schlech­te­ren; sie schaf­fen groß­ar­ti­ge Din­ge und rich­ten un­ge­heu­res Leid an – von bei­dem singt das 20. Jahr­hun­dert ein Lied, das im 21. lei­der nicht ver­klun­gen ist. Viel­leicht ist es bes­ser, auf über­lie­fer­te Sinn­stif­tungs­quel­len zu ver­zich­ten und ein­fach so wei­ter­zu­ma­chen, oh­ne Sinn und Zweck, dem Le­bens­trieb fol­gend.

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