Post­kar­ten

Am in­ter­es­san­te­sten bei den gest­ri­gen Bei­trä­gen, In­ter­views und Stel­lung­nah­men auf al­len mög­li­chen (deut­schen) Fern­seh­ka­nä­len wa­ren die Be­kennt­nis­se de­rer, die ei­ne In­va­si­on der ge­sam­ten Ukrai­ne durch Pu­tin hat­ten kom­men se­hen. Es wa­ren na­tür­lich die­je­ni­gen, die seit Jah­ren da­vor warn­ten und die man am En­de nicht mehr hö­ren konn­te (oder woll­te).

Nun ist es zu spät. Zu spät für ei­ne Auf­nah­me der Ukrai­ne in die NATO, zu spät für Ver­tei­di­gungs­waf­fen (nebst Schu­lun­gen dar­an), zu spät auch für ei­nen EU-Bei­tritt der Ukrai­ne, wie dies Ner­vad Ker­ma­ni noch als trick­rei­chen Vor­schlag ein­ge­bracht hat­te. Pu­tins Kal­kül geht in­des auf: Eu­ro­pa ist hilf­los, be­schliesst ein paar wert­lo­se und vor al­lem für sie eher bil­li­ge »Sank­tio­nen«. Wer das EU-Per­so­nal sieht muss auf­pas­sen, nicht in Zy­nis­mus ab­zu­glei­ten. Der Bun­des­kanz­ler hat in sei­ner Re­de brav sei­ne Flos­keln auf­ge­sagt um an­schlie­ßend die Sank­ti­on, Russ­land aus dem Zah­lungs­sy­stem SWIFT raus­zu­schmei­ssen, zu­sam­men mit Ita­li­en zu blockie­ren.

Die De­mi­li­ta­ri­sie­rung Eu­ro­pas, die Ar­meen zu Er­fül­lungs­ge­hil­fen bei Hoch­was­sern, Erd­be­ben oder in Ge­sund­heits­äm­tern de­gra­diert, hat da­zu ge­führt, dass An­griffs­krie­ge nicht mehr Po­li­tik sind. Clau­se­witz ist adé. So weit, so gut. Aber man hat schlicht­weg ver­ges­sen, dass Clau­se­witz für an­de­re Län­der eben noch ak­tu­ell ist. Deut­sche Ge­ne­rä­le er­läu­tern schlicht, dass die Bun­des­wehr nicht ein­mal mehr ver­tei­di­gungs­fä­hig ist. Statt dies als Alarm­zei­chen zu deu­ten und ernst zu neh­men, wer­den in den so­zia­len Me­di­en der Ver­kün­der der un­an­ge­neh­men Wahr­heit an den Pran­ger ge­stellt.

Ein deut­scher Ex-Ge­ne­ral mein­te ge­stern, Pu­tin ha­be Angst vor der De­mo­kra­tie. Der Mann mein­te es ernst; er wirk­te ho­no­rig. Aber das Aus­maß die­ser Nai­vi­tät ist wirk­lich er­schreckend. Wie »wich­tig« die Ver­tei­di­gung in Deutsch­land an­ge­se­hen wird, kann man sym­bo­lisch an den letz­ten Ver­tei­di­gungs­mi­ni­stern fest­ma­chen. Gen­der­ge­rech­te Spra­che, Kin­der­gar­ten für Sol­da­ten­kin­der und se­xu­el­le Iden­ti­tät wa­ren die Prio­ri­tä­ten. Wir sind toll.

Die Bot­schaft für al­le Län­der, die sich aus frei­en Stücken dem west­li­chen Wer­te­sy­stem an­schlie­ssen, die für die Frei­heit ein­tre­ten, in Frie­den ih­ren Wohl­stand meh­ren wol­len, ist nicht erst seit ge­stern deut­lich. Sie lau­tet: Schließt Euch uns an – aber rech­net nicht mit un­se­rer Un­ter­stüt­zung. Un­se­re Mo­ral en­det, wenn es dar­um geht, sie ro­bust zu ver­tei­di­gen. Wir kön­nen nur Bil­lig­mut wie Shits­torm, Papp­schil­der oder – in den 1990er Jah­ren – Bett­la­ken aus dem Fen­ster hän­gen.

Die näch­ste Pro­be wird kom­men. Was, wenn Pu­tin das Bal­ti­kum an­greift? Est­land, Lett­land und Li­tau­en sind in der NATO, heißt es im­mer. Man be­ru­higt sich da­mit, dass Russ­land ei­nen Krieg ge­gen NA­TO-Staa­ten nicht ris­kie­ren wird. Ich bin da in­zwi­schen nicht mehr so op­ti­mi­stisch. Wer­den die USA – und nur um die geht es hier – das Bal­ti­kum zur Not mit Atom­waf­fen ver­tei­di­gen? Das Schlacht­feld wä­re dann Mit­tel­eu­ro­pa – wie im Kal­ten Krieg.

Der ame­ri­ka­ni­sche Po­li­ti­ker John Mc­Cain wur­de ein­mal ge­fragt, was bei Aus­lö­sung von Ar­ti­kel 5 des NA­TO-Ver­trags – Bünd­nis­fall bzw. Bei­stands­pflicht – ge­sche­hen könn­te. Sei­ne Ant­wort war fast buch­stäb­lich ent­waff­nend: »Anything, from a nu­clear re­spon­se to a post­card, wi­th re­g­rets.«

Die Post­kar­te mit Be­dau­ern an das Nicht-NA­TO-Mit­glied Ukrai­ne ist wohl schon ab­ge­schickt. Al­le ha­ben un­ter­schrie­ben. »Mit Be­dau­ern...«