Pe­ter Traw­ny: Aschen­plät­ze

Peter Trawny: Aschenplätze
Pe­ter Traw­ny: Aschen­plät­ze

Char­lie Brown, Li­nus und Lu­cie lie­gen auf ei­nem klei­nen Hü­gel und schau­en in die Wol­ken. Wenn man sei­ne Vor­stel­lungs­kraft be­mü­he, kön­ne man, so Lu­cie, ei­ni­ges in den Wol­ken­ge­bil­den er­ken­nen. Li­nus sieht dann in ei­ner Wol­ke die Land­kar­te von Bri­tisch Hon­du­ras1. Ei­ne an­de­re äh­ne­le dem Pro­fi von Pa­blo Pi­cas­so. Und da­hin­ter dann er­kennt er die Stei­ni­gung des Hei­li­gen Ste­pha­nus mit dem Apo­stel Pau­lus. Lu­cie lobt ihn und fragt Char­lie Brown, was er so se­he. Er woll­te was von Schäf­chen und Pferd­chen sa­gen, aber er las­se es dann lie­ber sein, meint er leicht re­si­gniert.

Mir geht es wie Char­lie Brown, ich be­trach­te Pe­ter Traw­nys Aschen­plät­ze und woll­te et­was über die Un­ter­schie­de zwi­schen Au­to­bio­gra­phie und Au­to­fik­ti­on und den Au­then­ti­zi­täts­fe­tisch des Feuil­le­tons schrei­ben, aber ich las­se das. Denn es gibt es sehr gu­te, un­ter­schied­li­che und doch sich er­gän­zen­de Be­trach­tun­gen über die­ses Buch von Jür­gen Niel­sen-Si­ko­ra und Mi­cha­el Chig­hel. Jür­gen Niel­sen-Si­ko­ra lobt »Kraft, Ent­schlos­sen­heit und Über­win­dung« des Au­tors, das Chan­gie­ren zwi­schen Au­to­bio­gra­phi­schem und Phi­lo­so­phi­schem. Mi­cha­el Chig­hel de­kla­riert es als ein jü­di­sches Buch, de­chif­friert die ver­wen­de­ten Pseud­ony­me der Ge­lieb­ten aus der jü­disch-my­sti­schen Kosmo­go­nie und fragt sich, ob Traw­ny nicht zu weit ge­he in sei­ner Ad­ap­ti­on des Ju­den­tums. Was kann ich die­sen bei­den stu­pen­den Deu­tun­gen noch hin­zu­fü­gen?

Ver­set­ze ich mich kurz in mein kauf­män­nisch ge­präg­tes, be­ruf­li­ches Um­feld (ich ver­ließ es 2015), so bin ich si­cher, dass Pe­ter Traw­ny dort weit­ge­hend un­be­kannt ist. Phi­lo­so­phie galt (und gilt) in die­sem Mi­lieu ma­xi­mal als Stecken­pferd und wird al­len­falls von fin­di­gen Fi­gu­ren, die sich »Coa­ches« nen­nen, als Stein­bruch für Ma­na­ger­se­mi­na­re aus­ge­schlach­tet, die schlag­wort­haf­te Ka­cheln mit (mo­ra­lisch da­her­kom­men­den) Hand­lungs­an­wei­sun­gen kon­stru­ie­ren, um Hil­fe­stel­lun­gen bei der Un­ter­schei­dung von Gut und Bö­se zu ge­ben. Die Fra­ge, die sich al­so stellt, ist die nach dem Pu­bli­kum für ei­ne Au­to­bio­gra­phie ei­nes Phi­lo­so­phen, der sich schwer­punkt­mä­ßig vor al­lem mit Mar­tin Heid­eg­ger, Fried­rich Nietz­sche und, im­mer wie­der, Ge­org Fried­rich Wil­helm He­gel be­fasst (die Phä­no­me­no­lo­gie des Gei­stes nennt Traw­ny »ei­ne Art phi­lo­so­phi­scher Bil­dungs­ro­man«) und da­mit, wie es im Wirt­schafts­deutsch heißt, ei­ne »Ni­sche be­dient«.

Der die­sen Leu­ten ver­mut­lich schwer ver­mit­tel­ba­re Clou die­ses Bu­ches be­steht dar­in, über den Um­weg (auto-)biographischer Schil­de­run­gen ei­ne Chan­ce zu phi­lo­so­phi­schen Zu­gän­gen jen­seits von Glücks­keks­weis­hei­ten zu er­hal­ten. Man könn­te al­so bei der Lek­tü­re so tun, als sei ›Pe­ter Traw­ny‹ ei­ne fik­ti­ve Fi­gur. Die schreibt über ihr Le­ben, ver­knüpft je­doch Bio­gra­phie mit phi­lo­so­phi­schen Pro­blem­stel­lun­gen. Das führt bis­wei­len zu Wi­der­sprü­chen, die kei­ne sind, weil den Er­kennt­nis­sen fort­lau­fen­de Er­fah­run­gen zu Grun­de lie­gen, die ein­sti­ge Ur­tei­le nicht re­vi­die­ren, son­dern wei­ter ent­wickeln oder er­gän­zen. Stel­len­wei­se mün­den sei­ne Er­leb­nis­se in aus­ufern­de Schil­de­run­gen, die bis­wei­len wie Recht­fer­ti­gun­gen klin­gen, mehr her­aus­ge­ar­bei­tet als er­zählt wer­den. Traw­ny ist das be­wusst, er sei kein Dich­ter, schreibt er und spä­te­stens hier be­kommt die Les­art als Fik­ti­on Ris­se. Im­mer­hin ge­lin­gen im­mer wie­der ge­lun­ge­ne (au­ßer­phi­lo­so­phi­sche) Bil­der, et­wa über die Er­leb­nis­se un­ter Ta­ge oder über die Mu­sik- und Kunst­sze­ne um Wan­ne-Eickel der Sieb­zi­ger­jah­re, über die er mit weh­mü­ti­ger Sym­pa­thie rä­so­niert.

Ich bin nun zwei Mal Pe­ter Traw­ny per­sön­lich be­geg­net, muss dem­nach den Weg des au­to­bio­gra­phi­schen Le­sers ge­hen und so­fort be­ginnt das Elend des Ver­glei­chens (Pe­ter Hand­ke). Traw­ny ist fünf Jah­re jün­ger als ich. Man nennt die­se Ge­ne­ra­ti­on leicht ver­ächt­lich »Boo­mer«. Es gibt noch ei­ne wei­te­re Über­ein­stim­mung: Die Be­wun­de­rung für den Sport­ler Gün­ter Net­zer (der un­längst auch schon 80 Jah­re wur­de). Das wars dann. Traw­ny wuchs im so­zi­al­de­mo­kra­tisch ge­präg­ten Ruhr­ge­biet auf, ich im kon­ser­va­ti­ven Mön­chen­glad­bach. Ei­ni­ger­ma­ßen über­rascht muss­te ich fest­stel­len, dass die Re­al­schu­le in Mön­chen­glad­bach bes­se­ren Ge­schichts­un­ter­richt bot als das Gym­na­si­um in Eickel, denn ich wur­de dort aus­gie­big, »cross­me­di­al« (Schul­funk und Hör­spiel­auf­füh­run­gen im Un­ter­richt) über die Scho­ah un­ter­rich­tet. Traw­ny schlug ei­ne aka­de­mi­sche Kar­rie­re ein, be­kam Hoch­be­gab­ten­sti­pen­di­en, ich be­gann die Lee­re ei­ner Leh­re. Er mach­te Zi­vil­dienst, ich war Wehr­pflich­ti­ger. Im­mer­hin: Ei­ni­ge der Wit­ze und An­ge­wohn­hei­ten sei­ner Ver­wand­ten sind auch mir be­kannt.

Traw­nys Blick auf das Ruhr­ge­biet ist das Ge­gen­teil des­sen, was das gän­gi­ge Kli­schee so her­vor­bringt. Er kri­ti­siert so­gar Wolf­gang Welts Spra­che. Mit bö­sem Wil­len könn­te man die­ses An­ren­nen an ein Kli­schee sel­ber als Kli­schee be­nen­nen. Der Blick Traw­nys bleibt il­lu­si­ons­los: Sei­ne El­tern wa­ren bei sei­ner Ge­burt sehr jung, der Va­ter brach­te es im Lauf der Jah­re im Berg­bau zu ei­nem ge­wis­sen Wohl­stand, der al­ler­dings nur kon­su­miert wur­de: »Das bes­se­re Le­ben be­stand aus un­mit­tel­ba­rem Kon­sum, der sel­ten in ech­ten Wohl­stand über­ging, al­so Be­sitz oder Ei­gen­tum, das auch die näch­ste Ge­ne­ra­ti­on sta­bi­ler hät­te un­ter­stüt­zen kön­nen«, so die Be­ob­ach­tung; pars pro to­to und viel­leicht ein biss­chen un­ge­recht.

Traw­ny ent­wickelt die Hy­po­the­se, wo­nach die Auf­ent­hal­te in Luft­schutz­bun­kern, wie es den El­tern als Kin­der zu­ge­mu­tet wur­de, im wei­te­ren Ver­lauf des Le­bens ei­ne »Bun­ker­see­le« er­zeugt hät­ten. Ähn­li­che Aus­sa­gen kennt man vom 1940 ge­bo­re­nen Rolf Die­ter Brink­mann, der sich spä­ter als Op­fer des Krie­ges fühl­te. Die Bun­ker­auf­ent­hal­te hät­ten sich, so Traw­ny wie­der, un­ter an­de­rem in den vo­lu­mi­nö­sen Schrank­wän­den ge­zeigt, die man sich spä­ter als Wohl­stands­sym­bo­le zu­leg­te. »Sie ha­ben ih­ren Bun­ker nie ver­las­sen, aber sie ha­ben ihn mit Kom­fort aus­ge­stat­tet.« (Die an­de­re Mög­lich­keit wä­re, dass Schrank­wän­de ein­fach prak­tisch sind, nicht zu­letzt was die Auf­be­wah­rung von Bü­chern an­geht.)

Bei al­ler »Selbst­ein­bunke­rung« hat­ten die El­tern, die sich wäh­rend sei­ner Schul­zeit trenn­ten, ih­rem Sohn hin­sicht­lich sei­ner be­ruf­li­chen Wün­sche kei­ne Stei­ne in den Weg ge­legt. Trotz des noch heu­te vor­han­de­nen Un­ver­ständ­nis­ses. Der Bil­dungs­weg wird kurz­wei­lig, oh­ne Ei­tel­kei­ten, in kla­ren und prä­zi­sen, nicht im­mer für al­le Be­tei­lig­ten schmei­chel­haf­ten Wor­ten re­ka­pi­tu­liert. Aber erst durch die in­ter­mit­tie­rend ein­ge­bun­de­nen Ka­pi­tel über die je nach Le­bens­ab­schnitt auf­kom­men­den phi­lo­so­phi­schen Pro­ble­me und den je­wei­li­gen Be­zug auf die Per­son Pe­ter Traw­ny be­kommt das Buch die­se be­son­de­re, ex­pres­si­ve Dy­na­mik. (Wo­mit nach ei­ni­gen Ka­pi­teln die Mög­lich­keit, das Buch als Ro­man zu le­sen, end­gül­tig schei­tern dürf­te.)

Vie­le der phi­lo­so­phi­schen Ein­las­sun­gen ha­ben di­dak­ti­sche Qua­li­tä­ten – leicht ab­ge­wan­delt könn­te man sich ei­ni­ge als Schul­stoff den­ken. Es sind Ein­stie­ge, die an­schau­lich ge­schrie­ben und le­bens­nah, aber nicht tri­vi­al da­her­kom­men. Und das bei den wirk­lich schwie­ri­gen Fra­gen wie Sein/Dasein, Sub­jekt, Kör­per, De­sub­jek­ti­vie­run­gen, De­kon­struk­ti­on, Nie­mands­herr­schaft, Ge­walt, Selbst­be­wusst­sein, Sou­ve­rä­ni­tät, Lie­be, Iden­ti­tät (um nur ei­ni­ge zu nen­nen) – mit­samt da­zu­ge­hö­ri­ger, frei­lich aus­ge­wähl­ter Re­fe­ren­zen. Wo­bei die rei­ne Auf­zäh­lung die­ser The­men­kom­ple­xe fast schon ab­schreckend wirkt, was je­doch kei­nes­falls von der Lek­tü­re ab­hal­ten soll. So ha­be ich bei­spiels­wei­se zum er­sten Mal an­satz­wei­se ei­ne Idee be­kom­men, was Heid­eg­ger un­ter »Je­mei­nig­keit« ver­ste­hen könn­te.

Die Le­bens- und Phi­lo­so­phie­ab­schnit­te kann man in die­ser Form nicht ge­trennt re­zi­pie­ren, wie Traw­ny im (et­was zu aus­führ­li­chen) Pro­log schon fest­stell­te. Sie ge­hö­ren zu­sam­men. Es gibt auch zahl­rei­che, an­re­gen­de Ne­ben­aspek­te. So fin­det sich ein klei­nes Re­fe­rat über die männ­li­che Erek­ti­on, je­ne kör­per­li­che Er­schei­nung, die als ein­zi­ge nicht aus­schließ­lich dem Wil­len des Man­nes un­ter­wor­fen ist, wel­ches in sei­ner Schrul­lig­keit amü­sant ist. Neu war für mich der Be­griff der Au­to­to­po­gra­phie, der ei­ne be­son­de­re Spe­zi­fi­zie­rung des un­ge­nau­en To­pos der Hei­mat lie­fern könn­te. Wäh­rend der Ge­burts­ort nicht frei ge­wählt wer­den kann, be­zeich­net Au­to­to­po­gra­phie »Or­te und Land­schaf­ten«, an de­nen sich im Ver­lauf »ih­res Le­bens ein­ge­malt, ‑ge­dich­tet oder ‑kom­po­niert ha­ben«. »Was wä­re Nietz­sche oh­ne Trib­schen und Sils Ma­ria, Heid­eg­ger oh­ne Meß­kirch und Todt­nau­berg, Witt­gen­stein oh­ne Sk­jol­den und Cam­bridge, Ador­no oh­ne Amor­bach und Frank­furt, Slo­ter­di­jk oh­ne Karls­ru­he und Ber­lin und Mahler oh­ne Wien und Tob­lach« fragt Traw­ny. Es ist na­tür­lich ty­pisch für ei­nen In­tel­lek­tu­el­len, dass ihm Künst­ler und Phi­lo­so­phen in den Sinn kom­men.

Zu­nächst woll­te Traw­ny Kom­po­nist re­spek­ti­ve Mu­si­ker wer­den; sei­ne Lie­be zur Mu­sik (von Mahler über den Jazz bis Wolf­gang Rihm) ist ge­blie­ben. Er ent­schied sich am En­de für Phi­lo­so­phie. Es gibt Ein­blicke in das uni­ver­si­tä­re Um­feld, sei­ne Kar­rie­re an der Sei­te sei­nes Leh­rers Klaus Held, durch den auch er zu in­ter­na­tio­na­len Ta­gun­gen ein­ge­la­den wur­de. Die so­ge­nann­te Bo­lo­gna-Re­form, die eu­ro­pa­weit die uni­ver­si­tä­ren Stu­di­en­gän­ge ver­ein­heit­li­chen soll­te, ist für Traw­ny und der »ak­tu­el­len Ge­ne­ra­ti­on des uni­ver­si­tä­ren Mit­tel­baus«, der durch die­se Po­li­tik prak­tisch ab­ge­schafft wird, ei­ne nach­hal­ti­ge Ka­ta­stro­phe. Lehr­plä­ne wer­den von nun an weit­ge­hend auf Markt­kom­pa­ti­bi­li­tät aus­ge­rich­tet. Für Traw­ny sel­ber be­deu­te­te das: Die »spe­zi­fisch aka­de­mi­sche An­er­ken­nung«, ei­ne fe­ste Stel­le, blieb ihm ver­wehrt. Auch hier bleibt er kühl, oh­ne Selbst­mit­leid, fast sto­isch re­fe­rie­rend, un­ter an­de­rem über sei­ne ste­ti­ge Skep­sis ge­gen­über In­sti­tu­tio­nen al­ler Art. Er reist nun durch die Welt, Ta­gun­gen und Gast­pro­fes­su­ren da und dort. Er­hel­lend, die Aus­füh­run­gen über den Lehr­auf­ent­halt an der Tongji-Uni­ver­si­tät in Chi­na, sein La­vie­ren, wenn es um die po­li­ti­schen Rück­sicht­nah­men geht, die man ein­zu­ge­hen hat.

Wie fra­gil die­ses aka­de­mi­sche Mi­lieu (und da­mit die pe­ku­niä­re Aus­stat­tung) sein kann, zeig­te sich als 2014 die so­ge­nann­ten »Schwar­zen Hef­te« aus dem Nach­lass von Mar­tin Heid­eg­ger für die Öf­fent­lich­keit frei­ge­ge­ben wur­den. Da Heid­eg­ger-Her­aus­ge­ber »sich in den Nach­wor­ten zu den ein­zel­nen Bän­den nicht in­ter­pre­ta­to­risch äu­ßern soll­ten«, ver­öf­fent­lich­te Traw­ny sei­ne Deu­tun­gen zu den Äu­ße­run­gen Heid­eg­gers in ei­nem se­pa­ra­ten Buch und präg­te den Be­griff des »seins­ge­schicht­li­chen An­ti­se­mi­tis­mus«. Die­se In­ter­pre­ta­ti­on führ­te zu hef­ti­gen Dis­kus­sio­nen, so­wohl in Deutsch­land wie in Frank­reich. Un­aus­ge­spro­chen denkt man zu­rück an das Ka­pi­tel über sei­ne chi­ne­si­sche Lehr­tä­tig­keit. Im öf­fent­li­chen Raum führ­te die Dis­kus­si­on um Heid­eg­gers An­ti­se­mi­tis­mus da­zu, dass ein Mo­de­ra­tor ei­ner Li­te­ra­tur­sen­dung des Schwei­zer Fern­se­hens ent­las­sen wur­de, weil er El­ke Hei­den­reich bei ei­nem Falsch­zi­tat über Heid­eg­ger er­wisch­te und sie dar­auf auf­merk­sam mach­te. Traw­ny er­wähnt die­sen Vor­fall nicht.

Deut­lich scheint ihm, dass ei­ni­ge mit Heid­eg­ger »ab­rech­nen« woll­ten und ei­nen An­lass such­ten. Lang­jäh­ri­ge Freund­schaf­ten zer­bra­chen. Traw­ny wur­de als »Schwach­sin­ni­ger« be­zeich­net, man di­stan­zier­te sich von ihm, weil man ihm un­ter­stell­te, An­ti­se­mi­tis­mus re­la­ti­vie­ren zu wol­len. Es »gab An­grif­fe, die zu weit gin­gen; üb­ri­gens nicht aus jü­di­schen oder is­rae­li­schen Rich­tun­gen«. Traw­nys aka­de­mi­sche Re­pu­ta­ti­on stand auf dem Spiel. Er spricht im Buch von der »unverhohlene[n] Form des Mob­bings« und sieht sich be­stä­tigt, dass »die aka­de­mi­sche Phi­lo­so­phie […] das Den­ken zen­siert«.

Der Vor­fall zeigt deut­lich, wie Traw­ny Phi­lo­so­phie ver­steht, näm­lich als »ei­ne Denk- und Le­bens­form, in der al­les ge­sagt wer­den kann, oh­ne dass ei­nem das Wort ent­zo­gen wer­den darf. Im­mer gilt, dass ein neu­es, an­de­res Ge­spräch mög­lich bleibt, selbst und ge­ra­de dann, wenn man die Po­si­ti­on des An­de­ren nicht teilt. Phi­lo­so­phie­ren ist ge­wiss per­sön­lich, es geht nicht um ab­strak­te Ideen jen­seits des ei­ge­nen Le­bens. Ge­ra­de dar­um ist ihr ei­ne Of­fen­heit ei­gen, die ei­ne mei­nes Le­bens ist. Wer das be­hin­dern will, ist kein Phi­lo­soph.« Gleich­zei­tig stellt er im­mer wie­der klar: »Phi­lo­so­phi­sche Sät­ze wört­lich im Le­ben an­zu­wen­den, wä­re ein Miss­ver­ständ­nis.« Mo­ral­phi­lo­so­phie be­kommt bei ihm rasch den Bei­geschmack des Tri­via­len. Das dürf­te auch der Grund sein, dass er trotz sei­ner ge­le­gent­li­chen Aus­flü­ge in die po­pu­lä­re Phi­lo­so­phie von den dort agie­ren­den Prot­ago­ni­sten weit­ge­hend igno­riert wur­de.

Traw­ny ist zum ei­nen Leh­rer an ei­ner Uni­ver­si­tät, die ihm »als Ort der in­sti­tu­tio­na­li­sier­ten Phi­lo­so­phie« ei­ne »bür­ger­li­che Exi­stenz« er­mög­licht. Zum an­de­ren ist er Phi­lo­soph. »Aber die Le­bens­form des Phi­lo­so­phen ist kein be­stimm­tes Han­deln, son­dern ein Den­ken oder je­den­falls ein Da­sein, das sich in sei­ner for­ma­len Ge­stalt ein­zig und al­lein den In­ter­es­sen des Den­kens über­lässt.« Und schließ­lich kommt auch noch Au­tor- und Her­aus­ge­ber­schaft da­zu.

Die sehr in­ter­es­san­ten Aus­füh­run­gen über den Un­ter­schied zwi­schen Un­phi­lo­soph und An­ti­phi­lo­soph auf­neh­mend, möch­te ich ei­nen wo­mög­lich un­phi­lo­so­phi­schen Ein­spruch for­mu­lie­ren. Der be­trifft die Pas­sa­gen, in de­nen es vom Pri­va­ten ins In­ti­me geht, die Schil­de­run­gen mit dem bis­wei­len sehr ver­track­tem Lie­bes­le­ben des Ver­fas­sers (zur bes­se­ren Ori­en­tie­rung emp­feh­le ich, sich ein Per­so­nen­ver­zeich­nis an­zu­fer­ti­gen).

Traw­ny wird den Ein­wand nicht gel­ten las­sen, für ihn ist ei­ne Au­to­bio­gra­phie »im­mer ein in­ti­mer, ein pein­li­cher Text«, ein »Be­kennt­nis« und nur in der Voll­stän­dig­keit ei­ne Au­to­bio­gra­phie, weil sie sich nur in die­ser um­fas­sen­den Dar­stel­lung run­det. Sie wird in der Re­fle­xi­on, der auf­klä­re­risch mo­ti­vier­ten Er­in­ne­rung (die na­tür­lich mit ih­ren Un­zu­läng­lich­kei­ten the­ma­ti­siert wird) zu ei­nem In­stru­ment der Selbst­ver­ge­wis­se­rung und zu­gleich zu ei­ner Pro­gram­ma­tik der Zu­kunft. So­zu­sa­gen: Ich war, al­so wer­de ich sein.

Der Ti­tel ist wohl ge­wählt. Aschen­plät­ze sind Or­te der ar­chai­schen sport­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung, der Bo­den ist hart, Stür­ze er­zeu­gen Wun­den, oft weht ei­nem die Asche ins Ge­sicht. Der Aschen­platz als Sym­bol für das Da­sein, wel­ches sich spä­ter­hin, wie ich in ei­ner an­de­ren Au­to­bio­gra­phie, die in die­sen Ta­gen er­schie­nen ist, las, in »win­zi­gen, in Zah­len co­dier­ten Span­nen der Aus­nah­me vom Nicht-Sein« do­ku­men­tie­ren wird. Das Le­ben, so Traw­ny am En­de in ei­ner selt­sa­men Mi­schung aus Pa­thos und Me­lan­cho­lie, wird »ein ein­zi­ger gren­zen­lo­ser Aschen­platz ge­wor­den sein; nur noch wil­de Trau­er.«

Ich hat­te zu­nächst ge­stutzt und »wil­de Erd­bee­ren« ge­le­sen. Über die »wil­de Trau­er« muss ich nach­den­ken. Recht so.


  1. Der Film entstand 1969 - das Land heißt heute Belize 

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