2011 erschien im Müry Salzmann Verlag ein Photoband der besonderen Art: Lillian Birnbaum portraitierte den Dichter Peter Handke »in seiner Abwesenheit«. Birnbaum erzählte im kleinen Vorwort von der Qual, die Handke erfasst, photographiert zu werden, und dachte, »es wäre doch sinnvoller, ein Bild seines Gartens zu zeigen, oder der Federn auf dem Küchentisch« oder all der geheimnisvollen »Installationen« seien sie nun errichtet oder zufällig. Und so zeigte dieser bemerkenswerte Band kein einziges Mal den Dichter – bis auf eine Ausnahme, als die Hände zu sehen waren, die Pilze zubereiteten. Der Leser wird zum Schau-Lustigen, sieht Mahlzeiten, Obst und Nüsse, Nähutensilien, Bleistiftstummel, Bücher, Manuskriptseiten, eine arabische Zeitung, Treppenstufen, auf denen links und rechts Bücher liegen, Laubhaufen, einen Gartenstuhl mit Sakko, ein Sessel oder das legendäre Obstbaubuch seines Onkel Gregor.

Und nun legt Isolde Ohlbaum ein »Langzeitportrait« über Peter Handke in 150 Photographien vor (plus zwei Aufnahmen, die nicht von ihr sind). Sie umfassen den Zeitraum von 1975 bis 2024 und zeigen den Dichter auf diversen »Preis-Festen und dem Drumherum« (Frank Wierke im Vorwort). Es sind zunächst die Feste des ab 1975 bis 1995 jährlich in unterschiedlichen, meist südeuropäischen Regionen stattfindenden Petrarca-Preises. Handke saß hier in der Jury.
Die Bilder zeigen ihn allerdings eher als Gleicher unter Gleichen, fast immer gelöst und heiter; Fußball spielend, schlafend, sogar einmal mit Zigarette, mit den jeweiligen Preisträgern zusammensitzend, vorlesend-deklamierend, sinnierend, mit seiner damals kleinen Tochter Amina die Umgebung erkundend. Einige Bilder gleichen Schnappschüssen, sind dann nicht ganz scharf, was eine besondere Authentizität erzeugt. Man sieht sofort, mit welchen Menschen Handke besonders vertraut war. Und man sieht sein Selbstbewusstsein wie auf dem Photo 1987 mit Siegfried Unseld (und in der Mitte ein lächelnder Hermann Lenz) oder der Aufnahme von einem Pressegespräch (1994).

Manches wirkt spontan, etwa das Durchwaten eines Baches mit Nicolas Born (der im Buch durchgängig »Nikolas« geschrieben wird) oder das Bild von 1989 mit Handke im Pool, als er anscheinend jemandem seine Brille zur Aufbewahrung reicht. Handke scheint damals die Aufmerksamkeit wenn nicht zu genießen, so doch zu anzunehmen. Im Laufe der Jahre wird sich das wandeln. Sicher, es gibt das Familienglück mit Sophie Semin und der kleinen Léocadie in den 1990ern. Aber er wird nachdenklicher, bisweilen sitzt er alleine und schaut. Symbolisch ein Photo von 2005 in Rückenansicht – Handke steht am Stromkilometer 1938, der Donau zugewandt. Noch gibt es vertraute Momente, eher ernst mit Xaver Bayer (2002), liebevoll mit Friederike Mayröcker (2009) und Kito Lorenc (2012). Herbert Burda und Michael Krüger sind jetzt alte Weggefährten. Ein wunderbares, seltenes Bild zeigt ihn breit lächelnd im Februar 2018 in Griffen, seiner Heimatstadt, anlässlich der Eröffnung der Dauerausstellung in Stift Griffen. Ich hatte ihn zunächst gar nicht erkannt.

Wenn man genau schaut, entdeckt man zuweilen interessante Kleinigkeiten. 1975 im Bus sitzend etwa, vertieft in Brinkmanns Westwärts 1 & 2. Der Tintin-Comic, als er 1976 mit Amina spazieren geht. Ein Handy 2004. Mit dem Manuskript seines Fabjan Hafner-Buchs von 2019. Dann die Fotos vom November 2024. Handke alleine in seinem Haus; hier und da ein Stillleben, ähnlich jenen von vor mehr als zehn Jahren bei Birnbaum. Im Textteil von Zitaten aus Notaten und Interviews von Peter Handke, die Isolde Ohlbaum ausgesucht hat, spricht er einmal leicht spöttisch von seinem Wunsch, einem »Club der Anonymen Einsamen« anzugehören. Passend dazu wieder eine Rückenansicht, diesmal der Blick aus dem Fenster in Chaville.

Ohlbaums chronologisch vorgenommene Textauswahl aus den Notizbüchern und einigen Interviews (darunter auch mit André Müller) kann man durchaus korrespondierend zu den Photos lesen. Sie zeugen von guter Werk- und Menschenkenntnis. (Gewöhnungsbedürftig für Handke-Leser, dass die Notizbuch-Notate entgegen den Veröffentlichungen mit einem Punkt am Ende versehen sind.) Interessant die Auswahlbiographie; besonders dahingehend, welche Schriften Handkes fehlen (wie zum Beispiel Die Wiederholung, Der Bildverlust oder Die morawische Nacht).
Der Photoband zeigt nicht nur das gelungene Portrait eines Dichters, sondern auch einer vergangenen literarischen Epoche und ihrer Protagonisten. Im besten Fall wird man sich einiger Schriftsteller und Dichter wieder erinnern, vielleicht Erri de Luca, Gerhard Meier, Sarah Kirsch, Ilse Aichinger, Philippe Jaccottet oder Gustav Januš, ihre Bücher wiederlesen oder, endlich, beginnen zu lesen. Auch dafür Dank.
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