Leif Randt: Let’s talk about fee­lings

Leif Randt: Let's talk about feelings
Leif Randt: Let’s talk about fee­lings

Leif Randt zählt längst zu je­ner klei­nen Grup­pe der Schrift­stel­ler-Ge­ne­ra­ti­on Y, die ir­gend­wann in kon­zer­tier­ter Ak­ti­on von Kri­tik und Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft zu Feuil­le­ton­günst­lin­gen avan­cier­ten. Randt ent­wickel­te sich vom Pop­li­te­ra­ten nicht zum Mid­cult-Au­tor, son­dern kon­stru­ier­te in sei­nen Ro­ma­nen »ge­misch­te Wirk­lich­kei­ten«, be­stehend aus »me­dia­lem (Selbst-) Ent­wurf und sinn­li­cher Exi­stenz im Hier und Jetzt« (Baßler/Druegh). Dun­kel ha­be ich noch den leicht dys­to­pi­schen Sound von Schim­mern­der Dunst über Co­by Coun­ty in Er­in­ne­rung. Über die dann fol­gen­den Bü­cher hat­te ich so viel ge­le­sen, dass ich mir die Lek­tü­re er­spar­te. Nun liegt mit Let’s talk about emo­ti­ons Randts neu­er Ro­man vor und ich woll­te un­be­dingt die Fol­ge des Nicht­le­sens durch­bre­chen.

Er­zählt wird et­was mehr als ein Jahr im Le­ben des Bou­ti­quen­be­sit­zers Ma­ri­an Fland­ers, 41, Sohn der be­rühm­ten Ca­ro­li­ne Fland­ers, ei­nes Mo­dels, die vor al­lem in den 1970er und 80er Jah­ren Kult­sta­tus ge­nos­sen hat­te. Es be­ginnt mit der See­be­stat­tung von Ca­ro­li­ne, de­ren Asche (leicht vor­schrifts­wid­rig) vom Schiff von Ma­ri­ans Va­ter, dem be­kann­ten Nach­rich­ten­an­chor­man der 2000er Jah­re Mi­lo Coen, der nun fast 80 Jah­re alt ist, auf den Wann­see ver­streut wird. Mit da­bei auch Mi­los Kin­der aus sei­ner zwei­ten Ehe, Te­da, 27, ei­ne welt­weit be­kann­te EDM-DJ und Co­lin, Fa­mi­li­en­va­ter von Zwil­lin­gen.

Zu Be­ginn macht man sich noch die Mü­he, die Prot­ago­ni­sten zu de­chif­frie­ren. Ist Ma­ri­ans Mut­ter et­wa Ve­rusch­ka von Lehn­dorff? Oder de­ren Mut­ter Eleo­no­re »No­na« von Haef­ten? Und der Nach­rich­ten­mann: Könn­te Ul­rich Wickert ge­meint sein? Als man dann er­fährt, dass der Ro­man am 2. Ju­ni 2025 be­ginnt und die Bun­des­kanz­le­rin Fa­ti­ma Brink­mann von »Pro­gress ‘16« heißt (Vi­ze­kanz­ler ist Ro­bert Ha­beck von »Bünd­nis 90«), die Li­ber­tä­ren die ge­fähr­lich­ste Par­tei dar­stel­len (Ma­ri­an hat­te die Links­par­tei ge­wählt) und von der zwei­ten Amts­zeit von Ber­nie San­ders hört, stellt man das Su­chen ein. Randt er­schafft sich sei­nen Wunsch­kos­mos, der für das wei­te­re Ver­ständ­nis des Bu­ches kei­ne Rol­le spielt.

Ma­ri­an gibt vor, es ge­he ihm »nor­mal«, ist in Wirk­lich­keit je­doch in Trau­er; die Mut­ter war Fix- wie Rei­bungs­punkt. Sei­ne Bou­tique mit dem hüb­schen Na­men »Ken­ting Beach« (be­nannt nach ei­nem Tai­wan-Ur­laub) läuft nicht gut und das Er­be von eher ma­ge­ren 37.000 Eu­ro macht es nicht bes­ser. Drei­und­sieb­zig Qua­drat­me­ter in Ber­lin-Schö­ne­berg sind nun mal nicht der Na­bel der Mo­de­welt, ob­wohl Ma­ri­an ei­gent­lich kei­nen Zwei­fel dar­an auf­kom­men las­sen will. Da­bei ist es aus­drück­lich kein Schicki-Micki-La­den. Die be­son­de­ren Mo­de­mar­ken, die da auf­ge­zählt wer­den und die »Ken­ting Beach« zum USP ma­chen sol­len, sind na­tür­lich fik­tiv. Le­dig­lich die Al­ter­na­ti­ven exi­stie­ren und man ist über­rascht, dass Uni­q­lo, C&A und TK ma­xx sa­tis­fak­ti­ons­fä­hig sind. Denn dort klei­det er bei­spiels­wei­se sei­nen Halb­bru­der Co­lin ein, nach­dem in Ma­ri­ans La­den nichts für ihn zu fin­den war.

Ne­ben der Fa­mi­lie spie­len An­na (37; seit sechs Jah­ren sei­ne An­ge­stell­te), Ser­gej, der se­mi­of­fi­zi­ell als ei­ne Art Buch­hal­ter fun­giert, wenn er nicht ge­ra­de in die Gay-Sze­ne in Mos­kau ab­taucht und Piet, 32, ein Wer­be­fo­to­graf, wich­ti­ge Rol­len. Um den Um­satz an­zu­kur­beln, schmeißt Ma­ri­an die eher spie­ßi­gen Fuß­ball­tri­kots aus dem An­ge­bot und in­stal­liert statt­des­sen ei­ne Ecke mit »Pandabuy«-Produkten. Da­bei han­delt es sich um Im­por­te mit lie­be­voll ge­fälsch­ten Mar­ken, wie Son­nen­bril­len, Shorts oder Ho­sen. Zwar weist er dar­auf­hin, dass es Fäl­schun­gen sind, aber es gibt mit der Zeit Be­den­ken. Spä­ter be­ru­higt er sein Ge­wis­sen, und fin­det ei­nen Spen­den-Mo­dus, wenn da­von et­was ver­kauft wird. Als ihm ein Ta­ge vor Weih­nach­ten ein ver­mut­lich eben­falls ge­fälsch­tes Schrei­ben ei­nes De­si­gners zu­ge­stellt wird, der ihm Kla­ge an­droht, gibt er die­se Li­nie auf.

Ma­ri­an, der sei­ne ge­schei­ter­te Be­zie­hung zur in­zwi­schen von ei­nem an­de­ren Mann schwan­ge­ren Fran­ca im­mer noch re­flek­tiert, um­wirbt die jun­ge Se­lin, die Ärz­tin sei­ner Mut­ter und ent­wickelt ei­ne re­gel­rech­te Stra­te­gie, um ein Date zu er­hal­ten. Als es schließ­lich ge­lingt, führt die Mi­schung aus 2c+b und Ket­amin da­zu, vier Mal in ei­nen Ei­mer zu er­bre­chen. Die Sa­che hat­te sich er­le­digt. Im wei­te­ren Ver­lauf wird zu­nächst Piet zu ei­ner Art be­ster Freund und Ma­ri­an ist nun häu­fig mit ihm un­ter­wegs. So be­glei­ten die bei­den be­glei­ten Te­da auf ei­nem Gig nach Osa­ka, Ja­pan. Sie ist dort sehr be­kannt und be­liebt. Und Piet bän­delt mit Te­da an; die bei­den wer­den schließ­lich ein Paar.

Die Er­zähl­stim­me passt sich der über­spann­ten Höf­lich­keit Ma­ri­ans an, der wie selbst­ver­ständ­lich gen­dert und mit äu­ßer­ster Prä­zi­si­on re­gi­striert, wie er und die an­de­ren Leu­te um ihn her­um an­ge­zo­gen sind. Klei­dung ist für ihn ele­men­tar; ein Di­stink­ti­ons­merk­mal. Sei­ne Lieb­lings­be­schäf­ti­gung ist die ste­ti­ge Be­ur­tei­lung sei­nes Ge­fühls­zu­stands und die Ein­ord­nung des so­eben er­leb­ten in vir­tu­el­le Rang­li­sten (et­wa wel­che Ta­ge die schön­sten im Le­ben ge­we­sen sind und war­um). Da­bei ist fast im­mer ist das Jetzt-Er­eig­nis »fan­ta­stisch«. Die Su­per­la­ti­ve pur­zeln: die be­sten Nu­deln, der schön­ste Weih­nachts­markt, die ge­lun­gen­sten Fo­tos. Strecken­wei­se er­in­nert man sich an klei­ne Kin­der, wenn die­se ein neu­es Spiel­zeug ge­schenkt be­kom­men ha­ben oder, ein­fa­cher, an Pu, den Bär.

Ma­ri­an macht sich zwar vie­le Ge­dan­ken über sei­nen La­den, aber das er ar­bei­tet, kann man kaum sa­gen. Den­noch nimmt er Aus­zei­ten, ar­ran­giert vie­les vom Smart­phone aus. Ein­mal tritt er ein »Mi­ni-Sab­ba­ti­cal« im Fe­ri­en­haus sei­nes Va­ters auf Te­ne­rif­fa an und wird dort von Elia­na, der frü­he­ren Haus­halts­hil­fe, be­kocht (als Dro­ge bleibt ihm nur Ibu­profen). Piet ent­schließt sich der­weil, ei­nen Pod­cast zu pro­du­zie­ren. Sein er­ster Gast ist sei­ne Freun­din Te­da, die über­ra­schen­der­wei­se ih­re Kar­rie­re als DJ be­en­det hat, jetzt Ju­ra stu­die­ren möch­te und sich um Geld­an­la­gen küm­mert. Sein Pod­cast heißt wie der Ti­tel des Ro­mans.

Manch­mal wird es skur­ril, et­wa wenn Ser­gej und Ma­ri­an nach Wolfs­burg ein­ge­la­den wer­den, von VW. Der Au­to­mo­bil­kon­zern hat nicht nur mit­tels KI ein neu­es, coo­les Lo­go kre­iert, son­dern will in Wolfs­burg ei­ne neue Kul­tur- und Mu­sik­sze­ne er­schaf­fen; et­li­che EDM- und DJ-Grö­ßen (Lu­ke Sla­ter!) ma­chen mit. Ernst­haft fragt ein Vor­stands­mit­glied (»blau­grau­es Jackett kom­bi­niert mit zwei Drit­tel lan­gen Shorts in der­sel­ben Far­be«) Ma­ri­an, wie er ei­ne Fa­shion-Show ge­stal­ten wür­de. Im­mer­hin kann er trotz Am­phet­amin-Kon­sum noch ei­ni­ger­ma­ßen klar ant­wor­ten und skiz­ziert sei­ne Ideen zu »Wolfs­burg Cou­ture«.

Schließ­lich lernt Ma­ri­an Ku­ba Köt­ting (33) ken­nen, ei­ne Film­re­gis­seu­rin, die ihn zur Vor­füh­rung ih­res Films »Fox­town« im Rah­men der Ber­li­na­le ein­lädt. Hier kann Ma­ri­an sei­nen di­ver­sen Ran­kings frei­en Lauf las­sen. Ein paar Ta­ge spä­ter lädt sie ihn zum Fuß­ball­spiel Her­tha BSC ge­gen 1. FC Kai­sers­lau­tern ein (sie ist Fan der »ro­ten Teu­fel«, da­her der Steh­platz) und schreibt Ma­ri­an kurz dar­auf ei­nen kryp­ti­schen Lie­bes­brief, den er sich von Piet und Te­da de­chif­frie­ren lässt. Ma­ri­an schöpft Hoff­nung und be­sucht Ku­ba in De­lhi, wo sie vom Goe­the­insti­tut ein­ge­la­den wur­de, ein »Fox­town-Scree­ning« ab­zu­hal­ten. Da­nach li­stet er sei­ne Ko­pu­la­tio­nen mit Ku­ba auf und ka­ta­lo­gi­siert sie.

Zu­rück in Ber­lin ist Ma­ri­an Gast in der drit­ten Fol­ge von Piets Pod­cast, nach­dem in der zwei­ten die Kri­ti­ke­rin ein­ge­la­den wor­den war, die Ku­bas Film ver­ris­sen hat­te. Aber wie das aus­ge­gan­gen ist, er­fah­ren wir nicht, weil es Ma­ri­an auch nicht er­fah­ren hat. Hö­he­punkt ist dann am Schluss der Sex zwi­schen Ku­ba und Ma­ri­an un­ter frei­em Him­mel im chi­ne­si­schen Gar­ten. Da­nach be­trach­te­ten die bei­den »im Teich ei­ne Grup­pe oran­ge­far­be­ner Fi­sche. ›Falls du mich ei­nes Ta­ges nicht mehr lei­den kannst‹, sag­te Ma­ri­an, ›wer­de ich die­sen Tag trotz­dem in gu­ter Er­in­ne­rung be­hal­ten.‹« Thats it.

Die Lek­tü­re des Ro­mans ist bis­wei­len, als schaue man ein Ten­nis­match an, des­sen Re­sul­tat man längst kennt. Randts Fi­gu­ren sind voll­kom­men ge­heim­nis­los. Wie ver­zwei­felt muss der Le­ser sein, wenn ihm plötz­lich Mar­cel Reich-Ra­nickis Fra­ge­stel­lung ein­fällt, war­um die Be­find­lich­kei­ten die­ses Per­so­nals in­ter­es­sant sein sol­len. Viel­leicht han­delt es sich bei dem Ro­man aber um ei­ne li­te­ra­ri­sche Fin­ger­übung? Et­wa um die Am­bi­ti­on, je­de Er­war­tungs­hal­tung des Le­sers zu un­ter­lau­fen und nur an­satz­wei­se auf­kom­men­de »emo­ti­ons« in ei­nem Te­tra Pak von Be­lang­lo­sig­kei­ten zu er­sticken. Man­ches könn­te man mit ei­ni­gem Wohl­wol­len als Mi­lieu-Stu­die oder so­gar Sa­ti­re ver­bu­chen (die Wolfs­burg-Epi­so­de et­wa), wür­den die bit­ter­ern­sten Prot­ago­ni­sten nicht in stoi­scher Iro­nie­ver­wei­ge­rung er­star­ren. Sie mei­nen das al­les ernst! Da­bei er­scheint es lo­gisch, dass sie ih­rem En­nui nur durch Dro­gen ent­flie­hen kön­nen. Das, was sie dann er­le­ben, hal­ten sie für Welt. Und viel­leicht sind Leif Randts Bü­cher ein­fach nur Hor­ror­ro­ma­ne.

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