Hu­bert Win­kels: Die Hän­de zum Him­mel

Hubert Winkels: Die Hände zum Himmel
Hu­bert Win­kels:
Die Hän­de zum Him­mel

[...weit aus­ho­lend]

Nie­mand, der sich für zeit­ge­nös­si­sche deutsch­spra­chi­ge Li­te­ra­tur in­ter­es­siert, kam am in die­sem Jahr 70 Jah­re alt wer­den­den Hu­bert Win­kels vor­bei. Er schrieb nicht nur für zahl­rei­che Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten Kri­ti­ken und Es­says (vom Düs­sel­dor­fer Stadt­ma­ga­zin Über­blick über Tem­po, stern, ZEIT, Süd­deut­sche Zei­tung und Spie­gel), son­dern war mehr als 25 Jah­re im Li­te­ra­tur­res­sort des Deutsch­land­funks tä­tig. In na­he­zu al­len re­le­van­ten Ju­rys fand man sei­nen Na­men. Brei­te Wir­kung er­reich­te er durch die Tä­tig­keit als Ju­ror im In­ge­borg-Bach­mann-Preis; von 2015 bis 2020 war er der Ju­ry-Vor­sit­zen­de.

Es sind zwei Er­eig­nis­se, die mich über al­le bis­wei­len deut­li­chen Schwie­rig­kei­ten, die mit Win­kels’ Kri­ti­ken hat­te, mit ihm nicht nur ver­ban­den, son­dern in de­nen ich ihn mit ge­fass­ter Sym­pa­thie be­trach­te­te (ich ken­ne ihn nicht per­sön­lich). Zum ei­nen Mitte/Ende der 1990er Jah­re, als er für ei­ne kur­ze Zeit im Drit­ten Pro­gramm des da­ma­li­gen den Dich­ter­club mo­de­rier­te. Die Sen­dung ori­en­tier­te sich, wenn ich rich­tig er­in­ne­re, an die SWR-Be­sten­li­ste, die einst von Jür­gen Lo­de­mann als Ge­gen­pol zu den Best­sel­ler­li­sten mit­in­iti­iert wur­de. Hier ver­ge­ben ein­ge­la­de­ne Kri­ti­ker (fast) mo­nat­lich Punk­te für (zu­meist deutsch­spra­chi­ge) Neu­erschei­nun­gen nach ih­ren per­sön­li­chen äs­the­ti­schen Li­te­ra­tur­kri­te­ri­en. So ent­steht ei­ne Rang­fol­ge der zehn »be­sten« Bü­cher. Zum gro­ßen Teil kom­men Bü­cher auf die­se Li­ste, die auf den gän­gi­gen Ver­kaufs­li­sten nicht zu fin­den sind.

Win­kels fun­gier­te beim Dich­ter­club als mit­ma­chen­der Mo­de­ra­tor. Ei­ne Re­dak­ti­on such­te aus der Be­sten­li­ste viel­leicht drei oder vier Bü­cher aus und stell­te sie in un­ter­schied­li­chen Mo­di wie Kri­ti­ker­ge­spräch, Le­sung ei­nes Ka­pi­tels, Film mit oder oh­ne Au­tor und/oder per­sön­li­cher Emp­feh­lung ei­nes Kri­ti­kers vor. Das un­ter­schied sich wohl­tu­end so­wohl von den im Be­fehls­ton den Le­ser gän­geln­den Emp­feh­lungs­fe­ti­schis­mus wie auch vom längst clow­nesk ge­wor­de­nen Li­te­ra­ri­schen Quar­tett. Sie dau­er­te nach mei­ner Er­in­ne­rung ei­ne Stun­de, war aber kurz­wei­lig, oh­ne tri­vi­al zu sein. Da­mit sie auch ga­ran­tiert kei­nen Er­folg hat­te, strahl­te man sie auf SWF meist mitt­wochs ge­gen 23 Uhr und als Wie­der­ho­lung auf 3sat Sonn­tag vor­mit­tags, um 10 Uhr her­um, aus. Es fin­det sich noch ei­ne Ein­schalt­quo­te ei­ner Sen­dung von 1998. Dem­nach wur­den ein­mal 0,04 Mil­lio­nen Zu­schau­er ge­mes­sen, was ei­nem Markt­an­teil von 0,3% ent­sprach. Wenn man weiß, wie die­se Zah­len er­mit­telt wer­den, weiß man auch, wie hoch die Feh­ler­to­le­ranz in die­sem Be­reich sein kann. Im­mer­hin, so sagt man sich, 40.000. Ob ei­ne Ra­dio­sen­dung im Deutsch­land­funk, sa­gen wir der Bü­cher­markt, ei­ne ähn­li­che Quo­te hat? Aber, so könn­te man fra­gen: War­um ist ei­ne Quo­te über­haupt re­le­vant?

Der Dich­ter­club wur­de nach zwei oder drei Jah­ren ein­ge­stellt; es gab noch min­de­stens ei­nen Ver­such, die Be­sten­li­ste im Fern­se­hen auf­zu­be­rei­ten bis sie schließ­lich ins Ra­dio wan­der­te und dort nun in Form ei­nes ein­stün­di­gen Kri­ti­ker­ge­sprächs über vier Bü­cher mit Aus­schnitts­le­sun­gen re­gel­mä­ssig aus­ge­strahlt wird.

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Mein zwei­ter thy­mo­ti­scher Mo­ment mit Hu­bert Win­kels er­eig­ne­te sich im Ju­ni 2021. Win­kels war ein­ge­la­den wor­den, im Rah­men der »Ta­ge der deutsch­spra­chi­gen Li­te­ra­tur« zu Kla­gen­furt die Re­de zur Li­te­ra­tur­kri­tik zu hal­ten. Der Text wur­den größ­ten­teils mit ei­ner Mi­schung aus Un­ver­ständ­nis und Ver­stö­rung wahr­ge­nom­men. Wolf­gang Ti­scher vom Li­te­ra­tur­ca­fé nahm dies zum An­lass, Win­kels, der pan­de­mie­be­dingt in Ber­lin war, zu be­fra­gen. Das Ge­spräch dau­er­te fast 40 Mi­nu­ten und man er­leb­te den Kri­ti­ker, wie er los­ge­löst von al­len Ver­pflich­tun­gen (er war seit kur­zer Zeit auch nicht mehr Re­dak­teur beim Deutsch­land­funk) über sein Ver­ständ­nis von Li­te­ra­tur und Li­te­ra­tur­kri­tik sprach.

Sel­ten hat man ei­nen Men­schen aus dem Li­te­ra­tur­be­trieb der­art be­freit re­den hö­ren. Er be­schwor den »Fun­ken ei­nes ma­gi­schen Welt­ver­ständ­nis­ses« als ei­ne äs­the­ti­sches Ziel von Li­te­ra­tur. Dass die Re­de auf Ir­ri­ta­tio­nen sto­ßen wür­de, nahm er be­wusst in Kauf Und er ha­der­te mit der ak­tu­el­len Li­te­ra­tur­kri­tik, die sich im­mer mehr zeit­gei­stig ge­be und als volks­päd­ago­gi­sches In­stru­ment se­he. Ein schlei­chen­der Pro­zess sei das ge­we­sen, so Win­kels, aber all das war und vor al­lem: ist mit ihm nicht zu ma­chen. Er hat­te halt Glück, ei­nen Kul­tur­chef zu ha­ben, der phi­lo­lo­gisch noch am­bi­tio­nier­ter war als er sel­ber und ihn schlicht »ma­chen« ließ. All das wird in sach­li­chem, kei­nes­falls über­heb­li­chem Ton fest­ge­stellt.

Hier wei­ter zum voll­stän­di­gen Text »Rhei­ni­sches Hoch­ge­fühl und ka­tho­li­scher Zu­fall« mit der aus­führ­li­chen Be­spre­chung von Die Hän­de zum Him­mel bei Glanz und Elend.

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