Jemand, der sich noch einem linken Repertoire verpflichtet fühlt, meinte neulich zum Thema der unentwegt ausgeweiteten israelischen Siedlungen in Palästina: Klar, da ist ein Volk ohne Raum. Reflexartig fing ein anderer an sich über die Insinuierung aufzuregen, und nach dem üblichen Hinundher übte man sich in dem unausweichlichen Patt. Ich dachte nur wieder daran, wie man mit dem Kampf um das Territorium bei den Grundlagen der Politik ist (und mit den Bodenbesitzern auch wieder bei jedem einzelnen Moshe und Ahmad Ohneland). Und wie die Verdrängung nicht-konformen Lebens der bewährte Mechanismus für das Überleben der Stärkeren ist.
Und kann der Stärkere anders als blind sein? Argumente jedenfalls heben sich irgendwann gegenseitig auf. Als ich eines frühen Maiabends als ich noch in der Nähe arbeitete durch die Kittelbachgärten ging, hatte es dort ein Fest gegeben mit Girlanden und Punsch, und auch dem schlendernden Zaungast wurde von einem lachenden, sich ob seiner Aufgabe sichtlich aufgewertet fühlenden dicken Mädchen ein Glas gereicht. Das Mädchen hatte sich eine Art Reif aus Goldpappe ins Haar gesteckt mit dem da herausstehenden Scherenschnitt einer Zahl – wie früher diese Aufsätze auf beim Bäcker zu bestellenden Torten zu Jubiläen. Aber sie bediente gleich weiter, und ich kam nicht dazu, mit ihr ein paar Worte darüber zu wechseln. Außerdem drehte wegen der Europameisterschaft gerade jemand an dem improvisierten Buffet ein Kofferradio an.
Nun will ich hier nicht meinerseits etwas insinuieren, doch merke ich, wie etwas Vorgängiges da stärker ist und ich dem nie ganz entkomme. Vielleicht nicht unähnlich wie ich (der sich ansonsten noch nie dafür interessierte) nicht das Jahr vergessen kann, in dem der lokale, der Heimatklub Meister wurde: 1933. Ich habe deswegen sogar einmal eine Untersuchung über Zusammenhänge von Politik und Sporttriumphen gelesen, und weiß, dass einander so oder so zu bedingen fähige Konjunkturen da oft möglich, aber zuletzt unberechenbar sind. So glaube ich also auch nicht, dass die Assoziation gerecht ist, und doch denke ich jedes mal, fällt der Namen dieses (mir ansonsten also komplett gleichgültigen) Fußballvereins: ausgerechnet, und die fatale Gedankenverbindung ist da.
Und dann kam ich also während jenes Gartenfestes nicht umhin mit anzuhören, wie ein eher kleinwüchsiger, mir in seinem Äußeren nicht weiter deutlich gebliebener Mann, der da mit an dem im Freien aufgestellten Tapeziertisch saß, sich beschwerte, dass man heute ja nicht mal mehr einen Fuchsbau vergasen dürfe! (Oder hatte er, noch ein Stück Wurst im Mund, Dachsbau gesagt? Aber da war auch das nach Zustimmung schon gar nicht mehr Heischende, da war dieses längst Zweifellose im Ton. Ein Schreber? Ein Gemeinmensch? Ein Alltags-Nazi? Ein durch sein eigenes Stereotyp Gerechtfertigter?)
Während weiter niemand auf die Äußerung des Mannes reagierte, war für mich jene eh prekäre Gemütlichkeit in dem mit dem fröhlichem Geräusch angefüllten Garten sofort dahin gewesen. Als ob überhaupt ein fühlendes Wesen einem anderen fühlenden Wesen je so etwas antun dürfte! Und was war mit der Gewalt solcher Unbeirrtheit, ob der Fatalität irgendeines blöden Richtigen erst recht und schon immer blind? Steckt auch nur ein Mensch sich an, eine ganze Population auszurotten: Kommt auch nur ein plündernder Besatzer um, erschießen wir alle Männer im Dorf? Was ist mit der Tollwut solcher Vernunft?
Etwas Ungutes, etwas seit meinen ersten Berührungen mit dem autoritären Charakter in seiner Ohnmacht vielleicht selber Schlimmes war da in mir aufgestiegen. Etwas, das ich wegen der mir den Hals verengenden Empörung noch nie wie andere einfach hatte verlachen können, obwohl es, als Herrenlogik, anderswie doch auch von mir schon als überholt und abgewirtschaftet erkannt geworden war: Das Zetern der Kirschbaumbesitzer, das Zackige der ihre Hunde Abrichtenden! Das Herumschnauzen und die Kommandos der ob ihrer Vergangenheiten verbittert aber demutslos gebliebenen Rentner! All das ihre Kriegsheimkehrer-Gestrigkeit in gestriger Größe übertönen sollende Altmännerunglück! (Und bald darauf auch noch das Anheischige eines nach Pfeifenrauch und Leder, nach Zünftigkeit riechenden Lehrers, der uns neuerdings kumpelhaft zu kommen versuchte.)
Ich hatte nur noch mein Glas auf den Tisch knallen und rasch da weggehen können. Doch die Reaktion vergiftete mich selbst, ich kannte mich da längst: Hätte es eine Waffe und eine Gelegenheit gegeben, mein Hass in dem Moment auf das Unbestrittene in diesem Mann war so stark, dass ich ihm gern meinerseits einmal mit der Art Verblendung gekommen wäre, mit der er in die Welt ging. Oder mit Schlimmerem.
Natürlich ist man da gleich wieder bei der Idee, nach der man das, was man vernichten will, immer auch in sich trägt. Nur konnte ich das, während ich also merkte, dass ich das besser endlich einmal in mir aufzuspüren hätte, beim besten Willen nicht finden. Im Gegenteil. Außer, dass er, dieser Mann – und er hatte ja wie zu niemandem Bestimmten gerichtet gesprochen, in all seinen dezidierten Äußerungen hatte er nie jemanden angesehen – diese bestimmte Art Gegenteil verkörperte, nämlich meines: daran gebunden zu sein – und davor auf der Flucht.
Stattdessen deutete es nur wieder auf blinde Flecke, auf eine labyrinthische Orientiertheit seit je, darauf, noch den Feind offenbar verinnerlicht zu haben – einen Minotaurus?, ein Täterintrojekt?, eine Missgeburt meiner selbst, von der ich Anerkennung wollte, dem ich Dank schuldete? -, und darin selber zurückgeblieben zu sein, hochfahrend und insgeheim verzweifelt, als einer, der sich dem Alter nähert, der damit ersatzweise zu reklamierenden Rechthaberei.
Dabei kann einem das dauernd zu Bedenkende, das latente Verirrtsein in sich selbst, bald selber eine Ersatzheimat sein.
Einmal, am Rande der Tanzfläche auf einer kroatischen Hochzeitsgesellschaft, auf die ein Freund mich mitgeschleppt und auf der ich mich besonders überflüssig gefühlt hatte, hatte ich einen seiner Bekannten zu ihm sagen hören (möglicherweise nicht den Bräutigam, sondern den bedenklich gewordenen Lebensweg oder die im Nachhinein dynastische Fehlentscheidung eines weiteren Freundes kommentierend): Es war die falsche Heirat. Und ich, ich hatte falsche Heimat verstanden. Und so schlagartig wie unabweisbar den zu bezweifelnden Teil an mir gesehen, den, der – von etwas Unheimlichem angetrieben, einer insgeheim destruktiven Potenz, die nicht leicht zu akzeptieren ist -, andauernd verschlungenen Wegen folgen will, einer Verknäuelung des strapazierten Fadens in ihm selber, den Deckerzählungen im Garten der Pfade, die sich verzweigen. Übrigens vermutet man die Herkunft des Wortes Labyrinth tatsächlich in einer frühen Tanzfigur – was mir das seltsame Bild einer bestimmten Beinbewegung eingibt, kann sein etwas aus dem Ballett, womöglich mit Bezug auf das angezogene und vor Spannung leicht wippende Bein vor dem Sprung eines Pans oder eines verschlagenen Satyrs. (Ich denke auch an das Bild des an seinem Mikrophon öfter auf einem Bein stehenden Flötisten einer englischen Rock-Band, die es, glaube ich, in den 1970ern mal gab.)
Und da fällt mir auch das noch ein: Das einzige Mal, als ich selber auf Kreta gewesen war, war das nur so ein Hippie-Urlaub gewesen, am Strand zu schlafen, am Morgen die Eingeborenen mit heidnischer Nacktheit zu erschrecken, und abends wieder den gras-beflügelten Geist in die Sternhimmel abtrudeln zu lassen. Und der Ort der frühesten europäischen Hochkultur? Nach Knossos, also zu deren eh längst ausgeplünderten Stätten zu fahren, war es tagsüber einfach zu heiß gewesen. Außerdem wollte damals auch ich noch ein modernes, das hieß ignorantes Mitglied des weiteren europäischen Weltjugendtums sein (was wiederum hieß: des amerikanisierten).
Und damit bin ich wieder bei der Gewalt der einem irgendwann totalitär erscheinenden, der herrschenden Ideen. Bei einem Keim an Terrorismus, der vielleicht früh aus unklaren (vor mir selber versteckten) Gründen auch in mir war, hier, wo sie auf und herum dem Gartengebiet Vogelsang noch manchmal Zerschellerbomben aus dem letzten Krieg finden, und eine spezifische Genetik einem so etwas womöglich weitervererbt oder sonst wie einpflanzt. Bei den auffällig vielen Hundetrainern in der Siedlung, bei den Militaria-Sammlern (donnerstags offene Tauschbörse). Bei den dauernd aufgezogenen Territorialzeichen, Fahnen und Vorhängeschlössern an den Gartenpforten (deren meiste Pflöcke man mit einem schwarzen, einem beherzten Stiefeltritt wohl eintreten könnte). Bei den Gartenzwergen.
Oder rührt das, ein gefährliches Gemisch aus Abneigung und Selbstungenügen – und mit der Zeit angewachsenem Unbehagen (also auch dem in der Kultur, der eigenen) -, doch nur an unvordenkliche, je nur wieder auszugrabende Verzweiflungen, wenn man einmal und dann immer öfter und zunehmend mit der Mehrheit nicht mehr konform gehen kann? Rührt jede Abweichung an eine Schuld? Und damit wieder an die größere, die angeblich kollektive? Ein Zeitungsreporter, der sich länger unter ihnen aufgehalten hat, zieht den Schluss, dass, was alle Terroristen neben erklärten oder vorgeschobenen Gründen wie Religion, Kampf für Gerechtigkeit, Hass auf den lügnerisch seine Ideale verratenden Westen und so weiter verbindet, das tiefe Gefühl von Ausgeschlossensein ist: die Kränkung, nicht dazuzugehören. Und damit ein tiefes Begehren nach Rache.
Heimat dagegen sei ja immer das, wo wir alle noch nicht sind. Deshalb schaffen wir uns eine, und sei es mit Gewalt. Was außer Selbstvergiftung kann jemanden dazu treiben, mit Blausäurepatronen herumzugehen um die lokale Tierwelt zu begasen, den Untergrund der Wonnegärten im Terrormonat Mai? Übrigens liegt das mutmaßlich ursprüngliche, das minoische Labyrinth gar nicht in dem dafür giftshop-mäßig ausgebauten Museum Knossos, sondern wohl eher 30 Kilometer südwestlich davon in den Bergen, nahe einem Ort namens Gortyn. Es ist ein weitläufiges Gewirr von Tunneln und Höhlen unter einem Steinbruch aus römischer Zeit. In dessen oft sackgassenen, stockdunklen Tiefen auch immer noch Ungeheuer lauern, und zwar höchst reale: in Form da gelagerter und wegen ihrer andauernden Gefährlichkeit nie geborgener deutscher Kriegsmunition.
Gegen Ende war mein Gefühl mit dem Abzweig Vogelsang, dass ich mich dort im Guten wie im Abgründigen seit Langem und andauernd einer Sache genähert hatte – oder ihr für immer auf ungefähr der gleichen Distanz blieb. Und niemandem war daran eine Schuld zu geben, auch diesen Blindgängern am Leben, diesen Garten-Obristen und ihren einäugigen, mich hier und da anspringenden Gespenstern nicht. Und es hatte mich ja auch nur zufällig dahin gebracht. Und wie jede Kreisbewegung war sie irreführend und umsonst – wenn auch nicht vergeblich.
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(verworfener Teil einer Erzählung)
© Rainer Rabowski
Ist es nicht merkwürdig, derart an der Bierbäuchigkeit einer sich als Mehrheit gerierenden Minderheit zu stoßen und diesen Begriffe wie »Heimat« oder »Gesellschaft« freiwillig zu überlassen? Ist denn ausgemacht, dass Heimat identisch ist mit Kitsch und Rührseligkeit der 50er Jahre-Filme oder der Musikantenstadl- und Schlagerindustrie? Warum ihnen nicht diese Begriffe entreissen und sie neu »formatieren«?
Und: Ist es nicht auch ein bisschen bequem für sich den Status des ewigen Stachels zu monieren? Ich denke da nicht einmal nur an den Übermoralisten Grass, der in den letzten Tagen immer wieder heraufbeschworen und – zum letzten Mal – abgestraft wurde (berechtigt oder nicht?). Ich denke da auch an mich, der sich immer und überall – vor allem politisch – als besonders reflektiert zu gebärden hat. Liegt nicht in diesem Verhalten auch schon wieder so etwas wie ein Perfektionismuswahn, vorgebracht in immer wohlfeilem, weil auch ein bisschen selbstgerechten Anklageton?
Warum muss ich erschaudern, wenn ich höre, dass Fortuna Düsseldorf 1933 Deutscher Meister wurde? Warum erschaudert man nicht in ähnlicher Manier über die acht DDR Meisterschaften von Dynamo Dresden zwischen 1953 und 1990? Ist es nicht viel perfider, dass alle in der DDR-Zeit erbrachten Rekorde und Titel mit der Vereinigung sozusagen in Besitz der Bundesrepublik übergegangen sind – also auch alle die unter Doping erbrachten Leistungen? Sind diese Fragen zu abseitig?
Noch einmal Grass: Man kann und darf ja seine späte Veröffentlichung der Zugehörigkeit zu einer Einheit der Waffen-SS kritisieren. Aber darf man sie mit Jahrgang 1970 oder später auch richten? Abstrakter: Ist der Hypermoralismus, mit dem wir uns zuweilen martern, nicht auch immer – typisch deutsches! – Besserwissertum?
So, wie es hier steht, ist eben ein Sommertag in einer Schrebergartenkolonie oder im Reihenhaus. So ist er auch – aber längst nicht mehr nur. In der Nähe meines Wohnortes gibt es mehrere Schrebergärten. Auf einem weht eine riesengroße Fahne des Libanon. Über einem anderen eine Piratenflagge. Und sogar, am Eingang, fast versteckt, eine albanische. Das Gemüse wird von russischsprechenden Menschen angebaut oder Kopftuch-Frauen harken die Beete. Nicht auszuschließen dass alle letztes Jahr für Deutschland beim Endspiel gehalten haben. Ich war nicht dabei.
Will sagen: Sieht man die grillenden Garten-Obristen mit ihren Zwergen, weil man sie sehen möchte, um sich genügend und mit gutem Gefühl von der Mehrheit distanzieren zu können? Ist diese Distanzierung aber nicht auch immer ein gewisser Selbstbetrug?
Das Gefühl von Ausgeschlossensein als Movens für Terrorismus, Amoklauf, Bandentum. Die »Kränkung, nicht dazuzugehören«? Einleuchtend. Einerseits. Aber dann? Will »man« tatsächlich dazu gehören? Oder möchte man nicht eher, dass die anderen sich einem zuwenden? Ist nicht in einer längst atomisierten Gesellschaft für jeden irgendwo ein Platz, oder, um es ein bisschen salopper zu sagen: ein Plätzchen? Da kann doch selbst ein Un-Ort wie diese virtuelle Plattform hier eine »Heimat« sein, wenn auch nur vorübergehend? Oder mindestens eine Heimstatt? Aber irgendwie genügt das dann ja doch nicht.
Das »latente Verirren« als »Ersatzheimat« – schöner kann man es nicht sagen.
Das faszinierte mich und war Teil der Überlegung (wie des Labyrinths dahin): Dass die Heimat einem womöglich so oder so nicht gehört – außer vielleicht da, wo sie noch aussteht (oder da, wo man sie sich nimmt und sie selber bestimmt). Die Erzählung versucht eine Annäherung dahin.
Allerdings gab es auch diesen konkreten Ausgangspunkt für mich, nämlich eine bestimmte Ecke am Kittelbach – ich hatte da als Kind gespielt und von den Bomben nichts gewusst. Und also auch erst vor Kurzem herausgefunden, dass von dort her die so genannten Kittelbach- später „Edelweißpiraten“ kamen, Jugendwiderstand im 3. Reich! Das war für mich der unmittelbare Bezug, mich mit – bis dahin oft fast militant abgewehrten – Themen zu beschäftigen: Sind sie vielleicht doch etwas, das – anders als in den Einsprüchen von oben – zu mir gehört? Ein paar Generationen früher und ich hätte mich vielleicht entscheiden müssen: HJ oder Kittelbachpirat! (Diese Piraten hatten z. B. öfter lange Haare, die ihnen dann gern von der Gestapo rasiert wurden, es gab auch unverstellten Umgang zwischen den Geschlechtern – es geht da auch um eine andere denkbar deutsche Linie, eine überraschend freiere vor den dann später re-importierten: Es berührt einen vielschichtig gelagerten Phantomschmerz.)
In der angeführten Sichtweise auf die Distanzierung wäre ja dann auch die Zuwendung „Selbstbetrug“, wie das Einverstandensein, das Gefühl, an seinem Plätzchen schon angekommen zu sein – und eben das ist er dann vielleicht, der faule Frieden, an dem so viele leiden? Alle „Gründe“ taugen auch als vorgeschobene. Und sorgen so für ein befriedetes Zusammenleben.
Der Besserwisserei versuche ich mit Subjektivität zu entkommen – ich will da nur meiner Wahrnehmung gegenüber verantwortlich sein (oder eben auch meinen Erfindungen: deswegen der Verweis auf Borges). Und es ist ja auch nur eine Geschichte und kein Wahrheitsbericht.
Das mit Fortuna ist nur ein Faktensplitter und teils sogar als Boshaftigkeit gegen mein eigenes Verdrängtes gemeint – bei der „Heimat“ glaube ja auch meinen eigenen Vorurteilen nicht. (Wobei die, die das tun, wahrscheinlich durchgehend die Gesünderen sind, zumindest die weniger Neurotischen. Aber ich bin da nicht neidisch.) Und das Fußballereignis war natürlich 2004: Griechenland Europameister! (Ein Witz für sich – sagen mir Leute, die das damals verfolgt haben. Oder ist das auch nur Snobismus? Ich kenne mich da nicht aus, und nehme ansonsten ohne Skrupel was der Erzählung dient.)
Eine Schreberkolonie aber habe ich auch heute direkt hinterm Haus. Aktuell gezählt sind da sieben Fahnen, alle deutsch (plus ein paar von dem besagten Fußballklub). Und ein Territorialzeichen heißt: Abgrenzung, und wenn sie noch so unschuldig-unbedacht daherkommt. Sollte ich vielleicht besser umziehen (so oder so)? Eine Kolonie weiter, wo ein Bekannter wohnt (am „Stoffeler Damm“) haben sie vor Kurzem wieder eine außer Kontrolle geratene Feier Rechtsradikaler gestürmt, und angeblich schwelt es da schon seit Jahren weiter. Wie gesagt, ich gehe da nach meiner Erfahrung. (Versucht man jedes Detail zu verobjektivieren verliert es rasch jede Farbe.)
Moralismus ist ja oft, außer wo er von einer Erfahrung abverlangter war, nur ein gelernter – und von daher immer auch etwas billig. Aber er steuert uns doch.
Also Zweifel über Zweifel. Vielleicht ist es ja auch Eitelkeit, sie alle offen zu legen? Oder der gleiche, verkehrte (versteckt egomanische?) Wille nach etwas von Belang. Da mag ich zu Grass in dem Zusammenhang hier und jetzt nichts sagen. Man könnte ihn demnächst ja auch wieder als Schriftsteller sehen.
(Höre gerade Amoz Oz, wie er erzählt, dass er als Junge alles Deutsche gehasst hat – und die Blechtrommel hat ihn davon erlöst. Immerhin auch ein Schritt zum „Weltfrieden“.)
Grass als Schriftsteller sehen: Ja, das wär was! (Und was würde bleiben?)
Und Griechenland als Europameister 2004: Das Endspiel gegen Gastgeber Portugal in Bayern in Urlaub in einer Ferienwohnung gesehen bei 10 Grad ohne Heizung. Und gestaunt und es den Griechen gegönnt und gewünscht, schon weil es hieß, der deutsche Trainer spiele so schrecklich altmodisch und den (zum großen Teil) hochbezahlten portugiesischen Profis dabei zusehend, wie sie sich allzu sicher wähnten, den Titel gegen den »Underdog« zu gewinnen und dann zusehen mussten, wie es nicht funktionierte. Und nach dem Schlusspfiff endlich einmal wieder das Gefühl gehabt, »der Richtige« habe gewonnen. (Und das ist ja auch so ein Moralismus, der – streng genommen – mit dem Sport nichts zu tun hat, aber wer schaut sich schone in Fußballspiel an, ohne nicht mit dem einen oder dem anderen »zu halten«? – Ich kenne Menschen, die aus diesem Grund – der Indifferenz – Sport langweilig finden.)