Die Satire auf den Betrieb setzt sich nach den Telefondialogen (nach etwa einem Drittel des Buches) fort. Ich-Erzähler Buchholz beginnt von seinen Lesereisen durch die Provinz zu erzählen. Aktuell geht es Rügen. Viktor Klein begleitet ihn. Er liest aus dem Buch vor, nicht Buchholz. Warum, bleibt ungeklärt. Der fein-ironische Ton, die superb konstruierte Situationskomik der Telefondialoge, weicht einer saloppen, zuweilen enervierend-derben Sprache. Die Absurditäten und kleinen Katastrophen werden nicht nur slapstickhaft (und damit stark übertrieben) inszeniert, sondern sind oftmals leider allzu sehr vorhersehbar. Wenn Benedikt Viktor anruft, der im Zug sitzt, bricht natürlich an der entscheidenden Stelle die Leitung zusammen. Das Zimmer in der Pension entpuppt sich als »Honeymoon-Suite für Psychopathen« und nennt sich »Piratentraum«. Die Vermieterin ist spießig, träge und begriffsstutzig. Fast kein Vorurteil wird jetzt ausgelassen: »Im Osten hat jedes Kaff eine Friedensstraße, einen Friedensring oder eine Straße des Friedens. Friedliebende Menschen eben.« Die Lesung am Abend »läuft sehr gut. Alle fünf Besucher, einschließlich Leiterin, lauschen andächtig.« Weil es ein Abrechnungsproblem mit dem zweiten Zimmer für Viktor gibt, bekommt Buchholz am nächsten Morgen den Bannstrahl: ewiges Hausverbot.
Das Luxushotel am neuen Lesungsort (ebenfalls auf Rügen) mit dem riesigen Schachbrett im Innenhof erfüllt alle gängigen Vorstellungen von solcher Art Resort-Hotels. »Die Toilette ist so übertrieben sauber, dass es fast unangebracht scheint, hier einen Haufen zu setzen.« Die erste Lesung hat exakt zwei Besucher, die auch noch auf Nebensächlichkeiten im Roman herumreiten. »In diesem verdammten Hotel sind etwa zweihundert Leute abgestiegen, doch neunundneunzig Prozent hatten heute Abend was Besseres vor; man kann es ihnen nicht verdenken.«
Fast logisch, dass Benedikt Hartz-IV-Empfänger ist. Er stellt nun unterwegs fest, dass er mit der Miete in Rückstand ist. Eine Überweisung kann er aber nicht vornehmen, da das ALG II nicht bezahlt wurde. Er versucht dies nun telefonisch am Strand zu klären: »Meine Lederschuhe versinken im Sand. Ich bin der Einzige am Strand in schwarzem Cordanzug. Ich ziehe Blicke auf mich.« Der Dialog mit dem »Fallmanager« knüpft wieder an die Telefonate vom Beginn des Buches an. Die Missverstände potenzieren sich mit der Dauer des Gesprächs; am Ende glaubt der Jobcenter-Sachbearbeiter noch, dass sich Benedikt von seinem Lesereisenhonorar (75 Euro) einen prächtigen Urlaub auf Rügen gönne.
Als Benedikt und Viktor am Samstag noch einmal im Luxushotel lesen, gleicht der Veranstaltungsraum einem Taubenschlag. Die Wochenendurlauber (Bettenwechsel!) müssen sich erst einmal orientieren: »Sie kommen und gehen, wie es ihnen gefällt. Einige schnuppern kurz rein und verschwinden wieder. Andere bleiben eine Weile und gehen dann mitten in einem Kapitel hinaus, und viele von denen, die geblieben sind, tuscheln ungeniert miteinander.«
Die plötzliche Veränderung bei Viktor, dem Vorleser, und dessen fast überstürzte Beendigung der Veranstaltung nimmt man zunächst nicht besonders wahr. Drei Viertel des schmalen Bändchens sind erreicht. Benedikt geht auf sein Zimmer und überwindet sich, seine ehemalige Freundin, die nach Finnland zurückgekehrt ist, anzurufen. Er erfährt dabei, dass sie einen neuen Lebenspartner hat. Irgendwie bekommt man als Leser spätestens jetzt das Gefühl, ja die Befürchtung, das Buch plätschere nun so daher. Aber dann geschieht das vollkommen Unerwartete: Ein Hotelgast stürzt von seinem Balkon direkt auf das Schachbrett im Innenhof. Dort liegt nun die blutüberströmte Leiche.
Plötzlich ändert sich auch die Erzählperspektive im Buch. Abwechselnd wird nun aus der Sicht von Viktor und der Hotelmanagerin, Frau Amorin, erzählt. Dabei entsteht unvermittelt und vollkommen unerwartet ein veritables Kriminalstück (der Verlag führt das Buch auch als »Krimi«), von dem naturgemäss hier nichts verraten werden kann. Auf den letzten beiden Seiten nimmt der Autor dann noch eine Perspektivveränderung vor. Auch diese sollte dem jetzt hoffentlich neugierig gewordenen Leser nicht ausgeplaudert werden. Der Schluss sei dann allen potentiellen Form- wie Plot-Kritikern schon vorab ins Stammbuch geschrieben: »Alles Wesentliche wurde gesagt, alles Weitere wäre Geschwafel.« Das ist alles ziemlich mutig, weil sicherlich gegen so manchen Schreibschulstrich gebürstet.
Aber lesen Sie selbst.
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