Mar­tin Prinz: Die letz­ten Ta­ge

Martin Prinz: Die letzten Tage
Mar­tin Prinz: Die letz­ten Ta­ge

Seit ei­ni­gen Jah­ren fei­ert das do­ku­fik­tio­na­le Schrei­ben ei­ne Re­nais­sance. Schrie­ben einst Wil­liam Shake­speare oder Fried­rich Schil­ler ih­re Dra­men an­ge­lehnt an hi­sto­ri­sche Er­eig­nis­se, die meist zeit­lich weit zu­rück la­gen, so konn­te man in der letz­ten Zeit ver­mehrt bio­gra­fisch an­ge­leg­te Ro­ma­ne et­wa über die Na­tur­wis­sen­schaft­ler Karl-Fried­rich Gauß und Alex­an­der Hum­boldt, den Sin­ti-Bo­xer Jo­hann Ru­ke­lie Troll­mann, den Hell­se­her Ra­fa­el Scher­mann, die RAF-Ter­ro­ri­stin Gud­run Ens­slin, den Aus­stei­ger Au­gust Karl En­gel­hardt, den Film­re­gis­seur Ge­org Wil­helm Pa­bst oder den Re­li­gi­ons­pre­di­ger Pe­ter Ben­der le­sen (um nur ei­ni­ge zu nen­nen). Hier wer­den die Le­bens­ge­schich­ten mehr oder we­ni­ger be­kann­ter, hi­sto­ri­scher Per­so­nen (nach)erzählt. Dich­te­ri­sche Frei­hei­ten sind da­bei vor­pro­gram­miert, wie man bei­spiels­wei­se an Da­ni­el Kehl­manns Ver­mes­sung der Welt und Licht­spiel se­hen kann. Hier wird of­fen­siv mit fik­ti­ven Ele­men­ten ge­spielt, wo­bei das Bio­gra­fi­sche sei­ner Prot­ago­ni­sten nur als Ge­rüst dient. Meist wird je­doch in Do­ku­fik­tio­nen sug­ge­riert, dass das sich Ge­schil­der­te so (oder so ähn­lich) er­eig­net hat. Um sich nicht in die dro­hen­de Au­then­ti­zi­täts­fal­le zu be­ge­ben, gibt es Bü­cher, in de­nen die Na­men der rea­len Per­so­nen ver­frem­det wur­den, was nar­ra­ti­ve Spiel­räu­me für den Au­tor er­öff­net.

Do­ku­fik­tio­na­le Tex­te sind in mehr­fa­cher Hin­sicht de­li­kat, wie man bei­spiels­wei­se an Stel­la von Ta­kis Wür­ger zei­gen kann. Wür­ger schreibt im jour­na­li­sti­schen Kol­por­ta­ge­stil die Ge­schich­te der Jü­din Stel­la Gold­schlag, die im Zwei­ten Welt­krieg an­de­re Ju­den an die Na­zis ver­riet. Wäh­rend die Li­te­ra­tur­kri­tik das Buch über­wie­gend äs­the­tisch miss­lun­gen fand, avan­cier­te es zum Best­sel­ler, was ein­zel­ne Buch­händ­ler ver­an­lass­te, die Kri­ti­ker zu kri­ti­sie­ren. Die größ­te Pro­ble­ma­tik des Au­tors, der Au­torin, be­steht dar­in, nicht über­lie­fer­te Ein­zel­hei­ten, bei­spiels­wei­se Dia­lo­ge oder die Schil­de­rung von (wo­mög­lich rich­tungs­wei­sen­den) si­tua­ti­ven Be­find­lich­kei­ten, er­fin­den zu müs­sen, um die Ge­schich­te fort­zu­schrei­ben. Hier flie­ßen häu­fig Wer­tun­gen un­mit­tel­bar ein. Der Le­ser kann am En­de nur schwer un­ter­schei­den, wel­che Stel­len des Tex­tes re­al und wel­che fik­tio­na­li­siert sind. Bis­wei­len wird ver­sucht, Über­lie­fe­rung und Fik­ti­on durch die Än­de­rung des Schrift­bilds zu kenn­zeich­nen. Ge­ne­rell be­steht die Ge­fahr, dass das Bild ei­ner hi­sto­ri­schen Fi­gur durch ei­nen do­ku­fik­tio­na­len Text rich­tungs­wei­send ka­no­ni­siert wird.

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Mit die­sen Vor­be­hal­ten mach­te ich mich an die Lek­tü­re von Die letz­ten Ta­ge von Mar­tin Prinz. Der Au­tor ließ mir Mit­te Fe­bru­ar das Buch über den Ver­lag zu­kom­men. Un­mit­tel­bar dar­auf be­gan­nen vor al­lem in den öster­rei­chi­schen Me­di­en die hym­ni­schen Be­spre­chun­gen, die ich nur ge­teasert zur Kennt­nis ge­nom­men hat­te. End­lich fand ich jetzt Mu­ße, den (ver­meint­li­chen) Ro­man zu le­sen.

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