Bo­ris Ba­scha­now: Ich war Sta­lins Se­kre­tär

Boris Baschanow: Ich war Stalins Sekretär
Bo­ris Ba­scha­now: Ich war Sta­lins Se­kre­tär

Seit Be­ginn der rus­si­schen In­va­si­on in der Ukrai­ne sind die Twit­ter-Th­reads des Jour­na­li­sten Ka­mil Ga­leev ei­ne viel­fach ge­nutz­te Quel­le. Ga­leev be­treu­te u. a. im Wil­son-Cen­ter ein Pro­jekt über den rus­si­schen Na­tio­na­lis­mus wäh­rend der Pu­tin-Ära. Er ver­fass­te auch Ar­ti­kel für die op­po­si­tio­nel­le Mos­kau­er Zei­tung »No­va­ya Ga­ze­ta«. So­wohl sei­nen Aus­füh­run­gen zur rus­si­schen Ge­schich­te als auch die Ein­las­sun­gen zur ak­tu­el­len po­li­ti­schen, de­mo­gra­phi­schen und öko­no­mi­schen La­ge im Pu­tin-Russ­land sind lu­zi­de. Er zeich­net be­hut­sam hi­sto­ri­sche Ana­lo­gien oh­ne jour­na­li­stisch-ein­fa­che Gleich­heits­zei­chen zu set­zen. Da­bei zeigt er, dass Pu­tins Han­deln in ge­wis­sen Tra­di­tio­nen in der rus­si­schen bzw. so­wje­ti­schen Ge­schich­te steht. Ei­ne all­ge­gen­wär­ti­ge Par­al­le­le scheint Jo­sef Sta­lin zu sein. Sehr früh wies Ga­leev auf das Buch »Ich war Sta­lins Se­kre­tär« von Bo­ris Ba­scha­now hin und emp­fahl es sei­nen Le­sern als Lek­tü­re; un­ter an­de­rem um die rus­si­sche Bü­ro­kra­tie (und de­ren In­ef­fek­ti­vi­tät) zu ver­ste­hen. Aber es geht auch um die Ver­deut­li­chung von Macht­struk­tu­ren in­ner­halb ei­nes au­to­ri­tä­ren Sy­stems aus er­ster Hand. Ver­bun­den ist dies mit dem Des­in­ter­es­se der po­li­ti­schen Ak­teu­re über die Le­bens­si­tua­ti­on der Be­völ­ke­rung – da­mals wie heu­te.

Ba­scha­now, 1900 ge­bo­ren, trat vol­ler Über­zeu­gung 1919 in die Par­tei ein. Durch glück­li­che Um­stän­de und weil man sein Or­ga­ni­sa­ti­ons­ta­lent schät­ze wur­de er 1923 als Se­kre­tär in das Po­lit­bü­ros be­ru­fen. Er war rasch pri­vi­le­giert; von al­len Se­kre­tä­ren war er der ein­zi­ge, der re­gel­mä­ssig bei den Sit­zun­gen der so­ge­nann­ten »Troi­ka« (Sta­lin, Si­no­wjew und Ka­men­ew) und spä­ter im Po­lit­bü­ro da­bei war.

Ga­leev be­schreibt in sei­nem Twit­ter-Strang vor al­lem Sze­ne, als Ba­scha­now Sta­lins heim­li­che Ab­hör­an­la­ge ent­deckt. Er konn­te bei Fra­gen oh­ne zu Klop­fen in Sta­lins Bü­ro ein­tre­ten und be­kam mit, dass die­ser wäh­rend er war­te­te, ei­nen Te­le­fon­hö­rer in der Hand hat­te, aber nie sprach. Sta­lin be­merk­te nun, dass Ba­scha­now dies mit­be­kom­men hat­te. Es wuss­ten nur sehr we­ni­ge Per­so­nen von die­ser Mög­lich­keit, den kreml­in­ter­nen Te­le­fon­ver­kehr (der vom nor­ma­len Te­le­fon­netz oh­ne­hin ab­ge­kop­pelt war) mit­zu­hö­ren. Sta­lin hat­te ein wich­ti­ges In­stru­ment, um sei­ne Säu­be­run­gen durch­zu­füh­ren. Die­se ge­scha­hen oft­mals nicht so­fort, aber Sta­lin ver­gaß nie; es konn­te Jah­re dau­ern, bis er sich räch­te. Der tsche­chi­sche Kom­mu­nist, der half, die­se Ab­hör­an­la­ge zu in­stal­lie­ren, wur­de al­ler­dings, wie Ba­scha­now be­rich­tet, kurz dar­auf um­ge­bracht.

Die Sze­ne macht neu­gie­rig und ich be­sorg­te mir das Buch, wel­ches in deut­scher Über­set­zung im Ull­stein-Ver­lag 1977 er­schie­nen war, an­ti­qua­risch für knapp 20 Eu­ro. In­zwi­schen kur­sie­ren lei­der auf den ent­spre­chen­den Por­ta­len nur noch sehr ho­he Prei­se (jen­seits 50 Eu­ro).

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Russ­land, die Ukrai­ne und Zbi­gniew Brze­zin­ski

Ge­le­gent­lich hilft es ja, sich dem Me­di­en­stream aus­zu­set­zen. So wur­de ich auf ei­ne Dis­kus­si­on auf­merk­sam, in der es wie­der ein­mal um die Ukrai­ne, Russ­land und den We­sten ging. Der Zu­schnitt der Sen­dung war auf Kra­wall ge­bür­stet, der auch schon früh ein­trat. Der bis­her nicht durch po­li­ti­sche Ana­ly­sen be­son­ders her­vor­ge­tre­te­ne Börsen­händler Dirk Mül­ler wur­de als »Putin­ver­ste­her« an­ge­kün­digt und auch flugs von Eric Frey vom öster­rei­chi­schen »Stan­dard« als sol­cher de­kla­riert. Die­ses Eti­kett ist nicht neu; es dient al­len Denk­fau­len da­zu, lä­sti­ge An­sich­ten mit ei­nem Fe­der­strich zu dis­kre­di­tie­ren. Die Ge­schwin­dig­keit, mit der die­ses At­tri­but aus dem rhe­to­ri­schen Waf­fen­ar­se­nal ge­zo­gen wird, ist enorm. Es er­in­nert von Fer­ne an die Ein­wän­de der Rechts­kon­ser­va­ti­ven und Ver­trie­be­nen in den 1970er Jah­ren, die mit ähn­li­chen Pa­ro­len die Po­li­tik des Aus­gleichs der so­zi­al­li­be­ra­len Re­gie­rung mit den Län­dern Ost­eu­ro­pas dif­fa­mier­ten. »Vaterlands­verräter« war noch das mil­de­ste At­tri­but. Le­dig­lich auf die For­mu­lie­rung »Bre­sch­new-Ver­ste­her« ist da­mals nie­mals ge­kom­men, was ge­wis­se Rück­schlüs­se auf das heu­ti­ge Er­re­gungs­pre­ka­ri­at der so­zia­len Me­di­en zu­lässt.

In der o. e. Dis­kus­si­on spiel­te ein Buch ei­ne Rol­le, des­sen Kennt­nis of­fen­sicht­lich al­len Teil­neh­mern nicht glei­cher­ma­ßen ge­läu­fig war. Es heißt im deut­schen Ti­tel »Die ein­zi­ge Welt­macht – Ame­ri­kas Stra­te­gie der Vor­herr­schaft« und ist von Zbi­gniew Brze­zin­ski ver­fasst, dem Si­cher­heits­be­ra­ter ei­ni­ger (de­mo­kra­tisch do­mi­nier­ter) US-Re­gie­run­gen (ob of­fi­zi­ell oder in­of­fi­zi­ell). Das Buch ist von 1997 und gilt of­fen­bar als Ge­heim­tipp. Bei Ama­zon ist das gün­stig­ste An­ge­bot ak­tu­ell bei rund 190 Eu­ro; für ein Ta­schen­buch ein stol­zer Preis. Die Links auf die ko­sten­lo­se Zur­ver­fü­gung­stel­lung set­ze ich jetzt nicht um mich nicht straf­bar zu ma­chen – aber mit ein biss­chen Su­chen kann sich je­der ei­ne wenn auch schlecht for­ma­tier­te Ver­si­on als pdf her­un­ter­la­den (ein fin­di­ger Kopf ver­kauf­te für kur­ze Zeit den pdf-Aus­druck bei Ama­zon für 30 Eu­ro).

Um es vor­weg zu sa­gen: Die­se Lek­tü­re lohnt trotz des Zeit­ab­stands. Man muss Zbi­gniew Brze­zinskis The­sen in die­sem Buch nicht tei­len. Für Brze­zin­ski ist Po­li­tik ein Schach­spiel (der eng­li­sche Ti­tel ist ent­spre­chend: »The Grand Ch­ess­board«), in dem es vor al­lem dar­um geht, stra­te­gi­sche Vor­tei­le für die USA zu er­rin­gen um Macht­an­sprü­che zu er­hal­ten oder aus­zu­bau­en. Ins Zen­trum sei­ner Be­trach­tun­gen steht »Eu­ra­si­en« – der Raum von Lis­sa­bon bis Wla­di­wo­stok.

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