Second lives
Im Mann ohne Eigenschaften privilegiert Musil das, was er »Möglichkeitssinn« nennt, gegenüber dem Wirklichkeitssinn. Er tut es häufiger am Beginn des Romans als in späteren Passagen; die Problematik tritt mit dem stagnierenden Fortschritt der Begebenheiten in den Hintergrund. Musil schrieb in einer Zeit, da die Ausrichtung auf die Wirklichkeit und die Bedachtnahme auf die Wirkung des eigenen Handelns noch selbstverständlich, vielleicht allzu selbstverständlich waren. Im dritten Kapitel definiert die Erzählinstanz des Romans die mit Möglichkeiten spielenden (oder arbeitenden) Ideen als »noch nicht geborene Wirklichkeiten«, er geht also davon aus, daß das Mögliche früher oder später verwirklicht werde. Ulrich, die Zentralfigur des Romans, bleibt zwar langfristig bei seiner Neigung, Hypothesen aufzustellen und deren Implikationen zu durchdenken, verliert aber mehr und mehr das von Anfang an kärgliche Interesse, aus dem, was er denkt, auch »etwas zu machen«. Er verläuft sich gewissermaßen in seiner pluralen Welt der Möglichkeiten und verliert die Lust, sich um Verwirklichungen zu bemühen (was als Sekretär der Parallelaktion eigentlich seine Aufgabe wäre).