
Vielleicht liegt der Fehler schon im Titel: »Literatur lesen wie ein Kenner« steht dort. Wer ist der Kenner? Der Autor dieses Buches, Hermann Kurzke? Oder handelt es sich hier um eine Art Fortbildung für Leser? Schließlich verheißt der Untertitel »Eine Handreichung für passionierte Leserinnen und Leser«. Soll hier eine Passion geweckt werden?
Keine Frage: Empfehlungen, »Handreichungen« bis hin zu neu bestückten Literaturkanons sind beliebt. Der potentielle Leser lechzt in dem immensen Angebot nach Hilfe. Was soll man lesen? Was muss man lesen? Kurzkes Buch reiht sich zwar in die Kategorie der Helfer ein, ist aber gleichzeitig anders, weil es auch didaktisch aufgebaut ist. Das Ziel sei es, »Literatur zu verstehen«, eine Orientierung zu geben, dies jedoch auch vergnüglich. Wenig später erfährt man, dass Kurzke der Germanistik »ein bisschen skeptisch« gegenüber steht. Das ist bei einem gestandenen Literaturwissenschaftler wie ihm durchaus bemerkenswert. Das Versprechen, einem nicht mit hochgestochenen Vokabeln zu traktieren, hält er immerhin ein.
Kurzkes Herangehensweise ist originell. Er ordnet seine Auswahl in drei Ringen. Die »textanalytische, literaturgeschichtliche und literaturtheoretische Begrifflichkeit« wird für alle drei Genres (Lyrik, Drama und Erzählung/Prosa) immer zunächst anhand eines Beispiels aus dem Werk von Heinrich von Kleist sozusagen exemplarisch vorgestellt. Er erwähnt es nicht, aber es dürfte darum gehen, ein Ideal des jeweiligen Typus vorzustellen und Kleist hatte alle drei Genres »bedient«. Auf dem »zweiten Ring« werden ausgewählte Texte aus der »deutschen Literatur« vorgestellt. Dabei muss man wissen, dass im gesamten Verlauf des Buches nicht zwischen »deutscher« und »deutschsprachiger« Literatur unterschieden wird, was vielleicht weniger aus politischen, aber aus literaturhistorischen Gründen merkwürdig anmutet. Mit dem »dritten Ring« sollen dann auch Beispiele anderer, bevorzugt europäischer Nationalliteraturen vorgestellt werden.