Hen­rik Pon­top­pi­dan: Kaum ein Tag oh­ne Spek­ta­kel

Henrik Pontoppidan: Kaum ein Tag ohne Spektakel
Hen­rik Pon­top­pi­dan: Kaum ein Tag oh­ne Spek­ta­kel

Im letz­ten Jahr be­en­de­te Ul­rich Son­nen­berg sei­ne Ar­beit an der Neu­über­set­zung der va­ri­an­ten­rei­chen Him­mer­land­ge­schich­ten des dä­ni­schen No­bel­preis­trä­gers Jo­han­nes V. Jen­sen. Und nun liegt im Wall­stein-Ver­lag mit Kaum ein Tag oh­ne Spek­ta­kel ei­ne An­tho­lo­gie ei­nes an­de­ren dä­ni­schen Au­tors vor: Hen­rik Pon­top­pi­dan (1857–1943), Sohn ei­nes Pfar­rers und 1917 mit dem Li­te­ra­tur­no­bel­preis aus­ge­zeich­net. Zu­sam­men mit Mar­le­ne Ha­sten­plug fun­giert Son­nen­berg hier als Her­aus­ge­ber. Die Über­set­zungs­ar­beit der zwi­schen 1881 und 1918 in di­ver­sen Pu­bli­ka­tio­nen er­schie­nen Tex­te wur­de von ins­ge­samt zwölf Stu­den­tin­nen und Stu­den­ten des In­sti­tuts für Skan­di­na­vi­stik in Frank­furt vor­ge­nom­men1. Ne­ben zwölf Er­zäh­lun­gen wur­den acht Feuil­le­tons auf­ge­nom­men. Das Nach­wort ist von Nils Gun­der Han­sen, Lei­ter des Pon­top­pi­dan Cen­ters der Süd­dä­ni­schen Uni­ver­si­tät in Oden­se. Hier wird ein sehr in­struk­ti­ves Web­por­tal zu Hen­rik Pon­top­pi­dan be­trie­ben, auf dem sich Tex­te des Dich­ters im Ori­gi­nal, aber auch auf Deutsch zu fin­den sind.

Han­sen weist in sei­nem Nach­wort kurz auf die epi­schen Ro­ma­ne Pon­top­pidans hin (die im üb­ri­gen in deut­scher Über­set­zung nur un­ge­nü­gend lie­fer­bar sind) und den auch in Dä­ne­mark vi­ru­len­ten Wunsch nach dem um­fas­sen­den Ge­sell­schafts­ro­man (das scheint über­all und zu al­len Zei­ten ein Ver­lan­gen zu sein), um dann den Fo­kus auf die aus­ge­wähl­ten Tex­te zu rich­ten. Man lernt, dass der Erst­kon­takt mit Pon­top­pi­dan im Schul­un­ter­richt in Dä­ne­mark durch die Er­zäh­lun­gen Ane-Met­te und Gna­den­brot her­ge­stellt wird. Ane-Met­te spielt auf ei­nem dörf­li­chen Fried­hof, ei­ne Vier­tel­mei­le ent­fernt vom (fik­ti­ven) Ort Lil­le­lun­de (den Pon­top­pi­dan in meh­re­ren Er­zäh­lun­gen ver­wen­det). Der Kirch­hof ist »nackt und un­heim­lich«, die Vo­gel­stim­men bil­den ge­gen Abend ein »Höl­len­kon­zert«, was im Kon­trast zu den bun­ten Tö­nen der Bäu­me im Herbst steht. Aber es ist Som­mer und warm und es geht um ei­ne Per­son, ei­ne Frau, die in Trau­er­hau­be auf ei­ner Bank sitzt. Spä­ter er­fährt man, dass sie noch in Be­glei­tung ei­nes zwölf­jäh­ri­gen Mäd­chens ist. Die Trau­er­hau­be trägt die Frau nicht we­gen ih­res vor vier Jah­ren an ei­nem »glück­li­chen Win­ter­mor­gen« da­hin­ge­schie­de­nen Man­nes (ei­nem Trun­ken­bold). Sie ist dort, weil ih­re vor zwan­zig Jah­ren ver­stor­be­ne, da­mals drei­jäh­ri­ge Toch­ter, von zwei Män­nern ex­hu­miert wird, weil ge­nau an die­ser Stel­le ein Kind ei­ner rei­chen Fa­mi­lie be­gra­ben wer­den soll. Die bei­den Män­ner be­ei­len sich, aber die Ak­ti­on wird er­schwert, weil man noch un­ver­hofft die Ge­bei­ne ei­nes Man­nes fin­det, der auf dem Kind be­stat­tet wor­den ist. Erst dann sam­melt man die Kin­der­kno­chen auf und es gibt so­gar noch ei­ne Haar­locke von je­ner Ane-Met­te. Die prunk­vol­le und ge­sang­rei­che Be­er­di­gung der Rei­chen nutzt die Frau als Hin­ter­grund, um die Über­re­ste ih­res Kin­des in ei­nem Ra­sen­stück mit der Wür­de zu be­er­di­gen, die ihr da­mals nicht mög­lich war. »Sie fühl­te sich so leicht ums Herz…so wie je­mand, der ei­ne al­te Schuld be­gli­chen hat…«

Gna­den­brot er­zählt von ei­nem neu ge­bau­ten »Ar­men- und Ar­beits­haus«, in dem sich die »ver­brauch­ten Kräf­te« ver­sam­meln, »wenn die Hand zu schwach und der Rücken zu krumm wird, um die Last des Le­bens noch lan­ge zu tra­gen.« Die Schil­de­rung der Opu­lenz des neu­en Bau­werks kon­tra­stiert mit der sar­ka­sti­schen Schil­de­rung der Ver­brin­gung je­der »er­schöpf­ten Exi­sten­zen« und ih­rer Ver­pfle­gung, bei­spiels­wei­se mor­gens mit ei­nem »hal­ben Li­ter ab­ge­koch­tem, ver­dünn­ten Was­ser«, wel­ches Bier ge­nannt wür­de. Mit­tags »gibt es Grün­kohl mit Rü­ben und Kar­tof­feln – und den Ge­ruch des Rind­fleischs des In­spek­teurs…« Ei­gent­lich sind al­le ganz zu­frie­den mit die­sem neu­en Heim, nur ei­ne nicht und das ist Tri­ne Bød­kers. Und wie die sich wehrt und wie die an­de­ren sich dar­auf weh­ren – das er­zählt die­se Ge­schich­te mit ei­ner sar­ka­sti­schen Un­er­bitt­lich­keit.

Wei­ter­le­sen ...


  1. In alphabetischer Reihenfolge: Philipp Botte, Randi Drümmer, Sarah Fengler, Jona Gola, Rebecca Jacobi, Mona Langhorst, Lara Ringel Fraile, Natalie Scheib, Julia Schmidt, André Wilkening, Alexander Witzko, Anastassis Zaltsberg.