Til­mann Lah­me: Tho­mas Mann – Ein Le­ben

Tilmann Lahme: Thomas Mann - Ein Leben
Til­mann Lah­me: Tho­mas Mann – Ein Le­ben

Man sucht nach ei­nem Be­griff, mit dem ad­äquat be­schrie­ben wer­den kann, was das neue­ste Buch des Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­lers und Go­lo-Mann-Bio­gra­phen Til­mann Lah­me mit dem harm­lo­sen Ti­tel Tho­mas Mann aus­ge­löst hat. Wä­re »Erd­be­ben« viel­leicht recht? Wenn ja, wel­che Stär­ke hat die­ses Be­ben auf der nach oben of­fe­nen Feuil­le­ton-Ska­la? Da­bei mu­tet der auf dem Co­ver in klei­ne­rer Schrift ge­druck­te Un­ter­ti­tel harm­los an: »Ein Le­ben« steht dort. Der Ver­lag greift in sei­ner Wer­bung ei­ne Spur hö­her und tex­tet »Tho­mas Mann und sein wirk­li­ches Le­ben«. Ent­hül­lun­gen wer­den an­ge­droht. Wer der­art auf­trumpft, muss lie­fern. Und Lah­me ver­sucht das. Sein Buch ist kei­ne Bio­gra­phie, er wie­der­holt nicht auf Voll­stän­dig­keit zie­lend die längst be­kann­ten Da­ten, Fak­ten, Epi­so­den und An­ek­do­ten, Lah­me lie­fert auch nur eher spar­sa­me In­ter­pre­ta­tio­nen von Tho­mas Manns Pro­sa – und dort, wo er es macht, wird es min­de­stens ein­mal pein­lich, doch da­zu spä­ter.

Lah­me schreibt nicht über Tho­mas Manns Le­ben, son­dern vor al­lem über Tho­mas Manns Se­xu­alle­ben. Er be­treibt das, was Die­ter Borchmey­er nicht ganz ab­we­gig »Bio­gra­phis­mus« nennt. Und er stellt sich die­sen Ex­ege­ten mit of­fe­nem Vi­sier ent­ge­gen. Am En­de bi­lan­ziert Lah­me, dass »die im li­te­ra­ri­schen An­spie­lungs­raum ver­bor­ge­ne gleich­ge­schlecht­li­che Lie­be bei Tho­mas Mann als ein we­sent­li­ches Ele­ment sei­ner li­te­ra­ri­schen Kunst zu be­trach­ten« sei. Nach der Lek­tü­re ver­mit­telt sich ei­nem der Ein­druck, es sei DAS we­sent­li­che Ele­ment.

Dass Tho­mas Mann ho­mo­se­xu­el­le Nei­gun­gen hat­te, die sich in heu­te eher als lä­cher­lich zu be­trach­ten­den Schwär­me­rei­en äu­ßer­ten, ist na­tür­lich kein Ge­heim­nis mehr. Und das er un­ter der zeit­ge­mä­ßen Not­wen­dig­keit, die­se zu ver­ber­gen ge­lit­ten hat, ist eben­so be­kannt. Aber Lah­me will mit sei­nen Re­cher­chen zei­gen, dass die Un­ter­drückung der Ho­mo­se­xua­li­tät mehr war als nur ein sich Ar­ran­gie­ren mit und in den Zwän­gen der Ge­sell­schaft, son­dern ein le­bens­lan­ger Kampf ge­gen die »Hun­de im Sou­ter­rain« sei­nes We­sens, wie er sei­nem Freund Ot­to Grau­toff 1896, 21jährig, in An­leh­nung an ei­ne For­mu­lie­rung von Fried­rich Nietz­sche schrieb.

Wei­ter­le­sen ...