
»1976« lautet der Titel. Darunter »Die DDR in der Krise«. Da schüttelt man sich erst einmal als in Westdeutschland sozialisierter Mensch. 1976? Nicht etwas 1989? Gut, die Biermann-Ausbürgerung ist noch präsent. Und mit ein wenig Nachdenken auch noch der Arrest für Robert Havemann. Schon schwieriger wird es mit der Erinnerung an die Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz. Vergessen (falls jemals gewusst) die Konferenz der kommunistischen Parteien in Ost-Berlin. Noch exotischer: der IX. Parteitag der SED. Und das Honecker von Stoph das Amt des Staatsratsvorsitzenden übernahm und damit die vollkommene Machtfülle beider Ämter (Generalsekretär der SED und faktisches Staatsoberhaupt) auf sich vereinigte, hatte man damals nicht mitbekommen – zu deutlich war die Außenwahrnehmung auf Honecker gerichtet.
All das geschah 1976. Und Karsten Krampitz findet noch weitere interessante Begebenheiten aus diesem Jahr wie den Tod von Michael Gartenschläger, einem DDR-Flüchtling, der vom Westen aus wieder in das DDR-Grenzgebiet eindrang und Selbstschussanlagen demontierte und veräußerte. Er wurde bei einer solchen Aktion erschossen. Da waren die Olympischen Sommerspiele 1976 in Montreal, bei denen der DDR mit Platz 2 im Medaillenspiegel hinter der Sowjetunion endgültig der Durchbruch als Sportweltmacht gelang; nie mehr – auch bei den Boykott-Spielen 1980 – erreichte man so viele Goldmedaillen. Außenpolitisch peinlich wurde der Tod eines italienischen LKW-Fahrers an der deutsch-deutschen Grenze, der sich lediglich im Grenzgebiet verirrt hatte – und auch noch Kommunist war. Spannend Krampitz’ Fundstück eines Gedächtnisprotokolls des damals 35jährigen Pfarrers Lothar Vosberg, der den Besuch zweier MfS-Männer rekapitulierte und an seine Vorgesetzten meldete.