Cream-So­da, An­nas Zim­mer, Oran­gen­blü­ten­duft

TAGEBUCHEINTRAGUNGEN NOVEMBER 1988

9. No­vem­ber, Mitt­woch, New York Ci­ty – Um halb 2h bei Ro­nald1 im Bü­ro. Er führt uns durch die Räu­me (auf dem sel­ben Stock­werk: Estée Lau­der Cor­po­ra­ti­on) die voll sind mit mo­der­ner Kunst – Rai­ner, Brus, Beu­ys, Pen­ck, etc., un­glaub­li­che fin-de-siè­cle-Mö­bel, aber al­les in Ne­on­licht ge­taucht. Selt­sa­me Sze­ne da­nach: ein­ge­pfercht in sei­nen un­glaub­lich vol­len Ter­min­ka­len­der nimmt er uns ins in­ner­ste Bü­ro, ser­viert Pa­st­ra­mi-Sand­wich, da­zu Salz­gur­ke und Cream So­da – und hält uns bei­den ei­ne 10-Mi­nu­ten-An­spra­che über un­ser Le­ben, ganz rab­bi­nisch, un­glaub­lich herz­lich, wenn auch na­iv -. Wir sei­en jetzt viel stär­ker auf­ein­an­der an­ge­wie­sen, seit­dem wir be­schlos­sen hät­ten, zu­sam­men­zu­zie­hen, aber Pa­ris sei sei­ner Mei­nung nach nur ein »cop-out»2, nur ei­ne Zwi­schen­lö­sung, die ei­gent­li­che Stadt für uns sei na­tür­lich New York, hier soll­ten wir uns nie­der­las­sen. Sa­ge ihm, daß die­se Va­ri­an­te am tri­via­len Geld-Pro­blem schei­tern wür­de – sei­ne Über­le­gung, voll­kommen rich­tig, dass ich ei­gent­lich auf Eng­lisch schrei­ben soll­te. Daß mei­ne Auf­ga­be im Grun­de die wä­re, ei­ne Art Brücke zu bau­en zwi­schen den Ame­ri­ka­nern und den deutsch­spra­chi­gen Län­dern Eu­ro­pas. Daß mein Werk der Ver­söh­nung zwi­schen Ju­den und Deut­schen die­nen könn­te, die­nen soll­te. L.3 und ich et­was er­staunt, aber durch­aus po­si­tiv über­rascht ad die­sem vä­ter­lich-rab­bi­ni­schen Ton – füh­len uns in Freund­schaft ge­bor­gen. (...) Abends der gro­ße Lau­der-Event im 92.Street Y, ein jü­di­sches Au­di­to­ri­um, ge­packt voll, Leu­te vom Jü­di­schen Welt­kon­gress, und Si­mon Wie­sen­thal, Elie Wie­sel, Ar­thur Cohn, Bür­ger­mei­ster Ed­ward Koch, etc., al­le ver­sam­melt. Recht gu­te An­spra­chen – al­le drücken Ro­nald ih­re Hoch­ach­tung aus. Vor­füh­rung des Films4 ad Reichs­kri­stall­nacht, der heu­te gleich­zei­tig via PBS im gan­zen Land ge­zeigt wird.

Wei­ter­le­sen ...


  1. Ronald Lauder, geboren 1944, Sohn der Kosmetik-Unternehmerin Estée Lauder (1906 – 2004); Unternehmer, Präsident des Museum of Modern Art, New York. Große Teile seiner Kunstsammlung sind seit 2001 in der von ihm gegründeten Neuen Galerie in New York untergebracht. Seit 2007 Präsident des Jüdischen Weltkongresses. Siehe hier 

  2. Ausweichmanöver, Verlegenheitslösung 

  3. Lillian Birnbaum, spätere Ehefrau des Autors. 

  4. Anlässlich des 50. Jahrestages der "Reichskristallnacht" produzierte Lauder den Dokumentarfilm "Kristallnacht, the Journey From 1938 to 1988"