Franz-Ste­fan Ga­dy: Die Rück­kehr des Krie­ges

Franz-Stefan Gady: Die Rückkehr des Krieges
Franz-Ste­fan Ga­dy: Die Rück­kehr des Krie­ges

Spä­te­stens seit dem 24. Fe­bru­ar 2022, dem Be­ginn des Über­fall Russ­lands auf die Ukrai­ne, ist der Krieg, ob man will oder nicht, wie­der un­mit­tel­bar in Eu­ro­pa prä­sent. Ver­ges­sen die vie­len Stell­ver­tre­ter- und Re­gio­nal­krie­ge, die seit Jahr­zehn­ten und auch nach dem ver­meint­li­chen »En­de der Ge­schich­te« auf der Welt tob(t)en. Die so­ge­nann­te Frie­dens­di­vi­den­de ist auf­ge­braucht. Rück­wir­kend be­trach­tet be­gann das al­les schon viel frü­her. Man woll­te je­doch un­ter an­de­rem aus öko­no­mi­schen Grün­den die Zei­chen der Zeit nicht er­ken­nen und ver­fiel in ei­nen geo­po­li­ti­schen Dorn­rös­chen­schlaf. Und im­mer noch ist vie­len der Weck­ruf der­art un­an­ge­nehm, dass sie dar­auf be­stehen, wei­ter schla­fen zu dür­fen. Es sind je­ne, die mit ih­ren au­ßen­po­li­ti­schen Ein­schät­zun­gen seit je stets falsch ge­le­gen ha­ben.

Zeit al­so für ein auf­klä­ren­des, ver­sach­li­chen­des Werk über das, was wir Krieg nen­nen. Der öster­rei­chisch-ame­ri­ka­ni­sche Mi­li­tär­ana­lyst Franz-Ste­fan Ga­dy hat dies mit Die Rück­kehr des Krie­ges ver­sucht. Sei­ne The­se geht da­hin, dass Krie­ge in Mit­tel­eu­ro­pa und da­mit auch im deutsch­spra­chi­gen Raum wahr­schein­li­cher ge­wor­den sind. Zi­tiert wird un­ter an­de­rem der ame­ri­ka­ni­sche Hi­sto­ri­ker und Di­plo­mat Phil­ip Ze­li­kow, der die Wahr­schein­lich­keit auf 20 bis 30 Pro­zent für ei­nen welt­wei­ten Krieg »in den kom­men­den Jah­ren« an­gibt. Der mi­li­tä­ri­sche He­ge­mon USA, der bis­her als Ga­rant eu­ro­päi­scher Si­cher­heit galt, wird, könn­te durch ei­nen dro­hen­den Kon­flikt mit Chi­na um Tai­wan im In­do­pa­zi­fik be­an­sprucht wer­den wäh­rend gleich­zei­tig Russ­land in ge­ziel­ten klei­nen (oder gro­ßen) Ope­ra­tio­nen NA­TO-Ge­biet im Bal­ti­kum an­greift. Eu­ro­pa muss al­so im ei­ge­nen In­ter­es­se mi­li­tä­ri­sche Ab­hän­gig­kei­ten von den USA mi­ni­mie­ren und auf kon­ven­tio­nel­lem Ge­biet ab­schrecken kön­nen.

Ga­dy be­schäf­tigt sich zu­nächst mit dem »Zeit­al­ter der Fehl­ein­schät­zun­gen«, das ir­gend­wann in den 1990er Jah­ren be­gann. Suk­zes­si­ve ver­ab­schie­de­ten sich die (West-)Europäer bei­spiels­wei­se von der Mög­lich­keit im Ver­tei­di­gungs­fall ei­ne »hoch in­ten­si­ve Land­kriegs­füh­rung« füh­ren zu kön­nen. Mit dem Fo­kus auf neue Tech­no­lo­gien ver­nach­läs­sig­te man als ver­al­tet be­trach­te­te Mi­li­tär­tech­ni­ken und die Pro­duk­ti­on aus­rei­chen­der Mu­ni­ti­on. Die Ver­tei­di­gungs­haus­hal­te wur­den zu­sam­men­ge­stri­chen. Man kon­zen­trier­te sich auf die Pla­nung re­gio­nal und zeit­lich be­grenz­ter Aus­lands­ein­sät­ze. Ei­ne mi­li­tä­ri­sche Ab­schreckung schien un­nö­tig zu sein. Der sich be­reits in der Nach­rü­stungs­de­bat­te Mit­te der 1980er Jah­re ab­zeich­nen­de Pa­zi­fis­mus fei­er­te mit dem Fall der Mau­er in ei­nem »post­he­roi­schen Welt­bild als iden­ti­täts­stif­ten­des Ide­al« sei­nen Durch­bruch.

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Chri­sti­an Schwep­pe: Zei­ten oh­ne Wen­de

Christian Schweppe: Zeiten ohne Wende
Chri­sti­an Schwep­pe: Zei­ten oh­ne Wen­de

Fast zwei­ein­halb Jah­re be­ob­ach­te­te der Jour­na­list Chri­sti­an Schwep­pe das, was man »Zei­ten­wen­de« nann­te: Die Re­ak­tio­nen der deut­schen Re­gie­rung auf den Über­fall Russ­lands auf die Ukrai­ne. Schwep­pe weiß, dass es vom Kanz­ler­stuhl der Re­gie­rungs­bank zum Red­ner­pult sie­ben Schrit­te sind. Am 27. Fe­bru­ar 2022 rief Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz ei­ne »Zei­ten­wen­de« aus. Spä­ter er­fährt man von Schwep­pe, dass Scholz sich mit dem Be­griff der Zei­ten­wen­de selbst pla­gi­iert hat­te; er ver­wen­de­te ihn be­reits 2017 in ei­nem Buch, frei­lich oh­ne Ver­bin­dung mit mi­li­tä­ri­schen Fra­gen. An je­nem Fe­bru­ar 2022 kün­dig­te er ei­ne In­stand­set­zung der längst ma­ro­de ge­wor­de­nen Bun­des­wehr mit­tels ei­ner als Son­der­ver­mö­gen de­kla­rier­ten Ver­schul­dung von 100 Mil­li­ar­den Eu­ro an und ver­sprach, zu­künf­tig 2% des BIP für die Bun­des­wehr aus­zu­ge­ben. Die Ukrai­ne soll­te mit Waf­fen un­ter­stützt wer­den, um sich ge­gen den rus­si­schen Ag­gres­sor zu weh­ren. Mit die­ser Re­de und den er­sten Schrit­te da­nach brach man mit meh­re­ren Ta­bus der Bun­des­re­pu­blik, die spä­te­stens seit der Ver­ei­ni­gung 1990 in ei­nen geo­po­li­ti­schen Däm­mer­schlaf ver­fal­len war. Vie­le Me­di­en wa­ren be­ein­druckt, ei­ni­ge an­de­re zeig­ten sich pflicht­schul­dig schockiert, sa­hen den ag­gres­si­ven Deut­schen wie­der auf­le­ben.

Zei­ten oh­ne Wen­de heißt das Buch von Schwep­pe über die­se Zeit, das An­fang Ok­to­ber er­schie­nen ist. Ein Wort­spiel. Der Un­ter­ti­tel nimmt das im Früh­jahr bei Druck­le­gung sich ab­zeich­nen­de Re­sul­tat be­reits vor­weg: »Ana­to­mie ei­nes Schei­terns«. Man liest die 350 Sei­ten trotz­dem, in ei­nem Rutsch, in ei­ner Mi­schung aus Fas­zi­na­ti­on und Wi­der­wil­len.

Schwep­pe schreibt ei­ne Lang­zeit­re­por­ta­ge, Stil und Am­bi­ti­on er­in­nern an Ste­phan Lam­by. Im­mer wie­der wer­den ei­ni­ge aus­ge­such­te Prot­ago­ni­sten be­sucht. Be­son­ders häu­fig spricht er mit Ma­rie-Agnes Strack-Zim­mer­mann (»Flak-Zim­mer­mann«), je­ner FDP-Frau, die in hib­be­li­ger Un­ge­duld und mit en­er­gi­schem me­dia­len Auf­tre­ten den bei Waf­fen­lie­fe­run­gen für die Ukrai­ne chro­nisch stocken­den und zö­gern­den Scholz mehr­mals her­aus­for­der­te. Er be­glei­tet Da­ni­el An­drä, zu Be­ginn 43, Oberst­leut­nant, zu­nächst Kom­man­dant ei­nes in­ter­na­tio­na­len Ge­fechts­ver­bands in Li­tau­en. Man lernt Mat­thi­as Leh­na ken­nen, Mit­te 30, ei­nen ehe­ma­li­gen Ge­birgs­jä­ger, der in Ma­li war. Bei­de wer­den am En­de über die Bun­des­wehr und den Um­gang in ihr und mit ihr des­il­lu­sio­niert sein.

Schwep­pe zeich­net Por­traits von Al­fred Mais, Deutsch­lands ober­stem Hee­res­ge­ne­ral und In­go Ger­hartz, dem »Chef« der Luft­waf­fe – bei­de könn­ten nicht un­ter­schied­li­cher sein. Aber auch Ar­min Pap­per­ger, der Vor­stands­vor­sit­zen­de von Rhein­me­tall, wird be­äugt. Er schaut dem Haus­häl­ter To­bi­as Wald­hü­ter über die Schul­ter (da­bei be­kommt man in­ter­es­san­te Ein­blicke in die so­ge­nann­te »Nacht der lan­gen Mes­ser«, in der »der fi­na­le Haus­halt für das neue Jahr aus­ge­dealt« wird), be­glei­tet den Nach­rücker Nils Grün­der, der »in der FDP-Ar­beits­grup­pe Ver­tei­di­gung« ar­bei­tet, zi­tiert den ehe­ma­li­gen Wehr­be­auf­trag­ten Hans-Pe­ter Bartels und er­lebt die am­tie­ren­de Wehr­be­auf­trag­te Eva Högl, die zwar al­les zu wis­sen scheint, was die Man­gel­la­ge der Bun­des­wehr an­geht, aber ir­gend­wie wir­kungs­los bleibt.

Man­che Tref­fen wir­ken wie pflicht­schul­di­ge Pro­to­kol­le, weil sie kei­ner­lei Er­kennt­nis­ge­winn lie­fern. Et­wa bei Agnieszka Brug­ger, die über­zeugt ist, dass die Bun­des­wehr im »Ernst­fall« bes­ser funk­tio­nie­ren wür­de, als man­che Schlag­zei­le ver­mu­ten las­se. Dass es nicht »Ernst­fall« heißt, wis­sen bei­de an­schei­nend nicht, was ein biss­chen pein­lich ist, wenn man sich gleich­zei­tig dar­über amü­siert, dass Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­rin wie Bun­des­kanz­ler von »Luft­ab­wehr« (statt Flug­ab­wehr oder Luft­ver­tei­di­gung) spre­chen. Er scheint auch Brug­ger zu­zu­stim­men, die meint, dass die »Zei­ten­wen­de« zu sehr von Män­nern do­mi­niert wür­de. Ei­ne merk­wür­di­ge Fest­stel­lung, schließ­lich ist zu die­sem Zeit­punkt Chri­sti­ne Lam­brecht Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­rin, Eva Högl Wehr­be­auf­trag­te, An­na­le­na Baer­bock ist om­ni­prä­sent und sieht sich auch schon ein­mal mit Russ­land im Krieg und Strack-Zim­mer­mann be­herrscht die in­nen­po­li­ti­schen Schlag­zei­len.

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