Spa­zie­ren und se­hen

Als ob die Welt sich selbst, auf ei­ne an­de­re hin, über­schrit­ten hät­te: Das fah­le, gelb-oran­ge Licht des her­ein­bre­chen­den Abends hat­te sich der­ge­stalt über die Din­ge ge­legt, dass sie mir als ein An­de­res, als ein Nä­he­res er­schie­nen, als sie es sonst ta­ten; die Ge­gen­stän­de mei­nes Wohn­zim­mers üb­ten ein sanf­te An­zie­hung aus, der ich nur sel­ten ge­wahr wur­de, ei­ne An­zie­hung, die sie her­vor­tre­ten ließ, deut­lich, aber nicht über­mäch­tig, so dass man ih­nen hät­te ver­fal­len müs­sen: Dies war kei­nes­wegs auf ei­ni­ge der Ein­rich­tungs­stücke be­schränkt, es lag nicht in de­ren Ge­schicht­lich­keit oder de­ren Be­son­der­hei­ten be­grün­det, es wa­ren un­ter­schieds­los und glei­cher­ma­ßen al­le Din­ge von den Ver­än­de­run­gen be­trof­fen, man könn­te auch sa­gen, dass die Ge­wich­tung, die im Nor­mal­fall in mei­nem In­ne­ren lag, nach au­ßen hin ver­scho­ben wor­den war, nicht das Sub­jekt, al­so ich, sah in die Welt hin­aus, son­dern die Welt blick­te, auch wenn es aber­wit­zig klin­gen mag, zu mir her­ein, auf ei­ne Wei­se, die ei­ne Aus­ge­gli­chen­heit er­zeug­te und kei­ne Wün­sche of­fen ließ, au­ßer eben je­nem, hin­aus­zu­ge­hen, mit­ten un­ter die Din­ge und in die Na­tur hin­ein.

Zu­erst brach­te ich mei­nen Wunsch hin­aus­zu­kom­men mit ei­ner Ab­nah­me mei­ner Kon­zen­tra­ti­on in Ver­bin­dung, denn ich hat­te lan­ge ge­le­sen und dann plötz­lich, wie aus ei­ner Lau­ne her­aus, mein Buch zur Sei­te ge­legt, aber ei­gent­lich war ich we­der mü­de noch un­kon­zen­triert und hat­te folg­lich auch kein Be­dürf­nis mich zu er­ho­len, es hat­te mich wohl ein auf­ge­stau­ter Drang so han­deln las­sen, der auf ei­ner un­be­merkt ge­blie­be­nen Emp­fin­dung, vor al­lem des Lichts, das durch die gro­ßen Fen­ster in mein Wohn­zim­mer her­ein­fiel, be­ruh­te: Si­cher konn­te ich mir aber kei­nes­wegs sein und ei­gent­lich ver­moch­te ich nur mehr ei­ne Nä­he­rung des Seins und mei­nes Be­wusst­seins von ihm, fest­zu­stel­len, die Kluft zwi­schen uns, der Welt und mir, war kaum noch zu be­mer­ken, ich war gleich­sam ei­nen Schritt aus mir selbst her­aus, al­so von mir weg, auf die Din­ge zu ge­gan­gen, oh­ne die­se Be­we­gung über­haupt be­merkt zu ha­ben.

Ich ließ den Ge­dan­ken­strom mit ei­nem Mal los und stand auf, trank ein Glas Was­ser, such­te mei­nen Woh­nungs­schlüs­sel und be­schloss zu ge­hen. Als ich mei­ne schwar­ze We­ste vom Ha­ken nahm und ne­ben mir auf den Bo­den leg­te, um mei­ne Schu­he zu bin­den, fand ich mich plötz­lich in eben­je­nem, ge­ra­de erst los­ge­las­sen Strom wie­der: Ich er­leb­te of­fen­bar ei­ne Art Tran­szen­denz oder et­was, das ich die­sem Wort zu­schrei­ben konn­te, das ei­nes je­ner Wör­ter war, de­ren Be­deu­tung ich mehr er­fühl­te als be­griff oder dach­te: Ich ließ mich da­her nicht auf ei­ne Recht­fer­ti­gung ein und die Fra­ge, wo­her die­se Än­de­rung mei­nes Er­le­bens über­haupt kam, dräng­te sich wie­der auf: War sie bloß dem Licht ge­schul­det, des­sen Ak­zen­tu­ie­rung und da­mit Ver­wand­lung der Din­ge mei­ne Sinn­lich­keit an­ge­regt hat­te? Wenn das stimm­te, dann müss­te sie ein al­ter Be­kann­ter sein und mit ei­ni­ger Re­gel­mä­ßig­keit wie­der­keh­ren, viel­leicht so­gar täg­lich, wo­von al­ler­dings kei­ne Re­de sein konn­te. Und selbst wenn, ein­mal an­ge­nom­men, dass es doch zu­traf, dann war die­se Ver­wand­lung der Welt doch ei­ne ver­meint­li­che und da­mit ei­ne Täu­schung, ich hät­te ei­ne Ver­än­de­rung in den Er­schei­nun­gen mit mei­nem Sein in der Welt ver­wech­selt und ih­re Schön­heit oder ihr So­sein für mein Ver­hält­nis zu ih­nen ge­nom­men. Viel­leicht aber, dach­te ich mir, als mein Blick am Tür­stock vor­bei zu­rück ins Wohn­zim­mer und auf das zur Sei­te ge­leg­te Buch fiel, war das Gan­ze nur ein Re­sul­tat des lan­gen, kon­zen­trier­ten Le­sens ge­we­sen, ei­ne Ein­bil­dung, die an der fri­schen Luft ge­wiss nicht von lan­ger Dau­er sein und zer­fal­len wür­de.

War es das Zu­schla­gen der Ein­gangs­tür oder die laue Luft, die mir übers Ge­sicht floss, ge­we­sen, der Ge­dan­ken­strom ent­glitt mir aber­mals und dies­mal end­gül­tig: Ei­ne Wahl, wo­hin ich woll­te, brauch­te ich nicht zu tref­fen, es zog mich Rich­tung Fluss, an das lin­ke Ufer, auf die für die­ses klei­ne Ge­wäs­ser mäch­ti­ge Hoch­was­ser­ver­bau­ung, auf der ein schma­ler Weg ent­lang zog. Auch hier war al­les in die­ses Licht ge­hüllt, das Grau des be­toner­nen Ge­län­ders, das da und dort noch den Rand der Bö­schung zum Fluss hin si­cher­te, war ins sam­tig-ocker­ne ver­scho­ben, der Him­mel war noch blau, mit we­ni­gen aus­ge­fran­sten, rahm­far­be­nen Wol­ken, de­ren Zip­fel und Aus­stül­pun­gen gold­gelb leuch­te­ten: Mir schien als hät­te, ob­wohl ge­ra­de erst Mit­te Au­gust vor­über war, be­reits der Herbst be­gon­nen und ich spür­te die­sem Ein­druck nach, emp­fand ihn, ganz selbst­ver­ständ­lich, oh­ne dass ich es be­schlos­sen hät­te, wäh­rend ich den Weg ent­lang spa­zier­te: Ein Spa­zie­ren, das den mei­sten als ein un­ge­müt­li­ches Ei­len er­schei­nen muss­te, ich aber konn­te nicht an­ders als aus der Be­we­gung her­aus auf die Din­ge zu se­hen, ja nur aus der Be­we­gung schien mir ein Se­hen ei­gent­lich mög­lich zu sein: Erst im Vor­bei­be­we­gen tra­ten mir die Din­ge ent­ge­gen, bis­wei­len plötz­lich und füll­ten mei­ne Auf­merk­sam­keit ei­ni­ge Au­gen­blicke lang aus, um dann wie­der in den Hin­ter­grund zu tre­ten und et­was Neu­em Platz zu ma­chen: Ich be­ob­ach­te­te, be­trach­te­te und schau­te wech­sel­wei­se, wie es mir be­lieb­te und wie es den Ge­gen­stän­den, die da­bei häu­fig ih­ren Ob­jekt­cha­rak­ter ver­lo­ren, an­ge­mes­sen war, mit fort­dau­ern­der Zeit meist in ei­ner Art Zwi­schen­form, im­mer au­gen­blicksbe­fan­gen dar­in, dass sich zeig­te, was sich zei­gen woll­te und wie lan­ge es ihm be­lieb­te: Ich war be­reit al­les auf­zu­neh­men und be­hielt doch nichts, weil ich den Er­schei­nun­gen nicht auf den Grund ging, al­so nichts und da­mit auch sie nicht be­stimm­te und so er­hob sich ei­ne Kol­la­ge des Er­schei­nen­den, das auch noch den Weg be­stimm­te. – Von den Men­schen, die eben­so zu­fäl­lig Ein­tritt er­hiel­ten, blieb nur so­viel Sei­en­des, wie es sich in ein paar Au­gen­blicken ge­ra­de zu zei­gen ver­mag. Ich durch­lief al­so ei­ne Welt, die zu mir her­ein trat und weit­ge­hend auf ih­re Er­schei­nun­gen be­schränkt blieb – Ein­drücke, Ah­nun­gen, Be­geg­nun­gen –, die dann und wann ei­ne über­ra­schen­de und un­vor­her­ge­se­he­ne Tie­fe of­fen­bar­ten, al­so et­was über sich selbst, über das bloß Er­schei­nen­de hin­aus, preis­ga­ben und da­mit ih­re eng ge­fass­te Ge­gen­wär­tig­keit durch­dran­gen und gleich­sam über­rag­ten.

Die Blät­ter der Er­len und Pap­peln am Ho­ri­zont leuch­te­ten im schräg ein­fal­len­den Licht, das mit dem sanf­ten, abend­li­chen Wind, der sich hier häu­fig ein­stellt, zu tan­zen schien: Der Herbst, dach­te ich wie­der, denn es war kühl und feucht, Zwei­ge mit matt­grau­er Rin­de la­gen auf dem Bo­den, Blät­ter von Ul­men und Aka­zi­en, manch­mal auch grö­ße­re Äste, ver­dorr­te Geiß­fü­ße und Ka­mil­len stan­den am Rand der Bö­schung und dür­re Seg­gen: Ein frü­hes Jahr be­deu­tet auch ein frü­hes En­de, dach­te ich mir, als ich ei­ni­ge Ka­sta­ni­en in ih­ren hell­grü­nen, sta­che­li­gen Hül­len auf dem kie­si­gen Bo­den ent­deck­te, al­le­samt noch ver­schlos­sen, bis auf ei­ne, an der ein schma­ler Spalt an die mir ab­ge­wand­te Sei­te der Hül­le zog: Ich hät­te sie auf­he­ben und auf­bre­chen müs­sen, um zu se­hen, ob sie be­reits braun und hart war oder ob der Wind die Ka­sta­ni­en un­reif von den Bäu­men ge­bro­chen hat­te: Kurz flacker­te das Be­geh­ren auf, nach­zu­se­hen, aber nicht lan­ge ge­nug und ich ging wei­ter und war froh die­se Un­ge­wiss­heit er­hal­ten zu ha­ben. Es roch mod­rig, nach Pil­zen, nach nas­sem, mor­schem Holz, nach eben­je­nem Ver­ge­hen, das mor­gen, wenn al­les be­reits wie­der an­ders aus­sah und die Son­ne den Duft der Thu­jen durch die ge­öff­ne­ten Fen­ster her­ein drücke, schon längst wie­der ver­schwun­den sein wür­de. Äste, Laub und Ka­sta­ni­en, sie al­le moch­te der Sturm­wind oder ei­ner der Ha­gel­schau­er im Ju­li her­un­ter­ge­ris­sen und ver­streut ha­ben, die Äste im Fluss­bett, könn­ten durch das Hoch­was­ser an­ge­schwemmt wor­den sein, das Lich­ter­spiel der Blät­ter bloß ab­ge­leg­te Er­in­ne­run­gen ge­weckt ha­ben und der Abend küh­ler als sonst ge­we­sen sein: Aber die­se Ein­wän­de ka­men nicht ge­gen die Er­schei­nun­gen und de­ren ei­ge­ne Ord­nung an, die die­se mitt­ler­wei­le in mir er­rich­tet hat­ten, sie ge­wahr­ten ih­re Sou­ve­rä­ni­tät und Mög­lich­keit ge­gen­über den Ein­wen­dun­gen der Lo­gik, des Be­griff­li­chen und Ge­dach­ten.

Der Weg zog an Gär­ten vor­bei, de­ren rück­wär­ti­ge Zäu­ne von Thu­jen, Ei­ben, Ho­lun­der, Flie­der, Brom­bee­ren und For­sy­thi­en zu­ge­wach­sen wa­ren, ein Sicht­schutz, der nur hier und dort ei­ni­ge Lö­cher frei ließ, durch die ich hin­durch spä­te, vol­ler Neu­gier­de, was sich da­hin­ter ver­barg und wie es sich in die­sem zu­falls­be­stimm­ten Mo­ment denn zei­gen wür­de: Ich lieb­te die Span­nung, die sich aus dem Wis­sen um die Un­voll­stän­dig­keit des­sen, was man ge­se­hen hat­te und dem, zu dem es ge­hö­ren konn­te, dem wie und dem, das fehl­te, dem zu er­zäh­len­den, er­gab; und dann auch die zwi­schen dem An­spruch, den das, was sich nicht ein­mal sze­nen­haft kurz zeig­te und sei­ner schon fast un­an­ge­mes­se­nen Ein­dring­lich­keit, so als wä­re es schon das Gan­ze ge­we­sen, das dem Ver­ste­hen und der Deu­tung of­fen steht, so als hät­te man ein paar Be­we­gun­gen ei­nes Schau­spie­lers, de­rer man zu­fäl­lig hab­haft ge­wor­den ist, in ei­ner Ein­drück­lich­keit wahr­ge­nom­men, die sich sonst erst nach ei­nem gan­zen Stück ein­stellt: Das Vor­über- und Vor­bei­glei­ten­de, das, das ei­gent­lich zu scheu ist, um ge­se­hen wol­len zu wer­den, das Un­be­dach­te, ab­seits Lie­gen­de, sich Ver­ber­gen­de, Ver­schäm­te, in an­de­ren Wor­ten und viel­leicht rich­ti­ger: Die In­ten­si­tät mit der sich all dies zeigt, ist weit grö­ßer, als man es ihm ge­mein­hin zu­zu­bil­li­gen be­reit ist, ei­ne ver­schüt­te­te oder viel­mehr ver­bor­ge­ne Zer­brech­lich­keit, ei­ne Ei­gen­art, die sich erst of­fen­bart, wenn man mit den Ge­wohn­hei­ten sei­nes Blicks auf die Welt bricht.

Ich war ein Samm­ler, kein Spa­zier­gän­ger, ei­ner der Pil­ze oder Bee­ren sucht, oh­ne je­doch ziel­ge­rich­tet zu han­deln und auf Er­folg aus zu sein. Wenn das Blatt­werk an den Zäu­nen ei­nen kur­zen Blick er­mög­lich­te, so war es ge­ra­de die Un­mög­lich­keit et­was zu ern­ten oder zu pflücken, die das Un­ter­fan­gen, das ei­gent­lich kei­nes war, be­grün­de­te: Da­durch, dass ich nur zwei Wän­de ei­nes Hau­ses sah, in des­sen Schat­ten wohl ein Kind stand, und – wer weiß wie weit da­von ent­fernt – sei­ne Mut­ter, schon von den Blät­tern um­rankt und kaum mehr zu er­ken­nen, die es zu ir­gend­ei­ner Hand­lung er­mu­tig­te, er­hielt es das, was es aus­mach­te: Das Un­voll­stän­di­ge, Un­er­war­te­te, Sche­men­haf­te, sich kurz und schwan­kend Zei­gen­de, im Ver­sin­ken erst of­fen­ba­ren­de, ge­stalt­lo­se Ge­stal­ten, so be­schaf­fen, dass sie sich spä­ter zu et­was an­de­rem zu­sam­men­fü­gen wür­den.

Ich kam an ei­ni­gen Ge­wächs­häu­sern vor­bei, de­ren Fo­li­en mil­chig und brü­chig ge­wor­de­nen wa­ren, die dicht von Gän­se­fuß­stau­den um­stan­den wa­ren, die nur knapp ne­ben dem Zaun, der sie vom Weg ab­grenz­te, et­wa ei­nen Me­ter in die Tie­fe, auf der Hö­he der Gras­nar­be, ab­ge­schnit­ten wor­den wa­ren: Im Gras la­gen, halb von den Stau­den über­wu­chert, ver­ro­ste­te Zaun­pfäh­le, die die an­gren­zen­de Gras­nar­be ver­färbt hat­ten, wie die ein we­nig ver­dick­ten Fü­ße der Stau­den und die bo­den­na­hen Blät­ter, de­ren Un­ter­sei­ten sonst silb­rig-weiß glänz­ten. An den Weg grenz­te ein Tor, das nur noch von der Ket­te, mit der es ver­sperrt war, in sei­nen An­geln ge­hal­ten wur­de; von ihm zog ein Weg zu den Ein­gän­gen der Ge­wächs­häu­ser, der eben­falls von den Stau­den be­freit wor­den war. Vor ei­nem der Ein­gangs­to­re stand ein al­ter, wei­ßer Kun­st­off­ses­sel, der ei­gen­ar­tig sau­ber war und so gar nicht zu sei­ner Um­ge­bung pass­te: War­um konn­te ich nicht ge­nau sa­gen, es lag wohl an sei­ner Sau­ber­keit, sei­ner Far­be und sei­nem Ma­te­ri­al: So un­trüg­lich hier al­les vom Ver­fall sprach, so un­trüg­lich war es auch, dass die Ge­wächs­häu­ser noch ge­nutzt wur­den, al­so ei­ne Funk­ti­on er­füll­ten und nütz­lich wa­ren. Ich hät­te ste­hen blei­ben und durch die auf­ge­kipp­ten Lu­ken spä­hen, wahr­schein­lich hät­te ich auch ein­fach hin­ein­ge­hen und nach­se­hen kön­nen, um si­cher zu sein, aber es er­schien mir nicht ein­leuch­tend, ja sinn­voll, dies zu tun, denn mir ge­fiel die­ser Zu­stand, die­se Un­ge­wiss­heit des doch schon und des nicht mehr, ja er ge­nüg­te und mein Blick glitt wei­ter und zu den Din­gen, die sich nä­her­ten, hin.

Ich kam schon un­ter der U‑Bahntrasse hin­durch, noch im­mer dem Fluss­ver­lauf fol­gend, und traf auf ein ähn­li­ches Bild: An­schei­nend wa­ren hier Din­ge acht­los lie­gen ge­las­sen wor­den, vor vie­len Jah­ren gleich nach dem Bau, wo­mög­lich um sie spä­ter für Aus­bes­se­rungs­ar­bei­ten nut­zen zu kön­nen. Sie wa­ren ein­ge­zäunt, wohl um Dieb­stahl zu ver­hin­dern: Ich sah ei­ne Bau­hüt­te, die mit ver­bli­che­nen und ab­blät­tern­den Graf­fi­ties über­sprüht war, Be­ton­pfei­ler und ‑blöcke, ro­sti­ge, gro­be Ei­sen­git­ter und ‑stä­be, die an ei­nen der Pfei­ler der Tras­se ge­lehnt wa­ren und um die sich ei­ne Acker­win­de schlang, ei­nen un­or­dent­lich auf­ge­schich­te­ten Hau­fen von Zie­geln, durch de­ren Lö­cher und Rit­zen die Äh­ren der rei­fen Grä­ser rag­ten, ei­ne Schie­be­tru­he, halb ge­füllt mit an­ge­weh­tem Staub oder Sand, in dem Storch­schna­bel und Leim­kraut wur­zel­ten und ei­ne oran­ge Misch­ma­schi­ne: Das al­les war von der U‑Bahntrasse gleich­sam über­dacht, es wur­de von al­len Sei­ten zu­ge­wu­chert, – ich ent­deck­te wie­der Gän­se­fü­ße, aber auch Sau­er­amp­fer und Schaf­gar­ben –, so als ob man ei­ne Lich­tung ins Grün ge­schla­gen hät­te, um die Din­ge da ab­stel­len zu kön­nen, nur in der Mit­te lag ein schma­ler, mit Bau­schutt ge­pfla­ster­ter Weg, frei. Die­ses acht­los Ab­ge­stell­te und Lie­gen­ge­las­se­ne, ja grund­los Zu­sam­men­ge­tra­ge­ne und Ab­ge­nutz­te, viel­leicht: Ver­ges­se­ne und da­her Zweck­lo­se, trat mir mit ei­ner ei­gen­ar­ti­gen, völ­lig un­er­war­te­ten See­len­haf­tig­keit ent­ge­gen. Ein Vor­han­den­sein, das man sonst über­all such­te, sich wünsch­te und den­noch nicht fand. Hier al­so war sie, hier zeig­te sie sich wäh­rend ich, wie­der oh­ne ste­hen zu blei­ben, vor­über ging und ich glau­be, ob­wohl ich mein Tem­po viel­leicht leicht ge­dros­selt hat­te, dass sie ein Ste­hen­blei­ben, das ei­nem Ge­wäh­ren­las­sen schon zu wi­der­spre­chen be­gann, zum Ver­schwin­den ge­bracht hät­te.

We­ni­ge Schrit­te und Mi­nu­ten wei­ter, stand ich am Rand ei­ner Stra­ße, die zu stark be­fah­ren war, als dass ich sie hät­te über­que­ren wol­len: Gleich­wohl, ich hät­te dem Fluss fol­gend, un­ten durch und auf die lin­ke Sei­te wei­ter ge­hen kön­nen, aber das er­schien mir als nicht mehr reiz­voll: Ich be­schloss um­zu­keh­ren und stieg die be­fe­stig­te Bö­schung hin­ab, um di­rekt am Was­ser fluss­auf­wärts zu­rück­zu­ge­hen. Das Bett und die Bö­schung wa­ren un­ter Ver­wen­dung von Na­tur­stei­nen ge­mau­ert, man kam gut vor­an: Der Weg lag et­wa drei Me­ter über mir und die Soh­len mei­ner Schu­he wa­ren fast auf der Hö­he des Was­sers. Der Him­mel war jetzt grau und der Fluss zog sich – was mir nie zu­vor auf­ge­fal­len war – in we­ni­gen, lang­ge­streck­ten Bie­gun­gen da­hin. Manch­mal wa­ren die Stei­ne über­wach­sen, vom Gras, das in bei Hoch­was­ser an­ge­spül­tem Schlamm wur­zel­te, manch­mal wa­ren sie wie blank po­liert und dann wie­der mit Ästen und Blät­tern über­sät. Ich un­ter­quer­te die U‑Bahntrasse und zwei Fuß­gän­ger­brücken, mal war das Was­ser glatt und still, manch­mal gur­gel­te es un­ru­hig da­hin: Ich sah amü­siert aus mei­ner neu­en Welt auf die Spa­zier­gän­ger hin­auf, dort­hin wo ich eben ge­gan­gen war und er­kann­te ei­ne Da­me wie­der, die ih­ren Hund aus­führ­te, ein al­tes, ge­mäch­lich da­hin trot­ten­des Tier, ei­ne Ras­se die ich nicht kann­te; sie schien mich nicht zu be­mer­ken und sah wohl über den Rand zum Weg und den Wohn­blöcken auf der an­de­ren Sei­te hin. Es war ei­ne Per­spek­ti­ve, die ich noch nie ein­ge­nom­men hat­te und als ich von hier un­ten die Kro­nen der Bäu­me be­trach­te­te und die neu­en Hoch­häu­ser mit ih­ren klei­nen Bal­ko­nen und Log­gi­en vor­bei glit­ten, da dach­te ich mir, so ist es al­so, wenn man von un­ten auf die Din­ge sieht, ich schmun­zel­te und ein gro­tesk-ko­mi­sches Ge­fühl kam in mir hoch und be­glei­te­te mich, bis ich am En­de mei­nes Rück­wegs die Bö­schung wie­der hin­auf stieg und den Fluss ver­ließ.