Isol­de Ohl­baum: Pe­ter Hand­ke – Ein Lang­zeit­por­trait 1975–2024 mit 150 Pho­to­gra­phien

2011 er­schien im Müry Salz­mann Ver­lag ein Pho­to­band der be­son­de­ren Art: Lil­li­an Birn­baum por­trai­tier­te den Dich­ter Pe­ter Hand­ke »in sei­ner Ab­we­sen­heit«. Birn­baum er­zähl­te im klei­nen Vor­wort von der Qual, die Hand­ke er­fasst, pho­to­gra­phiert zu wer­den, und dach­te, »es wä­re doch sinn­vol­ler, ein Bild sei­nes Gar­tens zu zei­gen, oder der Fe­dern auf dem Kü­chen­tisch« oder all der ge­heim­nis­vol­len »In­stal­la­tio­nen« sei­en sie nun er­rich­tet oder zu­fäl­lig. Und so zeig­te die­ser be­mer­kens­wer­te Band kein ein­zi­ges Mal den Dich­ter – bis auf ei­ne Aus­nah­me, als die Hän­de zu se­hen wa­ren, die Pil­ze zu­be­rei­te­ten. Der Le­ser wird zum Schau-Lu­sti­gen, sieht Mahl­zei­ten, Obst und Nüs­se, Nähu­ten­si­li­en, Blei­stift­stum­mel, Bü­cher, Ma­nu­skript­sei­ten, ei­ne ara­bi­sche Zei­tung, Trep­pen­stu­fen, auf de­nen links und rechts Bü­cher lie­gen, Laub­hau­fen, ei­nen Gar­ten­stuhl mit Sak­ko, ein Ses­sel oder das le­gen­dä­re Obst­bau­buch sei­nes On­kel Gre­gor.

Isolde Ohlbaum: Peter Handke - Ein Langzeitportrait 1975 - 2024 mit 150 Photographien - © 2025 Isolde Ohlbaum
Isol­de Ohl­baum: Pe­ter Hand­ke – Ein Lang­zeit­por­trait 1975 – 2024 mit 150 Pho­to­gra­phien – © 2025 Isol­de Ohl­baum

Und nun legt Isol­de Ohl­baum ein »Lang­zeit­por­trait« über Pe­ter Hand­ke in 150 Pho­to­gra­phien vor (plus zwei Auf­nah­men, die nicht von ihr sind). Sie um­fas­sen den Zeit­raum von 1975 bis 2024 und zei­gen den Dich­ter auf di­ver­sen »Preis-Fe­sten und dem Drum­her­um« (Frank Wier­ke im Vor­wort). Es sind zu­nächst die Fe­ste des ab 1975 bis 1995 jähr­lich in un­ter­schied­li­chen, meist süd­eu­ro­päi­schen Re­gio­nen statt­fin­den­den Pe­trar­ca-Prei­ses. Hand­ke saß hier in der Ju­ry.

Die Bil­der zei­gen ihn al­ler­dings eher als Glei­cher un­ter Glei­chen, fast im­mer ge­löst und hei­ter; Fuß­ball spie­lend, schla­fend, so­gar ein­mal mit Zi­ga­ret­te, mit den je­wei­li­gen Preis­trä­gern zu­sam­men­sit­zend, vor­le­send-de­kla­mie­rend, sin­nie­rend, mit sei­ner da­mals klei­nen Toch­ter Ami­na die Um­ge­bung er­kun­dend. Ei­ni­ge Bil­der glei­chen Schnapp­schüs­sen, sind dann nicht ganz scharf, was ei­ne be­son­de­re Au­then­ti­zi­tät er­zeugt. Man sieht so­fort, mit wel­chen Men­schen Hand­ke be­son­ders ver­traut war. Und man sieht sein Selbst­be­wusst­sein wie auf dem Pho­to 1987 mit Sieg­fried Un­seld (und in der Mit­te ein lä­cheln­der Her­mann Lenz) oder der Auf­nah­me von ei­nem Pres­se­ge­spräch (1994).

Beim Fußballspielen im Garten der Certosa di Maggiano in Siena, 1978 - © 2025 Isolde Ohlbaum
Beim Fuß­ball­spie­len im Gar­ten der Cer­to­sa di Mag­gia­no in Sie­na, 1978 – © 2025 Isol­de Ohl­baum

Man­ches wirkt spon­tan, et­wa das Durch­wa­ten ei­nes Ba­ches mit Ni­co­las Born (der im Buch durch­gän­gig »Ni­ko­las« ge­schrie­ben wird) oder das Bild von 1989 mit Hand­ke im Pool, als er an­schei­nend je­man­dem sei­ne Bril­le zur Auf­be­wah­rung reicht. Hand­ke scheint da­mals die Auf­merk­sam­keit wenn nicht zu ge­nie­ßen, so doch zu an­zu­neh­men. Im Lau­fe der Jah­re wird sich das wan­deln. Si­cher, es gibt das Fa­mi­li­en­glück mit So­phie Se­min und der klei­nen Lé­o­ca­die in den 1990ern. Aber er wird nach­denk­li­cher, bis­wei­len sitzt er al­lei­ne und schaut. Sym­bo­lisch ein Pho­to von 2005 in Rücken­an­sicht – Hand­ke steht am Strom­ki­lo­me­ter 1938, der Do­nau zu­ge­wandt. Noch gibt es ver­trau­te Mo­men­te, eher ernst mit Xa­ver Bay­er (2002), lie­be­voll mit Frie­de­ri­ke May­röcker (2009) und Ki­to Lo­renc (2012). Her­bert Bur­da und Mi­cha­el Krü­ger sind jetzt al­te Weg­ge­fähr­ten. Ein wun­der­ba­res, sel­te­nes Bild zeigt ihn breit lä­chelnd im Fe­bru­ar 2018 in Grif­fen, sei­ner Hei­mat­stadt, an­läss­lich der Er­öff­nung der Dau­er­aus­stel­lung in Stift Grif­fen. Ich hat­te ihn zu­nächst gar nicht er­kannt.

Im Swimmingpool des Hotels Villa la Pricipessa in Lucca, 1989 - © 2025 Isolde Ohlbaum
Im Swim­ming­pool des Ho­tels Vil­la la Pri­cipes­sa in Luc­ca, 1989 – © 2025 Isol­de Ohl­baum

Wenn man ge­nau schaut, ent­deckt man zu­wei­len in­ter­es­san­te Klei­nig­kei­ten. 1975 im Bus sit­zend et­wa, ver­tieft in Brink­manns West­wärts 1 & 2. Der Tin­tin-Co­mic, als er 1976 mit Ami­na spa­zie­ren geht. Ein Han­dy 2004. Mit dem Ma­nu­skript sei­nes Fab­jan Haf­ner-Buchs von 2019. Dann die Fo­tos vom No­vem­ber 2024. Hand­ke al­lei­ne in sei­nem Haus; hier und da ein Still­le­ben, ähn­lich je­nen von vor mehr als zehn Jah­ren bei Birn­baum. Im Text­teil von Zi­ta­ten aus No­ta­ten und In­ter­views von Pe­ter Hand­ke, die Isol­de Ohl­baum aus­ge­sucht hat, spricht er ein­mal leicht spöt­tisch von sei­nem Wunsch, ei­nem »Club der An­ony­men Ein­sa­men« an­zu­ge­hö­ren. Pas­send da­zu wie­der ei­ne Rücken­an­sicht, dies­mal der Blick aus dem Fen­ster in Cha­ville.

Blick aus dem Fenster, Chaville, im November 2024 - © 2025 Isolde Ohlbaum
Blick aus dem Fen­ster, Cha­ville, im No­vem­ber 2024 – © 2025 Isol­de Ohl­baum

Ohl­baums chro­no­lo­gisch vor­ge­nom­me­ne Text­aus­wahl aus den No­tiz­bü­chern und ei­ni­gen In­ter­views (dar­un­ter auch mit An­dré Mül­ler) kann man durch­aus kor­re­spon­die­rend zu den Pho­tos le­sen. Sie zeu­gen von gu­ter Werk- und Men­schen­kennt­nis. (Ge­wöh­nungs­be­dürf­tig für Hand­ke-Le­ser, dass die No­tiz­buch-No­ta­te ent­ge­gen den Ver­öf­fent­li­chun­gen mit ei­nem Punkt am En­de ver­se­hen sind.) In­ter­es­sant die Aus­wahl­bio­gra­phie; be­son­ders da­hin­ge­hend, wel­che Schrif­ten Hand­kes feh­len (wie zum Bei­spiel Die Wie­der­ho­lung, Der Bild­ver­lust oder Die mo­ra­wi­sche Nacht).

Der Pho­to­band zeigt nicht nur das ge­lun­ge­ne Por­trait ei­nes Dich­ters, son­dern auch ei­ner ver­gan­ge­nen li­te­ra­ri­schen Epo­che und ih­rer Prot­ago­ni­sten. Im be­sten Fall wird man sich ei­ni­ger Schrift­stel­ler und Dich­ter wie­der er­in­nern, viel­leicht Er­ri de Lu­ca, Ger­hard Mei­er, Sa­rah Kirsch, Il­se Ai­chin­ger, Phil­ip­pe Jac­cot­tet oder Gu­stav Ja­nuš, ih­re Bü­cher wie­der­le­sen oder, end­lich, be­gin­nen zu le­sen. Auch da­für Dank.

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Über­nah­me der Bil­der ge­mäss In­struk­tio­nen des Ver­lags. Soll­te ich ei­nen Feh­ler ge­macht ha­ben, bit­te ich um Nach­richt, um ei­ne Kor­rek­tur vor­zu­neh­men. Wenn Sie hier kei­ne Bil­der mehr se­hen, ha­be ich die­se ge­mäss den In­struk­tio­nen des Ver­la­ges ent­fernt. – L. S.

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