Nach­ruf für ei­nen ehe­ma­li­gen Abon­nen­ten

Aus dem Jour­nal vom 14. Ju­li 2017

Ich will auf die Bank ge­hen, end­lich den Er­lag­schein für Lett­re In­ter­na­tio­nal ein­zah­len. Als ich aber noch ein­mal auf den Zet­tel blicke und ex­tra aus­ge­wie­sen »Por­to 5,80« se­he, är­gert mich das. Viel­leicht auch ha­be ich auf so ein Är­ger­nis ge­war­tet. Statt auf die Post zu ge­hen, grei­fe ich zum Te­le­fon, wäh­le Ber­lin und mel­de den Abon­nen­ten als ver­stor­ben.

Selt­sam, ein be­rüh­ren­der Mo­ment. Da­mit ha­be ich nicht ge­rech­net. Na­tür­lich stimmt es, dass ich kaum noch da­zu­kom­me, die Zeit­schrift – al­le Ar­ti­kel zu­sam­men er­ge­ben ei­nen Text im Aus­maß meh­re­rer Bü­cher – zu le­sen, aber sie ver­band mich mit dem Be­ginn mei­nes Schrift­stel­ler­le­bens, war ei­ne Art An­ker, der da im Sand der Ver­gan­gen­heit ver­hakt war. Nun ist der An­ker ge­ho­ben, oder die Ket­te ein­fach nach­ge­wor­fen, die Ver­bin­dung je­den­falls ge­löst, und ich füh­le mich nicht er­leich­tert. Ich den­ke an mei­nen er­sten (und letz­ten) Be­such der Frank­fur­ter Buch­mes­se, wo mir der da­ma­li­ge Chef­re­dak­teur der Zeit­schrift be­geg­ne­te, sich an Tex­ten von mir in­ter­es­siert zeig­te. Ich sand­te ihm et­was über Afri­ka – ir­gend­et­was mit Rin­der­wahn im Ti­tel, da­mals ge­ra­de ein The­ma – und der Chef­re­dak­teur fand das span­nend und druck­te es. Das Bei­spiel fand kei­ne Wie­der­ho­lung, aber Lett­re In­ter­na­tio­nal kam wei­ter vier Mal im Jahr und sta­pel­te sich in mei­nem Fe­ri­en­haus, wo ich es ab­leg­te, in der Hoff­nung, dort Zeit und Mu­ße zu fin­den, um dar­in zu le­sen. Ge­le­gent­lich ma­che ich es auch, aber wenn schon Zeit und Mu­ße, dann ver­wen­de ich sie bes­ser zum Schrei­ben, schließ­lich ent­ste­hen wei­ter Bü­cher. Und so ist heu­te, ei­nen Tag nach Liu Xia­o­bo, der Abon­nent 23055 ge­stor­ben. »Der Abon­nent hieß?« – der jun­ge Mann las aus sei­ner Li­ste mei­nen Na­men – »Ja«, be­stä­tig­te ich. »Muß ich sonst noch et­was tun?« – »Nein, ist er­le­digt. Gu­ten Tag.«

Den Weg zum Post­amt ein­ge­spart, ge­he ich in die na­hen Wein­gär­ten zu den Brombeer­hecken. Ich pflücke zu­erst im Wein­gar­ten über den letz­ten Haus, wo je­mand al­ter, kran­ker, im Gar­ten un­ter den Brom­bee­ren sich in den Mor­gen hu­stet. Hat auch nicht mehr lan­ge zu le­ben, den­ke ich, und pflücke wei­ter Bee­ren für die Ewig­keit. Mit ei­nem und ei­nem hal­ben Ki­lo kom­me ich nach­hau­se.

Wei­ter­le­sen ...