Und ewig grüsst das Skan­da­lon

Ob tö­rich­ter Un­sinn oder ein­fach nur an­de­rer Stand­punkt: Es geht im­mer gleich ums Gan­ze, wenn das Feuil­le­ton­ge­richt tagt und ih­re Adep­ten sich em­pö­ren dür­fen.

»So wie ein Dich­ter po­li­tisch wir­ken will, muß er sich ei­ner Par­tei hin­ge­ben; und so­wie er die­ses tut, ist er als Po­et ver­lo­ren; er muß sei­nem frei­en Gei­ste, sei­nem un­be­fan­ge­nen Über­blick Le­be­wohl sa­gen und da­ge­gen die Kap­pe der Bor­niert­heit und des blin­den Has­ses über die Oh­ren zie­hen.«

Kaum ein Wort aus Goe­thes Ge­sprä­chen mit Ecker­mann dürf­te häu­fi­ger zi­tiert wor­den sein, wenn es wie­der ein­mal dar­um ging ei­nem Schrift­stel­ler sei­ne po­li­ti­schen Ver­feh­lun­gen oder ein­fach nur Fett­näpf­chen nach­zu­wei­sen. Fast im­mer gin­gen sol­che Vor­wür­fe da­mit ein­her, ihm/ihr auch gleich noch die li­te­ra­ri­sche Re­pu­ta­ti­on in to­to ab­zu­spre­chen.

Be­trach­tet man nur ein­mal die letz­ten ein­hun­dert Jah­re so ist die Ket­te der po­li­tisch in­kri­mi­nier­ten Schrift­stel­ler be­acht­lich. Man den­ke nur ein­mal an die Schrif­ten ei­nes ge­wis­sen Tho­mas Mann 1914, je­ne »Ge­dan­ken im Krie­ge«, die sich spä­ter noch in ei­nem Kon­vo­lut mit dem süf­fi­san­ten Ti­tel »Be­mer­kun­gen ei­nes Un­po­li­ti­schen« er­wei­ter­ten. Mann war da­mals – im Ge­gen­satz zu sei­nem Bru­der Hein­rich – ein ra­di­ka­ler Ver­fech­ter der deut­schen »Kul­tur«, die er der »Zi­vi­li­sa­ti­on« bei­spiels­wei­se der Fran­zo­sen als völ­lig über­le­gen an­sah. Et­was, was heu­te nichts an­de­res als Kopf­schüt­teln er­zeugt. Hin­ge­gen die Fra­ge, wel­cher der bei­den – Tho­mas oder Hein­rich – denn am En­de der sprach­mäch­ti­ge­re Dich­ter ge­we­sen sei, ziem­lich ein­deu­tig be­ant­wor­tet wird.

Die üb­li­chen Ver­däch­ti­gen

Ich kür­ze die Dis­kus­si­on ab und nen­ne nur die Li­ste der üb­li­chen Ver­däch­ti­gen wie Ham­sun, Benn, Pound, Cé­li­ne, Jün­ger, T. S. Eli­ot auf der rech­ten oder Ara­gon, Bloch, Sart­re und Feucht­wan­ger auf der lin­ken Sei­te. Ich er­läu­te­re nicht im De­tail die Na­zi-Treue Ham­suns, sei­nen Hit­ler-Nach­ruf, der ihn in Nor­we­gen, sei­ner Hei­mat, zur per­so­na non gra­ta mach­te. Ich di­ver­si­fi­zie­re nicht Ez­ra Pounds Mus­so­li­ni-Fas­zi­na­ti­on, sei­nen Mo­der­ne-Hass, sein Lieb­äu­geln mit dem Fa­schis­mus und sei­ne un­mensch­li­che Be­hand­lung, die man ihm da­nach hat an­ge­dei­hen las­sen. Und ich schwel­ge auch nicht in De­tails über die Gu­lag-Schön­red­ner, die bis in die 1970er Jah­re Sta­lin und Kon­sor­ten für die bes­se­ren Po­li­ti­ker hiel­ten als die »Im­pe­ria­li­sten« in den USA.

Im­mer nagt da auch der li­te­ra­ri­sche Zwei­fel: Kann man Ham­suns »Se­gen der Er­de« le­sen oh­ne an Blut und Bo­den zu den­ken? Wie­viel fa­schi­sti­sche Ge­sin­nung steckt in den »Can­tos«? 2011 dis­ku­tier­te das li­te­ra­ri­sche Frank­reich mit der üb­li­chen Po­le­mik und Lei­den­schaft, ob man dem An­ti­se­mi­ten Cé­li­ne ge­den­ken dürf­te. Noch sind die Ko­ali­tio­nen dort so, dass man die Fra­ge beim Sta­lin-Adep­ten Sart­re nicht stellt.

Die Men­ta­li­tät

Wie sieht es in Deutsch­land aus? Ent­ge­gen der land­läu­fi­gen An­nah­men setz­te früh ei­ne Dis­kus­si­on un­ter Li­te­ra­ten im Deutsch­land nach 1945 ein, wel­che Schrift­stel­ler für die Bun­des­re­pu­blik re­le­vant sein sol­len. Die Grup­pe 47, von Hans-Wer­ner Rich­ter aus­ge­dacht (es war ei­ne in­for­mel­le Grup­pe, die sich min­de­stens an­fangs aus­schließ­lich auf­grund von Rich­ters Prä­fe­ren­zen er­gab), wi­der­setz­te sich wenn auch sanft der durch­aus dro­hen­den Re­stau­ra­ti­on. Die »Mit­glie­der« der Grup­pe 47 ver­stan­den sich als li­te­ra­ri­sche und als po­li­ti­sche Ak­teu­re. Als un­ab­ding- und un­be­frag­ba­rer Zu­gangs­code zur Grup­pe galt ei­ne links­li­be­ra­le Ge­sin­nung, die Rich­ter »Men­ta­li­tät« nann­te. 1963 brü­ste­te sich Hans-Ma­gnus En­zens­ber­ger im Do­ku­men­tar­film zur Grup­pe 47 von Se­ba­sti­an Haff­ner da­mit, dass sich in der Grup­pe nie­mand be­fin­de, der ein Hit­ler-Ge­dicht ge­schrie­ben ha­be. Dies war ei­ne An­spie­lung auf Leu­te wie Gott­fried Benn, Gerd Gai­ser oder Ernst Jün­ger. Dass min­de­stens ein Waf­fen-SS-An­ge­hö­ri­ger und ein NSDAP-Mit­glied un­ter ih­nen re­gel­mä­ßi­ge Gä­ste wa­ren, wuss­te er da­mals noch nicht. Man be­kämpf­te in­tel­lek­tu­ell die als spie­ßig ver­ach­te­te Ade­nau­er-Ära und sym­pa­thi­sier­te mit der deut­schen So­zi­al­de­mo­kra­tie (Grass, Rich­ter) oder der APO der 68er (En­zens­ber­ger, Böll).

Der po­li­tisch en­ga­gier­te In­tel­lek­tu­el­le des 19. Jahr­hun­derts wur­de re­vi­ta­li­siert. Noch heu­te gilt Émi­le Zo­la als das Vor­bild hier­zu. Zo­la warf 1898 mit sei­nem Of­fe­nen Brief »J’­ac­cu­se« dem fran­zö­si­schen Prä­si­den­ten vor, der Be­völ­ke­rung die wah­ren Hin­ter­grün­de der Drey­fus-Af­fä­re zu ver­schwei­gen, die zahl­rei­chen Ju­stiz­irr­tü­mer zu ver­tu­schen und mit Drey­fus ei­nen Un­schul­di­gen zu in­ter­nie­ren. Die Schrift­stel­ler der Grup­pe 47 en­ga­gier­ten sich in Zo­las Tra­di­ti­on in den Mas­sen­me­di­en, ver­fass­ten Re­fe­ren­den, Re­so­lu­tio­nen, Of­fe­ne Brie­fe, setz­ten sich teil­wei­se für oder in Par­tei­en für po­li­ti­sche Zie­le ein. Am En­de über­wölb­ten bei ei­ni­gen Prot­ago­ni­sten die po­li­ti­schen Stel­lung­nah­men zu al­len mög­li­chen The­men die schrift­stel­le­ri­schen Ak­ti­vi­tä­ten. Das Goethe’sche Ver­dikt schien zu­zu­tref­fen.1

Die Feuil­le­tons wa­ren spä­te­stens seit den 1970er Jah­ren stark po­li­ti­siert. Die An­sich­ten und Ur­tei­le von Schrift­stel­lern zu po­li­ti­schen und so­zia­len Fra­gen be­ka­men Re­le­vanz – je grö­ßer die Be­kannt­heit, de­sto hö­her der »Wert«. Häu­fig wur­den Schrift­stel­ler als Ver­stärker be­stimm­ter Mei­nungs­strö­me her­an­ge­zo­gen; sel­te­ner als Pro­vo­ka­teu­re. Im Lau­fe der Zeit nahm das In­ter­es­se an den zu­wei­len als mo­ra­lin­sauer wahr­ge­nom­me­nen Ein­wän­den je­doch ab. Die 68er hat­ten den Marsch durch die In­sti­tu­tio­nen an­ge­tre­ten und wa­ren an­ge­kom­men. Die Mah­ner von au­ßen wa­ren ob­so­let ge­wor­den.

Der Dschi­had des Feuil­le­tons

Ent­spra­chen die Ein­wür­fe nicht dem gän­gi­gen Mei­nungs­strom und wur­den gar die Me­di­en ob ei­ner ge­wis­sen Ein­sei­tig­keit an­ge­grif­fen, wur­de der ver­meint­lich be­grüss­te Ein­wurf scharf kri­ti­siert. Um nur ei­ni­ge der Er­re­gun­gen der letz­ten rund 20 Jah­re zu nen­nen, die nicht nur die Feuil­le­tons be­ben lie­ßen: Bo­tho Strauß’ »An­schwel­len­der Bocks­ge­sang«, Hand­kes Ju­go­sla­wi­en-Tex­te, Walsers Pauls­kir­chen­re­de, Slo­ter­di­jks »Men­schen­park«-Auf­satz, Mar­tin Mo­se­bachs Blas­phe­mie-Ver­bot, Grass’ Is­ra­el-Ge­dicht und jetzt ak­tu­ell Si­byl­le Le­witschar­offs Dres­den-Re­de.

Jetzt sind Hand­kes Be­rich­te über sein zer­fal­le­nes Ar­ka­di­en an­ders zu dis­ku­tie­ren als Bo­tho Strauß’ Ver­such ei­ner geo­po­li­ti­schen Ana­ly­se An­fang der 90er Jah­re oder Le­witschar­offs Dumm­hei­ten. Je­des der auf­ge­führ­ten Bei­spie­le hat ei­ne ei­ge­ne Ge­schich­te und müss­te se­pa­rat be­trach­tet wer­den. Sie sind auch nur sehr be­grenzt mit­ein­an­der ver­gleich­bar. Aber sie sind kenn­zeich­nend da­für, wie die Be­reit­schaft, sich mit auch noch so schein­bar ab­sei­tig er­schei­nen­den An­sich­ten und Ur­tei­len zu be­schäf­ti­gen, funk­tio­niert. Statt ei­ne Art em­pa­thi­scher Ex­ege­se zu ver­su­chen – die nichts mit Zu­stim­mung zu tun hat bzw. ha­ben muss – er­fol­gen so­fort Ver­dam­mungs­ur­tei­le. Mit wohl aus­ge­such­ten Zi­ta­ten wer­den die in­kri­mi­nier­ten Tex­te fast im­mer ent­kon­tex­tua­li­siert, um sie auf­grund ein­zel­ner »wei­cher« Stel­len (Un­ge­nau­ig­kei­ten, Po­le­mik) zu skan­da­li­sie­ren und den ge­sam­ten Text diskredi­tieren zu kön­nen. Da­bei wim­melt es häu­fig von wohl kal­ku­lier­ten Miss­ver­ständ­nis­sen, da der Ori­gi­nal-Text zu­meist nicht mehr her­an­ge­zo­gen wird, son­dern aus zwei­ter oder drit­ter Hand zi­tiert und hier­aus dann ge­schlos­sen wird. Es ge­nügt nicht, ei­nen Text ein­fach nur ein­mal »tö­richt« zu nen­nen. Oder Un­sinn. Es geht im­mer und so­fort ums Gan­ze. Fast im­mer wird auch gleich­zei­tig der Dschi­had des Feuil­le­tons, der Kul­tur­kampf, herbei­gerufen. In ei­ner zwei­ten Pha­se wird der Au­tor, die Au­torin, ad ho­mi­nem an­ge­grif­fen, das Werk mit ei­nem Fe­der­strich gleich mit dif­fa­miert und un­ter Ge­ne­ral­ver­dacht ge­stellt.

Sel­ten fin­det ei­ne dis­kur­si­ve Auf­ar­bei­tung des Skan­da­lons statt, wie zum Bei­spiel 1998 nach der Wal­ser-Re­de, in dem Wal­ser mit dem da­ma­li­gen Vor­sit­zen­den des Zen­tral­rats der Ju­den, Ignatz Bu­bis, sei­ne strit­ti­gen Äu­ße­run­gen öf­fent­lich dis­ku­tier­te.2 Am En­de brau­chen die Ja­ko­bi­ner üb­ri­gens kei­ne Angst zu ha­ben: Ge­gen sie wird nie ein ad­äqua­tes Ver­fah­ren er­öff­net. Wenn ih­re Dif­fa­mie­rungs­ver­su­che ins Lee­re lau­fen, wenn sich ihr Fu­ror als Fla­tu­lenz ent­larvt, ge­schieht – nichts.3

Das Feuil­le­ton­ge­richt tagt

Die Dis­kur­se im Feuil­le­ton­ge­richt wer­den apo­dik­tisch ge­führt. Ver­tei­di­ger gibt es zwar auch und man ge­steht ih­nen pflicht­schul­digst ei­nen Raum zu. Sie wer­den aber meist wü­tend ver­bis­sen. Hin­zu kommt, dass ih­nen ih­re Ver­tei­di­gungs­re­den ge­ge­be­nen­falls noch in an­de­ren Zu­sam­men­hän­gen vor­ge­legt wer­den kön­nen. X als Ver­tei­di­ger von Y – da ist es bes­ser, sich recht­zei­tig auf die rich­ti­ge Sei­te zu schla­gen oder zu schwei­gen.

Da­bei ist na­tür­lich auch fest­zu­stel­len, dass es nicht zwin­gend so zu­ge­hen muss. Da gibt es bei­spiels­wei­se In­go Schul­ze, der brav ka­pi­ta­lis­mus­kri­ti­sche Phra­sen re­ka­pi­tu­liert und es da­bei schon zu ei­ni­gen Talk­show-Auf­trit­ten ge­schafft hat. Oder Ju­li Zeh, die sich zu­sam­men mit Il­ja Tro­ja­now ge­gen Vor­rats­da­ten­spei­che­rung und NSA-Über­wa­chung ein­setzt. Da­bei neh­men Zeh und Tro­ja­now ei­ne Mei­nung ein, die par­tei- und medien­übergreifend Kon­sens ist und, ne­ben­bei, auch nicht viel ko­stet. Sie ren­nen da­bei ger­ne und pu­bli­kums­wirk­sam die viel­zi­tier­ten of­fe­nen Tü­ren ein. Auch die­ses Vor­ge­hen hat ei­ne ge­wis­se Tra­di­ti­on, wenn man an die zahl­rei­chen Wort­mel­dun­gen von Böll, Grass und an­de­ren denkt. Grass wur­de nach dem Ge­ständ­nis sei­ner Zu­ge­hö­rig­keit zu ei­ner Waf­fen-SS-Ein­heit vor­ge­wor­fen, er ha­be sich jahr­zehn­te­lang als das mo­ra­li­sche Ge­wis­sen der Bun­des­re­pu­blik in­sze­niert, wäh­rend er sel­ber die­ses dunk­le Ka­pi­tel sei­ner Bio­gra­phie ver­schwie­gen ha­be. Dar­aus sprach nichts mehr der ent­täusch­te Lieb­ha­ber, der fest­stel­len muss­te, dass sein Welt­bild eben nicht so schwarz-weiss war, wie es im­mer schien. Statt die Feh­ler bei sich sel­ber zu su­chen, prü­gel­te man auf den ge­stän­di­gen Grass ein, dem man da­mit in­di­rekt noch Recht gab: Nie­mals wä­re Grass in der Bun­des­re­pu­blik der­art wahr­ge­nom­men wor­den, wenn er sei­ne Waf­fen-SS-Ge­schich­te schon 1968 oder 1980 er­zählt hät­te.

Dies ver­ge­gen­wär­ti­gend kommt man zum Kern der Ma­lai­se: Es kommt nicht dar­auf, was ge­sagt wird, son­dern wer es sagt. Dies ist die ober­ste Ma­xi­me des Jour­na­lis­mus und ins­be­son­de­re des Bou­le­vard­jour­na­lis­mus, zu dem man das Feuil­le­ton im wei­te­sten Sin­ne sub­su­mie­ren kann. Li­te­ra­tur­kri­ti­ker sind bei­spiel­wei­se dann am hilf­lo­se­sten, wenn sie Tex­te be­ur­tei­len sol­len und kei­ne aus­rei­chen­den bio­gra­phi­schen Da­ten über den Au­tor ha­ben. Sie brau­chen die­se In­for­ma­tio­nen, weil sich aus Grün­den der Ein­fach­heit längst die per­so­na­li­sier­te Li­te­ra­tur­kri­tik zu Un­gun­sten der äs­the­ti­schen Durch­drin­gung von Tex­ten durch­ge­setzt hat.

Bit­te (m)ein Macht­wort!

Es gibt ihn, die­sen jour­na­li­sti­schen Drang nach dem Macht­wort, wel­ches von In­tel­lek­tu­el­len, Schrift­stel­lern, Künst­lern zu spre­chen sei und den gor­di­schen Kno­ten lö­sen mö­ge. Die Fra­ge, die die Mo­de­ra­to­rIn­nen in der 3sat-Sen­dung »Kul­tur­zeit« am häu­fig­sten stel­len, lau­tet: Was sa­gen die In­tel­lek­tu­el­len zum The­ma X oder Y? Be­zie­hungs­wei­se, im­mer leicht vor­wurfs­voll: War­um schwei­gen sie? Als sei die Ent­äu­ße­rung zwin­gend Pflicht. Jour­na­li­sten, die in Wirk­lich­keit kei­ne In­stanz au­sser sich sel­ber gel­ten las­sen, er­seh­nen plötz­lich das Be­kennt­nis des An­de­ren. Da­bei ist es al­ler­dings ein Irr­tum zu glau­ben, es gin­ge ih­nen um den neu­en Ge­dan­ken, die an­de­re Sicht, die au­ßer­ge­wöhn­li­che Ver­knüp­fung. Ge­fragt ist ein­zig Af­fir­ma­ti­on. Der An­de­re, der Schrift­stel­ler, soll das sa­gen, was man sel­ber denkt. Die lau­si­gen »my 2 cent«, wie im eng­li­schen die bil­lig­ste Äu­ße­rung, die Mei­nung, ge­nannt wird, soll durch das State­ment des Schrift­stel­lers, des In­tel­lek­tu­el­len zum Gold­dol­lar auf­ge­wer­tet wer­den. Es geht dar­um, dass ih­re Mei­nung au­to­ri­siert wird. Sag uns, was wir den­ken, so lau­tet die Ma­xi­me. Sie pre­di­gen den fruch­ti­gen, vol­len Wein der Plu­ra­li­tät, wol­len aber nur das Was­ser der Kon­for­mi­tät.

Der In­tel­lek­tu­el­le soll kei­nen neu­en Dis­kurs be­grün­den, er soll die Ge­sin­nung des Main­stream be­sie­geln. Wer dies tut, kann zu­ver­läs­sig mit der Auf­merk­sam­keit des Be­triebs rech­nen. Manch­mal drückt man dann auch bei­de Au­gen zu, wenn ein eher me­dio­kres Werk­chen aus der Drucke­rei tropft. Man kann das Win-Win-Si­tua­ti­on nen­nen, wenn man bö­se ist.

Die Ge­fahr der Prä­po­tenz

Die Schrift­stel­ler sind al­ler­dings al­les an­de­re als un­schul­di­ge Be­trof­fe­ne. Sie er­lie­gen all­zu oft ih­rer Ei­tel­keit, die ih­nen jah­re­lang sub­ku­tan in Form von Auf­merk­sam­keit und Kom­pli­men­ten in­ji­ziert wur­de. Sie füh­len sich ge­schmei­chelt, wenn sie zu ei­nem The­ma et­was sa­gen sol­len, blü­hen wo­mög­lich in ih­rer Rol­le auf. Sie trau­en sich so ir­gend­wann öf­fent­li­che Äu­ße­run­gen zu The­men zu, die sie nor­ma­ler­wei­se nur im pri­va­ten Rah­men dis­ku­tie­ren wür­den. Man gibt ih­nen das Ge­fühl: Dei­ne Stim­me zählt! Sag was!

Schrei­ben ist ei­ne ein­sa­me Tä­tig­keit; die Jo­sef Roths, die im Kaf­fee­haus Welt­li­te­ra­tur schrei­ben, sind sel­ten. Kaum je­mand be­kommt die Tex­te der Schrift­stel­ler vor der Fer­tig­stel­lung zu se­hen. Sie sind ge­wohnt, für sich zu ar­bei­ten. Ih­re In­stanz sind sie, sonst nie­mand. Hier äh­neln sie den Jour­na­li­sten. Der Un­ter­schied ist nur, dass Jour­na­li­sten Her­den­we­sen sind.

Schrei­ben von Li­te­ra­tur ist kein de­mo­kra­ti­scher Akt. Ich schrei­be; nie­mand »schreibt« mir et­was vor. Man ist zu­nächst auch noch sein ei­ge­ner Lek­tor, kor­ri­giert sich sel­ber. Je nach Pro­mi­nenz des Schrift­stel­lers fun­gie­ren die Lek­to­ren in den Ver­la­gen ja zu­meist nur als Ge­hil­fen. Dies lässt den Schrift­stel­ler in sei­ner Par­al­lel­welt und mit der Zeit prä­po­tent wer­den. Die Per­so­na­li­sie­rung von po­li­ti­schen (und auch li­te­ra­ri­schen) Dis­kur­sen (s. o.) tut sein Üb­ri­ges.

Die Er­war­tung an das au­ra­ti­sche Wort des Schrift­stel­lers ist schließ­lich auch beim Pu­bli­kum prä­sent. Die Kom­ple­xi­tät der Welt giert nach Er­klä­run­gen, nach Vor­bil­dern. In ei­ner Zeit, in der Schau­spie­ler und Sport­ler ein­zig auf­grund ih­res Sta­tus als Pro­mi­nen­ter po­li­ti­sche Ex­per­ti­se zu­ge­spro­chen be­kom­men, ist dies na­tür­lich kein Wun­der. Der In­tel­lek­tu­el­le dient da­bei noch als Di­stink­ti­ons­fi­gur: Mei­ne Mei­nung ist die des Schrift­stellers X, der Schrift­stel­le­rin Y; ihr Fern­seh­gucker hof­fiert die An­de­ren. We­he, die Di­stink­ti­on muss dann dem Ent­set­zen wei­chen. Ent­täu­schung macht sich breit. Da­bei wird ver­ges­sen, dass man sich im­mer nur sel­ber ent­täuscht. Wie­der eine/r we­ni­ger. Nicht nur die Luft wird dün­ner, auch die Bi­blio­thek.

Die ka­thar­ti­sche Wir­kung der Em­pö­rung

So­zia­le Netz­wer­ke ver­stär­ken das Em­pö­ren, weil es noch ein­fa­cher ge­wor­den ist. Man darf das nicht un­ter­schät­zen. Wenn es ge­gen den/die Richtige/n geht, spricht auch kein Arsch­loch mehr von ei­nem Shits­torm. Fuchs­jag­den gel­ten in Eng­land ja auch als Sport. In der Em­pö­rung über die ver­meint­li­che oder tat­säch­li­che Ent­glei­sung des In­tel­lek­tu­el­len liegt im­mer ei­ne ka­thar­ti­sche Wir­kung. Man rei­nigt sich gleich zwei­fach: Zu­nächst im Selbst-Be­kennt­nis zu den Rich­ti­gen zu ge­hö­ren. Und dann in der Dä­mo­ni­sie­rung des Un­ar­ti­gen. Wie schon ge­sagt: Ein tö­rich­tes Kopf­schüt­teln ge­nügt nicht. Es gilt, den Ap­plaus der Tri­bü­ne zu er­hal­ten.

Pe­ter Slo­ter­di­jk4 sieht in den fort­lau­fen­den Er­re­gun­gen, die in den Me­di­en er­zeugt wer­den, ei­ne Art La­ger­feu­er­funk­ti­on für die an­son­sten dis­pa­ra­te Ge­sell­schaft. Mit Skan­da­li­sie­run­gen wird kurz­zei­tig et­was zu­sam­men­ge­führt, was an­son­sten ausein­anderstrebt. Mit der Er­re­gung über die Käl­te des ver­meint­lich fehl­ge­lei­te­ten Wor­tes wärmt sich die Grup­pe der Gleich­ge­sinn­ten ihr Wohn­zim­mer. Er­re­gungs­wär­me beim Müt­chen-Küh­len. Für den Nach­schub an Heiz­ma­te­ri­al plün­dert man not­falls die Pa­pier­kör­be.

Die »Kap­pe der Bor­niert­heit«, die Goe­the dem po­li­tisch en­ga­gier­ten Dich­ter auf­setz­te, fin­det sich am En­de auf dem Kopf so man­ches Feuil­le­to­ni­sten wie­der, der die deut­sche Sehn­sucht nach dem Sau­be­ren, dem Rei­nen be­die­nen möch­te. In­tel­lek­tu­el­le und Po­li­ti­ker dür­fen kei­ne »schwar­zen Sei­te« ha­ben. Der Mann, der in dem Sketch von Lo­ri­ot am En­de mit ei­ner to­ten Maus als neu­em »Haus­tier« aus dem La­den geht, nach­dem er vol­ler Ver­zückung das ru­hi­ge, aus­drück­lich »kei­nen Schmutz« ma­chen­de »Tier« als »gol­dig« be­zeich­net hat, ist sym­pto­ma­tisch für die­se mor­bi­de Sehn­sucht und nur ein klein we­nig über­trie­ben. Man braucht sich dann kaum noch zu wun­dern, war­um die Li­te­ra­tur die­ser der­art dres­sier­ten Ge­sin­nungs­äff­chen so kraft­los und oh­ne In­ten­si­tät ist. Da­bei ist die For­de­rung nach ei­ner Re­po­li­ti­sie­rung der deutsch­spra­chi­gen Li­te­ra­tur ein pe­ri­fi­des Ma­nö­ver, was ins Bild passt. Li­te­ra­tur lie­sse sich da­mit noch ein­fa­cher an­hand der po­li­ti­schen Aus­sa­gen ru­bri­zie­ren. So kann der Ge­sin­nungs­dok­tor gleich zwei Flie­gen mit ei­ner Klap­pe schla­gen. Oder, um im Duk­tus des Sket­ches zu blei­ben, zwei gol­di­ge Tier­chen mit nach Hau­se neh­men. Zum Preis von ei­nem.


  1. Grass suggerierte im Briefwechsel mit Brandt gelegentlich mit einem gewissen Triumph, dass das Diktum bei ihm nicht gelte – er engagiere sich für die SPD und schreibe neue Bücher. 

  2. Walser konnte unter Mithilfe von Frank Schirrmacher die Stigmatisierung als Antisemit noch abwenden. 2009 war es dann ebendieser Schirrmacher, der den Vorabdruck von Walsers Roman "Tod eines Kritikers" in der FAZ mit großem Aplomb ablehnte. Walser hatte dort einen Kritiker, der eindeutige Züge von Marcel Reich-Ranicki trug, karikiert und sterben lassen. Schirrmacher bezichtigte Walser nun indirekt des Antisemitismus, wobei er und die anderen Ankläger listig verschwiegen, dass sich am Ende des Romans herausstellt, dass der fiktive Kritiker gar nicht gestorben war und sein Verschwinden nur inszeniert hatte. - Wie absurd die Blüten treiben können zeigt sich an einem Radiogespräch mit Walser anlässlich seines 85. Geburtstags. Die Moderatorin fragte Walser, ob er Antisemit sei. 

  3. Georg Diez, einer der grässlichsten Biedermänner im deutschen Feuilleton, beschmiss Christian Kracht folgenlos mit Dreck. Die älteren erinnern sich womöglich noch an Harald Wiesers großaufgezogene Kampagne gegen Walter Kempowski Anfang der 1990er Jahre, als dieser als Plagiator blossgestellt werden sollte. Die Liste liesse sich beliebig verlängern, nicht zuletzt anhand der genannten Beispiele. 

  4. über den neulich von den Muftis des "Freitag" eine Art von Fatwa ausgesprochen wurde 

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  1. Sehr gu­te Dar­stel­lung der Skan­da­li­sie­rungs­bla­sen. In die­sem ak­tu­el­len Fall hat die Epi­so­de al­ler­dings ei­nen un­ty­pi­schen Ver­lauf. Aus­lö­ser war ei­ne »Of­fe­ne Ant­wort« ei­nes Dra­ma­tur­gen, der sich of­fen­bar ver­pflich­tet fühl­te, na­mens des höf­lich ent­gei­ster­ten Pu­blki­ums die Re­de von Sy­bil­le Le­witschar­off nicht so im Raum ste­hen zu las­sen, als wür­de man ihr zu­stim­men.
    Das war aber noch »De­bat­te«. Da­nach blies das Netz die Backen auf – die an sich be­deu­tungs­lo­se Sa­che be­kam da­durch erst das Vo­lu­men, dass die »Leit­me­di­en« sich auch äu­ßern muss­ten. »We did­n’t start the fire« wä­re hier viel­leicht außs­nahms­wei­se wahr, al­ler­dings kam es mir dann vor, als wür­den sich ein­ge Schrei­ber in ei­ner Art Wett­be­werb um die stärk­ste Hy­per­bel be­fin­den. Ge­won­nen hat dann wohl das Be­griffs­feld »Kle­ri­kal-Fa­schi­stin«, die mit ih­rer Re­de ganz fürch­ter­li­che Din­ge los­tre­ten wür­de, vor de­nen uns aus­ge­rech­net die Li­te­ra­tur­kri­tik war­nen muss.
    Sie schrei­ben so schön: »Li­te­ra­tur­kri­ti­ker sind bei­spiel­wei­se dann am hilf­lo­se­sten, wenn sie Tex­te be­ur­tei­len sol­len ...« – Tex­te im Ge­gen­satz zu Sto­ries – sehr wahr, ich wür­de das gar nicht wei­ter ein­schrän­ken. Und hier sind sie hilf­los, wenn Sie die Be­deu­tung ei­nes sol­chen Groß­red­ner­tums er­ken­nen sol­len – die Be­deu­tung dürf­te näm­lich mit und oh­ne auf­ge­pump­ter Auf­re­gung bei na­he­zu Null lie­gen und ist kei­ner be­son­de­ren In­vek­ti­ve wird.
    Da ist ja nichts, wor­an man sich län­ger er­in­nern müss­te, kein neu­er Ge­dan­ke, kei­ne be­mer­kens­wer­te For­mu­lie­rung, die ei­ne neue Per­spek­ti­ve auf­reißt.
    Ich ha­be auch et­was ge­tweetet, weil mir a) die Ver­bin­dung von na­iv-ka­tho­li­scher Fröm­mig­keit mit Ab­scheu vor Kin­dern auf­fiel und da­mit auch, dass der Schrift­stel­le­rin so et­was selbst nicht be­merkt, und weil ich b) mich wun­der­te, dass der Dra­ma­turg, der das Feu­er ent­fach­te, nicht wuss­te, wen er da ein­lädt. Ich ha­be mir die Mü­he ge­macht, die Re­de im Wort­laut zu le­sen, so weit ich konn­te, und ha­be nach ein paar Sei­ten ab­ge­bro­chen, ein­fach weil mir die­ser ver­ba­le Murks buch­stäb­lich phy­si­sches Un­be­ha­gen be­rei­tet. Wenn es we­nig­stens ein­fach vom Her­zen her ge­schrie­ben wä­re! Wenn mich der Text ir­gend­et­was spü­ren las­sen wür­de, wo­von Le­witschar­off be­haup­tet, dass sie es spü­ren wür­de! Doch L. kann es nicht. Sie schreibt re­gel­recht di­let­tan­tisch. Sie bringt die Stil­ebe­nen oft in ei­nem Satz durch­ein­an­der, greift statt dem tref­fen­den Wort ein­fach nach dem Fal­sche­sten oder Dümm­sten, das sie fin­den kann, pu­delt die Sät­ze mit über­flüs­si­gen Ad­ver­bi­en auf, füllt stän­dig quä­len­den Dämm­stoff ein, »reich­lich, ja über­reich­lich«, und wenn man dann schaut, was ge­dank­lich un­ter dem Ge­hol­per ver­bor­gen liegt, dann sind das nur die tri­via­len Seuf­zer, ob das denn al­les gut und rich­tig sei mit der Ap­pa­ra­te­me­di­zin. Das ist als Fra­ge ein Ge­mein­platz und schon lan­ge ein The­ma für die Li­te­ra­tur. Da­vid Wag­ner hat üb­ri­gens an­hand sei­ner selbst da­zu ein gro­ßes Buch ge­schrie­ben, da ging es um Ret­tung vor dem Tod. Man kann oder muss so­gar, wenn man schon was sagt zu dem The­ma »men­schen­wür­di­ges Ster­ben«, auch an Herrn­dorf den­ken.
    Vor sol­chen (und es gibt ja noch viel mehr) li­te­ra­ri­schen Be­zugs­grö­ßen kann ich nur zum Be­fund kom­men, dass es bei Le­witschar­off nur ei­nen li­te­ra­ri­schen Skan­dal zu dis­ku­tie­ren gä­be, der al­ler­dings we­nig mit der Re­de zu tun hat, aber auch viel mit dem Um­feld in den Feuil­le­tons, das Sie an­spre­chen, und dem ich ge­nau dies auch at­te­stie­ren wür­de, näm­lich dass Ju­rys und Kri­ti­ker mei­stensteils ge­schmack­lich höchst un­si­cher sind und nicht wis­sen, wie sie et­was fin­den sol­len, es sei denn je­mand gibt ih­nen schon die Rich­tung vor, und zwar mög­lichst sim­pel. Mal be­zie­hen die in­of­fi­zi­el­len Buch­wa­ren­pro­mo­ter ih­re Vor­ein­stel­lung di­rekt von den Ver­la­gen, mal aus dem Tratsch, mal aus dem Netz. So sind sie. Und so geht das dann mit dem Büch­nerpreis ...

  2. @Fritz Iver­sen
    Ja, Le­witschar­offs »Fall« ist tat­säch­lich un­üb­lich. Und auch wie­der nicht: Die Re­de ist ja tat­säch­lich el­len­lang; die in­kri­mi­nier­ten Stel­len fin­den sich ziem­lich am En­de. Die ge­le­gent­lich ge­stell­te Fra­ge, war­um es kei­nen Pro­test aus dem Pu­bli­kum ge­ge­ben ha­be, ist ver­mut­lich ein­fach zu be­ant­wor­ten: Die Leu­te ha­ben schlicht­weg nicht mehr zu­ge­hört, bzw., ge­nau­er: ab­ge­schal­tet. Ich ken­ne das sel­ber von mir: Wenn mich et­was über­haupt nicht in­ter­es­siert, ver­ges­se ich qua­si so­fort das Ge­hör­te, ha­be kei­ne Er­in­ne­rung mehr dar­an.

    Er­in­nert wur­de ich auch an Walsers Pauls­kir­chen­re­de, die ich durch Zu­fall da­mals live im Fern­se­hen sah. Auch dort rühr­te sich am En­de nur Ap­plaus, kei­ne auch nur an­satz­wei­se sicht- bzw. hör­ba­re Em­pö­rung wie dann spä­ter, ob­wohl Wal­ser schnel­ler »zur Sa­che« kam.

    Nun sind Dämm­stof­fe und Auf­plu­ste­run­gen in ei­ner Re­de ja durch­aus Mit­tel der Rhe­to­rik. Le­witschar­offs Li­te­ra­tur schät­ze ich schon, wenn sie auch ge­le­gent­lich ei­ne Vol­te zu­viel schlägt. Ich ver­mu­te ein­fach, dass ihr der Büch­nerpreis ein biss­chen zu Kopf ge­stie­gen ist. Sie glaub­te wie wei­land Sieg­fried in Dra­chen­blut ge­ba­det und schier un­ver­wund­bar zu sein. Shit hap­pens.

  3. Aber gu­te Be­ob­ach­tung Fritz Iver­sens, dass das ei­gent­lich zu­erst mal ein li­te­ra­ri­scher Skan­dal ist: Aus­ge­rech­net der für ih­re ar­ti­fi­zi­el­le Kunst ge­lob­ten Sy­bil­le pas­siert ein der­art sprach­li­cher Murks (der sich dann prompt auch noch als den­ke­ri­scher ent­puppt). Mal vu – mal dit.

    An­son­sten tei­le ich die Ein­schät­zun­gen hier. Ich hat­te es auch spon­tan et­was nied­ri­ger zu hän­gen ver­sucht, à la, dass die Ge­fei­er­te sich wohl durch ih­re zahl­rei­chen Prei­se zu ei­ner ver­irr­ten Ge­ne­ral-Kom­pen­tenz ver­führt sah. Sa­scha Lo­bo hat­te das we­gen S. L.s (sic) Wort­wahl und An­klang an »Le­bens­born« – al­lein das ei­ne wirk­li­che Kom­plett­ver­ir­rung – aber gleich für »fa­schi­stisch« ge­hal­ten, und sol­che Tot­schla­ge­wör­ter hal­te ich dann ih­rer­seits lie­ber für eher ar­gu­men­ta­ti­ve »End­lö­sun­gen« denn als hilf­rei­che Qua­li­fi­zie­run­gen.

    Ich fra­ge mich, ob sol­che Dis­kur­se auch an­ders­wo – und nach ähn­li­chen Me­cha­ni­ken – im­mer in den glei­chen Fuß­an­geln und Un­tie­fen hän­gen blei­ben? (Al­so in Frank­reich et­wa an Drey­fus, Kol­la­bo­ra­ti­on und Al­ge­ri­en.)

    An­son­sten mei­ne ich aber auch ein Un­be­ha­gen mitt­ler­wei­le in der hier agie­ren­den »Öf­fent­lich­keit« selbst zu se­hen: Zu vie­le schril­le, aber die Auf­merk­sam­keit nicht wer­te Stim­men. Ei­ne Art ge­sell­schaft­li­cher ADHS wirkt da. Und die Ah­nung, wie es – ein Neid auf die Ukrai­ner, die um un­gleich We­sent­li­che­res zu kämp­fen ha­ben? – ei­gent­lich um ei­nen nie so ge­nau fest­zu­ma­chen Er­satz von De­bat­te geht. Je­den­falls weiß man selbst, wie all­zu bald ent­glei­send sol­che Dis­pu­te sind. Und dann sind auch im­mer die fal­schen in der Po­si­ti­on – aber die ja wohl auch eben des­we­gen: Diez et. al. – al­les ent­spre­chend zu­zu­spit­zen. Es muss das auch ein Dienst am Le­ser sein.

  4. In­ter­es­sant fin­de ich: Sie spre­chen den Schrift­stel­lern das Recht zu, sich frei zu äu­ßern, den Feuil­le­tons spre­chen Sie die­ses Recht aber ab bzw. kri­ti­sie­ren es als »Müt­chen küh­len«. Feuil­le­tons ha­ben »oh­ne Kon­se­quenz« Schrift­stel­ler in den Schmutz ge­zo­gen. Was ist denn Mar­tin Wal­ser oder Gün­ter Grass schlim­mes pas­siert? Wer­den sie nicht auch in Zu­kunft gut vom Bü­cher­schrei­ben le­ben kön­nen? Mir scheint, sie mes­sen mit zwei­er­lei Maß.

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  6. @tbl Der Un­ter­schied zwi­schen der frei­en Re­de von wem auch im­mer zu ei­nem The­ma und dem Be­richt dar­über in der Pres­se ist meist der, dass die Pres­se die Auf­merk­sam­keit er­ben will und des­halb die da­für be­ste Grund­ton­art nutzt, die Per­so­na­li­sie­rung und Mo­ra­li­sie­rung. Im »Skan­dal« wird des­halb schnell nur noch über die Per­son de­bat­tiert, nicht das The­ma. (Pas­siert al­ler­dings be­son­ders schnell, wenn am The­ma nicht viel dran ist.) Und dann ha­ben wir die­ses fürch­ter­li­che Set­up, bei dem man, egal wie man zu der Per­son an­son­sten steht, ei­ne Wolfs­meu­te den Ein­zel­nen um­stellt. Die­se Ge­fahr geht üb­ri­gens in be­son­de­rem Maß von den Netz-Dis­ku­tan­ten aus – da bel­len dann auf ei­nemal Leu­te da­zwi­schen, die we­der Per­son noch Text ken­nen.
    Üb­ri­gens scheint sich die Pres­se auch um Fair­ness be­müht zu ha­ben: Die FAZ hat kri­ti­sert, aber auch Raum zur Ge­gen­wehr ein­ge­räumt. Auch das Fern­se­hen hat die An­ge­grif­fe­ne zu Wort kom­men las­sen. Um so er­staun­li­cher: Der Ver­lag hat sich di­stan­ziert ge­äu­ßert im Ton ei­nes Mi­ni­ste­ri­ums (»wie sich un­se­re Be­am­ten in ih­rer Frei­zeit zu all­ge­mei­nen The­men des Le­bens äu­ßern tun ... ma­chen wir uns icht zu ei­gen«). Ging na­tür­lich nicht an­ders, es dürf­ten sich et­li­che Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen »an­ge­pisst« ge­fühlt ha­ben.
    Was ei­ni­ge »An­ti­gut­men­schen«, al­so rech­te Krei­se, die von gar nichts mehr ei­ne Ah­nung ha­ben, au­ßer dass da ge­ra­de ei­ne öf­fent­li­che Mo­ral­de­bat­te läuft, dann auch vor­laut wer­den lässt, ist der Um­stand, der auch mir un­an­ge­nehm auf­stößt: näm­lich ei­ne De­bat­te, de­ren Ziel Sprach­ver­bo­te zu sein scheint. Ich bin ab­so­lut da­für, dass Le­witschar­off von »Halb­we­sen« und ih­rem Ab­scheu da­vor spre­chen darf und so­gar soll, wenn sie das so meint und so sa­gen möch­te. Und mei­net­we­gen ih­re kru­den As­so­zia­tio­nen zur in vi­tro Fort­pflan­zung und prä­na­ta­len Me­di­zin auch noch aus­spricht. Ich hal­te das nicht für ei­ne Ge­fahr für ir­gend­et­was. Das ist al­les von ei­ner so länd­li­chen Schlicht­heit und Un­ter­in­for­miert­heit, dass man da nur den Kopf schüt­telt und dann sinkt der Un­sinn in den Bo­den und wird ver­ges­sen. Was man von ihr als Büchner-&etc.-Preisträgerin ver­lan­gen muss: dass sie mit ih­rer Spra­che sorg­fäl­tig um­geht. Das ist ihr Job. Und das tut sie nicht. Der Text ih­rer Re­de ist ein ein­zi­ges li­te­ra­ri­sches Un­glück. Selbst die per­sön­li­chen Ge­schich­ten, die eben des­we­gen ja noch be­rüh­ren kön­nen, lie­gen sprach­lich auf Ama­teur-Ni­veau: »Mein Va­ter er­häng­te sich in sei­ner Pra­xis und ließ bei die­ser ent­setz­li­chen Art des To­des auch noch zu, dass mei­ne Mut­ter ihn so fin­den muss­te. Er war ein an­ge­se­he­ner Arzt, be­saß ei­nen gro­ßen Freun­des­kreis und ver­dien­te in den sech­zi­ger Jah­ren sehr gut. Wahr­lich, kein Mau­er­blüm­chen.« Da müss­ten gut und ger­ne 14, 15 Wor­te weg, da­mit man den Text je­man­dem von der schrei­ben­den Zunft zu­rech­nen wür­de. Mit die­ser ent­setz­li­chen Art des Schrei­bens vors Pu­bli­kum zu tre­ten, das er­for­dert al­ler­dings Mut. Aber wahr­schein­lich sind die Zu­hö­rer, wie Gre­gor Keu­sch­nig ganz ein­leuch­tend ver­mu­tet, ein­fach schnell ein­ge­schla­fen.

  7. @Herr Je­der­mann
    Ich ha­be nur ru­di­men­tä­re Kennt­nis­se von sol­chen Dis­kur­sen in Frank­reich und be­kom­me im­mer nur das mit, was BHL und Glucks­mann so sa­gen. Ge­nau­er ken­ne ich es nur, was Handke/Jugoslawien an­geht, und das war ja ziem­lich er­schreckend. Nicht, dass man Hand­ke kri­ti­siert hat, son­dern wie man bspw. sein Stück vom Spiel­plan der Co­mé­die Fran­çai­se ab­setz­te – ein Stück, dass mit der Ju­go­sla­wi­en-Pro­ble­ma­tik rein gar nichts zu tun hat, Jah­re vor­her ent­stan­den war, usw. Die Cé­li­ne-Dis­kus­si­on 2011 muss hef­tig ge­we­sen sein – Er­geb­nis: er wird ins Be­schwei­gen ver­dammt. Und BHL mel­det sich zu al­len The­men zu Wort, so et­wa neu­lich, als er den Sport­lern der Olym­pi­schen Spie­le zu­rief, dass an ih­ren Me­dail­len Blut kle­be – we­gen des Ukrai­ne-Kon­flikts. Ei­ni­ge Ta­ge spä­ter ge­wann die ukai­ni­sche Bi­ath­lon-Staf­fel der Frau­en die Gold­me­dail­le. Die sa­hen das an­ders.

    Die­ses jour­na­li­sti­sche bzw. ge­sell­schaft­li­che ADHS (sehr schö­ne For­mu­lie­rung) ist na­tür­lich sy­stem­im­ma­nent: Die Sei­ten der Zei­tung und, noch schlim­mer, die Ko­lum­nen, müs­sen ge­füllt wer­den. Ein Herr Lo­bo mag über sei­ne The­men über Kom­pe­tenz ver­fü­gen, aber ewig die glei­che Ko­lum­ne – das mag er nicht. Hier las­sen sich – um noch ein­mal ei­ne Sport­for­mu­lie­rung zu ge­brau­chen – wich­ti­ge Aus­wärts­punk­te sam­meln.

    Das Un­be­ha­gen in der Pu­bli­zi­stik ist al­ler­dings da, sie­he Po­s­ch­ardt. Da­zu muss man aber sa­gen, das vor­her Käm­mer­lings in der Welt drauf­ge­hau­en hat­te.

    @Fritz Iver­sen
    Le­witschar­off hat­te den Frei­tod ih­res Va­ters ja schon in Apo­stol­off ge­schil­dert – üb­ri­gens sehr zu­rück­hal­tend und über ih­ren Va­ter sehr warm spre­chend. Viel­leicht ist es wirk­lich so, dass sie Zaum braucht, sprich: ei­nen Lek­tor, ei­ne Lek­to­rin, die ih­re Wort­schaum­kro­nen glät­tet. Das ist bei der Re­de wohl un­ter­blie­ben.

    Das Ver­hal­ten des Ver­la­ges fin­de ich sehr schwach. Man hät­te auch schwei­gen kön­nen, was man aber aus Angst vor Über­iden­ti­fi­ka­ti­on nicht ge­macht hat.

  8. PS @Herr Je­der­mann: Es muss das auch ein Dienst am Le­ser sein.

    Das ist ein sehr in­ter­es­san­ter Aspekt. Das mei­ne ich im wei­te­sten Sinn mit »ka­thar­ti­scher Wir­kung«. Die­se gilt nicht nur für den Journalisten/Feuilletonisten, son­dern auch für den Le­ser. In Blogs, so­zia­len Netz­wer­ke und On­line­fo­ren wird dies nun so­zu­sa­gen po­ten­ziert: Die Em­pö­rung wird nicht nur aus­ge­drückt, son­dern auch wei­ter for­mu­liert. Hier­bei ent­steht die­ses von Fritz Iver­sen be­schrie­be­ne »fürch­ter­li­che Set­up« erst. Der Dienst am Le­ser be­steht dar­in, dass man die Rich­tung vor­ge­ge­ben hat, in der nun die Meu­te den Fuchs jagt. Das er­in­nert ge­le­gent­lich an We­stern­fil­me, in de­nen ei­ner auf ei­nen ver­meint­li­chen Pfer­de­dieb zeigt. Erst in die­sem Zei­gen wird die Men­ge auf­ge­sta­chelt.

    Die­ses Spiel ist alt­be­kannt und wird seit Jahr­zehn­ten prak­ti­ziert. Durch die On­line­me­di­en ent­steht al­ler­dings ei­ne neue Dy­na­mik. Ich glau­be wirk­lich, dass es ein »Markt« ist, sich über al­les mög­li­che zu em­pö­ren. Es schafft neue Zu­ge­hö­rig­kei­ten, stif­tet Ge­mein­schaf­ten. Die­je­ni­gen, die sich da­bei um Kopf und Kra­gen schrei­ben (Ma­tus­sek war kürz­lich so ein Fall) sind nichts wei­ter als Kol­la­te­ral­schä­den.

  9. @ Iver­sen @ Je­der­mann @ Keu­sch­nig

    Das se­he ich ganz an­ders. Ihr habt al­le die un­ziem­li­che Per­so­na­li­sie­rung ver­ur­teilt, be­eilt euch aber im sel­ben Atem­zug, Le­witschar­off als mit­tel­mä­ßi­ge Schrift­stel­le­rin ein­zu­ord­nen. Geht’s noch ar­ro­gan­ter?!
    Ih­re »Lei­stun­gen« und der da­mit ver­bun­de­ne Büch­nerpreis sind Schnee von ge­stern. Der Skan­dal be­rührt nicht die Qua­li­tät ih­rer Li­te­ra­tur. Ja, ich muss an­neh­men, dass ihr doch ein biss­chen mit der Run­ter-Ma­che ein­ver­stan­den seid, weil es die »Rich­ti­ge« ge­trof­fen hat. So was von hy­per­kri­ti­zi­stisch: »Von ei­nem Li­te­ra­tur­preis­trä­ger er­war­tet man bei ei­ner Re­de...«.
    Ich kann dar­aus nur fol­gern: ihr seid al­le der Mei­nung, es gab kei­nen Skan­dal. –Ich sa­ge ich: Doch!, es gab ihn. Er wur­de ein wei­te­res Mal in den be­kann­ten Re­dak­tio­nen an­ge­zet­telt, weil der Skan­dal an sich (He­gel) mitt­ler­wei­le völ­lig de­ren Ver­fü­gungs­ge­walt un­ter­liegt. Er ver­tieft ein wei­te­res Mal bis zur end­gül­ti­gen Feind­schaft den Ab­stand zwi­schen jour­na­li­sti­scher und li­te­ra­ri­scher Öf­fent­lich­keit.
    Kaum der Re­de wert?!

  10. @die_kalte_Sophie Mo­ment, Gre­gor K. fin­det die Bü­cher von S. Le­witschar­off ei­gent­lich ganz gut. Ich hal­te sie für et­was an­de­res. Und der Skan­dal wur­de dies­mal nicht von den Re­dak­tio­nen an­ge­zet­telt, son­dern le­dig­lich ver­stärkt, teils re­flek­tiert und nüch­ter­ner be­trach­tet als von der be­rühmt-be­rüch­tig­ten »Netz-Öf­fent­lich­keit«. Die Re­dak­tio­nen sind da nur Nach­läu­fer der öf­fent­li­chen Mei­nung.
    »Er ver­tieft ein wei­te­res Mal bis zur end­gül­ti­gen Feind­schaft den Ab­stand zwi­schen jour­na­li­sti­scher und li­te­ra­ri­scher Öf­fent­lich­keit.« Das ist ein in­ter­es­san­ter Ge­dan­ke. Wo­bei ich den Ab­stand gar nicht so sehr zwi­schen jour­na­li­sti­scher und li­te­ra­ri­scher Öf­fent­lich­keit se­he, son­dern zwi­schen ... Li­te­ra­tur und Me­di­en­kon­su­men­ten. »»They live on an­o­ther si­de whe­re be­au­ty goes un­re­co­gnized ...«
    Da wür­den wir jetzt aber wie­der tief in ei­ne Feuil­le­ton-Dis­kus­si­on ge­ra­ten. Die Zei­tun­gen sind doch mei­sten­teils ganz zahm und nett. Das Ur­teils­ver­mö­gen ist bei vie­len ge­ring. Wer bei Le­witschar­off im­mer wie­der den ab­ge­latsch­ten To­pos von der »Sprach­macht« kol­por­tiert, hat sich in mei­nen Au­gen gleich dop­pelt dis­qua­li­fi­ziert. Re­gel­recht il­li­te­ra­te Schrei­ber fin­den sich manch­mal bei TAZ und Spie­gel (aber auch so et­was ge­hört da­zu, das gab es im­mer). Die Span­nung zwi­schen den Au­toren und wo sie ge­dank­lich ste­hen auf der ei­nen Sei­te, den Zei­tungs­schrei­bern und der Ge­sell­schaft auf der an­de­ren Sei­te gab es ja im­mer. Hol­thusen und Com­pa­ny in den 50er und im­mer so wei­ter.
    Mir reicht es, mir vor­zu­stel­len, was an­de­re aus dem The­ma ge­macht hät­ten. Wie hät­ten z.B. Jeli­nik dar­über ge­schrie­ben? Oder Mo­ni­ka Ma­ron? Das reicht mir, um den Text zum Wei­nen zu fin­den.

  11. Ein Ne­ben­aspekt des »Skan­dals« ist, wie schnell Le­witschar­off zu ei­ner Ent­schul­di­gung ge­drängt wur­de, nach­dem Re­de und Re­plik von den so­ge­nann­ten Qua­li­täts­me­di­en auf­ge­grif­fen wur­de. Man schaue sich den Aus­schnitt aus dem Mor­gen­ma­ga­zin an (läßt sich lei­der nicht di­rekt ver­lin­ken, es ist aber pro­blem­los in der ZDF Me­dia­thek auf­zu­fin­den), in dem Le­wit­scha­riff förm­lich von dem In­ter­view­er zu ei­ner Ent­schul­di­gung ge­drängt wur­de, und der sich sich selbst da­nach noch nicht rich­tig zu­frie­den gab, so hat­te es den An­schein. Ein be­schä­men­des Spek­ta­kel.

  12. @ Iver­sen
    Hast Du denn ei­ne To­po­lo­gie des Skan­dals?! Schon, was der Dra­ma­turg ge­macht hat, er­in­nert doch an DUNKELSTE Zei­ten! Lies mal ein biss­chen bei Hei­ner Mül­ler nach, Skan­dal um »Die Um­sied­le­rin«.
    Die öf­fent­li­che Mei­nung der »Ar­beit« in den Re­dak­tio­nen vor­an­zu­stel­len, ‑das ist doch kon­stru­iert. Seit wann be­steht die öf­fent­li­che Mei­nung denn (kau­sal) un­ab­hän­gig von den Me­di­en?!
    An­son­sten: d’­ac­cord.

  13. Hier geht jetzt aber Et­li­ches durch­ein­an­der.

    Was der Spre­che­rin vor­zu­wer­fen ist, dass sie ih­re Rol­le sel­ber nicht be­grif­fen hat. Als Li­te­ra­tin se­he ich sie kaum an­ge­zwei­felt.
    Ich den­ke so­gar, dass die mei­sten Fo­ren-Hy­ste­ri­ker sie gar nicht le­sen – Bü­cher, Büch­nerpreis­trä­ge­rin – das ist wie ei­ne Me­dail­le in ei­ner ir­rele­van­ten Sport­art, al­so ei­ner, die kei­ne Spon­so­ren hat.)

    (Ich sel­ber fin­de man­che Bü­cher Le­witschar­offs eher le­sens­wert, auch wenn ich die Be­gei­ste­rung über „Blu­men­berg“ nicht tei­len konn­te, und die Zu­stim­mung da­für sie, S. L., viel­leicht so­gar ein biss­chen brav ge­macht hat, fin­de ich.)

    Dann: Die Öf­fent­lich­keit hat sel­ber erst mal gar kei­ne Mei­nung. Sie ist be­sten­falls ihr Er­re­gungs- und Re­so­nanz­raum und schaut der Mei­nungs­bil­dung mit­tels pro­non­cier­te­rer und da­für ab­ge­ord­ne­ter Stim­men zu. Die Re­dak­tio­nen be­die­nen hier Be­dürf­nis­se (In­for­ma­ti­on, Un­ter­hal­tung, Skan­da­le … und emo­tio­na­le Far­ben), aber nicht mal Mehr­hei­ten oder über­wie­gen­de Te­nö­re zei­gen die Hal­tung die­ser omi­nö­sen Öf­fent­lich­keit selbst auf. Die ist, wenn nicht in­dif­fe­rent, so­gar ohn­mäch­tig – ähn­lich wie ge­gen­über Po­li­ti­kern, die viel zu un­scharf als Re­prä­sen­tan­ten von ir­gend­was gel­ten.

    Die Ent­schul­di­gung aber ist tat­säch­lich per­fi­der Teil ei­nes öf­fent­li­chen Spiels, das mit Hy­gie­ne (oder Ka­thar­sis) und Ein­pe­gelung hin zu ei­nem dann wie­der be­ru­hi­gen­den Mit­tel­maß zu tun hat.

    Wenn man nach­liest, hat S. L. im Text be­reits sel­ber von „Über­trei­bun­gen“ ge­spro­chen, die ihr al­so be­wusst wa­ren, und die müss­ten ihr ei­gent­lich als ein­ge­la­de­ne Spre­che­rin für sich selbst auch zu­ge­stan­den wer­den. Und per se muss sie als Künst­le­rin auch Ab­wei­chen­des for­mu­lie­ren und ver­tre­ten dür­fen. Dass gleich ein Stand­ge­richt über sie ur­teilt, hät­te sie auch im Fal­le kom­plet­ten Ir­rens nicht ver­dient: Ih­re Ab­wei­chung müss­te so oder so bei ei­ner ge­nü­gend durch­läs­si­gen Öf­fent­lich­keit auch durch­ge­hen, und es dürf­te NICHT Rol­le der „Me­di­en“ sein hier krie­che­risch ab­zu­wie­geln oder gar zu ver­mit­teln. Die­se Am­bi­ti­on, ei­nes Ma­ga­zin­mo­de­ra­tors als min­dest eben­so Un­be­ru­fe­ner hier Ak­teur zu wer­den ist viel ver­werf­li­cher als ei­ne Ver­ir­rung ei­ner Künst­le­rin.

    Aber so ist es an­schei­nend nun mal or­ga­ni­siert. Ich hal­te das für falsch. (Und das The­ma selbst, die Aus­sa­gen da­zu, sind dann noch mal was ganz an­de­res.)

  14. @ Herr.Jedermann
    Ich wuss­te nicht, dass sie der Mo­de­ra­tor sind.
    Ver­zei­hung.
    Mit »durch­ein­an­der« mei­nen sie si­cher­lich: all die­se Aus­sa­gen kön­nen un­mög­lich von ein und dem­sel­ben Sub­jekt her­rüh­ren, es sei denn, es wä­re ein Idi­ot?!
    Da ha­ben sie völ­lig recht, so­gar zwei­mal, und das ist auch gut so.
    Dass sie für uns den Be­griff der Öf­fent­lich­keit noch ein­mal er­läu­tern (es wur­de schon häu­fig ge­tan), ist sehr freund­lich. Es führt ein ganz klein biss­chen von der Sa­che weg, kann aber be­stimmt nicht scha­den.
    Ich hät­te da üb­ri­gens ei­nen Ein­wand: die per­so­nen­ar­ti­gen At­tri­bu­te, mit de­nen sie Ord­nung in das »Durch­ein­an­der« brin­gen woll­ten,
    sind,
    die Öf­fent­lich­keit be­tref­fend,
    wie soll ich mich aus­drücken,
    völ­li­ger Quatsch...

  15. @die_kalte_Sophie
    Bit­te um et­was Ab­küh­lung. Pri­mär ging es um Ih­ren Vor­wurf, hier wür­de ei­ne »un­ziem­li­che Per­so­na­li­sie­rung« be­trie­ben und Sie un­ter­stell­ten den Kom­men­ta­to­ren Ar­ro­ganz. Das ist – mit Ver­laub – Un­sinn. Ge­ra­de ich plä­die­re für ei­ne größt­mög­li­che Tren­nung von per­sön­li­chen Schrift­stel­ler­al­lü­ren und dem ei­gent­li­chen Werk. Da­bei gibt es Gren­zen, und zwar dort, wo Werk und Aus­sa­ge nicht mehr zu tren­nen sind, weil sie in­ein­an­der über­ge­hen bzw. auf­ein­an­der Be­zug neh­men. Das ist bei je­man­dem wie Cé­li­ne zum Bei­spiel der Fall; in Gren­zen auch bei Pound. Da­bei braucht man nicht die Gold­waa­ge her­aus­zu­ho­len um ein­deu­ti­ge Stel­len zu fin­den. Bei Le­witschar­off er­ken­ne ich da noch rein gar nichts, was das Werk in­kri­mi­nie­ren könn­te. Das hat aber auch nie­mand ge­sagt, denn Fritz Iver­sen moch­te das Werl schon vor­her nicht (wenn ich ihn rich­tig ver­ste­he), was selbst­ver­ständ­lich ge­stat­tet ist.

    In der Cau­sa Le­witschar­off war es ja der In­ten­dant, der mit sei­nem Of­fe­nen Brief die Sa­che ins Rol­len ge­bracht ge­bracht hat. Er hat aber weit mehr ge­tan, als sich nur »di­stan­ziert«. Er hat so­fort den Dschi­had aus­ge­ru­fen und Le­witschar­off in ei­ne Rei­he mit Sar­ra­zin und Ma­tus­sek ge­stellt. So we­sens­fremd ei­nem dies er­schei­nen mag: Auch DAS »darf« er. Hier­für braucht er kei­nen Re­dak­teur zu fra­gen.

    Das Per­fi­de war, dass da­mit Le­witschar­off zum Ab­schuss frei­ge­ge­ben wur­de. Ich glau­be man nennt so et­was »Brie­fing«. Jetzt darf man auch DAS: Ei­ni­ge Stel­len her­aus­bre­chen und ih­ren In­halt be­wer­ten. Die­se Stel­len waren/sind mei­nes Er­ach­tens dümm­lich. Nicht mehr und nicht we­ni­ger. Hät­te sie die Schil­de­run­gen in ei­ne Er­zäh­lung ge­packt oder wä­re dar­über ein Film ge­dreht wor­den – nie­mand hät­te dar­an An­stoss ge­nom­men. Aber sie hat die Vor­gän­ge auch noch mo­ra­lisch be­wer­tet. Und die­se Be­wer­tun­gen sind der Grund für die Em­pö­rung.

    Die­se frei­lich geht weit über den ei­gent­li­chen Fall hin­aus. Und wenn man nun in so­zia­len Netz­wer­ken die üb­li­che Stamm­tisch­fra­ge hört und liest »Wie konn­te so je­mand den Büch­nerpreis be­kom­men?« dann ist es ex­akt das, was ich den Feuil­le­tons dann vor­wer­fe: Sie er­zeu­gen mit ih­rer Drauf­schlag­lust ex­akt die­sen Ge­stus. Da­bei konn­ten die Preis­ver­ge­ber vor an­dert­halb Jah­ren ja gar nicht wis­sen, wel­che Re­de von Le­witschar­off im März 2014 hal­ten wür­de.

    So, jetzt möch­te mal in gan­zen Sät­zen und oh­ne De­kla­ma­ti­on wis­sen, was mit »Öf­fent­lich­keit« denn nun so ge­meint sein soll? Ist das ein Ver­schwö­rungs­den­ken? Ich fra­ge aus In­ter­es­se.

  16. @ Gre­gor et alt.
    Ja, ich ha­be über­trie­ben, aber nur um der Sa­che wil­len.
    Ich se­he die me­dia­le Öf­fent­lich­keit als aus­rei­chend le­gi­ti­miert, aber sy­ste­misch und mo­ra­lisch als be­schä­digt an. Ich weiß, da­mit set­ze ich mich in die Nes­seln, aber ich soll­te ja un­ver­stellt ant­wor­ten.
    In Deutsch­land ist es un­üb­lich ei­ne wer­ten­den Un­ter­schied zwi­schen »mo­ra­lisch« und »le­gi­ti­miert« zu ma­chen, auch das weiß ich. Lie­ber re­det man schlecht von der Mo­ral.
    Ich se­he es aber ge­nau so: wir le­ben in ver­rück­ten Zei­ten, und da ist, »was o.k.« ist, nicht un­be­dingt er­laubt. Ich fin­de: die Mo­ral muss hö­her ste­hen als das Recht. Ich den­ke nicht dar­an, den In­ten­dan­ten zu be­lan­gen, aber für mich hat er sich »als Per­söhn­lich­keit«, d.h. als mo­ra­li­sches Sub­jekt ei­ner ge­wis­sen Ka­te­go­rie zu er­ken­nen ge­ge­ben.
    Ha­be ich über­trie­be­ne Maß­stä­be?!
    Oder sind nun doch al­le Men­schen »vor dem Ge­setz« gleich, d.h ver­gleich­bar mo­ra­lisch kom­pe­tent?!
    Ich kann’s nicht mehr hö­ren, Nietz­sche steh’ mir bei!
    Da­mit wird viel­leicht mei­ne ge­reiz­te In­do­lenz den »be­rüch­tig­ten Re­dak­tio­nen« ge­gen­über klar. Ich ha­be da kein Theo­rie-Pro­blem, die Na­men ste­hen auch hier für das Er­wart­ba­re. Der Be­griff »Öf­fent­lich­keit« in­des ist und bleibt ab­strakt, es ist ein kul­tur-im­ma­nen­ter All­ge­mein­be­griff wie »Volk«, »Recht«, »Land«, etc. Die­se be­dür­fen kei­ner Er­klä­rung, sie sind durch den Ge­brauch »nä­her zu be­stim­men«, bzw. dis­kur­siv zu er­ör­tern. Das geht, wie Herr.Jedermann rich­tig sagt, bis zum »Durch­ein­an­der«, wenn mehr als ei­ner da­mit han­tiert.
    [Wer All­ge­mein­be­grif­fe fälscht, oder ge­brauch­te bzw. nach­ge­mach­te All­ge­mein­be­grif­fe in Um­lauf bringt, wird mit uti­li­ta­ri­sti­scher Lin­gu­istik nicht un­ter 2 Se­me­stern be­straft!]

  17. @ kalte_Sophie

    Mo­ral hö­her als das Recht? Da fra­ge ich so­fort: Wes­sen Mo­ral denn, von wem wie be­stimmt oder auch nur mo­de­riert? Mo­ral ist oft ge­nug un­ver­nünf­tig, da braucht es eher Ver­bind­li­che­res. Men­schen sol­len ja eben des­we­gen vor ei­ner ver­läss­li­che­ren In­stanz – dem Recht – gleich sein, weil sie es in ih­ren mo­ra­li­schen Be­lan­gen oft eher nicht sind. Sonst wür­den wir ja wirk­lich al­le noch zu Nietz­schel­in­ge, die die Fal­len­den gern auch noch sto­ßen.

    (Nach DER Lo­gik for­de­re ich – zum Bei­spiel – als ge­bür­ti­ger Rus­se den so­for­ti­gen An­schluss der Krim an Russ­land, egal nach wel­chem Recht. Ich bin ECHT ge­spannt auf den Hoe­neß-Pro­zess!)

    Aber hier geht es ja doch um ein Pro­blem der Me­di­en, näm­lich das han­deln­der Per­so­nen un­ter der re­al exi­stie­ren­den Pra­xis von „Öf­fent­lich­keit“ und der In­gang­set­zung ih­rer Dy­na­mi­ken.
    (Öf­fent­lich­keit, die als Se­lek­ti­on und Zu­schrei­bung, so oder so, ei­ne ab­strak­te In­stanz mit kon­kre­ten Aus­wir­kun­gen auf die dar­in Han­deln­den ist und je und je ent­spre­chend er­lebt wird. Ein shits­torm , der von BILD aus­geht ist ein an­de­rer als der auf ei­ner Face­book-Sei­te: Der er­ste­re er­legt so­gar Bun­des­prä­si­den­ten! Wenn Me­di­en aber zu „Agen­ten“ von In­ter­es­sen wer­den bzw. wir ge­ra­de er­le­ben, wie sich das mit der Teil­nah­me von im­mer mehr Spre­chern ver­mischt, wird auch die Öf­fent­lich­keit zu ei­ner an­de­ren. Über­haupt ist ein Ab­gleich von De­fi­ni­tio­nen oft hilf­reich.)

    In die­sem Sin­ne ge­he ich wei­ter auf das „kul­tur-im­ma­nen­te All­ge­mei­ne“ erst mal nicht ein.

    Das All­ge­mei­ne müss­te nach mei­nem Ver­ständ­nis be­deu­ten, dass dar­in sämt­li­che ab­wei­chen­den Mei­nun­gen und Irr­tü­mer erst ein­mal auch vor­kom­men dür­fen und nicht, wie im­mer öf­ter, die ge­nug ge­ball­te Mit­leids­lo­sig­keit auf sich müs­sen. Und das be­deu­te­te, eher dar­über zu be­rich­ten sol­len­de Mitt­ler / Me­di­en müss­ten da auch duld­sa­mer sein.

  18. @ Herr.Jedermann
    Das ist sehr lu­stig, was Sie schrei­ben. Sie soll­ten stan­dup-Phi­lo­soph wer­den.
    Rich­tig: die Mo­ral ist oft un­ver­nünf­tig, weil... die Ver­nunft schon ein rechts­kon­for­mes Den­ken ist. Soll­ten Sie bis­lang ge­laubt ha­ben, die Ver­nunft erschaffe/formuliere erst das Recht, dann ha­ben Sie nicht be­son­ders auf­merk­sam »stu­diert«.
    Wes­sen Mo­ral?!
    Sie ha­ben mich ver­stan­den, die Rhe­to­rik ist ganz fehl am Platz.
    Ich sag­te das schon über den In­ten­dan­ten, nicht wahr?!
    Für die vie­len Rea­li­täts­par­ti­kel, die Sie mir au­ßer­dem zu­dach­ten (das @Sophie wird arg stra­pa­ziert), bin ich Ih­nen sehr ver­bun­den. Das wuss­te ich be­reits.
    Aber mir scheint, Sie dach­ten, ich wüss­te es nicht.
    Ein Pro­blem 3. Gra­des.
    Al­so, von vor­ne:
    Ich (ich!) bin der Mei­nung, dass die jour­na­li­sti­sche Öf­fent­lich­keit die Li­te­ra­tur nur noch be­schä­di­gen kann, weil sie selbst de­fi­zi­tär ist. Ret­ten wir nun die Schön­heit, oder sind Sie nur zum Dis­ku­tie­ren hier?!

  19. »... dass die jour­na­li­sti­sche Öf­fent­lich­keit die Li­te­ra­tur nur noch be­schä­di­gen kann, weil sie selbst de­fi­zi­tär ist« scheint mir den Punkt ganz gut zu tref­fen. Viel­leicht zu pau­schal, aber der Trend scheint mir plau­si­bel. Wenn sich Zei­tun­gen oder TV mit Li­te­ra­tur be­fas­sen, dann ha­ben sie oft da­bei an­de­re In­ter­es­sen als li­te­ra­ri­sche – das gilt für Kunst ver­mut­lich ge­nau­so.

    »Die Öf­fent­lich­keit hat sel­ber erst mal gar kei­ne Mei­nung« scheint mir auch plau­si­bel. Das muss man sich mal vor­stel­len, dass Le­witschar­off da auf ein­mal vom »Mor­gen­ma­ga­zin« an­ge­fragt wird, wo 2 Mil­lio­nen Werkä­ti­ge, Haus­frau­en, Rent­ner und ein paar Schul­kin­der gucken, was es so wich­ti­ges gibt in der Welt, und ma­xi­mal 1 oder 2% von de­nen ken­nen die Au­torin über­haupt. Die Leu­te sind ja ganz ir­ri­tiert, weil sie Au­toren sonst nur als Buch­co­ver-Hoch­al­ter in Talk­shows ken­nen. Der Mo­de­ra­tor hat auch nur kurz ei­nen Ze­tel hin­ge­legt ge­kriegt.

    Das ist ja wirk­lich ein be­äng­sti­gen­des Spek­ta­kel.

  20. @die_kalte_Sophie
    Noch ein­mal bit­te ich um Mä­ssi­gung, was Zu­ord­nun­gen wie »stan­dup-Phi­lo­soph« an­geht. Ich hat­te Ih­ren Kom­men­tar nicht ver­stan­den. Erst den Satz »Ich (ich!) bin der Mei­nung, dass die jour­na­li­sti­sche Öf­fent­lich­keit die Li­te­ra­tur nur noch be­schä­di­gen kann, weil sie selbst de­fi­zi­tär ist« be­grei­fe ich. Den Nach­satz hät­ten Sie sich dann wie­der spa­ren kön­nen; Ele­fant-im-Por­zel­lan­la­den-Ef­fekt.

    »Jour­na­li­sti­sche Öf­fent­lich­keit« ist ein in­ter­es­san­ter Be­griff. Auch für mich, der kein be­schis­se­nes Se­me­ster an ir­gend­ei­ner Uni­ver­si­tät stu­die­ren muss­te. Er ist in­ter­es­sant, weil er auch ei­ne Art »jour­na­li­sti­sche Nicht­öf­fent­lich­keit« sug­ge­riert. Das, was man im all­ge­mei­nen als »Un­ter uns« be­zeich­net. Ich glau­be näm­lich, dass ei­ne sol­che Un­ter­schei­dung wich­tig ist. Weil sie er­klä­ren könn­te, war­um sol­che me­dia­len Er­re­gun­gen sich der­art hoch­schau­keln. Es geht da­bei längst nicht mehr um die Sa­che sel­ber (hier: Re­pro­duk­ti­ons­me­di­zin), son­dern um ein Schau­spiel, wel­ches Gut­men­schen­punk­te ein­bringt. Da­hin­ge­hend ist auch zu in­ter­pre­tie­ren, war­um Frau Schal­an­sky jetzt noch nach­legt. Es ist wie bei U‑­Bahn-Schlä­gern: Wenn ihr Op­fer auf dem Bo­den liegt, tre­ten sie ein­fach wei­ter auf ihm ein.

    Den­noch kann ich die von Ih­nen zu­ge­dach­te Kau­sa­li­tät nicht er­ken­nen. Es ist mir ein­fach zu pau­schal. Wür­de es stim­men, dann wä­re je­de Äu­ße­rung des Feuil­le­tons über Li­te­ra­tur per se ei­ne Art Sa­kri­leg an der Li­te­ra­tur sel­ber; ei­ne Be­schmut­zung. Und was be­deu­tet »de­fi­zi­tär«? Der Sa­che nicht ge­wach­sen?

    Ich schla­ge in mei­nem Text ja ei­nen neu­en Ober­be­griff für das, was ge­mein­hin Feuil­le­ton heisst, vor: Bou­le­vard. Es ist Kul­tur-Bou­le­vard­jour­na­lis­mus. Es gibt nur fast ei­ne Aus­nah­me, das ist das Feuil­le­ton der NZZ. Al­les an­de­re ist Bou­le­vard. Und wie glatt die­ses Bou­le­vard-Par­kett ist, kann man in die­sen über­di­men­sio­na­len Po­panz-Auf­re­gun­gen ab­le­sen.

    @herr.jedermann
    Mo­ral hö­her als das Recht? Da fra­ge ich so­fort: Wes­sen Mo­ral denn, von wem wie be­stimmt oder auch nur mo­de­riert? Mo­ral ist oft ge­nug un­ver­nünf­tig, da braucht es eher Ver­bind­li­che­res.
    Wes­sen Mo­ral ist doch in all die­sen Skan­da­li­sie­run­gen ein­deu­tig: Die Mo­ral de­rer, die über sie schrei­ben. DAS ist das We­sen der so­ge­nann­ten 4. Ge­walt, der Nig­ge­mei­er neu­lich nicht nur die Mei­nung zu­ge­stand, son­dern auch – hübsch ver­brämt – den Kam­pa­gnen­jour­na­lis­mus hof­fä­hig mach­te. We­he, man stellt de­ren »Mo­ral« in­fra­ge – es droht so­fort die Ab­stra­fung.

    Viel­leicht grei­fe ich jetzt sehr weit aus, aber ich schreibs mal: Es er­in­nert mich zu­wei­len an die Auf­for­de­rung in der chi­ne­si­schen Kul­tur­re­vo­lu­ti­on, Kri­tik zu üben – am Sy­stem, an den Funk­tio­nä­ren, usw. Wur­de die Kri­tik dann ge­übt und pass­te nicht in die ak­tu­el­le Ideo­lo­gie hin­ein, fand man sich flugs sel­ber auf der An­kla­ge­bank wie­der.

  21. @ Gre­gor
    Dan­ke, all­mäh­lich wird ei­ne run­de Sa­che draus, trotz Ele­phan­ti­a­sis und wei­te­rer schlech­ter An­ge­wohn­hei­ten.
    Der Bou­le­vard-Jour­na­lis­mus ist sei­nem Ge­gen­stand nicht ge­wach­sen. Ich se­he gleich meh­re­re Ge­bie­te, die Li­te­ra­tur ist nicht die ein­zi­ge Leid­tra­gen­de. Wir konn­ten die »fröh­li­che Igno­ranz« schon ein paar Jah­re ver­fol­gen, jetzt ist auch die hy­per­kri­ti­zi­sti­sche Kam­pa­gne als Wie­der­ho­lungs­tat er­kenn­bar. Das läuft!
    Der Ver­gleich mit der Kul­tur­re­vo­lu­ti­on ist sehr tref­fend. Die po­lit-psy­cho­lo­gi­sche Si­tua­ti­on für den am­bi­tio­nier­ten Au­tor ist ex­akt die­sel­be. Sei­ne künst­le­ri­sche An­er­ken­nung hängt an sei­ner spät­bür­ger­li­chen Re­pu­ta­ti­on. Ge­nau des­halb ha­be ich Euch »ar­ro­gant« ge­nannt. Jetzt tut es mir leid. Die Ein­ord­nung von Le­witschar­off war schon rich­tig, schien mir aber das Pro­blem zu ver­dun­keln.
    Die Un­ab­hän­gig­keit des Le­sers, des Kunst-Teil­neh­mers in der Li­te­ra­tur, die Gre­gor so deut­lich her­aus­ge­ar­bei­tet hat, wird doch auf Stärk­ste kon­ter­ka­riert. ‑Al­les, bloß das nicht, »kom­mu­ni­ziert« das Feuil­le­ton, wäh­rend es noch das Ge­gen­teil be­haup­tet!
    Das ist das The­ma, das ich lei­der ver­fehlt ha­be. Aber ich mei­ne jetzt das Aus­gren­zungs-Axi­om da­hin­ter zu ent­decken Biss­chen Ver­schwö­rungs­theo­rie muss sein! Ist es nicht so, dass man in den me­dio­kren Krei­sen »sei­ne Au­toren gern als er­nied­rig­te Au­ßen­sei­ter« ge­nießt?! Ist die­se Ma­che nicht die Vor­be­rei­tung ei­nes Schäch­tel­chens, ei­ne Mei­nung über Li­te­ra­tur & Au­tor ins­ge­samt?! Ist die Spal­tung, die im­mer öf­ter her­bei­ge­führt wird (ich z.Bsp. ha­be dar­an nicht das ge­ring­ste In­ter­es­se!), nicht ein »schi­zo­phre­ner Wunsch«?!
    Al­les Rhe­to­rik, ich mei­ne: so ist es doch, oder?!

  22. Die „Mo­ral“ war von mir nicht ein­ge­bracht und mei­ne Be­mer­kung nur ein Re­kurs auf (die of­fen­bar statt kalt lie­ber et­was über­hitzt lau­fen­de) So­phie. Ich ge­he dar­auf nicht wei­ter ein.

    Aber „Bou­le­vard“ (und die ent­spre­chen­de Un­mo­ral der weil ver­stärkt nach ei­ner an­de­ren Lo­gik denn In­for­ma­ti­ons­be­dürf­nis­sen ope­rie­ren­den Me­di­en) als der all die be­spro­che­nen Ef­fek­te sam­meln­de Ge­ne­ral­be­griff trifft es viel­leicht ganz gut. Die Öf­fent­lich­keit sel­ber ist in dem Sin­ne Bou­le­vard. So wie Ein­kau­fen in ei­ner Über­fluss­si­tua­ti­on statt auf Be­darfs­deckung auf die Er­weckung von Ge­füh­len und „Er­leb­nis­sen“ zie­len muss, und das Fern­se­hen sei­ne di­ver­sen emo­tio­na­len Far­ben im „au­di­ence flow“ or­ga­ni­siert, sieht sich auch die Kul­tur im Wett­be­werb und schaut aus nach hu­man touch. Und Em­pö­rung ist ein viel stär­ke­rer Thrill als In­for­ma­ti­on oder Kunst-Di­stink­ti­on.

    Der Un­ter­scheid ist dann für den nach an­de­rem Aus­schau­en­den viel­leicht nur noch der Grad an Ernst­haf­tig­keit (et­wa: Mee­se, der er­wart­ba­re Clown, und Le­witschar­off, die sich in ih­rem „schwä­bi­schen Pie­tis­mus“ über Me­di­zin­tech­nik em­pört.)

    Ich fürch­te das mit den Skan­da­li­sie­run­gen wird auch noch zu­neh­men. Man sieht ja, wie so ei­ne Ty­pe wie Bil­ler da­mit re­üs­siert. (Im Herbst kommt sein Buch, sag­te Den­nis Scheck. Klap­pern ge­hört auch zum un­se­lig­sten Hand­werk.)

    Im Üb­ri­gen wird die „jour­na­li­sti­sche Öf­fent­lich­keit“ auch für die Li­te­ra­tur ge­braucht, sonst wür­de man vie­le Din­ge eben über­haupt nicht er­fah­ren und könn­te sie noch we­ni­ger dis­ku­tie­ren. Es ge­hö­ren die­se Din­ge zum Ge­samt­bild, auch wenn sie nicht die ent­schei­den­den sind. (Und ent­schei­den, was re­le­vant ist, will ich im­mer noch selbst.)

  23. Feuil­le­ton ist doch qua­si von Ge­burt an Bou­le­vard. Man könn­te so­gar sa­gen, von hier aus hat sich das, was Bou­le­vard-Jour­na­lis­mus ge­nannt wird, ent­wickelt. Des­we­gen scheint es mir un­an­ge­mes­sen, dem heu­ti­gen Feuil­le­ton sei­nen Bou­le­vard-Cha­rak­ter vor­zu­wer­fen. Es kann doch nur dar­um ge­hen, zu be­ur­tei­len, ob es sich um gu­ten oder schlech­ten Bou­le­vard han­delt.

    Was ich auch nicht so recht ver­ste­he, ist die Auf­re­gung, die hier über den Um­gang mit Frau Le­witschar­off herrscht: Was wä­re denn die »rich­ti­ge« Re­ak­ti­on dar­auf ge­we­sen? War­um soll­te je­mand, der selbst ein nicht ganz un­wich­ti­ges Mit­glied des Li­te­ra­tur-Bou­le­vards ist (sonst wä­re sie nicht zur Re­de ein­ge­la­den wor­den) und sich im in­kri­mi­nier­tem Teil ih­rer Re­de auch noch klas­si­scher Troll-Rhe­to­rik be­dient (Na­zi-Hin­weis, Schmäh­wör­ter ge­gen­über Ver­tre­tern ei­nes an­de­ren Le­bens­stils oder an­de­rer Mo­ral, Ko­ket­tie­ren mit der ei­ge­nen Nicht-Kon­for­mi­tät und Ab­so­lut­set­zung des ei­ge­nen »Ge­fühls« – als hät­te so­was für ethi­sche Dis­kus­sio­nen Re­le­vanz), nicht im sel­ben Stil beim Wort ge­nom­men wer­den? So von Kra­wall­schach­tel zu Kra­wall­schach­tel?

    Es hat ihr auch nie­mand das Wort ver­bo­ten oder sie gar in­com­mu­ni­ca­do ge­nom­men: In der FAZ und im Fern­se­hen – da wür­de mich mal das Zu­stan­de­kom­men des Auf­tritts in­ter­es­sie­ren – be­kam sie ei­ne Platt­form, von der die mei­sten an­de­ren Au­toren mit ab­stru­sen Mei­nun­gen nur träu­men kön­nen. Und dass die Ab­leh­nung ih­rer Äu­ße­run­gen recht all­ge­mein war, könn­te vlt. auch dar­an lie­gen, dass es auf dem sti­li­sti­schen und ar­gu­men­ta­ti­ven Ni­veau, auf dem sich Le­witschar­off be­wegt, kei­ne sinn­vol­le in­halt­li­che Ver­tei­di­gung mög­lich ist. Man kann nur ihr prin­zi­pi­el­les Recht auf das Re­den von Stuss ver­tei­di­gen. Der Dis­kus­si­on um Re­pro­duk­ti­ons­me­di­zin und ih­re zwie­lich­ti­gen Sei­ten hat sie da­zu noch ei­nen Bä­ren­dienst er­wie­sen. Dan­ke schön! Ich fan­ge mich lang­sam an zu fra­gen, war­um Kri­tik am Com­me – il-faut li­be­ra­ler Eli­ten sich im Mo­ment meist nur als re­ak­tio­nä­rer Dumm-Tüch mit zwang­haf­tem Na­zi-Be­zug zu ar­ti­ku­lie­ren kön­nen scheint. Da gibt man sich an Ver­blö­dung ja of­fen­sicht­lich nix.

  24. @Herr.Jedermann
    Jetzt glaubt ja Frau Pe­trows­ka­ja schon Bil­ler des Ras­sis­mus zei­hen zu müs­sen, weil die­ser sich für Mi­gran­ten in der Li­te­ra­tur aus­ge­spro­chen hat. Wir se­hen – die Dich­ter be­nut­zen schon sel­ber die Wort­hül­sen, de­nen sie ei­gent­lich ent­kom­men müss­ten. Sie hat na­tür­lich auch ihr Buch am Start – wo­von ein Aus­riss den Bach­mann­preis be­kam. Ich mag das schon nicht mehr le­sen. (Üb­ri­gens sehr schön, wie Rad­datz in den neu er­schie­ne­nen Ta­ge­bü­chern über Bil­ler schreibt.)

    @Doktor D
    Das das Feuil­le­ton dem Bou­le­vard ent­stammt, wuss­te ich nicht. Ich wer­fe das Bou­le­var­deske auch nicht vor, ich stel­le es nur (für mich) fest. Zu­mal mir da die Dis­kre­panz zwi­schen An­spruch (Wei­he­vol­les, dem Gu­ten und Schö­nen) und Wirk­lich­keit (Skan­da­li­sie­rung) doch ein we­nig zu gross er­scheint. Bis auf, wie ge­sagt, viel­leicht die NZZ.

    Ich kri­ti­sie­re auch nicht, dass man ihr ent­geg­net ist, son­dern al­len­falls wie und dach­te, das er­klärt zu ha­ben: Es muss gleich ei­ne Par­al­le­le zu Ma­tus­sek und Sar­ra­zin ge­zo­gen wer­den – das ist grund­schief au­ßer man sub­su­miert es pau­schal un­ter »ab­sei­ti­ge Mei­nun­gen«. In­zwi­schen wur­de so­gar ih­re Phy­sio­gno­mie Ge­gen­stand der Dis­kus­si­on; man darf das wohl, wenns der Ge­sin­nung schmei­chelt. Dass sie der Dis­kus­si­on um die Re­po­ruk­ti­ons­me­di­zin ei­nen Bä­ren­dienst er­wie­sen hat – d’­ac­cord. Das hat ja üb­ri­gens Sar­ra­zin mit sei­ner Je­re­mia­de auch ge­macht.

    @An ALLE Le­ser und Kom­men­ta­to­ren
    Wä­re die­ser Ar­ti­kel bes­ser nicht er­schie­nen? Be­die­ne ich da­mit in­di­rekt, un­ge­wollt auch die­sen Me­cha­nis­mus?

    (Mich be­schäf­tigt der Irr­glau­ben, Schrift­stel­ler hät­ten Ah­nung von so­zia­len, ge­sell­schaft­li­chen und po­li­ti­schen Pro­ble­men, schon sehr lan­ge. Zwi­schen­zeit­lich woll­te ich da­zu so­gar ein Buch schrei­ben, um das Ge­gen­teil zu be­wei­sen und die Sehn­sucht nach die­sen Stim­men als halb­sei­den und lä­cher­lich dar­zu­stel­len.)

  25. »Die Öf­fent­lich­keit hat sel­ber erst mal gar kei­ne Mei­nung« (#17, #18)

    Die Öf­fent­lich­keit be­steht aus kon­kre­ten Per­so­nen, von de­nen ei­ne ein­zel­ne nie al­les über­blickt, son­dern auf Grund von Bil­dung, In­ter­es­sen und Be­ruf über Schwer­punk­te, Kennt­nis­se und Be­ur­tei­lun­gen ver­fügt. Die Auf­ga­be für den an öf­fent­li­chen Äu­ße­run­gen (al­so po­li­tisch) In­ter­es­sier­ten, be­steht dar­in, sich im Be­darfs­fall ein Bild zu ma­chen und Be­wer­tun­gen vor­zu­neh­men (Re­le­vanz). Da­zu braucht es Ver­mitt­lung, In­for­ma­tio­nen und Wis­sen, über die kei­ner von uns im aus­rei­chen­den Maß hin­sicht­lich der mei­sten Pro­ble­ma­ti­ken und Fra­gen im Vorn­her­ein ver­fügt. — Die Öf­fent­lich­keit ist, um wie­der zu ab­stra­hie­ren, durch die­sen Man­gel ge­ra­de­zu ge­kenn­zeich­net und vor die Auf­ga­be ge­stellt ihn stets aufs Neue zu be­he­ben, ei­ne Art Si­sy­phos Ar­beit. — Ei­ne Wirt­schafts­kri­se (und da­mit ver­bun­de­ne Ab­wick­lun­gen von Un­ter­neh­men) ver­langt Wis­sen aus an­de­ren Be­rei­chen, als ei­ne li­te­ra­ri­sche Dis­kus­si­on.

    @Doktor D
    Der Um­gang be­inhal­tet auch die Fra­gen, ob man den al­les zum Skan­dal ma­chen muss (und da­mit man­chen Tex­ten oder Äu­ße­run­gen über Ge­bühr Ach­tung ver­schafft, sie­he et­wa Grass’ Is­ra­el-Ge­dich­te) und was dar­aus wei­ter folgt: Oft bleibt es nicht bei der Kri­tik ei­ner Äu­ße­rung, ei­ne Per­son und ihr Werk wer­den – oh­ne Be­ach­tung ir­gend­wel­cher Ver­hält­nis­se – »zum Ab­schuss« frei ge­ge­ben. Es stellt sich die Fra­ge nach Ver­hält­nis­mä­ßig­keit, nach Me­cha­nis­men un­se­rer me­dia­len Welt, und da­nach wie mit z.B. Ent­glei­sun­gen um­zu­ge­hen ist: Sind sie als ei­ne Art Frei­brief an­zu­se­hen? Und falls ja, war­um?

  26. @Doktor D: Die­se an­geb­li­che kla­re Ver­bin­dung von Feuil­le­to­nis­mus und Bou­le­vard er­schließt sich mir (we­der hi­sto­risch noch in­halt­lich).
    Ihr Ar­gu­ment Frau Le­witschar­off ha­be es ge­wis­ser­ma­ßen als Mit­glied die­ses Li­te­ra­tur-Bou­le­vards (ger­ne auch: Be­trieb, Klün­gel, etc.) nicht an­ders ver­dient, hal­te ich für per­fi­de. Ge­nau­so könn­te man je­de noch so ab­stru­se Lü­gen- oder Drecks­ge­schich­te oder das öf­fent­li­ches Nie­der­ma­chen ei­nes Pro­mi­net­nen durch die Schmie­ren­pres­se ab­tun, weil er ja sein Stern­chen­da­sein ge­ra­de eben­je­nen bun­ten Blätt­chen ver­dan­ke. Die Art und Wei­se wie Frau Le­witschar­off da an­ge­gan­gen wird und in der sich Jour­na­li­sten im Mor­gen­ma­ga­zin oder bei der FAZ als Groß-In­qui­si­tor auf­füh­ren, stößt mir auf. Der Re­por­ter des Mor­gen­ma­ga­zins hat zum ei­nen die­se Plas­berg-Lanz »Ich-frage-jetzt-ganz-hart-nach-und-nagele-fest-und-bohre-bis-nicht-mehr-geht«-Art und zum an­de­ren ei­ne Hal­tung als spre­che er im Na­men der 5 Mil­lio­nen Be­lei­dig­ten, la­stet ihr noch den Me­di­en­hype an (‘ja­ja, pro­vo­kan­te Sät­ze vor­schicken und dann wie­der zu­ruck­neh­men’) und nimmt ihr dann live vor den »Mil­lio­nen Zu­schau­ern« die Beich­te ab.. und die FAZ knallt ihr dann Fra­gen an den Latz wie : »Ih­re Aus­sa­gen sind re­li­gi­ös mo­ti­viert. Wer will, kann sich ja an die Ge­bo­te des Al­ten Te­sta­ments hal­ten. War­um reicht Ih­nen das nicht?« – Ein Spaß ist das nicht in die­sem Me­di­en­zir­kus her­um­ge­tre­ten zu wer­den, glau­be ich. Fast könn­te man so­gar ei­nen Sar­ra­zin ver­ste­hen?

    Der Querschuss(#7) der kalten_sophie oben, ging viel­leicht et­was da­ne­ben, ist schon ver­raucht und auf­ge­klärt, aber ihr Kom­men­tar er­in­nert mich an den Dop­pel­gold­stan­dard des Blog­gens. Man nimmt gleich bei­des mit: die Ab­ge­ur­teil­te, watscht man eben­falls ab, und er­hebt sich aber gleich­zei­tig über die Jour­nail­le, (weil man ja selbst nun viel un­ab­hän­gi­ger den­ke und ge­nau­er ar­gu­men­tie­re als die ol­len Be­sitz­stand­wah­rer etc.pp.)

  27. @ Gre­gor und das Pro­blem der Teil­nah­me an De­bat­ten
    Ich mei­ne, die Ernst­haf­tig­keit der Kom­men­ta­re gibt ei­ne durch­wegs po­si­ti­ve Ant­wort. Ich ha­be an die­ser Stel­le nur in­tel­li­gen­te Men­schen ge­le­sen, die nicht an der »Ein­bahn-Mei­nung« in­ter­es­siert sind.
    Re­gel­mä­ßig schaue ich die Kom­men­tar­be­rei­che der »Zei­tungs-Por­ta­le« durch (NZZ mal au­ßen vor), oft le­se ich flüch­tig den Ar­ti­kel und sorg­fäl­tig die Kom­men­ta­re. Da herrscht ein an­de­res Bild. Furcht­erre­gend dumm geht es z.B. in der WELT zu. Auch TAZ, FAZ und ZEIT spie­geln sich ge­wis­ser­ma­ßen in ih­ren Kom­men­ta­to­ren.
    Die »De­bat­te« ist zum Teil den Kom­men­ta­ren ent­zo­gen, aber ich mei­ne, al­les fügt sich doch zu ei­nem schlüs­si­gen Ge­samt­bild. Das Zu­rück­schrecken vor dem Ge­sche­hen ken­ne ich gut.
    Der Hin­weis auf den »ehe­ma­li­gen Ge­brauch des Feuil­le­tons zur fein­gei­sti­gen Mo­ti­va­ti­on« ist eben­falls tref­fend. Die Ru­brik hat im­mer noch den­sel­ben Na­men, seit Mit­te der Neun­zi­ger schreibt aber ei­ne neue Ge­ne­ra­ti­on Zei­tungs­ge­schich­te. Die Na­men sind be­kannt, die Me­tho­den die­sel­ben. Die Ab­kehr von den Ge­gen­stän­den, der Pri­mat des Dis­kur­ses und die sü­ßen fie­sen Mög­lich­kei­ten des Miss­brauchs sind kenn­zeich­nend.
    Den Ar­ti­kel nicht ver­öf­fent­li­chen?! Eben des­halb!!
    Das Buch über die »wah­ren Kom­pe­ten­zen der gro­ßen Künst­ler« wä­re auch sehr wich­tig!

  28. @Doc Phor­k­yas:
    Ein­fach mal die Ge­schich­te des Feuil­le­tons und der Kunst-/Li­te­ra­tur­kri­tik im 19. Jahr­hun­dert an­schau­en: Bal­zac ist da ein gu­ter Ein­stieg. Für mich sehr in­struk­tiv wa­ren v.a. die me­di­en­hi­sto­ri­schen Auf­ar­bei­tun­gen der div. Kunst­skan­da­le in Pa­ris, mit de­nen das, was wir heu­te mo­der­ne Kunst und klas­si­sche Mo­der­ne nen­nen, eta­bliert wur­de / sich eta­bliert hat. Da kann es ei­nem schon so er­schei­nen, dass mit der mo­der­nen Kri­tik so­fort der Star-/Bou­le­vard-Kon­nex er­scheint. Ei­nen gu­ten Ein­stieg in die­se Fa­ta­li­tät, die an un­se­rer Art äs­the­ti­sche Ob­jek­te / Lei­stun­gen zu pro­du­zie­ren und zu re­zi­pie­ren fast wie Pech und Schwe­fel hängt, gibt An­dre­as Reck­witz, Die Er­fin­dung der Krea­ti­vi­tät (Suhr­kamp). Der Klas­si­ker für den Im­pres­sio­nis­mus ist T. J. Clark, The Pain­ting of Mo­dern Life: Pa­ris in the Art of Manet and his Fol­lo­wers, Neu­aus­ga­be 1999 (Das ist auch ein Mei­len­stein der Kunst­ge­schichts­schrei­bung und Im­pres­sio­nis­mus-For­schung).

    Zur Per­fi­die mei­ner An­mer­kung »Wie man in den Wald hin­ein­ruft ...«: Ich hal­te an der Ma­xi­me fest »Hand­lun­gen ha­ben Kon­se­quen­zen. Und ei­ni­ge da­von kann man so­gar selbst ab­se­hen.« Au­ßer­dem be­stehe ich auf den Un­ter­schied zwi­schen Li­te­ra­tur-Bou­le­vard und Klün­gel / Sze­ne: Frau Le­witschar­off haut in ih­ren Re­den, nicht nur in die­ser, ger­ne auf die Grob­schlacht­ta­sta­tur und per­sön­li­che In­vek­ti­ven (bis­her meist ge­gen To­te) ge­hen ihr da flott von der Hand, da soll­te man sich von ih­rem ex­ten­si­ven Ge­brauch der Hy­po­ta­xe nicht blen­den las­sen. Das ist klas­si­scher Bou­le­vard­stil und un­ter­schei­det sich für mich nicht prin­zi­pi­ell von den Diet­zens und Fleisch­hau­ers die­ser Welt, das muss man als Li­te­ra­tur­klün­ge­list nicht. Des­we­gen scheint mir das Ge­schrei und Ge­heul, das über Slo­ter­di­jk und sei­nen Men­schen­park aus­brach, ein sehr gu­tes Bei­spiel für den von Gre­gor Keu­sch­nig be­schrie­be­nen Me­cha­nis­mus des Feuil­le­ton-Bou­le­vards, Le­witschar­off eher nicht. Dass Sie mei­ne Ein­ord­nung von Le­witschar­off als Kra­wall­schach­tel per­fi­de fin­de, da­mit muss ich dann eben le­ben.

    @Gergor Keu­sch­nig:
    Die Fra­ge, soll man, und wenn ja wie, über die­se Auf­re­gungs­wel­len schrei­ben, treibt mich auch um. Mitt­ler­wei­le nei­ge ich da­zu zu sa­gen: eher nicht. Man ma­nö­vriert sich viel zu schnell selbst auf ei­ne die­ser ein­di­men­sio­na­len Po­si­tio­nen, weil man mit Be­grif­fen und Re­fe­ren­zen ar­bei­ten muss, die viel zu ein­fach in der Hit­ze des Ge­fechts miss­zu­ver­ste­hen sind. Et­was an­de­res wä­re es, viel­leicht so ei­ne Art Kar­to­gra­phie des Skan­dals zu er­stel­len, aus der man die Ver­net­zun­gen und Dis­kus­si­ons­li­ni­en dann ab­le­sen kann, jen­seits von ei­ge­nen politischen/argumentativen/ethischen Vor­lie­ben – qua­si ak­tu­el­le Ana­ly­se des dis­kur­si­ven Fel­des.
    Ei­ne ver­wand­te Fra­ge ist für mich: War­um lädt man über­haupt Schrift­stel­le­rin­nen als Fest- und Be­sin­nungs­red­ner zu ge­sell­schaft­lich re­le­van­ten The­men ein, für die sie auch nicht mehr fach­li­che Vor­aus­set­zun­gen ha­ben als zahl­rei­che an­de­re Men­schen? Au­ßer Di­stink­ti­ons­ge­winn und Auf­wer­tung / Er­hal­tung des ei­ge­nen kul­tu­rel­len Ka­pi­tals bei gleich­zei­ti­ger ma­xi­ma­ler ge­sell­schaft­li­cher Im­po­tenz fällt mir da nicht so viel ein. Auf Zo­la kön­nen sich mei­nes Er­ach­tens we­der die Ein­la­der noch die Schrift­stel­le­rin­ne be­ru­fen: Der hat in der Drey­fuß-Af­fä­re ja was ris­kiert und v. a. nicht ein­fach ei­nen Text raus­ge­hau­en, son­dern sich auch po­li­tisch ak­tiv en­ga­giert. Ein wich­ti­ger Punkt war, dass ei­ne be­kann­te öf­fent­li­che Per­son ihr Pre­sti­ge ei­ner Sa­che ver­leiht, die in der Öf­fent­lich­keit ei­ne schwe­ren Stand oder bis­her gar kei­nen Stand hat­te – und eher we­ni­ger, dass Zo­la qua Schrift­stel­ler­tum pri­vi­le­gier­ten Zu­gang zu ir­gend­wel­chen Wahr­hei­ten der Ge­sell­schaft hat.
    Wir soll­ten die Ein­la­der in Dres­den mal fra­gen, war­um sie zum The­ma »Le­ben und Tod in der mo­der­nen in­du­stri­el­len Me­di­zin« Frau Le­witschar­off ein­ge­la­den ha­ben und nicht Gio­van­ni Maio, Hil­le Ha­ker, Oli­ver Tol­mein oder ei­ne Prak­ti­ke­rin aus der Hos­piz­be­we­gung, ei­nen Trans­plan­ta­ti­ons­arzt – oder Da­vid Wag­ner. Dann kä­men wir vlt. auch mal aus die­sem »Ho­lier than thou«-Zirkus raus.

  29. Ist ja viel­leicht ei­ne al­te, un­gu­te Kon­di­tio­nie­rung von mir, Bü­cher­preis und Bou­le­vard als ge­son­dert zu den­ken. Aber dass Feuil­le­ton und Bou­le­vard per se in eins fal­len, un­ter­gräbt doch arg die üb­li­chen An­sich­ten. (Was wä­re dann z.B. GALA?) Das wür­de sämt­li­che De­bat­ten bis­her als Schein­ge­fech­te hö­he­rer Un­ter­hal­tungs­be­dürf­nis­se ab­kan­zeln. Und die Me­cha­nis­men, ob­wohl es sie gibt, sind in bei­den Be­rei­chen auch an­de­re.

    Trotz­dem (@ Doc­tor D): Es stimmt na­tür­lich, dass Le­witschar­off selbst schuld ist. Sie müss­te ei­gent­lich als in­tel­li­gen­te Per­son bes­ser wis­sen. Aber viel­leicht sind längst eben auch un­se­re de­le­gier­ten / stell­ver­tre­ten­den Gei­stes­he­ro­en von die­sem Pa­la­ver-Vi­rus in­fi­ziert.

    Tat­säch­lich, so noch ein Ge­dan­ke (Bil­ler etc.), aber hat auch die For­de­rung nach der end­lich wie­der „auf­re­gen­den“ Li­te­ra­tur (als Er­satz an­schei­nend für Re­le­vanz und „be­deu­tend“, wie der se­li­ge MRR sie noch qua­li­fi­zier­te) ei­ne ge­wis­se struk­tu­rel­le Ver­wandt­schaft mit der Lust an Skan­da­li­sie­rung und Em­pö­rung im Feuil­le­ton. (Die wie­der­um zu tun ha­ben mag mit dem et­wa am Ekel in Dschun­gel-Shows.)

    Es geht wie­der um Dien­ste. (Ich wer­de im­mer wach, wenn je­mand sagt, die Li­te­ra­tur muss gar nichts – aber Men­schen ha­ben IMMER Er­war­tun­gen, und die dau­er­haft zu ent­täu­schen be­kommt kei­ner Kunst gut). Al­so das stimmt so auch nicht.

    Aber geht es da heu­te wirk­lich nur um gra­du­el­le Un­ter­schie­de? Kunst und Ge­schäft, Po­li­tik und Ohn­macht, Gei­sti­ges in der Zei­tung, dass die glei­chen nie­de­ren In­stink­te be­dient? Es stimmt wohl, dass wir of­fen­bar stär­ke­re Rei­ze brau­chen. Die Dich­te heu­ti­gen Me­di­en­kon­sums und die Er­war­tun­gen dar­an ste­hen wohl in ei­nem ge­gen­sei­ti­gen Auf­schau­ke­lungs­ver­hält­nis (und dann bei im­mer mehr Ak­teu­ren ja auch, die ge­hört wer­den wol­len!). Und hin­ter­her, wenn al­le Recht ge­habt oder be­kom­men ha­ben, sind wir wie­der nä­her an Ge­mein­schaft und Kon­sens.

    Ich ver­wei­se noch mal auf Re­ne Girard und sei­ne Sün­den­bock-Theo­rie: Das Op­fer (der her­un­ter­ge­hol­te Me­di­en­star, der sel­ber SS-ver­strick­te Mah­ner, der ver­zock­te Spen­der von Mil­lio­nen für den an­geb­lich gu­ten Zweck…) stif­tet zu­min­dest im­mer noch die Ge­mein­schaft, dass die­se um­so selbst­ge­wis­ser zu sich fin­den kann.

    Zur De­bat­te: Ich den­ke um ei­ne wirk­li­ches Er­geb­nis geht es meist ei­gent­lich nicht (au­ßer dass wo­mög­lich das ei­ne oder an­de­re Ar­gu­ment zu den­ken gibt). Wer zö­ge denn die Schlüs­se? Wenn es mal je­mand macht, ha­be ich das Er­geb­nis meist ganz an­ders ge­se­hen. Und da in der Ten­denz die mei­sten eher da le­sen, wo sie wis­sen, dass eher ih­re Grund­hal­tung be­stä­tigt an­statt ver­un­si­chert wird … tauscht sich da auch eher we­ni­ger aus.
    (Ich er­tap­pe mich, dass ich mehr und mehr lie­ber die ih­rer­seits dis­si­den­ten Stim­men le­se: Mehr Di­stink­ti­ons­ge­winn und mehr „Ka­thar­sis“.)

    Au­ßer­dem er­tap­pe ich mich, dass ich das Gan­ze an Öf­fent­lich­keit mehr und mehr als rie­si­ges Un­ter­hal­tungs­pro­gramm se­he. Und die Wirk­lich­keit toppt es noch je­den Tag – vie­le atem­be­rau­ben­den Wen­dun­gen könn­te man sich meist nicht mal aus­den­ken! UND das Pro­gramm ist ein­fach bes­ser als tau­send­fach ab­ge­nu­del­te und schmie­ri­ge RTL-Plots. Und auch we­ni­ger un­ter­kom­plex.

    Je­den­falls di­stan­zie­re ich mich hier­mit ein­mal aus­drück­lich von Suhr­kamp (und -„Kul­tur“).

  30. Wir soll­ten noch ein paar Un­ter­schei­dun­gen vor­neh­men: a) Rich­tig ist, dass sich je­mand durch un­flä­ti­ge Äu­ße­run­gen selbst dis­kre­di­tiert, vor al­lem wenn es je­mand ist, der das bes­ser kann (oder kön­nen soll­te), ein Li­te­rat oder Schrift­stel­ler, et­wa. b) Wich­tig ist, wer an­ge­grif­fen wur­de und wie der­je­ni­ge ant­wor­tet (oder ob er das über­haupt tut). Wird je­mand un­sach­lich an­ge­grif­fen, ist nach­voll­zieh­bar, dass der­je­ni­ge eben­so re­agiert. Für Drit­te gilt das nicht in der­sel­ben Wie­se (hier kann man ei­ne sach­li­che oder auch [ge­konnt!] po­le­mi­sche Ant­wort er­war­ten, man be­fin­det sich ja nicht im Kin­der­gar­ten). Ein un­sach­li­cher An­griff ist per se aber kei­ne Recht­fer­ti­gung für ei­nen sol­chen (auch wenn die­ser mensch­lich ver­ständ­lich bleibt) — das Prin­zip Ver­gel­tung wür­de so nur ge­recht­fer­tigt und der Aus­weg er­schwert.

    War­um wer­den Schrift­stel­ler zu ei­ner Re­de ge­be­ten? Ver­mut­lich weil man an­nimmt, dass sie re­den kön­nen, dass sie et­was zu sa­gen ha­ben (oder sa­gen soll­ten; sie sind Per­so­nen von öf­fent­li­chem In­ter­es­se). Und nicht zu­letzt zieht man mit ei­nem be­rühm­ten Na­men Auf­merk­sam­keit auf sich, auf sei­ne Ver­an­stal­tung (manch­mal nimmt man Pro­vo­ka­tio­nen be­wusst in Kauf). Und bei Preis­ver­lei­hun­gen ist es üb­lich.

    Bleibt noch die Fra­ge, war­um es zu sol­chen Ver­ir­run­gen kommt: Das ist viel­leicht kei­ne Spe­zia­li­tät von Schrift­stel­lern, eher von Per­so­nen, die über die Mög­lich­keit und Fä­hig­keit sich öf­fent­lich zu äu­ßern, ver­fü­gen (vor und wäh­rend des er­sten Welt­kriegs hat ei­ne gan­ze Rei­he von auch heu­te noch an­ge­se­he­nen Per­so­nen Äu­ße­run­gen ge­tä­tigt, über die wir nur noch den Kopf schüt­teln). Hin­zu kommt, dass Qua­li­fi­ka­tio­nen und Be­ga­bun­gen auf ei­nem Ge­biet kein Ga­rant für ver­nünf­ti­ge, durch­dach­te und aus­ge­wo­ge­ne Äu­ße­run­gen auf an­de­ren (zu­mal: nicht ver­wand­ten) sind. — Man müss­te wis­sen, ob hier ei­ne Be­son­der­heit, Schrift­stel­ler be­tref­fend, vor­liegt.

  31. @herr.jedermann:
    Ich wür­de noch­mal Literatur/Kunstkritik und Feuil­le­ton tren­nen: Das Kri­tik lan­ge Zeit (auch) ih­ren Platz im Feuil­le­ton hat­te, ver­deckt m. E. den grund­sätz­lich af­fir­ma­tiv-un­ter­hal­ten­dem, eben bou­le­var­desken Cha­rak­ter des Feuil­le­ton. Mög­li­cher­wei­se ist der öko­no­mi­sche Druck auf die Me­di­en heu­te so groß, dass sie nun glau­ben, wirk­lich kei­nen Platz mehr für ech­te Kri­tik zu ha­ben – und lie­ber auf Kra­wal­le­rei set­zen. Aber dann le­se ich die Schlamm­schlach­ten rund um die Sa­lons zwi­schen 1850 und 1880 und den­ke mir, dass es da z. T. deut­lich här­ter zur Sa­che geht als heu­te. Gleich­zei­tig sind vie­le die­ser Schlamm­schlacht-Bei­trä­ge auch gu­te Kri­ti­ken: Da wer­den die ei­ge­nen Qua­li­täts­kri­te­ri­en dar­ge­legt und ganz oft ha­ben die Au­toren ei­ne sehr gu­te Spra­che, um ih­re äs­the­ti­schen Be­ob­ach­tun­gen und Emp­fin­dun­gen zu schil­dern.
    Aber wenn ich das hier so schrei­be, kommt mir die Idee: Viel­leicht ist das der Un­ter­schied – da wird sich höchst in­ten­siv und bis­wei­len mit be­herz­tem Griff in die un­ter­ste Schub­la­de um ei­nen Ge­gen­stand / Idee ge­prü­gelt, mit ei­nem Au­ge auf die Auf­la­ge, in un­se­rem Skan­dal-Feuil­le­ton re­giert aber meist das ad ho­mi­nem und über die Kunst­wer­ke lernt man nix oder ma­xi­mal das Pla­stik­vo­ka­bu­lar, das ge­ra­de en vogue ist. Wes­we­gen vie­le Tex­te zu Le­witschar­offs Re­de, selbst ei­ni­ge der sehr per­sön­li­chen Stel­lung­nah­men, auch so nach au­to­ma­ti­schem Schrei­ben aus­se­hen.

  32. @Doktor D

    Ja, da ar­bei­ten bei mir wohl Prä­gun­gen. Ich er­in­ne­re mich, dass ich tat­säch­lich in der Schu­le Feuil­le­ton zu le­sen an­ge­fan­gen ha­be (ZEIT und FAZ), weil ein be­stimm­ter Leh­rer es mir emp­fahl. Und au­ßer­dem ha­ben manch­mal Li­te­ra­ten, die mich in­ter­es­sier­ten sel­ber da ge­schrie­ben. Na­tür­lich ha­be ich vie­les nicht ka­piert, aber ich er­in­ne­re mich, dass ich es manch­mal span­nend fand.

    Und tat­säch­lich: An­schei­nend ur­teilt man viel zu sehr von sei­nen ei­ge­nen Zei­ten her. Und die wirk­li­chen, die äs­the­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen, müs­sen mal viel auf­re­gen­der ge­we­sen sein. Und die Feind­schaf­ten. Ich ken­ne Ta­ge­bü­cher von Leu­ten aus der Nou­vel­le Re­vue Fran­cais – die hät­ten sich da­mals oft ger­ne noch du­el­liert! Und die Da­da­isten und Sur­rea­li­sten wa­ren auch nicht zim­per­lich in ih­ren Ab­gren­zun­gen. Sind die An­grif­fe „ad ho­mi­nem“ al­so wo­mög­lich aus­drück­li­cher Er­satz da­für, wenn die The­men schon we­nig Zünd­stoff bie­ten?

    (Fast je­der, den ich ken­ne, will von der al­te Na­zi-Cho­se nix mehr hö­ren, aber in der so ge­nann­ten „Kul­tur­zeit“ – wirk­lich ja ein Bou­le­vard-Ma­ga­zin – wird es je­den Abend ser­viert: Es bleibt DIE zen­tra­le Re­fe­renz. Soll man al­so sa­gen, der Ho­lo­caust ist die Kö­ni­gin Bea­trix – oder wie heißt die in Mon­cao? – der gei­stig et­was hö­he­ren Blätt­chen-Kul­tur?)

    Ein gu­ter Punkt bei sol­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen wä­re, dass man der­art die Po­si­tio­nen und La­ger­zu­ge­hö­rig­kei­ten der Leu­te lernt.

    Aber dann fällt mir gleich Po­s­ch­ardt ein – im­mer­hin mal DER Bö­se­wicht (nicht nur rechts, son­dern so­gar Für­spre­cher der FDP!).
    Und wie oft bin ich heu­te mit ihm d’accord!

    Al­so mehr Feind­schaf­ten pfle­gen, dass es da um das Ei­gent­li­che geht: Das Ein­ge­mach­te?

  33. Vie­len Dank für die Kom­men­ta­re.

    Ich le­se ja ge­ra­de mit gro­sser Be­gei­ste­rung die Rad­datz-Ta­ge­bü­cher von 2002–1012 (die vor­he­ri­gen hat­te ich auch schon ge­le­sen, auch »Un­ru­he­stif­ter«, die Au­to­bio­gra­phie). Wenn auch auf ei­ne ganz an­de­re Art und Wei­se zeigt sich hier das Pro­blem des »Be­triebs« ähn­lich. Im­mer wie­der nennt Rad­datz den Be­trieb »ver­kom­men«, sich wohl be­wusst, ihm auch an­zu­ge­hö­ren, mit­zu­ma­chen. Was ihn be­son­ders stört ist die­se Ober­fläch­lich­keit, die sich nach au­ßen als wei­he­voll gibt, in Wirk­lich­keit je­doch eben vol­ler In­tri­gen, Miss­gunst, ja Hass. Ein­mal trifft er m. E. den Kern der Sa­che, als er auf ei­nem der zahl­rei­chen Fe­ste von sich als ei­nem »Schau­spie­ler« er­zählt, was ja be­deu­tet, dass da Rol­len in­to­niert und ge­spielt wer­den. Nur: für wen? Für das Pu­bli­kum? Das be­kommt das ja zu­meist nicht mit – au­ßer in sol­chen »Skan­da­len« eben, in de­nen je­der sei­ne Fleiß­kärt­chen sam­meln kann um noch hö­her auf die an­de­ren her­ab zu blicken. Und man soll­te sich auch nichts vor­ma­chen: Die­se schein­ba­re Be­triebs­ver­kom­men­heit ist nicht ex­klu­siv auf die Kunst- und Kul­tur­sze­ne be­schränkt, sie dürf­te sich in der Wirt­schaft ge­nau so ab­spie­len wie im Ka­nin­chen­züch­ter­ver­ein. DAS ist viel­leicht das Er­schüt­tern­de dar­an? Oder auch nicht.

    Feuil­le­ton und Bou­le­vard? Wer kennt denn die wun­der­ba­ren »Feuil­le­tons« von Jo­sef Roth? Oder, von mir aus und ganz an­ders, Karl Kraus? Wo ist das heu­te hin? Wenn Schrift­stel­ler im Feuil­le­ton was schrei­ben, dann ir­gend­ei­nen Be­kennt­nis­mist. Kei­ne äs­the­ti­sche Her­aus­for­de­rung mehr; nichts. Herr.Jedermann sprach schon die­se lä­cher­lich, de­bi­le »Kulturzeit«-Sendung an, in der in je­der Fol­ge, wirk­lich je­der Fol­ge mit der Mo­de­ra­to­rin T. S. T. M. (an­son­sten in je­der zwei­ten Fol­ge) von ir­gend­was mit Na­tio­nal­so­zia­lis­mus vor­kommt; da­ge­gen ist Gui­do Knopps Hit­ler-Ob­ses­si­on (sei­ne Sen­dun­gen über den Er­sten Welt­krieg be­gin­nen mit Hit­ler, en­den mit Hit­ler und zei­gen im­mer wie­der Hit­ler zwi­schen­durch) fast zu ver­nach­läs­si­gen. Hier geht es nur um – ja, um was?

    Dok­tor D’s Fra­ge (»War­um lädt man über­haupt Schrift­stel­le­rin­nen als Fest- und Be­sin­nungs­red­ner zu ge­sell­schaft­lich re­le­van­ten The­men ein, für die sie auch nicht mehr fach­li­che Vor­aus­set­zun­gen ha­ben als zahl­rei­che an­de­re Men­schen?«) ist die ent­schei­den­de Fra­ge. Ich stel­le sie mir sehr oft. Und es hat da­mit zu tun, dass es im Jour­na­lis­mus, oder, wenn man will, in der Öf­fent­lich­keit, im­mer wich­ti­ger ge­wor­den ist, WER et­was da­zu sagt, d. h. wel­cher Na­me die Fi­gur im me­dia­len Zir­kus er­wor­ben hat. Das zeigt sich ja in den di­ver­sen Talk­shows, wenn Schau­spie­ler oder Sport­ler qua ih­res Na­mens zu The­men be­fragt wer­den, von de­nen sie mehr als ei­ne Mei­nung gar nicht ha­ben (kön­nen). Schrift­stel­ler und/oder Künst­ler lau­fen da er­staun­lich arg­los in die Prä­po­tenz­fal­le, in der sie hin­ein­ge­lockt wur­den. Es ist auch kein Phä­no­men, dass aus­schließ­lich Kul­tur­schaf­fen­de be­fällt, die gen­an­ten Schau­spie­ler oder Sport­ler eben auch, nur sind sie er­staun­li­cher­wei­se mit den me­dia­len Fall­stricken bes­ser ver­traut als ein Schrift­stel­ler, der aus sei­ner Schreib­gruft ans Hel­le ge­tau­melt ist. Sie ha­ben näm­lich Be­ra­ter, Agen­ten, usw. und wis­sen ge­nau, was sie sa­gen kön­nen oder nicht.

    Wich­tig ist nur noch, dass man sich zu be­stimm­ten Si­tua­tio­nen »be­kennt«, »Flag­ge zeigt«, statt ein­fach nur in Ru­he nach­zu­den­ken und sich zu bil­den. In die Rich­tung ge­hen ja auch die in so­zia­len Netz­wer­ken weit ver­brei­te­ten Pe­ti­ti­ons­auf­ru­fe. Stolz schreibt man dann »Ge­ra­de un­ter­schrie­ben« drun­ter. Ich stel­le mir die­se Per­so­nen dann vor, wie sie sich ei­nen Rot­wein ein­schen­ken und sich wie die Ret­ter der Welt vor­kom­men bzw. ihr (war­um ei­gent­lich?) schlech­tes Ge­wis­sen be­ru­hi­gen; ein mo­der­ner Ab­lass, der so un­fass­bar bil­lig ist wie die­se arm­se­li­gen Krea­tu­ren, die da Tag für Tag ir­gend­ei­nen Mist »un­ter­schrei­ben«. Praschls »Oh­ne mich« ist ja durch­aus pfif­fig, wenn ich nicht auch schon hier wie­der den Ver­dacht ei­nes Me­ta-Em­pö­rungs­tex­tes hät­te.

    Der Ge­dan­ke, dass die Feuil­le­ton-Auf­re­gun­gen so­zu­sa­gen den Er­satz für die zu­meist eher »lang­wei­li­ge« (was für mich per se kein Schimpf­wort ist, aber schein­bar für fast al­le An­de­ren) Li­te­ra­tur sein soll, ist sehr in­ter­es­sant. Das wür­de er­klä­ren, war­um sie eben auch fast im­mer mit ei­nem bald er­schei­nen­den neu­en Werk ver­knüpft sind bzw. ver­knüpft schei­nen. Wenn das die PR von Ver­la­gen sein soll – na, dann...

    Na­tür­lich be­steht auch noch ein Un­ter­schied zwi­schen Le­witschar­off und Slo­ter­di­jks Men­schen­park-Re­de. Ein Phi­lo­soph muss un­ter Um­stän­den sol­che Poin­tie­run­gen vor­neh­men – und dann ent­spre­chend mit der Kri­tik wenn nicht le­ben so doch zu­recht­kom­men. Slo­ter­di­jk schrieb so­zu­sa­gen in sei­nem Me­tier; Le­witschar­off re­de­te über Sa­chen, von de­nen sie ei­ne Mei­nung hat, aber auch nicht mehr. Ge­nau­so gut hät­te die Re­de auch zu den Ge­fah­ren des Schwei­ne­fleisch­kon­sums oder über die La­ge im Süd­su­dan ge­hal­ten wer­den kön­nen.

  34. @Herr.Jedermann
    Ich kann mich noch ganz ge­nau dar­an er­in­nern, wie un­ge­dul­dig ich auf die gro­ßen Buch-Bei­la­gen zur Frank­fur­ter Buch­mes­se und zum Win­ter- / Weih­nachts­pro­gramm in der FAZ, der ZEIT und de FR ge­giert ha­be – so bis in die 1990er. Dann lies das im­mer stär­ker nach. Be­stimmt auch, weil ich in mei­nem Stu­di­um von ei­ni­gen an­de­ren Li­te­ra­tur­lieb­ha­bern um­ge­ben war, die viel mehr Er­fah­rung hat­ten als ich und mir das Feuil­le­ton er­setz­ten, und weil mit In­ter­net ei­ne neue Quel­le zur In­for­ma­ti­on auf­tauch­te. Aber ich ha­be auch den Ein­druck, das in den Feuil­le­tons doch im­mer stär­ke­rer Kon­for­mi­täts­druck herrscht: Al­le schrei­ben im Te­nor gleich über die­sel­ben. Neue Au­toren und Li­te­ra­tur ken­nen­ler­nen wird da schwer. Da ist ja die »Kun­den, die die­ses Buch ge­kauft ha­ben, in­ter­es­sie­ren sich auch für X«-Empfehlung krea­ti­ver und hat mir schon in­ter­es­san­te Au­toren / Tex­te vor die Na­se ge­setzt. Wirk­lich ge­spannt bin ich nur noch auf die NZZ Bei­la­gen, sonst be­zie­he ich mei­ne An­re­gun­gen von Blogs wie die­sem hier, vie­len eng­lisch­spra­chi­gen Blogs und der groß­ar­ti­gen LRB. Ich le­se ge­ra­de bei Blogs auch ger­ne Stim­men, die nicht mei­ner ei­ge­nen klei­nen Ideo­lo­gie­bla­se ent­stam­men, zum Bei­spiel US­ame­ri­ka­ni­sche, sehr kon­ser­va­ti­ve Blogs, die auch Li­te­ra­tur- und Kul­tur­be­spre­chun­gen ma­chen. Da muss man sich im­mer mal auf­re­gen, man schärft aber auch die ei­ge­ne Po­si­ti­on und lernt neue Stim­men ken­nen.

  35. Ei­ne neue Fa­cet­te, die ver­ein­zel­ten Hin­wei­se auf den »Li­te­ra­tur­be­trieb«, aber span­nend. Rad­datz hat si­cher viel zu er­zäh­len. Die Kul­tur­schaf­fen­den zie­hen we­der an ei­nem Strang, noch brin­gen Sie es zwi­schen­mensch­lich über ein Min­dest­maß an An­stand und Zi­vi­li­tät hin­aus. Am Ho­ri­zont: die Idea­le der Freund­schaft und Mit­mensch­lich­keit, im­mer gleich weit ent­fernt. Man muss wirk­lich auf­pas­sen, man wird un­wei­ger­lich me­lan­cho­lisch.
    P.S.: Ich le­se, die Mo­de­ra­to­rin T.S. sei Ent­na­zi­fi­zie­rungs-Spe­zia­li­stIn in der >kul­tur­zeit<. Ist das nicht Ti­na Men­dels­sohn?! T.S., das war doch Sar­ra­zin...

  36. »Die Kul­tur­schaf­fen­den zie­hen we­der an ei­nem Strang, noch brin­gen Sie es zwi­schen­mensch­lich über ein Min­dest­maß an An­stand und Zi­vi­li­tät hin­aus.« – Sind das nicht et­was weit­rei­chen­de Schlüs­se? Ich ha­be ge­ra­de ei­nen sehr an­rüh­ren­den Text über das ge­hei­me Le­ben von W. H. Au­den als barm­her­zi­ger Sa­ma­ri­ter ge­le­sen. Si­cher gibt es noch vie­le an­de­re Ge­schich­te von groß­her­zi­gen Ta­ten und Her­zens­bil­dung un­ter »Kul­tur­schaf­fen­den«. Und war­um soll­ten sich die »Kul­tur­schaf­fen­den« da auch von an­de­ren Be­ru­fen un­ter­schei­den? Dass ver­ste­he ich nicht so recht.

  37. @ Dok­tor D
    Ja, Buch­bei­la­gen – stimmt! Und was mir aber apro­pos NZZ auch noch ein­fällt: Ei­nes der bes­se­ren Vor­ur­tei­le über die Schwei­zer ist ja, dass sie lang­sa­mer sei­en aber da­für gründ­li­cher – das wä­re dann al­so auf dem Sek­tor von (sa­gen wir mal „Kul­tur­be­richt­erstat­tung“) von of­fen­kun­di­gem Vor­teil. NZZ le­se ich al­so im­mer wie­der ger­ne.

    An­son­sten geht auch bei mir die Auf­merk­sam­keit im­mer mehr zu „ab­wei­chen­de Mei­nung“ – und da­mit ein­her geht dann tat­säch­lich oft die über­ra­schen­de­re, ent­le­ge­ne­re In­for­ma­ti­on, die dann den Un­ter­schied macht.

    Noch­mal je­ner Leh­rer, der mich aufs Zei­tung­le­sen ge­bracht hat­te: Er mein­te da­mals al­len ern­stes (und al­so über­zeu­gend), dass, wenn man das gei­sti­ge Kli­ma im Land ver­fol­gen wol­le, man Feuil­le­ton le­sen müs­se. Al­ler­dings hat­te es eben sei­ner­zeit auch noch sei­ne (fast) Al­lein­stel­lung, und das Aus­fran­sen der Qua­li­tät hat eben auch mit der Ver­viel­fäl­ti­gung der Stim­men und Or­te zu tun, von wo­her die Spre­cher re­den. Wenn der EINE Ka­non nicht mehr gilt wird der an­de­re um­so mehr er­klä­rungs­be­dürf­ti­ger – das bringt et­li­che Di­stink­ti­ons­ge­win­ne aber auch neue Dürf­tig­kei­ten.

    Über­haupt schei­nen mir oft sämt­li­che Grün­de zu­zu­tref­fen, die gu­ten und die schlech­ten – der Feh­ler wä­ren eher auch die Ver­ein­fa­chun­gen und mo­no­kau­sa­len Her­lei­tun­gen.

    @ G.K.
    Viel­leicht ist eben das der Un­ter­schied: Ob es tat­säch­lich noch er­schüt­tert? Und da ist dann we­ni­ger die Dis­zi­plin aus­schlag­ge­bend, in der je­mand ope­riert, als sei­ne Per­sön­lich­keit? Die Fall­hö­he bei Künst­lern und In­tel­lek­tu­el­len ist eben nur hö­her als in der Wirt­schaft – wo der Kampf mit Ell­bo­gen ja als Tu­gend gilt. (Man soll auch „durch­set­zungs­fä­hig“ sein.)

    Rad­datz ist viel­leicht so in­ter­es­sant, weil er ei­ne pa­ra­dig­ma­ti­sche Fi­gur ist (war) – und au­ßer­dem, ne­ben sei­nen pri­vat-äs­tht­ei­schen, noch den An­spruch des Künst­lers per se hoch­hält. So kann er die Ver­kom­men­heit eben sel­ber ver­kör­pern. Man muss ihm schon dank­bar sein. (Au­ßer­dem hilft ihm sein fran­zö­si­scher Ein­schlag, wo die­se Schi­zo­phre­nie schon frü­her the­ma­ti­siert wur­de. Ich er­in­ne­re an die De­bat­ten Sart­re / Ca­mus: Da war im­mer viel vor­ge­scho­ben, weil es um Rang­ord­nun­gen und Gel­tungs­an­sprü­che ging, und au­ßer­dem um die­se In­nen-/Au­ßen­per­spek­ti­ve: Der aus dem in­ner­sten (Klein-)Bürgertum kom­men­de Phi­lo­soph und der „pied noir“ – und dann die ganz gro­ße, die Welt-Po­li­tik-Per­spek­ti­ve. Muss man sich wohl auch dran ver­he­ben. Auch Sart­re war oft rück­sichts­los ge­gen­über sich selbst – aber eben oft erst hin­ter­her, wenn die Wun­den ge­schla­gen wa­ren.
    Ich will ei­gent­lich nur sa­gen, dass Rad­datz da­von mehr drauf hat­te, als die da­mals zu­rück­ge­blie­ben Deut­schen – er hat­te auch noch ei­nen ganz an­de­ren Hoch­mut in sich.

    Je­den­falls sind Schrift­stel­ler, die al­so noch zu Tho­mas Manns Zei­ten Deu­tungs­ho­hei­ten an­ge­tra­gen wur­den, heu­te nur mehr ei­ne wei­te­re Far­be im Kul­tur­quar­tett – und wohl die am we­nig­sten schil­lern­de: Das muss kom­pen­siert wer­den. Aber viel­leicht sind ja auch wir Le­ser mit un­se­ren Er­war­tun­gen an­ti­quiert? In­diz da­hin ist auch die Auf­la­dung der Per­so­nen selbst (kaum ei­ne Buch­an­zei­ge oh­ne das Bild des Au­tors). Und es braucht ein er­wei­ter­tes Sto­ry­tel­ling, die Ver­bin­dung zu ei­nem Ge­ne­ral-The­ma, dass man als Mar­ke deut­li­cher wird. Die Buch-The­men, die Bü­cher sind in Hin­blick auf Merkt und Ver­mark­tung je­den­falls nicht mehr das Ent­schei­den­de. Und in der Self­pu­blisher-Sze­ne wer­den dem­nächst viel­leicht auch Hy­pes a la He­ge­mann wich­ti­ger wer­den und dann auch ent­schei­dend.

    Was ich mei­ne, ist, all das weiß ir­gend­wie bei sich auch, dass es mit den ehe­ma­li­gen An­sprü­chen an das Kunst­werk vor­bei ist – die „Au­ra“ ist auch hier der Vor­schein der Kul­tur­wa­re ge­wor­den. Und dass das „Werk“ viel­leicht auch im­mer we­ni­ger die Mü­he lohnt. Und so la­den sich die Er­war­tun­gen teils noch an den Ver­jähr­tem auf oder an gro­ßen Ein­zel­nen, an Bern­hard oder Pyn­chon oder …, und man weiß doch, dass es nicht mehr ernst­haft er­war­tet wer­den kann.

    Bis da­hin le­sen wir was an­de­res.

  38. @ Dok­tor D
    Ganz kurz, weil nach­ge­fragt: die Kul­tur als har­mo­ni­sches Ge­fü­ge ha­ben wir hi­sto­risch in­zwi­schen weit ver­fehlt, und die »Schaf­fen­den« im si­sy­pho­ni­schen Be­trieb sind auch nur sel­ten Vor­bil­der. Das mein­te ich. Dass es Sa­ma­ri­ter gibt, ist klar. Ich er­in­ne­re ger­ne auch an das En­ga­ge­ment ein­fa­cher Pop-Künst­ler wie Shaki­ra, die in Ko­lum­bi­en schon ih­re 4. Schu­le er­öff­net hat.

  39. Ich glau­be schon, dass die Schaf­fen­den zu Vor­bil­dern er­klärt wer­den. Und das selbst wenn sie noch nichts mit »Charity«-Geschmack hin­ter­las­sen ha­ben. Hier­in se­he ich ja das Di­lem­ma: Man hebt sie auf ei­nen Sockel, aber we­he es kommt ein nicht als ad­äquat ak­zep­tier­tes Ver­hal­ten...

    Hier­in zeigt sich ja die Sehn­sucht nach dem Vor­bild, dem Ide­al: es soll ma­kel­los sein, oh­ne »Ecken und Kan­ten«. Da­bei ist das fast die Vor­aus­set­zung für so et­was wie Kunst: Je­mand der im­mer bei grün über die Am­pel geht und schö­ne Ge­dich­te schreibt – der muss ir­gend­wo ei­nen Ab­grund in sich »we­send« ha­ben. Wo sol­len sonst die schö­nen, in­ten­si­ven Ge­dich­te her­kom­men? Und so fin­det sich der Schrift­stel­ler ir­gend­wann im Pa­ra­do­xon: Ma­che ich ei­nen auf Main­stream (und hal­te die Schnau­ze) oder lass ich mich nicht kor­rum­pie­ren? Letz­te­res ist der ge­fähr­li­che Weg, weil Dich­ter ent­ge­gen der land­läu­fi­gen Mei­nung nur noch wie Sonn­tags­red­ner an­ge­se­hen wer­den.

  40. @Doktor D: Für mich war Feuil­le­ton in sei­ner Ur­form eher Hei­ne und den kann ich nicht so recht mit Bou­le­vard in Ver­bin­dung brin­gen, aber dan­ke für die Ver­wei­se!

    Mit dem »per­fi­de« be­zog ich mich eher auf die Ar­gu­men­ta­ti­ons­struk­tur als auf den In­halt, da ich nicht be­ur­tei­len kann und will, ob Frau Le­witschar­off die­se »Dschi­had« (Keu­schi­nig) ver­dient hat oder nicht.
    Die Slo­ter­di­jk-De­bat­te ken­ne ich et­was nä­her, und bei al­ler Un­ter­schied­lich­keit gibt es doch auf­fal­len­de struk­tu­rel­le Ähn­lich­kei­ten:
    1) Es ist der im­mer­sel­be Na­zi-Knopf, der ei­ne »De­bat­te« trig­gern kann.
    2) Der Pri­mär­text in­ter­es­siert über­haupt nicht (bei Slo­ter­di­jk, Wal­ser schien es so­gar för­der­lich, dass die­ser zu­nächst nicht zu­gäng­lich war). Ei­ne her­me­neu­ti­sche oder be­hut­sa­me Her­an­ge­hens­wei­se fin­det nicht statt.
    3) Selbst wenn man den Pri­mär­text kennt, echauf­fiert man sich bes­ser an über­lie­fer­ten Se­kun­där­af­fek­ten.
    4) Mit­un­ter braucht es ge­wis­se In­ku­ba­ti­ons­zei­ten bis wie­der ei­ner Dis­kurs­bla­se hoch­blub­bert.

    Aber das ist hier ja schon ge­nü­gend breit­ge­tre­ten und die kri­ti­sche Mas­se für ei­nen Dis­kurs wä­re hier ja schon vor­han­den, nun mag noch ein Mo­de­ra­tor ver­su­chen, dies auch zu ir­gend­was Sinn­vol­lem zu­sam­men­zu­bin­den.

    Mö­gen Sie mei­ne Sei­ten­grät­sche ent­schul­di­gen; mit­un­ter ma­che ich in Blogs schon ei­ne Ko­pie des­sen aus, was man an Zei­tun­gen so hef­tig kri­ti­sier­te: dass man sich oh­ne Grund zur Au­to­ri­tät auf­plu­stert, und die Ge­nau­ig­keit und Prä­zi­si­on in Be­ob­ach­tung und Ar­gu­ment ge­ra­de ver­mis­sen lässt. – So tei­le ich z.B. den Te­nor die­ses Ar­ti­kels hier im Gro­ßen und Gan­zen, den­noch ge­hen mir rhe­to­ri­sche Dampf­häm­mer wie »Dschi­had« so pau­schal ei­gent­lich schon zu weit: Lie­ber wä­re es mir, man zeig­te mir in For­mu­lie­run­gen oder Äu­ße­run­gen der Jour­nail­le kon­kret, wie die­se »Dschi­had« auf­tritt und wirkt, als nur pau­schal ab­zu­wat­schen. – Nun viel­leicht geht ei­nem die Ge­duld aus, oder man denkt nicht dar­an, wenn man das schon 438mal ge­tan hat,.. aber ver­wischt man da­bei nicht die Gren­ze zu de­nen, die man kri­ti­siert?

  41. @Phorkyas
    Vie­len Dank für den Hin­weis auf das Buch zur Slo­ter­di­jk-De­bat­te. Lei­der ja wohl nicht mehr lie­fer­bar. Slo­ter­di­jk hat in sei­ner Bör­ne-Re­de noch ein­mal Be­zug auf die Dis­kus­si­on ge­nom­men, von der er, ein biss­chen ge­spielt viel­leicht, über­rascht war.

    Zu den rhe­to­ri­schen Dampf­häm­mern: Ich fin­de, »Dschi­had« trifft die zum Teil tat­säch­lich re­li­giö­se In­brunst, mit der be­stimm­te Glau­bens­ge­wiss­hei­ten ver­tei­digt wer­den, ziem­lich gut. Weil es eben auch das Be­kennt­nis­haf­te hat und nicht nur das Ab­weh­ren­de. Es ist eng ver­knüpft mit dem, was dann auch schon in der Dis­kus­si­on an­ge­spro­chen wur­de: Dem na­he­zu kin­di­schen Zwang zur Di­stan­zie­rung, ja Ent­schul­di­gung. (An­ders bspw. als in klas­si­schen Ent­schul­di­gungs-Ge­sell­schaf­ten wie Ja­pan.) Der/die Ab­trün­ni­ge wird vor al­len vor­ge­führt. Er/Sie muss die Apo­sta­sie zu­rück­neh­men. Es muss wi­der­ru­fen wer­den. Hät­te ich »In­qui­si­ti­on« schrei­ben sol­len? Viel­leicht.

    Na­tür­lich ist es ein Ar­gu­ment zu sa­gen, ich ma­che in dem Mo­ment das, was ich an­de­ren vor­wer­fe. Ich ha­be aber gar nicht ge­sagt, dass die an­de­ren nicht rhe­to­risch scharf vor­ge­hen dür­fen. Ich fin­de nur, sie soll­ten es in der Sa­che ei­ni­ger­ma­ßen ge­nau ma­chen und nicht ei­ne Ver­schwö­rung ei­ner Art neu­en Rech­ten her­bei­be­schwö­ren, wo ein­fach nur Un­sinn ge­sagt wor­den ist. (So wur­de auch ge­sagt, Le­witschar­off sei ei­ne christ­li­che Fun­da­men­ta­li­stin. Viel­leicht stimmt das ja. Aber was be­deu­tet das denn? DARF sie das nicht sein?)

    Im üb­ri­gen ist ein Blog-Ar­ti­kel kei­ne wis­sen­schaft­li­che Aus­ein­an­der­set­zung. Das müss­te an­son­sten so aus­se­hen, wie bspw. zum Fall Handke/Jugoslawien und spe­zi­ell zum Hei­ne-Preis-Di­lem­ma 2006 hier – in­klu­si­ve kon­kre­ter Auf­stel­lun­gen über die »Jour­nail­le«. Aber: Wer wür­de das noch le­sen?

  42. Die Aus­gren­zung, die »schar­fen Wor­te« und die Wis­sen­schaft
    Al­les wich­tig, ich will mich ger­ne wie­der­ho­len:
    »Der Main­stream exi­stiert durch­aus nicht nur durch IN­TE­GRA­TI­ONS­maß­nah­men, es gibt kla­re Ri­tua­le der Aus­gren­zung. Ich den­ke, die For­mu­lie­rung von Phor­k­yas ist aus­sa­ge­kräf­tig: »Ver­wischt man nicht die Gren­ze zu je­nen, die man kri­ti­siert...«.
    Lei­der hat mein Aus­gren­zungs-Axi­om in #20 nie­man­den in­ter­es­siert, ich möch­te es noch­mal auf­grei­fen: auch der Main­stream »funk­tio­niert« als Grup­pe, oh­ne Au­ßen kann er nicht exi­stie­ren. Phor­k­yas be­merkt, es han­delt sich al­len­falls um ei­ne Pseu­do-Grup­pe, ein Qua­si-Kon­strukt. Dem bin ich seit Jah­ren auf der Spur. Da der Main­stream aber viel­fäl­tig, soz. über­de­fi­niert ist, braucht er je­de Men­ge Au­ßen­sei­ten. Er bil­det Fa­cet­ten wie ein dicker Dia­mant.
    »Die »schar­fen Wor­te« sind nicht nur Waf­fen, son­dern auch Af­fekt-Zei­chen. Sie sind ris­kant, weil un­sach­lich und nicht ge­zielt auf ei­ne Per­son ge­rich­tet. Ich hab ja oben vor­ge­macht, wie’s geht: Kul­tur der di­rek­ten Be­lei­di­gung, mit der Mög­lich­keit, sich zu ent­schul­di­gen...
    »Wis­sen­schaft tä­te not, aber wie Ste­phan Raab: »Wir ha­ben doch kei­ne Zeit...!«

  43. Ja, na­tür­lich exi­stiert der Main­stream auch in der »Aus­gren­zung«. Die Frei­heit wird ja nicht nur am Hin­du­kusch ver­tei­digt, son­dern auch im­mer wie­der ger­ne in den Re­dak­ti­ons­stu­ben. So­lan­ge es denn »mei­ne« al­so des­sen Frei­heit ist. Das ist ja zu­nächst ein­mal nichts eh­ren­rüh­ri­ges, so­lan­ge dies in dis­kur­siv ge­ord­ne­ten Bah­nen ab­läuft.

    Die­se Gren­zen wer­den ja längst ver­las­sen. Wer ein­mal vom wah­ren Weg ab­ge­wi­chen ist – nun, dem droht le­bens­lan­ges Er­in­nern (s. »Freitag«-Artikel). Da wird der phi­lo­so­phi­sche Rah­men, in dem Slo­ter­di­jks Text steht, gar nicht erst er­ör­tert; viel zu kom­pli­ziert. Und die Pro­vo­ka­ti­on von Strauß, sich sel­ber als »Rech­ter« zu ru­bri­zie­ren be­gie­rig auf­ge­nom­men – oh­ne dar­auf zu ach­ten, wie das wirk­lich ge­meint war/ist.

    Aber nicht al­le kön­nen Pyn­chon spie­len. Und so müs­sen sie al­so in das Ka­rus­sell.

  44. @phorkyas:
    Ver­mut­lich zum Glück für die Ver­gan­gen­heit blei­ben aus den Schlamm­schlach­ten ver­gan­ge­ner De­bat­ten oder des ver­gan­ge­nen Feuil­le­tons ja oft nur die wirk­lich gro­ßen Bei­trä­ge und Bei­trä­ger in Er­in­ne­rung. Wenn man sich dann mit den kon­kre­ten hi­sto­ri­schen De­bat­ten­ver­läu­fen be­schäf­tigt, wird’s ei­nem dann manch­mal ganz blü­merant. Da tre­ten dann auch mei­ne nor­ma­ti­ven Vor­stel­lun­gen zu Feuil­le­ton und Kri­tik und das, was hi­sto­risch-de­skrip­tiv Feuil­le­ton ist / war, manch­mal sehr stark aus­ein­an­der.

    Was ich nicht be­strei­te, ist das re­gel­mä­ßi­ge Hohl- und Leer­lau­fen die­ser ak­tu­el­len »De­bat­ten« in den vor­ge­spur­ten Bah­nen. Be­fremd­lich fin­de ich auch, dass so­fort das Zu­sam­men­rücken / Ent­ste­hen ei­ner kon­ser­va­tiv-re­ak­tio­nä­ren Front aus­ge­ru­fen wird. Da­für scheint mir in den Me­di­en fast nichts zu spre­chen, eher im Ge­gen­teil. Wo­bei: Aus der Funk­ti­ons­lo­gik des Bou­le­vard-Kra­wall muss es ja im­mer um die letz­ten Fra­gen der Mensch­heit ge­hen, um das ei­ge­ne Res­sen­ti­ment zu le­gi­ti­mie­ren.

  45. @ Gre­gor
    Ein­ver­stan­den. Der Hin­weis auf die Ver­tei­lung von »Platz­kar­ten« ist um­so tref­fen­der, weil er zeigt, dass man nicht nur »ab­wei­chen­de Ge­dan­ken« son­dern auch »in­fa­me Per­so­nen« braucht. Die­se Be­stand­tei­le be­nutzt man »kon­struk­tiv« für die Ge­stal­tung des main­stream. (Oh, Spra­che, steh’ mir bei!). Reicht Dir das nicht als Be­grün­dung?! Der main­stream braucht Nah­rung, er funk­tio­niert nicht im luft­lee­ren Raum des »Den­kens«...

    @ Dok­tor D
    Tol­ler Hin­weis, dass die »Front« deut­lich von in­nen kon­stru­iert wird, wie­der ein Grup­pen-Axi­om. Sie­he Frei­tag. Aus wis­sen­schaft­li­cher Sicht ist die be­rühm­te Fahn­dungs-Web­site doch al­ler­fein­stes Ma­te­ri­al! Die Re-Ak­ti­on scheint gar nichts mehr vom »Ver­tei­di­gen« zu hal­ten, man mar­schiert ins Geg­ner­land und greift sich die Ver­däch­ti­gen! Ich hab auch lan­ge ge­rät­selt, wie das kommt. Mei­ne Ver­mu­tung: die Kon­ser­va­ti­ven sind rhe­to­risch sehr de­fen­siv, sie hal­ten sich be­deckt und sind ge­le­gent­lich so­gar »sprach­faul«. Es man­gelt an Prä­senz in den Me­di­en. Des­halb wer­den Dum­mys er­schaf­fen. Das Hau’-den-Peter...(Sloterdijk), oder Hau’-den-Lucke...Spiel. Oder: Hau’-die-Kelek, wenn man ge­schlechts­aus­ge­wo­gen ar­gu­men­tie­ren möch­te.

  46. @Kalte_Sophie:
    Ihr Blick auf die kon­ser­va­ti­ven oder rech­ten Kräf­te (oder die, die sich selbst so nen­nen) ist mir zu ro­man­tisch: Die mei­sten der von ih­nen ge­nann­ten ha­ben sich ak­tiv als der rech­ter Ge­gen­pol im Bou­le­vard-Kra­wall po­si­tio­niert (Lucke wür­de ich raus­neh­men, der spielt in ei­nem an­de­ren Thea­ter, der Po­li­tik, dem nüt­zen die Aus­fäl­le in den Me­di­en) und ver­die­nen da­mit ih­ren Le­bens­un­ter­halt. Bei Slo­ter­di­jks Men­schen­park war der Me­cha­nis­mus noch nicht so su­per ein­ge­spielt, da neh­me ich ihm das Er­stau­nen über die Re­ak­ti­on bis zu ei­nem ge­wis­sen Grad ab. Aber seit­dem soll­te auch der in­tel­lek­tu­ell mä­ßig be­gab­te Schrift­stel­ler / Pu­bli­zist wis­sen, dass er be­stimm­te Tro­pen und rhe­to­ri­sche Fi­gu­ren nicht nut­zen soll­te, wenn er ein The­ma ernst­haft in die Dis­kus­si­on brin­gen will. Oder eben das Ge­gen­teil tun, wenn man ein neu­es Buch zu pu­shen hat oder ei­nen schö­nen Buch­ver­trag ha­ben möch­te.
    Das neue Buch von Bo­tho Strauss fand ich des­we­gen so ba­nal und ent­täu­schend: Ich hat­te den Ein­druck, da ver­lässt sich je­mand völ­lig auf den Skan­da­li­sie­rungs­me­cha­nis­mus und wird dar­über selbst brä­sig, denk­faul und selbst­ge­fäl­lig.
    Wirk­lich in­ter­es­san­te Den­ke­rin­nen aus dem rech­ten bis fa­schi­sti­schen Spek­trum gibt es in DE ak­tu­ell nicht wirk­lich. Das sind al­les Auf­güs­se aus den 1910er bis 1930er Jah­ren und die mei­sten da­von nicht be­son­ders gu­te. Bei den kon­ser­va­ti­ven Ka­tho­li­ken gibt es mit Spae­mann und dem Pa­pa Eme­ri­tus in­tel­lek­tu­ell her­aus­for­dern­de Po­si­tio­nen, aber die spie­len auch kei­ne ak­ti­ve Rol­le im Bou­le­vard. Slo­ter­di­jk ist eher ein Li­ber­tä­rer als rechts – und mitt­ler­wei­le auch meist ein Bou­le­vard-Schau­spie­ler sei­ner selbst.

  47. @Doktor D
    Wirk­lich in­ter­es­san­te Den­ke­rin­nen aus dem rech­ten bis fa­schi­sti­schen Spek­trum gibt es in DE ak­tu­ell nicht wirk­lich.
    Viel­leicht Egon Flaig – wenn ich das hier le­se, be­kom­me ich fast Lust, mich des­sen an­zu­neh­men. Aber wie schon Raab sag­te: die Zeit...

  48. Dass Le­witschar­offs Rede/Text ei­nen Sturm ent­fa­chen konn­te, sagt ei­ni­ges über die Ver­fas­sung des Feuil­le­tons. Da wer­den aus ei­ner sub­jek­ti­ven Per­spek­ti­ve her­aus, lang­at­mig und un­ge­lenk, Be­den­ken be­stimm­ten (mo­der­nen) Ent­wick­lun­gen ge­gen­über ge­äu­ßert, we­der pro­vo­kant, noch ag­gres­siv, ich wür­de sa­gen klas­sisch kon­ser­va­tiv bis re­ak­tio­nä­re To­poi (Selbst­er­mäch­ti­gung des Men­schen, Kon­se­quen­zen ei­ner Ab­kehr von Gott,...), nichts Neu­es, nicht strin­gent oder durch­dacht for­mu­liert, we­der es­say­istisch noch poin­tiert; zu man­chen Schlüs­sen könn­te man auch auf ganz an­de­ren We­gen ge­lan­gen, man kann das, in­halt­lich und sti­li­stisch, links lie­gen las­sen. Der ein­zi­ge Satz der hän­gen blieb: »Hei­te­res Ge­wäh­ren­las­sen und nicht über al­les, wirk­lich al­les be­stim­men zu wol­len, ist ge­ra­de­zu der Ga­rant für ein in Ma­ßen ge­lin­gen­des Le­ben.« Aber auch das ist nicht neu und auch dort­hin kann man auf an­de­ren We­gen ge­lan­gen.

  49. @metepsilonema:
    Ich den­ke, oh­ne miss­glück­tem Na­zi-Ver­gleich und der Be­zeich­nung von re­pro­duk­ti­ons­me­di­zi­nisch er­zeug­ten Ba­bies als Halb­we­sen, der Pro­ze­dur als ab­ar­tig und der Dä­mo­ni­sie­rung von Frau­en, die sich der Re­pro­duk­ti­ons­me­di­zin be­die­nen, hät­te es kei­ne De­bat­te ge­ge­ben. Und na­tür­lich brauch­te es den Of­fe­nen Brief des Chef­dra­ma­tur­gen, der den an­de­ren ein Worst-Off-Le­witschar­off-Re­de zur Ver­fü­gung stell­te. Mit dem war dann auch der To­pos eta­bliert, dass man sich min­de­stens ein­mal vor der Sprach­macht der Au­torin zur Ver­beu­gen hat­te, be­vor man ihr dann Pau­scha­li­tä­ten um die Oh­ren haut.
    Bis­her ha­ben sich nur so ein paar ver­streu­te Blog­ger und Kom­men­ta­to­ren wie hier die Mü­he ge­macht, mal die­sen ty­pi­schen Le­witschar­off-Sound zu ana­ly­sie­ren. Die­se Ver­man­schung von ho­hem Ton mit Schwa­bis­men, Bi­bli­zis­men, Kraft­aus­drücken, Ar­chais­men er­mög­licht m. E. ge­ra­de das un­ge­nau, schlam­pi­ge Den­ken, das sich in der Re­de zeigt. Ei­ner der Kom­men­ta­to­ren hat das, glau­be ich, schon ge­sagt: Was als (Ich-)Erzählerin- oder Fi­gu­ren­stil ganz ge­lun­gen sein kann, wird als Per­so­nal­stil dann ein Den­kun­fall.

  50. zu #46
    Scha­de, mein Lob war et­was über­eilt. Es ging um die Pri­mär-De­fi­ni­ti­on des »Rech­ten« als Geg­ner. Was das ge­nau ist, da bin ich über­fragt. Das spielt für die Grup­pen-De­fi­ni­ti­on des main­stream (ei­ner Qua­si-Grup­pe) nicht die ge­ring­ste Rol­le. Der Kopf kommt ein­fach an die Pin­wand. Sie­he Web­site! Haupt­sa­che, der Ab­wei­chungs-Fak­tor ist hoch ge­nug. Nen­nen wir es in­tui­ti­ves »po­lit-bas­hing«. Rechts ist, wer an mei­ner Pin­wand hängt. Wie Gre­gor schon öf­ter sag­te: da­zu muss man die Tex­te ja nicht mal le­sen, ge­schwei­ge denn, ver­ste­hen.
    Ha­be ich wirk­lich ei­nen Hau­fen rechts-kon­ser­va­ti­ver Ge­stal­ten auf­ge­zählt?! Scrol­len wir doch ein­fach mal nach oben...
    Ach, sieh da! Sie neh­men Slo­ter­di­jk und Lucke so­gar raus. Hmmm, da bleibt dann von dem Hau­fen nur noch Ne­cla Kelek üb­rig. Na, schön.
    Und auf die ar­me Im­mi­gran­tin hät­te ich ei­nen po­lit-ro­man­ti­schen Blick ge­wor­fen?!
    Sei­en Sie mir nicht bö­se, aber ich fürch­te, sie wer­fen mit Bil­dungs-Kli­schees um sich. »Rechts« und »ro­man­tisch«, da war doch was... Ha­ben Sie da nicht gleich ei­nen Buch­tipp für uns?!

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  52. @die_kalte_Sophie
    Der »Hau­fen rechts­kon­ser­va­ti­ver Ge­stal­ten« ist ja viel­leicht im Frei­tag-Ar­ti­kel nach­zu­le­sen, den ich in der Fuss­no­te ver­linkt hat­te (nicht noch­mal; wä­re zu­viel der Eh­re für die­se Prak­ti­kan­ten­po­stil­le). Da­bei kommt es tat­säch­lich nicht dar­auf an, ob die Leu­te »rechts« sind, son­dern nur noch ob sie für die Ver­fas­ser »rechts« gel­ten. Der Witz bspw. bei Bo­tho Strauß war ja, dass er sich als »Rech­ter« be­zeich­net hat­te, wo­bei dann al­ler­dings die Er­klä­rung, was das ist, im­mer weg­ge­las­sen wur­de:

    »Es han­delt sich um ei­nen an­de­ren Akt der Auf­leh­nung: ge­gen die To­tal­herr­schaft der Ge­gen­wart, die dem In­di­vi­du­um je­de An­we­sen­heit von un­auf­ge­klär­ter Ver­gan­gen­heit, von ge­schicht­li­chem Ge­wor­den­sein, von my­thi­scher Zeit rau­ben und aus­mer­zen will. An­ders als die lin­ke, Heils­ge­schich­te par­odie­ren­de Phan­ta­sie malt sich die rech­te kein künf­ti­ges Welt­reich aus, be­darf kei­ner Uto­pie, son­dern sucht den Wie­der­an­schluß an die lan­ge Zeit, die un­be­weg­te, ist ih­rem We­sen nach Tief­en­erin­ne­rung und in­so­fern ei­ne re­li­giö­se oder pro­to­po­li­ti­sche In­itia­ti­on. Sie ist im­mer und exi­sten­ti­ell ei­ne Phan­ta­sie des Ver­lu­stes und nicht der (ir­di­schen) Ver­hei­ßung. Ei­ne Phan­ta­sie al­so des Dich­ters, von Ho­mer bis Höl­der­lin.«

  53. zu #52
    Dan­ke für den Ge­leit­schutz. Es war mir wirk­lich ernst mit der Be­haup­tung: »Kei­ne Ah­nung, was rechts ist...«.
    Die For­mu­lie­run­gen von Strauss sind sehr gut, das geht si­cher in die rich­ti­ge Rich­tung.
    Dei­ne Ein­ord­nung der Schieß­bun­den­fi­gu­ren ist auch stim­mig.
    Ge­nau dar­um ging es: nur noch Re­fle­xe, so­gar Dok­tor D wil­ligt (dank­bar?!) ein in die re-ak­ti­ve De­fi­ni­ti­on. Nach Strauss gä­be es nur sehr we­ni­ge »rechts­phi­lo­so­phi­sche« Gei­ster, viel zu we­nig für die Kra­wall-Ma­schi­ne­rie...
    Da muss man eben Er­satz schaf­fen.
    Man könn­te die He­xen­jagd ja mit dem hor­ror va­cui er­klä­ren. We­he dem, dem die Geg­ner aus­ge­hen! Er wür­de den Geg­ner im ei­ge­nen Spie­gel­bild ent­decken.

  54. @Doktor D
    Ich will den Text im Grun­de nicht ver­tei­di­gen, weil ich ihn für schlecht hal­te, aber wenn wir uns die Stel­le ein­mal an­se­hen:

    »Mit Ver­laub, an­ge­sichts die­ser Ent­wick­lun­gen kom­men mir die Ko­pu­la­ti­ons­hei­me, wel­che die Na­tio­nal­so­zia­li­sten einst ein­ge­rich­tet ha­ben, um blon­de Frau­en mit dem Sa­men von blon­den blau­äu­gi­gen ss-Män­nern zu ver­sor­gen, fast wie harm­lo­se Übungs­spie­le vor. Ich über­trei­be, das ist klar, über­trei­be, weil mir das ge­gen­wär­ti­ge Fort­pflan­zungs­ge­murk­se der­art wi­der­wär­tig er­scheint, dass ich so­gar ge­neigt bin, Kin­der, die auf solch ab­ar­ti­gen We­gen ent­stan­den sind, als Halb­we­sen an­zu­se­hen. Nicht ganz echt sind sie in mei­nen Au­gen, son­dern zwei­fel­haf­te Ge­schöp­fe, halb Mensch, halb künst­li­ches Weiß­nicht­was. Das ist ge­wiss un­ge­recht, weil es den Kin­dern et­was an­la­stet, wo­für sie rein gar nichts kön­nen. Aber mei­ne Ab­scheu ist in sol­chen Fäl­len stär­ker als die Ver­nunft.«

    Le­witschar­off tut zwei­er­lei: a) Sie re­la­ti­viert ih­re pla­ka­ti­ven An­sa­gen so­fort (»Ich über­trei­be [...]«, »Das ist ge­wiss un­ge­recht [...]«) und be­ruft sich b) auf sub­jek­ti­ve Ein­drücke (»Aber mei­ne Ab­scheu ist in sol­chen Fäl­len stär­ker als die Ver­nunft.«). Man kann das als Rhe­to­rik ab­tun, al­ler­dings las­sen sich im Rest des Tex­tes m.E. kei­ner­lei Er­här­tun­gen da­für fin­den, dar­über hin­aus spricht Le­witschar­off so­gar da­von, dass sie »Den jüng­sten Fall ei­nes Mäd­chens in Köln, das von ei­ner
    Kli­nik in ka­tho­li­scher Hand ab­ge­wie­sen wur­de, weil es nach ei­ner Ver­ge­wal­ti­gung auf Num­mer si­cher ge­hen woll­te, dass aus die­sem Fre­vel kein Kind ent­ste­hen kann« für »skan­da­lös« hal­te (sie zählt sich auch nicht zu den Ab­trei­bungs­geg­nern). Sie ver­tritt kei­ne schwarz-weiß-Po­si­ti­on.

    Mir scheint, dass da ein paar Wör­ter aus dem Zu­sam­men­hang ge­ris­sen wur­den; na­tür­lich kann man sa­gen, dass die Au­torin sie nicht hät­te ver­wen­den sol­len (oder aber sie tat das im Wis­sen was kom­men wür­de). Ich selbst fin­de die­se Ver­glei­che ent­behr­lich (neu­er­dings wur­de ja so­gar der Ein­marsch auf der Krim mit Hit­lers Be­set­zun­gen und »An­schlüs­sen« ver­gli­chen). Aber ist das in der vor­lie­gen­den Form tat­säch­lich ein Skan­dal? Ist es nicht »schlim­mer«, dass die Au­torin bis­wei­len da­zu neigt, den Men­schen an­de­ren Au­to­ri­tä­ten (völ­lig?) un­ter­zu­ord­nen (Gott)?

  55. @metepsilonema:
    Ich hat­te das eher de­skrip­tiv für die Ana­to­mie des »Skan­dals« ge­dacht: Oh­ne die­sen Na­zi-Be­zug hät­te es, ver­mu­te ich, kei­ne Auf­re­gung ge­ge­ben. Und der Of­fe­ne Brief des Chef­dra­ma­tur­gen hat das dann in die Skan­dal-In­stant-Form ge­bracht, an die das Schnell­schrei­ber-Feuil­le­ton sich dann ver­schleiß­los (selbst gründ­lich le­sen) an­docken konn­te. Ich fin­de die Re­de aus an­de­ren Grün­den miss­glückt und un­ver­schämt, der Na­zi-Be­zug ist da eher das Tüp­fel­chen auf dem I.
    @Kalte_Sophie:
    Ich hat­te den Ein­druck, sie rech­nen den vom Feuil­le­ton als »rechts« oder »re­ak­tio­när« ins Vi­sier ge­nom­men Fi­gu­ren ei­ne be­son­de­re Qua­li­tät zu: Das sie tat­säch­lich was zu sa­gen hät­ten. Und das hal­te ich, po­si­tiv ge­sagt, für ro­man­tisch: Denn die mei­sten die­ser Fi­gu­ren bau­en ja ih­ren Le­bens­un­ter­halt auf ge­nau die­ser Rol­le im Kul­tur-Bou­le­vard auf. Das sind, zu­min­dest für mich, ge­nau so öde Clowns wie Diez und Co. KG. Wer sich län­ger auf rech­ten, kon­ser­va­ti­ven oder neo-fa­schi­sti­schen Sei­ten oder in die­sen Krei­sen her­um­treibt, merkt das im üb­ri­gen ganz schnell: Die sind fast spie­gel­sym­me­trisch zu Diez und Co. KG ge­baut und bie­ten ih­ren Kra­wall­stars an­schei­nend ein ganz net­tes Aus­kom­men.
    Aus­nah­men sind für mich Strauss und Slo­ter­di­jk. An de­nen kann man aber auch er­ken­nen, mei­nes Er­ach­tens, wie sehr man sich auch als et­was kom­pli­zier­ter den­ken­de Au­torin da­vor in Acht neh­men muss, auf die Schwach­denk-An­ge­bo­te des Bou­le­vards ganz au­to­ma­tisch ein­zu­ge­hen, weil man meint, sich da po­si­tio­nie­ren zu müs­sen.

  56. zu #54
    Der Pas­sus aus der Re­de ist gut ge­wählt, er zeigt den Fre­vel und lässt die Mög­lich­keit der Zweck­ent­frem­dung be­reist ah­nen. Na­zi-Züch­tung und das At­tri­but »harm­los« im sel­ben Satz?! Na, war­te...
    Es ist klar, dass wenn man die Hy­per­bel (zu­viel der Eh­re?) um­kehrt, ein gro­ßer Skan­dal ent­steht. Ich glau­be, das kön­nen be­reits Ab­itu­ri­en­ten. Der the­ma­ti­sche Rah­men ist je­doch nicht zu­fäl­lig, denn der GröFaZ und sei­ne Per­ver­sio­nen wird ja noch ge­braucht. SIE darf die­se Ver­glei­che nicht ma­chen, das dür­fen nur WIR...
    Grup­pen­kon­sens. WIR al­lein wis­sen, in wel­chen po­le­mi­schen Zu­sam­men­hän­gen die Na­zi-Ver­glei­che »kon­struk­tiv« sind, sie­he #45. Die po­le­mi­schen Zwecke sind ent­schei­dend, nicht der un­sach­ge­mä­ße Ge­brauch. Es gibt ja kei­ne statt­haf­ten Ver­glei­che auf die­ser »Ebe­ne«...

  57. zu #55
    Im­grun­de sind wir ei­nig: es ist für ei­nen kom­ple­xen Au­tor kaum noch mög­lich, sich dem Bou­le­vard (er­wei­ter­te Def.) zu nä­hern, oh­ne vor­ge­führt zu wer­den.
    Strauss und Slo­ter­di­jk sind für mich ge­nau, wie sie sa­gen, als »Miss­brauchs­op­fer« in­ter­es­sant ge­wor­den. Wer kon­spi­riert und wie­viel man da­bei ver­die­nen kann, ist mir schnup­pe. Die Au­toren wur­den nie ge­nau ge­le­sen, und stets auf die­sel­be Wei­se »miss­ver­stan­den«. Ganz klar: das ist nicht Dumm­heit, das hat Me­tho­de.
    Dass die­se Au­toren tat­säch­lich et­was zu sa­gen ha­ben, ‑die­se An­nah­me wä­re in der Tat ro­man­tisch. Sie kä­me ei­ner Lie­bes­er­klä­rung an ein Ora­kel gleich.
    Das Phä­no­men ist und bleibt: das, was die Au­toren sagen/schreiben, stimmt nicht mit dem über­ein, was sie gesagt/geschrieben ha­ben sol­len. Es ist Miss­brauch.

  58. @Doktor D
    Viel­leicht ha­ben wir da an ein­an­der vor­bei ge­schrie­ben, eben­des­we­gen mein­te ich in #49, dass der Ent­rü­stungs­sturm viel über das Feuil­le­ton sagt (weil die De­tails oder die tat­säch­lich re­le­van­ten Stel­le über­le­sen oder gar nicht be­müht wer­den — un­ver­schämt be­zie­hen Sie wor­auf?).

  59. @metepsilonema: An­ein­an­der vor­schrei­ben in Kom­men­ta­ren – das ist ja die klas­si­sche Form der Kom­mu­ni­ka­ti­on un­ter Ab­we­sen­den... Ich glau­be auch, dass wir uns ziem­lich ei­nig sind.
    Was ich un­ver­schämt an der Re­de fin­de? Das völ­lig un­ge­bro­che­ne Ver­trau­en Le­witschar­offs in den Wert ih­res ei­ge­nen Re­sen­ti­ments ge­gen­über re­pro­duk­ti­ons­me­di­zi­ni­schen Ver­fah­rens – mir er­schei­nen ih­re Re­la­ti­vie­run­gen rein rhe­to­risch. Ihr scheint völ­lig egal zu sein, dass sie da auch über rea­le Men­schen spricht. Statt­des­sen baut sie sich ir­gend­wel­che Papp­ka­me­ra­din­nen auf (die män­ner­feind­li­che Kampf­les­be im Pro­me­theus-Wahn), die selbst auf Bou­le­vard-Ni­veau sind. Und die Recht­fer­ti­gung da­für, jetzt die Zu­hö­rer mit die­ser wahn­haf­ten Wahr­neh­mung der kon­kre­ten Ver­hält­nis­se in der Re­pro­duk­tons­me­di­zin zu kon­fron­tie­ren, sind: ih­re Ge­füh­le. Das ist für mich das Re­fle­xi­ons­ni­veau von Pu­ber­tie­ren­den, nur mit mehr Ne­ben­sät­zen.

  60. @Doktor D
    Das völ­lig un­ge­bro­che­ne Ver­trau­en Le­witschar­offs in den Wert ih­res ei­ge­nen Res­sen­ti­ments
    Man er­set­ze jetzt »Res­sen­ti­ment« mit bei­spiels­wei­se »Mei­nung« (oder, dann wird es noch schwie­ri­ger, »Ge­fühl«). Und schon zeigt sich : Die­ses »Ver­trau­en« in das ei­ge­ne Glau­ben, Mei­nen, Füh­len ist ja das, was man den Schrift­stel­lern jah­re­lang als ih­re »Auf­ga­be«, neu­deutsch: Kern­kom­pe­tenz ge­pre­digt hat. Es ist das, man ei­gent­lich hö­ren möch­te. Um so un­er­hör­ter, wenn es sich um ein »Res­sen­ti­ment« han­delt – wo­bei dann die Fra­ge ist, wer das als Res­sen­ti­ment wer­tet.

    Ich glau­be auch, dass die Re­la­ti­vie­run­gen rei­ne Rhe­to­rik sind – wenn man »über­treibt«, es »nicht so meint«; dann muss man es eben an­ders for­mu­lie­ren. Es ist ei­ne REDE, kein State­ment in ei­ner Dis­kus­si­on, dass ei­nem viel­leicht ent­fleucht und nicht im­mer al­les druck­reif ist. Gleich zu Be­ginn sagt sie, dass ihr Iro­ni­sches zu den The­men, die sie in der Re­de be­han­deln möch­ten schwer­fal­le. Um sich dann beim Ge­gen­wind auf die­ses Iro­ni­sche raus­zu­re­den.

    In ei­nem hat »die kal­te So­phie« Recht: Wer sagt denn, dass Diez »kle­ri­kal­fa­schi­stisch« sa­gen darf, aber an­son­sten Na­zi-Ver­glei­che bzw. Na­zi-Par­al­le­len ver­pönt sind? Man kann das na­tür­lich als Schau­spiel, als In­sze­nie­rung be­trach­ten (wo­zu ich im­mer mehr nei­ge), al­ler­dings bleibt der Verursacher/die Ver­ur­sa­che­rin von nun an per­so­na non gra­ta bzw. muss ei­ne ge­ra­de­zu un­end­li­che Ket­te von di­ver­sen Ko­taus vor­neh­men, um wie­der auf­ge­nom­men zu wer­den in das Thea­ter.

    Die Fra­ge ist, ob Le­witschar­offs Li­te­ra­tur durch ih­re An­sich­ten zur Re­pro­duk­ti­ons­me­di­zin »be­schä­digt« wird, zu­mal sie sich ja bis­her er­kenn­bar nicht da­mit be­schäf­tigt. Das Pup­pen­thea­ter meint: ja. Ich sa­ge: nein. Da das Pup­pen­thea­ter je­doch den Ton an­gibt, setzt es sich durch; die Au­torin ist im Prin­zip »tot«. Zu­mal der Suhr­kamp Ver­lag ei­ne sehr un­rühm­li­che Rol­le ge­spielt hat.

  61. zu »Na­zi-Ver­glei­chen«: Manch­mal glau­be ich, wir müss­ten al­les und je­des mit Na­zis in Ver­bin­dung brin­gen, bis die­ser Zom­bie end­lich mal tot im Gra­be bleibt. Qua­si be­wuss­tes Na­zi-Tour­et­te-Syn­drom. Und bei Diez frag’ ich mich ernst­haft, ob der über­haupt den Schim­mer ei­ner Ah­nung hat, was der Be­griff »kle­ri­kal­fa­schi­stisch« über­haupt meint.
    Zur wei­te­ren Kar­rie­re von Le­witschar­off: Das näch­ste Buch kommt ja En­de März / An­fang April. Mal se­hen, was mit der Auf­la­ge pas­siert. Als ich die Suhr­kamp-Stel­lung­nah­me las, durch­fuhr mich die Idee: Ob die wohl schon län­ger pla­nen, sich von Le­witschar­off zu tren­nen? Und das ist hier jetzt die gol­de­ne Ge­le­gen­heit?

  62. War­um soll­te Suhr­kamp die Büch­nerpreis­trä­ge­rin los­wer­den wol­len? Per­sön­li­che Ani­mo­si­tä­ten? Bis zu der Re­de war doch S. L. everybody’s dar­ling.

  63. Rei­ne Spe­ku­la­ti­on mei­ner­seits:
    1) Man ver­dient kein Geld mit ihr, weil man ihr als Büch­nerpreis­trä­ge­rin ein zu ho­hes Fest­ho­no­rar zahlt (Ich bin ziem­lich si­cher, dass Büch­nerpreis kei­nen re­le­van­ten Ver­kaufs­boost mehr bringt, die mei­sten an­de­ren dt­schen. Li­te­ra­tur­prei­se tun es auch nicht – sagt je­den­falls mein Buch­händ­ler, der ein am­bi­tio­nier­tes Li­te­ra­tur­pro­gramm führt)
    2) Im Ver­lag gibt es Leu­te, die Le­witschar­off schon im­mer für über­be­wer­tet hal­ten. Das ist ih­re Chan­ce. Ge­ra­de im Suhr­kamp-Ver­lag mit sei­nen im­mensen Ge­richts­ko­sten sind die öko­nom­si­chen Res­sour­cen für Wer­bung etc. end­lich. Je­der we­ni­ger hilft den ei­ge­nen Leu­ten.

    Ich bin sehr ge­spannt auf die Re­zen­sio­nen zu ih­rem neu­en Ro­man: Da lässt sich wie­der et­was span­nen­des über das li­te­ra­ri­sche Feld ler­nen.

  64. Die Buch­prei­se (Frank­furt mehr als Leip­zig) brin­gen noch Ver­kauf – sag­te mir neu­lich mal ein Ver­le­ger, der es wis­sen muss­te. Auch der Bach­mann­preis. Al­le drei sind al­ler­dings me­di­al sehr gut in­sze­niert (be­son­ders Kla­gen­furt). Die ju­ry­af­fi­nen Prei­se, die zu 90% in den Feuil­le­tons ver­han­delt wer­den, dann wohl eher nicht (die zwei­zei­li­ge Mel­dung in der »ta­ges­schau« zum Büch­nerpreis ist ja eh nur zum Luft ho­len).

    Ja, ich bin auch auf die Re­zen­sio­nen ge­spannt; merk­wür­di­ger­wei­se auf das Buch we­ni­ger. Schon »Blu­men­berg« hat mich vom Set­ting her nicht in­ter­es­siert. »Pong«, da­mals Sie­ger in Kla­gen­furt, zer­fiel mir zu sehr in zwei Tei­le (der gu­te be­kam den Preis). Apo­stol­off fand ich nach­träg­lich bes­ser, als ich es mir da­mals be­schrie­ben hat­te, aber es war gu­te Un­ter­hal­tung. Sehr in­ter­es­sant fand ich 2007 ihr Vor­pre­schen zu­sam­men mit Fe­li­ci­tas Hop­pe (ko­misch, bei­de ha­ben in­zwi­schen den Büch­nerpreis?!) und dem ge­mein­sa­men Ab­schied von den Al­ten. (Ei­nen Link zum FAZ-Text gibt’s wohl nicht mehr.) Hier­aus könn­te sich ihr spä­te­rer Ruhm ab­lei­ten...

  65. @Gregor Keu­sch­nig:
    Das ent­sprich ganz gut mei­nem Kauf­ver­hal­ten: Deut­scher Buch­preis und Leip­zig, da gucke ich mir auf je­den­fall die Kan­di­da­tin­nen an (eben Per Leo, Flut und Bo­den ge­kauft). Beim Bach­mann-Preis ha­be ich mich jah­re­lang durch die on­line prä­sen­tier­ten Tex­te ge­quält – mit dem bin ich durch. Der ist für mich mitt­ler­wei­le eher ein Ma­lus.

    »Blu­men­berg« ha­be ich an­ge­fan­gen zu le­sen – und schnell wie­der weg­ge­legt. Das Er­schei­nen des Lö­wen ist wirk­lich schön, aber da­nach ist mir das Ge­sicht ein­ge­schla­fen. »Apo­stol­off« ha­be ich nicht ge­le­sen, nach­dem Le­witschar­off im DLF dar­aus ge­le­sen hat. Das hat mir zwar ge­fal­len, aber ich dach­te: Die­sen Ton über mehr als 200 Sei­ten möch­te ich nicht hö­ren.
    Auf mei­ner Li­ste steht noch Con­sum­ma­tus: Das ha­ben mir zwei Buch­händ­ler emp­foh­len, auf die ich sehr viel hal­te. Aber wie im­mer: so vie­le Bü­cher, so we­nig Zeit!

  66. Der Na­zi-Ver­gleich (oder: Fa­schis­mus­vor­wurf) hat drei Vor­tei­le: 1) Man patzt je­man­den an (und kann si­cher sein, dass et­was hän­gen bleibt), braucht 2) nicht wei­ter zu ar­gu­men­tie­ren und schreckt 3) da­mit mög­li­che Ver­tei­di­ger ab (es wird wohl kaum je­mand ge­ben der für Le­witschar­off in die Bre­sche springt [muss auch nie­mand]).

    Was mich noch rein theo­re­tisch in­ter­es­sie­ren wür­de: Könn­te man ih­re Re­de als fik­tiv (»li­te­ra­risch«) ver­tei­di­gen (das war in ähn­li­chen Fäl­len im­mer wie­der ei­ne Po­si­ti­on der »Ver­tei­di­gung«)?

    @Doktor D
    Weit­ge­hend ei­nig: Ja!

  67. An­ein­an­der vor­schrei­ben in Kom­men­ta­ren – das ist ja die klas­si­sche Form der Kom­mu­ni­ka­ti­on un­ter Ab­we­sen­den
    Das ist ein schö­ner Satz, be­reit zum Ein­rah­men.

    Nun dass die­se Dis­kus­si­on schon weit an mir vor­bei­ge­schrit­ten ist, möch­te ich aber noch ein paar Punk­te nach­lie­fern:

    @Keuschnig: Dass Sie kei­nen wis­sen­schaft­lich drö­gen Text ab­lie­fern müss­ten, recht­fer­tigt doch nicht dem Pu­bli­kum nach dem Mund re­den zu wol­len, bzw. die Sa­che auf de­ren vor­ge­fühl­tes Ni­veau her­un­ter­bre­chen zu wol­len; das ist doch ge­nau das was den Bou­le­vard aus­macht.

    Und da­mit zu ei­nem Haupt­ein­wurf: Die Aus­sa­ge im Ar­ti­kel, dass das Feuil­le­ton un­ter Bou­le­vard zu sub­su­mie­ren sei, ist mei­nes Er­ach­tens nicht ganz rich­tig. Das hie­ße ja, dass »Bou­le­vard« ei­ne Ober­men­ge sei, al­so noch reich­hal­ti­ger als das Feuil­le­ton. Hier in den Kom­men­ta­ren wer­den bei­de Be­grif­fe schon fast syn­onym ver­wen­det, wäh­rend doch das Um­ge­kehr­te rich­tig ist: dass sich im Feuil­le­ton, wo es fehl­geht, viel­leicht Ele­men­te, Funk­ti­ons­wei­sen des Bou­le­vard wie­der­fin­den las­sen, aber es sonst als in­tel­lek­tu­el­le Spiel­wie­se qua­si den un­end­li­chen Raum des frei­en Gei­stes um­fas­sen könn­te. Viel­leicht ist es da­her un­er­läss­lich die Be­grif­fe zu dif­fe­ren­zie­ren. Woll­te man Bou­le­vard an ein­fa­chen Merk­ma­len fest­ma­chen, so fal­len mir be­son­ders ein: Per­so­na­li­sie­rung, Emo­tio­na­li­sie­rung.
    Dies ist zu tren­nen von der (jour­na­li­sti­schen, me­dia­len) Öf­fent­lich­keit über­haupt. (Hier wür­de mich ne­ben­bei in­ter­es­sie­ren, ob auch ei­ne nicht­jour­na­li­sti­sche oder nicht­me­dia­le Öf­fent­lich­keit über­haupt denk­bar ist). Bei die­sen Skan­da­len, so den­ke ich, han­delt es sich näm­lich eher um Fo­kus­sie­run­gen des öf­fent­li­chen In­ter­es­ses auf sehr punk­tu­el­le Er­eig­nis­se. In­so­fern es da­bei schnell um ein­zel­ne Per­so­nen geht und Af­fek­te geht, ist na­tür­lich das Bou­le­vard nicht weit, aber mei­nes Er­ach­tens geht es zu­nächst ein­mal erst um.. po­si­ti­ve Rück­kop­pe­lung: ein The­ma ist ein The­ma, weil es ein The­ma ist. Da al­le sich da­mit be­schäf­ti­gen wird auch un­ser Ein­zel­be­wusst­sein, so sehr wir uns da­ge­gen weh­ren oder uns in Blogs da­vor ekeln, auf die­sen sin­gu­lä­ren Punkt ge­drängt. Das ist der »Skan­dal«, die Er­eig­nis-Sin­gu­la­ri­tät, dar­um be­schäf­ti­gen auch wir uns mit die­sem The­ma, wäh­rend wir fort­lau­fend be­to­nen wie nichts­wür­dig es oder der Pri­mär­text doch ei­gent­lich sei­en.
    Und da­mit auch ein Wi­der­spruch zu der Aus­sa­ge im Ar­ti­kel die­je­ni­gen, die im »Main­stream« mitsch­wöm­men be­kä­men ih­re gro­ße Be­loh­nung. Nein, die die nur mit­lau­fen, drin­gen doch gar nicht vor und sind schnell ver­ges­sen, die sind nur Un­ter­grund­rau­schen für die­se grel­len Auf­merk­sam­keits­spit­zen der Skan­da­le. Und ja, auch wenn die­se Skan­da­le von au­ßen schon ei­nen fast me­cha­ni­schen Ab­lauf zei­gen, so ist es doch sehr nicht­de­ter­mi­ni­stisch, wann oder wo­durch ei­ner ge­trig­gert wer­den kann und wann die Leu­te nur wie­der mit der Ach­sel zucken. Wie me­tep­si­lo­n­e­ma schon an­hand des et­was kon­tex­tua­li­sier­te­ren Zi­tats zeigt und wie mir das von Slo­ter­di­jk be­kannt ist: die Ein­schrän­kun­gen, die Ab­fe­de­run­gen, die Fra­ge­zei­chen, die der Red­ner bzw. des­sen Er­zähl­stim­me gel­tend macht, die wer­den völ­lig igno­riert, ja so­gar, dass der Text so­gar das völ­li­ge Ge­gen­teil in­ten­diert, statt­des­sen wird blind auf ge­wis­se Schlüs­sel­rei­ze oder ‑wör­ter re­agiert. Wann das je­doch pas­siert, hal­te ich nicht für kal­ku­lier­bar und ich den­ke auch nicht, viel­leicht ist das na­iv, dass Frau Le­witschar­off dar­auf spe­ku­lier­te. Selbst Herr Sar­ra­zin, der sein Geld da­mit mach­te und macht, schreibt sein letz­tes Buch ja da­ge­gen; die­je­ni­gen, die im Au­ge die­ses Auf­merk­sam­keits­zy­klon ste­hen, schei­nen al­so al­les in al­lem kei­ne an­ge­neh­me Er­fah­rung zu ma­chen.

    Be­vor ich ganz aus­fran­se: Dass in den Me­di­en Öf­fent­lich­keit fo­kus­siert wird, hal­te ich we­sent­lich für de­ren Funk­ti­on; es ist auch ein Ge­bot der Auf­merk­sam­keits­öko­no­mie... und auch der Dis­kur­se, die erst ei­ne kri­ti­sche Mas­se an Be­tei­li­gung und Stim­men be­nö­ti­gen! Wann das bou­le­var­deske des Phä­no­mens über­wiegt ist im Ein­zel­fall zu prü­fen.. aber im vor­lie­gen­den Falls scheint es wohl so.

    PS. »In­qui­si­ti­on« an­stel­le von »Dschi­had« hät­te ich in tat­säch­lich für pas­sen­der bzw. un­auf­ge­reg­ter ge­hal­ten, aber das ist viel­leicht auch nur mein pri­va­tes Sprach­emp­fin­den.

  68. Woll­te man Bou­le­vard an ein­fa­chen Merk­ma­len fest­ma­chen, so fal­len mir be­son­ders ein: Per­so­na­li­sie­rung, Emo­tio­na­li­sie­rung.
    So ist es. Da­her ist das Feuil­le­ton bis hin­ein in die Li­te­ra­tur­kri­tik längst Bou­le­vard ge­wor­den. Es geht näm­lich fast nur noch um Per­so­na­li­sie­rung und Emo­tio­na­li­sie­rung. Per­so­na­li­sie­rung, wenn Bio­gra­phi­sches aus dem Au­toren­le­ben mit dem vor­lie­gen­den Text so­zu­sa­gen ab­ge­gli­chen wird. Das ge­schieht in­zwi­schen in so ziem­lich je­der Kri­tik, die sich jen­seits der rei­nen In­halts­an­ga­be be­gibt. Das hat für den Re­zen­sen­ten zwei Vor­tei­le: Zum ei­nen braucht er kei­ne äs­the­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung zu füh­ren (die we­sent­lich kom­ple­xer sein müss­te). Und zum an­de­ren punk­tet er mit sei­nen ver­meint­li­chen Kennt­nis­sen über den Au­tor. Was der Le­ser oft ge­nug nicht weiss: Es steht schon vie­les in den so­ge­nann­ten Wasch­zet­teln; man kann das oh­ne gro­sse Mü­he ab­kup­fern. Wä­re noch die Emo­tio­na­li­sie­rung. Sie äu­ssert sich zu­meist in über­bor­den­den Lo­bes­hym­nen oder, in­zwi­schen eher sel­te­ner, Ver­ris­sen. In bei­den Fäl­len ent­äu­ssert sich der Kri­ti­ker. Da­ge­gen ist nichts ein­zu­wen­den, wenn es auf Be­grün­dun­gen ba­siert. Ge­nau dies fehlt mir je­doch zu­meist.

    Das ist nur die Li­te­ra­tur­kri­tik (oder auch Kunst‑, Ki­no- und Mu­sik­kri­tik) – das an­de­re Feuil­le­ton ha­be ich noch gar nicht er­wähnt. Über die so­ge­nann­ten De­bat­ten braucht man kein Wort zu ver­lie­ren – hier ist der Bou­le­vard Pro­gramm (an­ders funk­tio­niert die Auf­merk­sam­keits­öko­no­mie gar nicht).

    Bou­le­vard be­deu­tet für mich auch, dass man den klein­sten ge­mein­sa­men Nen­ner mit dem am En­de doch un­be­kann­ten Pu­bli­kum ver­sucht zu er­rei­chen. Es be­deu­tet: kurz, knackig und in ein­fa­chen Sät­zen. Ein Schrift­stel­ler sag­te neu­lich, ein Re­dak­teur ha­be ihn für ei­ne Rei­he ge­be­ten, ein Ge­mäl­de zu be­schrei­ben. Be­din­gung: »In ei­nem Satz.« Das klingt wie ei­ne Fin­ger­übung ir­gend­wel­cher Schreib­schul­se­mi­na­ri­sten – da mag dies an­ge­hen. Aber was will man mit ei­ner sol­chen Ver­stüm­pe­rung er­rei­chen? Schon klar, man will das Pu­bli­kum nicht über­for­dern. Statt­des­sen un­ter­for­dert man es. Frü­her nann­te man Un­ter­for­de­rung Lan­ge­wei­le. Da­her muss dann bspw. die Emotionalisierungs­trommel ge­rührt wer­den, usw. Ein Teu­fels­kreis.

    Ich mer­ke es, wenn ich ein Buch ge­le­sen ha­be und dann Kri­ti­ken da­zu le­se. Na­tür­lich ha­ben die Re­zen­sen­ten nie »mein Buch« ge­le­sen. Und es ist auch na­tür­lich, dass sie an­de­re Ele­men­te wich­tig und er­wäh­nens­wert fin­den als ich dies tue. Aber am En­de muss ich oft fest­stel­len, dass die mei­sten so­ge­nann­ten Re­zen­sio­nen gar nicht erst ver­su­chen, dem Text ei­ne ge­wis­se Ge­rech­tig­keit wi­der­fah­ren zu las­sen.

    Was ist Feuil­le­ton noch au­sser Kri­tik und De­bat­te? Wo sind Au­toren wie Jo­seph Roth oder Al­fred Kerr mit ih­ren manch­mal klei­nen Be­ob­ach­tungs­split­tern? Das, was die­se Leu­te ge­schrie­ben ha­ben kann man – un­ab­hän­gig da­von, dass es in­zwi­schen zeit­hi­sto­ri­sche Qua­li­tä­ten hat – auch noch heu­te, nach 80, 100 Jah­ren mit Ver­gnü­gen le­sen; es ist ein­fach bril­lant ge­schrie­ben. Kennt ir­gend­ei­ner Au­toren des ak­tu­el­len Feuil­le­ton des­sen Tex­te jen­seits viel­leicht literatur­wissenschaftlicher Er­ör­te­run­gen in sa­gen wir 50 Jah­ren mit Lust ge­le­sen wer­den? (Ei­ner fie­le mir dann doch ein, aber ich nen­ne ihn erst­mal nicht.)

    Aber Sie, @Phorkyas ha­ben viel­leicht doch Recht: Ich (wir?) tun dem Feuil­le­ton un­recht. Aber nur in ei­nem Punkt: Das man die Bou­le­var­di­sie­rung dort fest­macht. Das ist näm­lich falsch. Im Ver­hält­nis zur po­li­ti­schen Be­richt­erstat­tung (bei­spiels­wei­se) mit ih­ren schreck­li­chen »Live-Tickern« und »Talk­shows« ist das Feuil­le­ton fast noch hei­lig, na­ja: se­lig zu nen­nen. In der po­li­ti­schen Be­richt­erstat­tung gibt es nur noch Per­so­na­li­sie­rung, Emo­tio­na­li­sie­rung = Ba­na­li­sie­rung. Je­des Pro­blem wird re­du­ziert auf das Ni­veau der »Bild«-Zeitung. Wenn in die­sen un­säg­li­chen Quas­sel­run­den auch nur ei­ner mal ver­sucht, ein Pro­blem ra­tio­nal an­zu­ge­hen, kommt nach spä­te­stens zwei Sät­zen der Mo­de­ra­tor und er­klärt, dass man für die­se De­tails jetzt kei­ne Zeit ha­be oder, noch bes­ser, dass dies zu de­tail­liert in die Ma­te­rie ein­drin­ge und dem Zu­schau­er nicht be­kannt sei. Da­bei ver­such­te der an­de­re doch ge­ra­de, die­ses De­tail na­he­zu­brin­gen. Die Wahr­heit ist: Es geht in der po­li­ti­schen Be­richt­erstat­tung nicht mehr um Sach­fra­gen – es geht nur dar­um, wann wer mit wem was wo ge­macht oder nicht ge­macht hat oder was mit wem wann ge­schieht. DAS ist das »Neue Blatt« nur mit der Au­ra des Se­riö­sen. Aber die­ses Se­riö­se ist, als woll­te man Pom­mes fri­tes mit Ketch­up un­ter ei­ner Ser­vier­glocke le­gen und sa­gen »Vio­là«. Und die Mas­se frisst es dann, als wenn es Pa­sta mit Trüf­feln wä­re?

    .-.-.

    Na­tür­lich gibt es auch nicht­me­dia­le und nicht­jour­na­li­sti­sche Öf­fent­lich­kei­ten. Sie dürf­ten so­gar die Mehr­heit stel­len und wer­den in Dis­kur­sen im all­ge­mei­nen un­ter dem Ru­brum »Stamm­tisch« ge­führt (es kann auch am Ar­beits­platz sein, in der Kan­ti­ne, im Fuss­ball­sta­di­on, usw). Das Netz hat die­se nicht­me­dia­len Öffentlich­keiten, die ja stark lo­kal ge­bun­den sind, für den vir­tu­el­len »Markt« ge­öff­net. Die Fol­gen sind be­kannt.

    -.-.-.-

    Noch was zum Vor­wurf, ich re­de »dem Pu­bli­kum nach dem Mund«. Das stimmt al­lei­ne da­hin­ge­hend schon nicht, weil die Le­ser­zahl mei­nes Blogs kon­stant nied­rig ist. Wenn je­mand sei­nem Pu­bli­kum nach dem Mund re­det, dann bit­te nen­nen Sie die­se Prot­ago­ni­sten; die gibt es in der Blog­ger­sze­ne wirk­lich reich­lich. Ich wür­de sie mit dem ei­gent­lich schon ver­brann­ten, weil in­fla­tio­när ge­brauch­ten Wort der »Po­pu­li­sten« be­le­gen. Sie sind mir im Zwei­fel noch ek­li­ger und kleb­ri­ger als die me­dia­len Po­pu­li­sten.

    Mein Text ist be­wusst of­fen ge­hal­ten, um Kom­men­ta­re an­zu­re­gen. Dies, weil man mir häu­fig vor­ge­wor­fen hat­te, mei­ne Tex­te sei­en zu um­fas­send; lie­ssen kei­nen Wi­der­spruch zu, es sei denn, der Kom­men­tie­ren­de wür­de sich tat­säch­lich in­ten­siv mit der Ma­te­rie be­schäf­ti­gen (was ja kaum ge­schieht, weil es ent­we­der zeit­lich nicht mög­lich ist und auch, weil es von den Leu­ten, die ent­spre­chend re­pli­zie­ren könn­ten, die­sen Blog nicht le­sen). In ei­nem »nor­ma­len« Auf­satz wür­de ich nie die Fäl­le Strauß, Hand­ke, Wal­ser, Slo­ter­di­jk mit de­nen von Mo­se­bach und Le­witschar­off in ei­nem Atem­zug nen­nen, oh­ne sie nicht scharf von ein­an­der ab­zu­gren­zen. Hier geht das, weil es nur um die Il­lu­stra­ti­on von be­stimm­ten Mu­stern geht, mit de­nen Vor­gän­ge skan­da­li­siert wer­den. Und weil es die Mög­lich­keit gibt, in den Kom­men­ta­ren dann doch Un­ter­schei­dun­gen fest­zu­ma­chen.

    »In­qui­si­ti­on« statt »Dschi­had« hät­te ich in die­sem Fall nie be­nutzt. Zum ei­nen er­zeugt der Be­griff »In­qui­si­ti­on« bzw. »in­qui­si­to­risch« kaum noch den ge­wis­sen Schau­der, den er ein­mal hat­te. Das ist ganz ein­fach: Es gibt für uns, in un­se­rem Sprach­raum, kei­ne »In­qui­si­ti­on« mehr. Beim »Dschi­had« ist das et­was an­de­res – er ist als Droh­po­ten­ti­al prä­sent. Es geht mir bei »Dschi­had« eben dar­um, die na­he­zu re­li­giö­se In­brunst der Skan­da­li­sie­rer auf den Punkt zu brin­gen, was mit dem fast schon an­ti­quier­ten Be­griff »In­qui­si­ti­on« nicht zwin­gend ge­lun­gen wä­re, mit dem Ter­mi­nus aus der Ge­gen­wart aber sehr wohl.

  69. Ty­pisch NZZ! Da fra­gen die auch noch Leu­te zum The­ma, die da tat­säch­lich Ex­per­ti­se ha­ben und un­ter­schied­li­cher Mei­nung sind! Da nimmt näm­lich nicht nur Le­witschar­off noch ein­mal Stel­lung, son­dern auch Ro­bert Spae­mann und Bet­ti­na Schö­ne-Sei­fert, ei­ne sehr re­nom­mier­te Me­di­zin-Ethi­ke­rin.
    Ei­nen gu­ten Kom­men­tar fin­de ich auch den Ar­ti­kel von Oli­ver Tol­mein in der Jungle World. (Die ich auch we­gen ih­res et­was an­de­ren Feuil­le­tons sehr emp­feh­le. Aber Ge­duld für epi­de­misch auf­tre­ten­de mar­xi­sti­sche Wah­re-Leh­re-Klein­krie­ge muss man ha­ben.) http://jungle-world.com/artikel/2014/11/49507.html

  70. Der Skan­dal er­reicht das Wo­chen­en­de, und das Flick­werk der Kom­men­ta­re wird län­ger als ein Fan-Schal des 1.FC Bay­ern Mün­chen.
    Oder län­ger als ei­ne kor­rekt auf­ge­stell­te Selbst­an­zei­ge von Uli Hoe­neß.
    In­des ha­ben die Me­di­zin-Ethi­ker über­nom­men. Ganz klar, Le­witschar­off hat sich mit den gel­ten­den Nor­men an­ge­legt. Sie ist des­avou­iert.
    Sind die »Fein­de der Li­te­ra­tur« zu­frie­den, wird man am Sonn­abend ein teu­res Fläsch­chen aus dem Kel­ler ho­len?!
    Wer jetzt noch kon­zil­li­ant und lie­be­voll auf den Kon­troll-Be­trieb aka Feuil­le­ton blickt, hat ver­mut­lich sei­ne »Fläsch­chen« auch schon im Trocken...

  71. Er­gän­zend noch zu den Be­griff­lich­kei­ten »Feuil­le­ton« und »Bou­le­vard«: Der er­ste der bei­den Be­grif­fe hat ei­nen deut­li­chen in­halt­li­chen Schwer­punkt, wäh­rend der zwei­te aus­schließ­lich die Art und Wei­se der Ver­hand­lung (Be­hand­lung) egal wel­cher The­ma­ti­ken meint. — Me­tho­disch (und nur me­tho­disch) kann das Feuil­le­ton Bou­le­vard wer­den.

  72. »Feuil­le­ton« ist ei­ne Art Be­haup­tung. Die muss erst ein­mal ein­ge­löst wer­den. Buch­be­spre­chun­gen und Re­zen­sio­nen, In­ter­views mit Künst­lern, usw. ma­chen noch kein Feuil­le­ton aus. Das lie­fert ama­zon oder auch der »stern«. »Bou­le­vard ist pri­mär, da stim­me ich zu, ei­ne Me­tho­de.

  73. (@Keuschnig: Dass Sie sich in ir­gend­ei­nem Ar­ti­kel ver­ein­fa­chend und un­ter­kom­plex an­bie­der­ten, woll­te ich nicht­ein­mal in­si­nu­ie­ren, das kae­me mir re­gel­recht ab­surd vor. Des­we­gen: Sie sche­ren sich doch auch sonst nicht dar­um ob es jetzt zu de­zail­liert oder wis­sen­schaft­lich wird. – Ge­nau weil Dschi­had die­se Kan­te noch hat, klingt da fuer mich schon et­was Kra­wal­li­ges oder skan­da­li­sti­sches mit, et­was wie bei Sar­ra­zin viel­leicht fast. Bzw. faellt es ueber das Feuil­le­ton ein aehn­lich hartrs und ab­so­lu­tes Ur­teil wie die­ses ueber Frau Le­witschar­off. Nuff said

  74. et­was wie bei Sar­ra­zin viel­leicht fast
    Jetzt grei­fen Sie sel­ber in den Korb mit den Skor­pio­nen. Und, zur Sei­te ge­fragt: Ha­ben Sie was von Sar­ra­zin ge­le­sen? – Al­le drei Bü­cher von ihm ste­hen hier zur Dis­kus­si­on.

    Viel­leicht le­ge ich dem­nächst mei­ne Tex­te zur Kra­wall­prü­fung vor?

  75. @Gregor
    Schon, aber wenn ich Feuil­le­ton sa­ge, dann ist das im­mer mit ei­ner in­halt­li­chen Er­war­tung ver­bun­den, die es beim Be­griff Bou­le­vard nicht gibt.

  76. Klar ist es schlimm, wenn das Feuil­le­ton zum Bou­le­vard wird oder sich nicht von ihm »me­tho­disch« ab­zu­set­zen ver­mag (in Öster­reich könn­ten wir dar­über gar nicht dis­ku­tie­ren).

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  78. Die ZEIT schiebt noch ei­ne Ho­me­sto­ry hin­ter­her, al­les wird gut.
    Die Kuh ist vom Eis, die Eh­re des Lan­des ist wie­der her­ge­stellt. Al­le re­den, wie das Ge­setz es will. Die we­ni­gen Spiel­räu­me zwi­schen den Pa­ra­gra­phen rei­chen für die ei­ge­ne Mei­nung. Ein rechts­phi­lo­so­phi­scher Ödi­pus, dem man sich frei­wil­lig auch oh­ne Re­fe­ren­dum un­ter­wirft. Ist das nicht wun­der­bar?!
    Vor der frei­wil­li­gen Knecht­schaft ist so oft ge­warnt wor­den. Um­sonst.
    Das Ge­setz ist das Gu­te, tönt es er­neut aus al­len Laut­spre­chern.
    Das Ge­setz ist die ein­zig wah­re Spra­che des Vol­kes.

  79. @die_kalte_Sophie
    Nicht so vor­ei­lig! Der Frie­den ist nur vor­läu­fig, So­bald neue Mu­ni­ti­on ge­lie­fert wird, baut man auch wie­der die Ziel­schei­be S. L. auf. Die Flecken ge­hen nicht mehr weg. Sie wer­den nur zu­ge­deckt.

  80. @ Gre­gor
    Na klar, sem­per hae­ret. Ein Ein­trag ins Klas­sen­buch ist un­ver­meid­lich. Ab jetzt kann S.L. zu Ver­glei­chen her­an­ge­zo­gen wer­den, man kann mit dem neu­en Quer­ver­weis Dro­hun­gen auf­bau­en oder Re­la­ti­vie­run­gen be­trei­ben. Wie­der ei­ne »er­zie­he­ri­sche Mass­nah­me« mehr in der Mu­ni­ti­ons­ki­ste. S.L. ist jetzt ei­ne The­men-Waf­fe, falls wie­der mal ein Pro­mi öf­fent­lich über Me­di­zin­tech­nik nach­denkt und nicht den Ethik­rat vor­her kon­sul­tiert. Und S.L. kann jetzt auch mit sich selbst be­droht wer­den... »Du willst doch nicht wie­der ei­nen Skan­dal wie da­mals ver­ur­sa­chen, weißt Du noch?!«
    Wie sag­te neu­lich mein Haut­arzt: Die Deut­schen sind ein­fach zu dumm, sie sind sehr leicht zu er­zie­hen!

  81. Na ja, wenn ALLE dau­ernd un­ge­zo­gen sind, ist das auch nicht gut fürs Ge­mein­we­sen. Längst wird ja auch ge­lit­ten un­ter den aus­ufern­den Spiel­chen aus dem Kon­for­mi­täts­druck der „In­di­vi­dua­li­sten“.

    Und au­ßer­dem könn­te Frau Le­witschar­off mit­tels ih­rer Ab­wei­chung ja auch sym­bo­li­sches Ka­pi­tal ge­won­nen ha­ben? Sie könn­te die Er­fah­rung ih­rer Ab­wei­chung in ih­re Kunst ein­spei­sen? Viel­leicht hat sie gar Le­ser da­zu ge­kriegt? (Any news ist good news.)

    Im­mer­hin kommt nach dem Skan­dal die Läu­te­rung für al­le.

    Da könn­ten wir (und jetzt al­le mit­ein­an­der:) auch mal so rum groß­zü­gi­ger sein.

    Ich fand die Home-Sto­ry nach all dem Ge­ze­ter doch er­hel­lend.

  82. @ Herr.Jedermann
    Ihr zwei­ter Satz ist völ­lig schief ge­gan­gen, aber ich ah­ne, was sie mei­nen. Sprach­spiel­chen als »in­di­vi­du­el­les An­we­sen­heits-Si­gnal«. Guck mal, wer da spricht... Ist das ih­re An­sicht über Li­te­ra­tur oder Jour­na­lis­mus?!
    Ich bin der Mei­nung: die Jour­na­li­sten sind Sprach-Spie­ler, aber für ei­nen Künst­ler stel­len sich meh­re­re Auf­ga­ben gleich­zei­tig, und das zwingt ihn/sie zu ei­ner »krea­ti­ven Lö­sung«, die sich auch sprach­lich nie­der­schlägt. Die krea­ti­ve Lei­stung be­schränkt sich nicht al­lein auf’s Wor­te-Fin­den. Jour­na­lis­mus, die Kunst, um den hei­ßen Brei her­um zu re­den?
    Ge­wiss: Kon­for­mi­tät kommt nicht von selbst, Kon­for­mi­tät braucht Druck. Kon­for­mi­tät folgt dem Zwang. Aber geht das nicht ein biss­chen zu weit mit dem Mit­ge­fühl..., Diez, Ma­tus­sek, Aug­stein, et alt. be­tref­fend. Will sa­gen, ist das nicht »auf der an­de­ren Sei­te« eh­ren­rüh­rig? War­um die Kon­for­mi­sten nicht has­sen, war­um im­mer nur das elen­de Mit­ge­fühl?!

  83. Viel­leicht ist Mit­ge­fühl stär­ker als Hass? (Hass im­pli­ziert im­mer noch ei­ne Emo­ti­on; viel­leicht bes­ser: Mit­leid statt Mit­ge­fühl.)

    Das Feuil­le­ton kön­nen wir uns doch längst sel­ber schrei­ben. War­um fan­gen wir nicht da­mit an? Die sprach­spie­len­den Jour­na­li­sten sind doch nur Kar­ten­zin­ker.

  84. @ Gre­gor
    Ja, ein­ver­stan­den. Es braucht na­tür­lich meh­re­re Sach­ver­stän­di­ge. Die Li­te­ra­tur kannst Du über­neh­men. Ich be­werb mich für die klas­si­sche Mu­sik. Dann brau­chen wir noch Tanz, Ar­chi­tek­tur und Ma­le­rei. 5 Leu­te müss­ten rei­chen, oder?!
    Emp­feh­le an die­ser Stel­le die Re­de von In­sa Wil­ke zur Rich­tungs­wech­sel der Li­te­ra­tur­kri­tik, ge­ra­de er­schie­nen im Boer­sen­blatt, an­läss­lich des Al­fred-Kerr-Prei­ses. Welch glück­li­che Fü­gung, ver­spot­tet sie doch höchst iro­nisch die Debatten-(Bindestrich, Zö­gern, Räuspern!)-Kultur, und weist den bes­se­ren Weg. Das Si­gnal könn­te nicht punkt­ge­nau­er kom­men.

  85. @kalte_Sophie

    Da könn­te ich Ih­nen so­gar zu­stim­men, Frau Leh­re­rin, zu­min­dest was „die krea­ti­ven Lö­sun­gen“ an­be­langt. (Aber müss­ten Sie das dann nicht auch mal bei sich sel­ber an­wen­den?)

    Und was die gan­zen Leer­for­meln an­geht, müss­ten dann wohl al­le erst mal für ei­ne Wei­le den Mund hal­ten – das wä­re ra­di­kal. Aber was ist dann mit dem lau­fen­den Ge­schäft? Und wo auch das Schwei­gen „kor­rupt“ sein kann? (Et­wa in der Nicht-Ant­wort auf Je­li­nek.)

    Und, was die Be­we­gung vom Hass zum Mit­ge­fühl an­geht, fol­ge ich lie­ber mei­nen ei­ge­nen Er­fah­run­gen. Ich bin heu­te noch vol­ler Hass auf al­les mög­li­che und das ko­stet im­mer viel Füh­len – oft zu­viel. Und hat er mich bis­her kaum tat­säch­lich ir­gend­wo­hin ge­bracht.

    Und das Po­sie­ren der Wohn­zim­mer-Ra­di­ka­len ist auch leer. Der Diez steckt auch Ih­nen, kalte_Sophie! (Und wie oft rührt der Hass aus dem „Selbst“?)

    Ja, al­so dann lie­ber Mit­ge­fühl – auch wenn’s schwer fällt. Und manch­mal weil es schwer fällt. Im­mer­hin sind wir bis­her al­le noch vor dem Ge­setz.

  86. @ Herr.Jedermann

    Ich ha­be den Hass ja vor­ge­schla­gen, das ha­ben Sie falsch ver­stan­den. War­um soll­te ich ein Ge­fühl an­spre­chen, dass ich selbst (Oh, Selbst!) ab­spal­te...
    Das wä­re ganz schön Plemp­lem!
    Was das lau­fen­de Ge­schäft an­be­langt: mit dem Ar­beits­platz lässt sich auch ei­ne Teil­zeit-Stel­le für den Hen­ker be­grün­den. Kön­nen Sie denn nicht auf den li­ber­tä­ren Kul­tur­bol­sche­wis­mus ver­zich­ten?! Und wenn, nein: tut das ganz all­ge­mein not, sa­gen wir aus ge­schicht­lich in­du­zier­tem Ma­so­chis­mus?! Müs­sen wir das un­be­dingt ha­ben?!
    Ne, ne, nee. Da kön­nen wir ru­hig »ein­spa­ren«, um die volks­wirt­schaft­li­che Per­spek­ti­ve durch­zu­hal­ten. Wird die lau­fen­den Be­trie­be zwar nicht stö­ren, aber ich bin da­für. Ich weiß schon, was sie stört: ohn­mäch­tig sein und trotz­dem mit al­ler Macht DAGEGEN hal­ten,
    das ist un­wei­se,
    so un­wei­se,
    dass es falsch sein muss,
    oder?