Ge­sin­nungs­äs­the­tik, Klas­sen­lie­be und Mei­nungs­pfo­sten

Anke Stelling: Schäfchen im Trockenen

An­ke Stel­ling:
Schäf­chen im Trocke­nen

Un­ge­ord­ne­te Be­mer­kun­gen zu An­ke Stel­lings »Schäf­chen im Trocke­nen«

Es gibt sie noch, die Li­te­ra­tur­kri­tik, die es schafft, Lust auf die Lek­tü­re ei­nes Bu­ches zu er­zeu­gen. Über­ra­schend ist viel­leicht, dass ein Ver­riss war, der mich auf An­ke Stel­lings »Schäf­chen im Trocke­nen« neu­gie­rig mach­te. Die lo­ben­den Wor­te, die ich in den Teasern von den üb­li­chen Ver­däch­ti­gen las und auch der Preis der Leip­zi­ger Buch­mes­se ge­nüg­ten hier­für nicht. Es be­durf­te der fu­rio­sen Phil­ip­pi­ka von Iris Ra­disch (lei­der jetzt hin­ter ei­ner Paywall). Vor al­lem, weil hier von »Ge­sin­nungs­äs­the­tik« die Re­de ist, vom »vul­gär­so­zio­lo­gi­schen Grund«, der die­se Pro­sa mit dem »wichtigste[n] Li­te­ra­tur­preis des Früh­jahrs« be­denkt.

Der Vor­wurf der Ge­sin­nungs­äs­the­tik fällt im­mer dann, wenn ein Buch nicht auf­grund sei­ner li­te­ra­ri­schen Vor­zü­ge ge­lobt und aus­ge­zeich­net zu wer­den scheint, son­dern der po­li­ti­sche, ge­sell­schaft­li­che Deu­tungs­rah­men des In­halts do­mi­niert. Ge­sin­nungs­äs­the­tik fun­giert da­bei vor al­lem als Ur­teil über die Re­zep­ti­on bzw. die Kri­tik. Es han­delt sich al­so im wei­te­sten Sinn um Me­di­en­kri­tik. Sel­ten, dass ei­nem Au­tor ge­sin­nungs­äs­the­ti­sches Schrei­ben da­hin­ge­hend un­ter­stellt wird, dass er ei­nen po­li­ti­schen und/oder ge­sell­schaft­li­chen Main­stream be­wusst be­dient.

Da­bei wird über­se­hen, dass na­he­zu je­des Ur­teil über ein li­te­ra­ri­sches Werk ge­wis­sen ge­sin­nungs­äs­the­ti­schen Strö­mun­gen un­ter­liegt. So ist der klei­ne Bru­der der Ge­sin­nungs­äs­the­tik der Zeit­geist. Der Un­ter­schied zwi­schen Zeit­geist und Ge­sin­nungs­äs­the­tik be­steht dar­in, ob die Aus­zeich­nen­den, die Lo­ben­den um die Prio­ri­sie­rung ih­rer Ur­teils­kri­te­ri­en wis­sen. Zeit­geist ge­schieht, Ge­sin­nungs­äs­the­tik ist be­wusst. Aus­ge­zeich­net wird dann et­was ge­ra­de we­gen sei­ner au­ßer­li­te­ra­ri­schen Be­zü­ge, bei­spiels­wei­se weil in ei­nem Ro­man ei­ne be­stimm­te po­li­ti­sche Rich­tung po­si­tiv dar­ge­stellt wird oder weil es ei­ne Frau ge­schrie­ben hat oder ein Mann oder ein Ein­hei­mi­scher oder ei­ne Per­son mit Mi­gra­ti­ons­vor­der- oder –hin­ter­grund oder was auch im­mer als re­le­vant her­an­ge­zo­gen wird.

Zu­letzt kur­sier­te der Vor­wurf der Ge­sin­nungs­äs­the­tik in gro­ßem Stil in den Feuil­le­tons der 1990er Jah­re als es um die nach­träg­li­che Be­wer­tung der Dich­tun­gen aus der DDR ging. Der Aus­lö­ser war Chri­sta Wolfs No­vel­le »Was bleibt«. In der sich im­mer mehr vom Text ab­kop­peln­den Dis­kus­si­on ging es am En­de dar­um, ob bei­spiels­wei­se Wolfs Werk auf­grund ih­res Sta­tus als Au­torin der DDR zu po­si­tiv re­zi­piert wor­den sei. Man hät­te hier­aus ei­ne in­ter­es­san­te Dis­kus­si­on um Schrift­stel­ler und de­ren po­li­ti­sche Kom­pe­tenz füh­ren kön­nen – aber wie so häu­fig ent­glitt das The­ma. Be­zeich­nend, dass Wolf vor al­lem von Gün­ter Grass in Schutz ge­nom­men wur­de. Man hät­te durch­aus auch Grass, der halb frei­wil­lig halb er­zwun­gen zum »Ge­wis­sen der Na­ti­on« sti­li­siert wur­de, als ge­sin­nungs­äs­the­tisch be­wer­te­ten Au­tor her­an­zie­hen kön­nen, aber aus ir­gend­wel­chen Grün­den un­ter­zog man nur die DDR-Au­toren der Kri­tik.

Ra­disch ver­wen­det die Be­zeich­nung der »po­pu­lä­ren Ge­sin­nungs­äs­the­tik«. Da­mit kri­ti­siert das, was man grob ver­ein­fa­chend als gän­gi­ge Preis- und Sti­pen­dia­ten­pro­sa be­zeich­nen könn­te. Es ist ei­ne Pro­sa, die das rich­ti­ge schreibt und denkt, sich dem Main­stream an­ge­passt hat. Der Vor­wurf der Ge­sin­nungs­äs­the­tik ist da­her auch als Kri­tik an den li­te­ra­ri­schen Ur­tei­len ge­ne­rell zu ver­ste­hen.

Das Ver­blüf­fen­de nach der Lek­tü­re von Stel­lings Buch ist, dass man Ra­disch in fast al­len Punk­ten zu­stim­men muss. Der In­halt des Ro­mans ist schnell er­zählt. Es ist ein Brief der Mitt­vier­zi­ge­rin Re­si an die 14jährige Toch­ter Bea. Und es ist ei­ne gross-in­sze­nier­te Wut­re­de der sich po­li­tisch links nen­nen­den Mut­ter von vier Kin­dern, ge­bo­ren und auf­ge­wach­sen in Stutt­gart, jetzt le­bend in Ber­lin, Noch-Prenz­lau­er-Berg. Sie ist Schrift­stel­le­rin, der Mann, Sven, ein kif­fen­der Ma­ler, aus­ge­stat­tet mit dem, was man in­zwi­schen »Hal­tung« nennt. Die Freun­de nennt er denn auch »Arsch­gei­gen«. Sei­ne Kom­pro­miss­lo­sig­keit schützt zu­ver­läs­sig vor fi­nan­zi­el­len Ein­nah­men. Sven ist, so Re­si, »au­then­tisch«. Frü­her war Prinz Ei­sen­herz das Vor­bild, heu­te Prinz Gleich­mut.

Ge­gen En­de des Bu­ches zeigt sich ein Er­folg für Re­si, ihr Buch er­hält ei­nen Li­te­ra­tur­preis und so­fort fürch­tet sie vom Be­trieb ver­ein­nahmt zu wer­den. Als Pro­test da­ge­gen pin­kelt sie mit ih­rem Ver­le­ger auf die Stra­sse – sie im Rinn­stein, er an der Haus­wand. Re­mi­nis­zenz an ei­ne Frau, die sich einst im Auf­zug er­leich­ter­te. Hel­den­tum kann so ein­fach sein.

Da­zwi­schen phi­lo­so­phiert Re­si über ih­re Her­kunft, ih­re so­zia­le Schicht, die sie Klas­se nennt und die sie nicht über­win­den kann und selbst dann, wenn man ihr an­bie­tet, sich ein­zu­kau­fen in das Pro­jekt K23, ei­ner Art Ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft von Freun­den, dann sieht es als Über­griff, als Ein­kauf, ja so­gar als Ver­höh­nung. Das Geld kä­me von ei­nem Freund, man müss­te ihm die Woh­nung ab­zah­len – un­denk­bar für die stol­ze Re­si.

Das Elend be­ginnt mit dem PVC-Bo­den der Kind­heit (»Der Fuß­bo­den war der Fuß­bo­den. Wenn Leu­te ei­nen an­de­ren hat­ten, lag es dar­an, dass sie an­de­re Leu­te wa­ren.«), setzt sich fort mit dem Block­flö­ten­un­ter­richt (an­de­re spie­len Gei­ge und Kla­vier) und, als hät­te man nicht schon ge­nug Mit­leid mit die­ser furcht­ba­ren Kind­heit und Ju­gend, mit dem Eis-am-Stil, wel­ches eben nur die an­de­ren Mit­schü­ler hat­ten – der el­ter­li­che Kühl­schrank nicht.

Der Aus­lö­ser für die­sen Brand­brief an die Toch­ter ist die Woh­nungs­kün­di­gung, die sie von Frank, ei­nem aus je­ner Freun­des­cli­que in des­sen Woh­nung sie zur Un­ter­mie­te wohnt, er­hält. We­ni­ger die Kün­di­gung an sich als die Art und Wei­se schockiert sie: Frank hat ihr le­dig­lich ei­ne Ko­pie sei­ner Kün­di­gung an den Ei­gen­tü­mer mit ei­nem Stem­pel »Zur Kennt­nis« ge­schickt – oh­ne ein Wort der Er­klä­rung. Im­mer­hin be­nö­tigt sie fast 200 Sei­ten (und ei­ni­ge Ta­ge – oder sind es Wo­chen?), um ih­rem Mann das Schrei­ben zu zei­gen. Die Re­ak­ti­on ist vor­her­seh­bar: Man sol­le sich nicht mit die­sen »Arsch­gei­gen« ab­ge­ben. Sagt je­ner Sven, der ei­nem für ewig in Er­in­ne­rung blei­ben wird als ex­zes­si­ver Holz­hacker beim ge­mein­sa­men Fe­ri­en­haus­ur­laub in den 00er Jah­ren im Ber­ner Ober­land. So­zia­li­sti­scher Rea­lis­mus in Adel­bo­den.

Der Bruch mit den »Freunde[n] mit Fest­an­stel­lung«, die, wie sie von nun an im­mer wie­der neu be­tont, gar kei­ne sind, gar kei­ne sein kön­nen, be­gann mit ei­nem Ar­ti­kel, setz­te sich dann mit ei­nem Buch fort. In bei­dem se­hen sie sich ver­höhnt, un­ge­recht be­han­delt. Die Di­stan­zie­rung be­stärkt Re­si nun ih­rer Er­re­gung. Ir­gend­wann sagt oder schreibt sie an ei­nen ih­rer (ehe­ma­li­gen?) Freun­de: »Ich den­ke, wir ha­ben ex­trem un­ter­schied­li­che Vor­aus­set­zun­gen ge­habt und das tun­lichst igno­riert, und ich den­ke, dass das im­mer noch so ist oder noch mehr und dass es mehr denn je igno­riert wird, schlim­mer noch, be­män­telt mit neo­li­be­ra­lem Ge­schwätz von Auf­stiegs­chan­cen und weiß man doch, und ich wa­ge kaum, das zu sa­gen, weil du auch ein­ge­stimmt hast in die­ses fie­se Lied mit dem Vor­wurf, ich wür­de mich zum Op­fer sti­li­sie­ren, und ich glau­be durch­aus, dass ich Schuld tra­ge und an­de­re un­ter mir lei­den, aber dass ich trotz­dem noch das Recht ha­be, über Ur­sa­chen nach­zu­den­ken und auch dar­über zu re­den, weil es näm­lich zu ein­fach ist, mich zum Sün­den­bock zu ma­chen und für un­zu­rech­nungs­fä­hig zu er­klä­ren.«

Das Zi­tat ist so lang, weil es den Te­nor des Bu­ches ziem­lich gut wie­der­spie­gelt. Nichts hat Be­stand für sie, al­les ist Schi­mä­re, die Fa­mi­lie »ein Hort der Neu­ro­sen« mit ihr sel­ber als »Herr­sche­rin«. Das Wo­chen­en­de ist ei­ne ein­zi­ge »Wo­chen­end­lü­ge«, die Herbst­fe­ri­en ei­ne »Herbst­fe­ri­en­lü­ge«. Über­all fal­sche Ver­spre­chun­gen. Auch an die »Inszenierung[en] ei­nes bun­ten, auf­ge­klär­ten Mit­ein­an­ders« glaubt sie nicht. Die Sa­men­spen­de im Freun­des­kreis nebst Patch­work­idyll ver­höhnt sie als »bun­te Wahl- und Gen­ver­wandt­schaft«. Da­bei ent­larvt sie sich durch­aus sel­ber, wenn sie aus der Prenz­lau­er-Berg-Schicke­ria, die sie ja so hasst, nicht weg­zie­hen möch­te; bloß nicht nach Mar­zahn, zum Un­ter­schich­ten­vier­tel. Aber auch die 15.000 Eu­ro Preis­geld hel­fen da nicht (ne­ben­bei: An­ti­zi­pa­ti­on des Buch­preis­prei­ses?).

Re­si ba­det mit ih­rer ste­ti­gen Selbst­re­fle­xi­on im Dra­chen­blut ih­rer ver­meint­li­chen Kri­ti­ke­rin­nen. Sie klagt sich im­mer auch ein biss­chen sel­ber an. So bleibt Ve­ra, der ein­sti­gen be­sten Freun­din, nach 40 Jah­ren Freund­schaft nur die E‑Mail, um sich von Re­si los­zu­sa­gen. Die Mail en­det mit dem Be­kennt­nis zur Lie­be. Re­si nimmt das so­fort auf, lehnt es ab. Lie­be, Fa­mi­lie, Mo­ral – al­les nur In­stru­men­te, um die Klas­sen­ge­gen­sät­ze auf­recht zu hal­ten. Re­si ist – das ist sehr de­zent vor­ge­bracht, aber für je­der­mann les­bar – tat­sach­lich ei­ne Lin­ke rein­sten Was­sers, kei­ne iden­ti­täts-grün­lin­ke Ak­ti­vi­stin..

Man­ches kommt ge­konnt sa­ti­risch da­her, vie­les er­stickt dann doch in mo­ra­lin­saurem Din­kel­brei. Da­für geht so­gar ins Jahr 1955 zu­rück, als Re­sis Mut­ter von de­ren Va­ter mit dem Klei­der­bü­gel ver­prü­gelt wird, weil sie nicht auf ih­re klei­ne­re Schwe­ster auf­ge­passt hat. Spä­ter lernt die Mut­ter ei­nen rei­chen Ver­eh­rer kennt, der ihr er­ster Lieb­ha­ber wird. Aber die Klas­sen­ver­hält­nis­se und der Va­ter des Ga­lan sind da­ge­gen. Und wird Rai­mund Re­sis Va­ter. Re­sis prä­na­ta­le Be­la­stungs­stö­run­gen (viel­leicht zum Pa­tent an­mel­den?).

Ra­dischs Ab­leh­nungs­fu­ror er­klärt sich aus ih­rer Le­bens­er­fah­rung als drei­fa­che Mut­ter, die den­noch im Be­rufs­le­ben re­üs­sier­te, die nicht klag­te, son­dern an­pack­te (Re­si wür­de Ra­disch ih­ren Prag­ma­tis­mus als Op­por­tu­nis­mus, ja, als Ver­rat, aus­le­gen). Aber die Kri­ti­ke­rin ver­gisst in ih­rem Zorn auf den Ge­sin­nungs­äs­the­tizi­mus, der be­stimmt hat, dass dies das Buch der Sai­son sein soll (ob­wohl es be­reits im Herbst 2018 er­schie­nen war) sich der Li­te­r­a­ri­zi­tät des Ob­jekts zu wid­men. Li­te­ra­tur­hi­sto­risch kann man Stel­lings Ro­man sehr gut ein­ord­nen. Er ist nichts an­de­res als die Wei­ter­ent­wick­lung des Neu­en Sub­jek­ti­vis­mus der 1970er Jah­re. Kon­kret kommt ei­nem da Ka­rin Strucks Ro­man »Klas­sen­lie­be« von 1973 in den Sinn, ein in Ta­ge­buch­form ge­fass­ter As­so­zia­ti­ons­strom der 25jährigen Stu­den­tin Ka­rin, die ih­re ge­sell­schaft­li­che Po­si­ti­on in der Bun­des­re­pu­blik such­te. Es ist ei­ne wild da­her­kom­men­de, am En­de je­doch sehr prä­zi­se-li­te­ra­risch kom­po­nier­te Sua­da, zum Teil in für da­ma­li­ge Ver­hält­nis­se scho­nungs­lo­sem Ton. Bei al­len Un­ter­schie­den sind die Par­al­le­len er­staun­lich. In bei­den Bü­chern wer­den Kind­heit und Ju­gend als Schick­sa­le der öko­no­mi­schen Ver­hält­nis­se re­flek­tiert, das Ver­hält­nis zu den El­tern kri­tisch be­fragt. Bei­de Frau­en sind ver­hei­ra­tet, Ka­rin hat ein Kind. Bei­de Frau­en sind In­tel­lek­tu­el­le, ha­dern mit »der Ge­sell­schaft«. Auch Ka­rin fühlt sich ge­fan­gen in ih­rer Klas­se (da­her der Ti­tel des Bu­ches). Sie sieht sich un­fä­hig dort al­lei­ne aus­zu­bre­chen – und flüch­tet sich in ein Ver­hält­nis mit ei­nem Dich­ter (zu­ge­ge­ben, ein an­de­rer Ver­lauf). Mit den Maul­hel­den-Lin­ken, die auf ab­strak­ten Mo­del­len her­um­rei­ten, die nichts mit der Rea­li­tät zu tun ha­ben, kann sie dann wie­der wie Re­si nichts an­fan­gen.

Strucks Ro­man galt da­mals als in­de­zent, zu­mal die Prot­ago­ni­stin den glei­chen Vor­na­men wie die Au­torin sel­ber hat­te. Der Schluss von der Prot­ago­ni­stin auf die Au­torin war zu ver­lockend. In­zwi­schen sind sol­che Par­al­le­len nicht nur stan­dar­di­siert, son­dern schei­nen na­he­zu not­wen­dig zum Ver­ständ­nis des Tex­tes zu sein.

Stel­lings Buch ist al­so sehr wohl in ei­ner li­te­ra­ri­schen Tra­di­ti­on an­zu­sie­deln – von Struck über Je­li­nek und Stre­eru­witz. Aber »Schäf­chen im Trocke­nen« ist we­ni­ger Selbst­su­che und ‑re­fle­xi­on denn An­kla­ge und in dem Ma­ße wie Re­si be­strei­tet, sich nicht in die Op­fer­rol­le zu stel­len, um­so mehr ge­schieht dies. Ihr fehlt – be­daue­re – die Spra­che. Die Wut ge­nügt nicht, denn fast al­les mün­det in ei­nen po­sie­ren­den Nar­ziss­mus-Tsu­na­mi von Re­sis Selbst­hass. Das reicht für das Wohl­wol­len ei­ner Ju­ry, die sich ei­ner­seits präch­tig un­ter­hal­ten fühlt (ver­mut­lich die höch­ste Be­lei­di­gung für die Au­torin: ihr Buch als »un­ter­halt­sam« zu be­zeich­nen), an­de­rer­seits ih­ren ge­sin­nungs­äs­the­ti­schen An­sprü­chen Ge­nü­ge tun kann.

In­dem nichts Be­stand hat und sich die Prot­ago­ni­stin auch sel­ber nicht schont, nimmt die­se Pro­sa dem Le­ser größ­ten­teils so­gar noch die Em­pö­rung ab. Man lehnt sich ir­gend­wann zu­rück und nickt dort hef­tig, wo es ei­nem am we­nig­sten sel­ber weh­tut (herr­lich, die­se Stel­le, in der Re­si von der Jour­na­li­stin in­ter­viewt wird und de­ren Fra­gen se­ziert). Die li­te­ra­ri­sche Sub­jek­ti­vi­tät, die 1973 »neu« ge­nannt wur­de, ist in die Jah­re ge­kom­men. »Schäf­chen im Trocke­nen« könn­te auch in der »Bri­git­te« ste­hen.

Es ist er­staun­lich, dass sich ei­ne Kri­ti­ke­rin wie Iris Ra­disch dar­über noch der­art echauf­fie­ren kann. Man kann na­tür­lich all die Lo­bes­hym­nen auf Stel­lings Buch als ex­em­pla­risch für den vi­ru­len­ten Ge­sin­nungs­äs­the­ti­zis­mus des Li­te­ra­tur­be­triebs auf­fas­sen. Und wo­mög­lich ist ihr, der ZEIT-Re­dak­teu­rin, die auf zeit­on­line er­schie­ne­nen Kri­tik von Ca­ro­lin Strö­be­le, die als »Wür­di­gung« ru­bri­ziert wur­de, sau­er auf­ge­sto­ssen. Be­reits der Ti­tel »Schwei­gen am Prenz­lau­er Berg« ist ko­kett, denn Re­si ist al­les, nur kei­ne Schwei­ge­rin. Und es ist im na­tür­lich in­ter­es­sant wie ei­ne ähn­li­che »Mo­ment­auf­nah­me der Ge­gen­wart« (Ju­ry­be­grün­dung zu Stel­lings Buch) 2017 zu ei­nem breit an­ge­leg­ten Feuil­le­ton­streit führ­te. Viel­leicht weil es um Si­mon Strauss’ »Sie­ben Näch­te« ging? Hier ver­miss­te der 30jährige Wohl­stands­kna­be ei­ne »In­itia­ti­on«. Stel­ling weiss, was das be­deu­tet: »Bea ist jetzt vier­zehn und ge­hört in­iti­iert.« Man staunt.

Aber ein­mal Hand aufs Herz: War es je­mals an­ders? Wa­ren die Lo­bes­hym­nen (sel­te­ner die Ver­ris­se) nicht im­mer min­de­stens sub­ku­tan au­ßer­li­te­ra­risch be­grün­det? Wer blieb schon beim Text, wenn man auch per­sön­lich wer­den konn­te? Si­cher, in­zwi­schen nimmt der Kon­for­mi­täts­druck zu. Da wer­den Ro­ma­ne von »um­strit­ten« de­kla­rier­ten Au­toren un­ter­sucht, ob sie nicht even­tu­ell ab­wei­chen­de und da­mit zu ver­dam­men­de Ge­dan­ken oder fal­sche Wör­ter ent­hal­ten. Die Kri­tik ent­la­stet sich da­mit na­tür­lich vom Le­sen viel­leicht et­was sper­ri­ger Lek­tü­re. Wer nicht im Ge­sin­nungs­strom lie­gen und trotz­dem Be­ach­tung will, kann nur noch pro­vo­zie­ren. Der Rest ist – va­nil­le­far­ben (die An­spie­lung ver­steht nur der Le­ser von Stel­lings Buch).

»Man kann auch Jour­na­list wer­den, um Macht zu er­rei­chen, Schrei­ben muss nicht zwangs­läu­fig Aus­drucks­mit­tel ge­beug­ter Fi­gu­ren und stot­tern­der Red­ner sein, es kann auch be­trie­ben wer­den, um Pflöcke ein­zu­schla­gen, Mei­nungs­pfo­sten, Deu­tungs­pfei­ler.« So Re­si an ei­ner Stel­le. Wie Recht sie hat. All die­se Mei­nungs­pfo­sten. Und am En­de wird dann wie­der der Be­deu­tungs­ver­lust des Feuil­le­tons, der Li­te­ra­tur­kri­tik und eben – lei­der – auch der Li­te­ra­tur be­klagt. Da­bei wol­len doch al­le nur das Be­ste.

20 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Aber es ist trotz­dem schön, wenn sich ei­ne drei­fa­che Mut­ter und Li­te­ra­tur­ken­ne­rin im Na­men der Li­te­ra­tur echauf­fiert (und nicht die­se er­bärm­li­che Ge­las­sen­heit an den Tag lägt, die auch längst zum Main­strom­stil ge­hört), oder nicht?

  2. Ja, es ist schön, die­ser Fu­ror und Ra­disch liegt sehr oft rich­tig da­mit (nur nicht bei Hand­ke – selbst wenn sie ihn lob­te, war es halb ver­gif­tet).

    Die »er­bärm­li­che Ge­las­sen­heit« wä­re ein ei­ge­ner Text wert. Mei­ne The­se geht da­hin, dass es in der Kri­ti­ker-Rou­ti­ne fast nur noch so geht. Sie müs­sen heut­zu­ta­ge über hun­der­te von Bü­chern pro Jahr min­de­stens sug­ge­rie­ren, so et­was wie ei­nen Über­blick zu ha­ben. Sie müs­sen den Durch­blicker spie­len. Wie soll da noch Em­pha­se auf­kom­men?

  3. Ge­las­sen­heit, tat­säch­li­che, se­he ich fast nir­gends. Ich hal­te sie für ein ho­hes Gut, ge­ra­de weil sie Wi­der­part der über­all prä­sen­ten Er­re­gung ist (und ich den­ke, dass sie Ener­viert­heit und Zorn nicht aus­schließt, son­dern be­rech­tig­ten kul­ti­viert). Ein Stil ist sie al­ler­dings nicht, viel­leicht er­klärt das den Dis­sens.

  4. Die Ma­cher von dem, was die Em­pö­rungs­freu­di­gen als »Main­stream­m­e­di­en« be­zeich­nen, ma­chen auf ge­las­sen, auf- und ab­ge­klärt, iro­nisch. Bei­des und der Kampf da­zwi­schen prägt die der­zei­ti­ge Ge­sell­schaft.

  5. Nun­ja, den Be­griff »Main­stream­m­e­di­en« be­nut­ze ich auch – oh­ne dass ich em­pö­rungs­freu­dig bin. Oder min­de­stens nicht em­pö­rungs­freu­dig um der Em­pö­rung wil­len.

    Tat­sa­che ist nun ein­mal, dass es ei­ne »er­staun­li­che Ho­mo­ge­ni­tät in deut­schen Re­dak­tio­nen« gibt, wie der em­pör­te da­ma­li­ge deut­sche Au­ßen­mi­ni­ster Stein­mei­er (heu­te Bun­des­prä­si­dent) be­reits 2014 fest­stell­te. In sei­nem Buch »Main­stream« de­fi­nier­te der Me­di­en­wis­sen­schaft­ler Uwe Krü­ger 2014 den me­dia­len Main­stream »zu­nächst ein­mal, ganz wert­frei« als »Phä­no­men, dass zu ei­nem Zeit­punkt die Mehr­zahl der Leit­me­di­en ein be­stimm­tes The­ma be­han­delt oder ei­ne be­stimm­te Mei­nung ver­tritt«.

    Der Ter­mi­nus der Ge­las­sen­heit in Be­zug auf Li­te­ra­tur­kri­tik ist viel­leicht nicht ganz tref­fend. Man könn­te viel­leicht eher von ei­ner ge­wis­sen Rou­ti­ne spre­chen, die schnell in Gleich­gül­tig­keit über­geht. Dem ge­gen­über ste­hen na­tür­lich die skan­dal­su­chen­den (und meist auch ‑fin­den­den) Kri­ti­ken. Die ha­ben ha­ben eben auch nur die In­ten­ti­on, den Skan­dal zu pro­vo­zie­ren.

  6. Wenn ich den Be­griff von Ra­disch rich­tig ver­ste­he, dann ist die Ab­wer­tung so­wohl auf den Text als auch die Ge­fäl­lig­keit der Kri­ti­ker an­wend­bar.
    Die ei­gent­lich li­te­ra­tur­theo­re­ti­sche Fra­ge hat Gre­gor mit dem Ver­weis auf die Sprach­qua­li­tät ent­wickelt. Es mag ja sein, dass ein Au­tor nicht aus sei­ner Haut kann. Er oder sie ist ver­dammt, uns über seine/ihre po­li­ti­schen und mo­ra­li­schen An­sich­ten zu un­ter­rich­ten. Bis zum Ex­zess oder bis zur nar­ziss­ti­schen Selbst­ent­lei­bung. Dar­in liegt aber kei­ne pri­mä­re Be­schrän­kung der äs­the­ti­schen Di­men­si­on, höch­stens ei­ne ge­wis­se Ge­fahr, näm­lich die Ver­nach­läs­si­gung der­sel­ben.
    Viel­leicht ging das auch schon Ra­disch durch den Kopf. Je mehr die Ge­sin­nung die Mo­ti­va­ti­ons­quel­le für die Schreib­ar­beit ab­gibt, de­sto grö­ßer die Wahr­schein­lich­keit, die Spra­che zu »in­stru­men­ta­li­sie­ren«, d.h. in äs­the­ti­scher Hin­sicht zu ver­nach­läs­si­gen. Ich fin­de, man soll den Au­toren durch­aus die Pflicht zur Ar­beit an der Spra­che auf­er­le­gen, bzw. man er­kennt an der Ver­nach­läs­si­gung doch sehr schnell die Prä­fe­renz.
    Das Äs­the­ti­sche ist po­li­tisch; das stimmt schon im­mer. Es gibt aber kei­nen Bo­nus für Ba­na­li­tät, nur weil die po­li­ti­sche Hal­tung so un­end­lich wich­tig ist.
    Wenn kein Mehr­wert bei den Ge­stal­tungs­mit­teln sicht­bar wird, muss man ei­gent­lich von ei­ner äs­the­tisch min­der­wer­ti­gen Ar­beit spre­chen.
    Die­se Be­wer­tun­gen kol­li­die­ren na­tür­lich: rich­ti­ge Ge­sin­nung, äs­the­ti­sches Ba­nau­sen­tum. Aber sel­ten ist die­se Ko­in­zi­denz ja nicht.
    Wor­an das liegt, wä­re zu er­ör­tern.

  7. Ei­ni­ge Ta­ge nach dem Ver­fas­sen des Tex­tes ist mir ein­ge­fal­len, dass es auch Ra­disch war, die Mar­tin Wal­ser 2005 bei Er­schei­nen des au­to­bio­gra­phi­schen Ro­mans »Ein sprin­gen­der Brun­nen« vor­warf, dass im Ro­man über die Haupt­fi­gur Jo­hann (im glei­chen Al­ter wie Wal­ser) kein ein­zi­ges Mal Ausch­witz vor­kommt. Wal­ser ver­tei­dig­te sich da­hin­ge­hend, dass die Fi­gur (bei Kriegs­en­de 18; in der Bo­den­see­pro­vinz le­bend) eben nichts da­von ge­hört ha­be. Da wur­de al­so merk­wür­di­ger­wei­se ei­ne ge­wis­se »Hal­tung« bzw. Be­ob­ach­tung als not­wen­dig vor­aus­ge­setzt.

  8. Ich woll­te – auch schon hin­sicht­lich ei­ner der vor­an­ge­gan­ge­nen Be­spre­chun­gen – ei­gent­lich auf ei­ne an­de­re In­stru­men­ta­li­sie­rung von Spra­che hin­wei­sen: Kann es sein, dass der Ro­man mehr ge­macht ist, als ge­wor­den?

  9. @metepsilonema
    Ich glau­be, das kann sein, wie ver­mut­lich vie­le li­te­ra­ri­sche Pro­duk­te heu­te. Das ist auf der Pro­du­zen­ten­sei­te die Crux, der die Ab­ge­klärt­heit und fall­wei­se Em­pö­rung auf Re­zi­pi­en­ten­sei­te ent­spricht. Wie soll man sich zu ei­ner sol­chen Dia­gno­se ver­hal­ten? Ab­ge­klärt? Em­pört? Ein Teu­fels­kreis...

  10. @Leopold Fe­der­mair
    Rei­ne Em­pö­rung ist doch jen­seits des­sen, dass je­der sei­ne wun­den Stel­len hat, ein Man­gel an kul­tu­rel­ler For­mung. Das be­deu­te­te nicht, dass der Em­pör­te im Un­recht ist, sehr wohl aber, dass er mit sei­nen Af­fek­ten ir­gend­wie hilf­los da­steht; er schreit sie her­aus. Man­che Ent­wick­lun­gen, die kul­tu­rel­len, ma­chen mich me­lan­cho­lisch, trau­rig, rat­los; die po­li­ti­schen trei­ben mich hoch, ener­vie­ren, bis­wei­len je­den­falls. Gu­te Fra­ge wie man sich ver­hal­ten soll. Ich weiß es nicht. Aber auf je­den Fall so, dass man da­bei selbst le­ben­dig bleibt, al­so nicht dort hin­ein ge­rät, wo – so­zu­sa­gen – der Rest schon ist.

  11. Der Af­fekt der Em­pö­rung ist in der Tat ei­ne sub­ti­le Form von Hilf­lo­sig­keit. Aber es ist ei­ne Hilf­lo­sig­keit, die be­grün­det ist in der (emp­fun­de­nen?) Not­wen­dig­keit, mit ei­nem »rei­nen« Ein­wer­fen von Ar­gu­men­ten nicht mehr durch­zu­drin­gen. Em­pö­rung ist im­mer auch ei­ne Form der Es­ka­la­ti­on, ei­ne Re­ak­ti­on auf das Un­ge­hört­blei­ben des Sach­li­chen. Der Em­pör­te ver­stärkt da­mit das, was er ei­gent­lich nicht möch­te.

    Die Em­pö­rung ist die klei­ne Schwe­ster der Pro­vo­ka­ti­on. Sie ist die Wäh­rung in all dem Dschun­gel des Ge­schwa­fels über­haupt noch wahr­ge­nom­men zu wer­den. Hät­te Ra­disch ih­re Re­zen­si­on in nüch­ter­nem Stil ge­schrie­ben, wä­re sie ver­hallt und von den Lo­ben rings­um auf­ge­so­gen wor­den.

  12. Em­pö­rung ist ei­ne Re­ak­ti­on auf et­was, sie ent­springt ei­ner Art Be­trof­fen­heit, sie ist spon­tan und nackt (weit­ge­hend un­ver­stellt). Ein em­pör­ter Text re­flek­tiert sei­ne Em­pö­rung nicht, in dem Sinn, dass sie ge­formt (und über­führt) wird. Em­pö­rung als Ein­sicht nicht mehr durch­drin­gen zu kön­nen, ist ei­ne ge­mach­te, be­ab­sich­tig­te, die man im Ein­zel­fall wohl nicht im­mer scharf von der tat­säch­li­chen un­ter­schei­den kann. Ich möch­te be­strei­ten, dass Ra­disch sich em­pört; der Text ist ei­ne nüch­ter­ne Po­le­mik, nicht sach­lich im stren­gen Sinn, aber er ist nicht wü­tend, nicht af­fekt­ge­la­den, ich spü­re das beim Le­sen je­den­falls nicht...

  13. »Und am En­de wird dann wie­der der Be­deu­tungs­ver­lust des Feuil­le­tons, der Li­te­ra­tur­kri­tik und eben – lei­der – auch der Li­te­ra­tur be­klagt. Da­bei wol­len doch al­le nur das Be­ste.«

    Tra­gisch? Ko­misch?

    Zwei der be­sten Ro­ma­ne der let­zen Jah­re wur­den von Rech­ten ge­schrie­ben: »Land der Wun­der« und »Li­qui­de«. Von Klo­nov­skys ganz er­staun­li­chem Schel­men­ro­man »Land der Wun­der« über das En­de der DDR und den An­fang des wie­der­ver­ei­nig­ten Deutsch­land ist au­ßer bei Klo­nov­sky sel­ber – im Mai macht er ein Abend­pro­gramm da­mit im Münch­ner Ga­steig – he­he: nur Lum­pen sind be­schei­den – - ist au­ßer bei Klo­nov­sky sel­ber nir­gends was zu le­sen. Selt­sam. Sol­che Bü­cher sind sel­ten! Und Rai­ner »Don Al­phon­so« Mey­er (Mey­er sieht sich nicht als Rech­ten wird aber so wahr­ge­nom­men – Künst­ler­pech...) wird so­wie­so nicht als Li­te­rat be­han­delt. Oooch selt­sam. Schrei­ben kan­ner.

    Mey­ers Blogs – bei der FAZ, jetzt auf weLT-on­line sind manch­mal dol­le Feuil­le­tons, manch­mal ver­rät­sel­te Brie­fe, manch­mal auf­klä­re­ri­sche Es­says, manch­mal Rei­se­b­reich­te. Klo­nov­skys Es­says in sei­nen Jah­res­bän­den »ac­ta di­ur­na« su­chen ih­res­glei­chen.

    Je­den­falls la­sen und le­sen sich bei­der Bü­cher und Blogs sehr gut. Mey­er gibt ei­ne In­nen­an­sicht des erst boo­men­den und dann cra­shen­den Neu­en Mark­tes in sei­nem Ro­man »Li­qui­de«. Wit­zig, mi­lieu­si­cher, schnell – Le­ser­herz, was willst Du mehr? – – – Of­fen­bar will das Kri­ti­ker­herz ne­ben Qua­li­tät auch Be­stä­ti­gung sei­ner Welt­sicht.

    En­zens­ber­gers letz­te Es­says – ha­hah – nix kam. Au­ßer den ziem­lich ver­peil­ten Lo­bes­hym­nen der of­fen­bar groß­ar­ti­gen Rei­te­rin und Pfer­de­ken­ne­rin v. Loven­berg er­in­ne­re ich kaum Be­zug­nah­men. Ja­ja, ich weiß, ein paar Aus­nah­men jib­bet. Aber ver­rückt ist das doch, wenn ich be­den­ke, was da an Stoff be­wegt wird. – Frei­lich: Auch En­zens­ber­ger ist ja nun ein Rech­ter. Es gibt ei­ne dis­kur­si­ve Er­schöp­fung auf Sei­ten der Lin­ken – hat auch der – he­he – - – Rech­te – - – bril­lan­te und oft gut­ge­laun­te Dou­glas Mur­ray (The Stran­ge De­ath of Eu­ro­pe) zu spü­ren be­kom­men.
    Es fehlt bei der Zeit z. B. ei­ne Stim­me, die der­lei auf­grif­fe. Fast hat Ul­rich Grei­ner die­se Rol­le ein­ge­nom­men, aber dann ging er in Ren­te. Wei­der­mann kann das beim Spie­gel of­fen­bar nicht, Mink­mar schon gar nicht und bei der FAZ pas­siert un­ter Ju­lia En­ke auch nicht viel. Hm.

  14. @metepsilonema
    Si­cher­lich be­treibt Ra­disch kei­ne »Écri­tu­re au­to­ma­tique«, wenn sie sich em­pört aber im Ver­gleich zum So­zi­al­ar­bei­terd­uk­tus der zeit­ge­nös­si­schen Li­te­ra­tur­kri­tik ist das schon et­was Be­son­de­res. Und das so­gar, wo sie falsch liegt.

    @Dieter Kief
    Na­ja, die bei­den von Ih­nen ge­nann­ten Bü­cher sind in die Jah­re ge­kom­men. Mey­er fand ich an­fangs ganz amü­sant, in­zwi­schen lang­weilt mich sei­ne Ver­bis­sen­heit. Letz­tes Jahr ris­kier­te ich noch hier und da ein­mal ei­nen (1,99 € teu­ren) Blick auf sei­nen Welt-Blog, der vor Nar­ziss­mus nur so über­quillt. Auf Twit­ter po­stet er Fahr­rad- oder Old­ti­mer­fo­tos. Da ist man auch trotz der ein oder an­de­ren Vol­te nicht ver­söhnt. So­viel Le­bens­zeit hab’ ich nun doch nicht mehr.

    Der Ge­gen­satz zwi­schen »lin­ker« und »rech­ter« Pu­bli­zi­stik lang­weilt mich. Eti­ket­ten ist was für Fla­schen.

  15. »Der Ge­gen­satz zwi­schen »lin­ker« und »rech­ter« Pu­bli­zi­stik lang­weilt mich. Eti­ket­ten ist was für Fla­schen.«

    Na­ja, Gre­gor Keu­sch­nig, Sie ha­ben – auch mit Blick auf ei­ge­ne Ur­tei­le – da­von ge­spro­chen, dass das links-rechts »Sche­ma« (Mi­cha­el Rutsch­ky) ihr Ur­teil durch­aus be­ein­flusst hat. Ich hal­te die­se Ein­tei­lung für re­al und be­trach­te sie nach wie vor als ei­ne so­zi­al­psy­cho­lo­gi­sche und äs­the­ti­sche Tat­sa­che von er­heb­li­chem Ein­fluß. Der einst­mals ge­fei­er­te und hoch­de­ko­rier­te Wäch­ter-Preis­trä­ger Klo­nov­sky kriegt ein­deu­tig kei­ne an­ge­mes­se­ne Re­so­nanz mehr, ge­ra­de weil er nun ein bö­ser rech­ter Bu­be ist.

    Don Al­phon­so lässt nach. Stimmt. Das war aber bei Karl Kraus ge­nau­so. – Ei­ne Par­al­le­le: Bei­de sind vom Be­trieb weit­ge­hend ab­ge­kop­pel­te Einzelgänger/Kämpfer und ten­die­ren viel­leicht auch des­halb zum Mo­no­lo­gi­sie­ren. – Der Li­te­ra­turb­trieb ist eben auch ei­ne in­sti­tu­tio­nel­le Stüt­ze für die gei­stig Pro­du­zie­ren­den. Er be­wahrt sie da­vor , ganz al­lein zu sein. Das ist kei­ne der ge­rin­gen Funk­tio­nen ei­nes Ver­la­ges mit Chef/Chefin/Lektorat, Bü­ro­leu­ten, na usw: Sie bil­den ein so­zia­les Um­feld; wie ge­sagt: Nicht zu un­ter­schät­zen.

    »Ge­gen En­de« von Rutsch­ky – ein har­tes Buch. Da geht es viel um die­se Din­ge: Die so­zia­le Sei­te der in­tel­lek­tu­el­len Pro­duk­ti­on – aber auch des Le­bens des in­tel­lek­tu­el­len Pro­du­zen­ten.

  16. Ich ha­be kein Wort über Rutsch­ky ver­lo­ren; Sie müs­sen mich da ver­wech­seln. Don Al­phon­so in ei­nem Atem­zug mit Karl Kraus zu nen­nen ist un­ge­fähr so als wür­de ich Mag­gi-Wür­ze in ei­nem Ster­ne­re­stau­rant be­stel­len.

    Das Links-Rechts-Sche­ma ist ei­ne mod­rig ge­wor­de­ne Holz­krücke. Was einst »links« war, ist plötz­lich »rechts« und um­ge­kehrt. Für ober­fläch­li­che Zu(recht)weisungen al­len­falls noch zu ge­brau­chen – mehr auch nicht.

  17. Ein Miss­ver­ständ­nis Gre­gor Keu­sch­nig. Ich ha­be oben nicht be­haup­tet, dass Sie über Rutsch­ky ge­ur­teilt hät­ten.

    Aber ich er­in­ne­re mich, so ca. dass Sie ihr ur­sprüng­li­ches Ur­teil über En­zens­ber­gers Wan­de­rungs-Es­say ick­j­lo­o­be re­vi­diert ha­ben, oder re­la­ti­viert oder we­nig­sten abgmil­dert, und in dem Kon­text spra­chen Sie auch vom links-rechts “Sche­ma” (Rutsch­ky).
    (Ich ma­che hier das glei­che wie oben: Ich ma­che das Wort Sche­ma als Rutsch­ky-Re­fe­renz kennt­lich, in­dem ich es in An­füh­rungs­zei­chen set­ze. Viel­leicht führ­te das zu Ih­rem Miss­ver­ständ­nis, ich hät­te hier von Ih­nen in Be­zug auf Rutsch­ky ge­spro­chen. Das tä­te mir Leid).

    PS
    Din­ge, die Sie lang­wei­len kön­nen be­deut­sam sein – nur halt nicht für Sie per­sön­lich, das ver­ste­he ich wie­der.

    PPS

    Die Be­gei­ste­rung bei­der für Pro­sti­tu­ier­te – al­so Mey­ers und Kraus’ ist ein ei­ni­gend’ Band zwi­schen de­nen. Ich hal­te aber Kraus für we­ni­ger wich­tig als Jo­na­than Fran­zen, z. B.

    Der­zeit hat Meyer/Don Al­phon­so ei­nen gu­ten Ar­ti­kel auf weLT on­line zu den Ent­eig­nungs­for­de­run­gen – Wer Ent­eig­nug sagt, sagt Mey­er, muss bit­te auch Gu­lag sa­gen.

    PPS

    Es gibt Ster­ne Kö­che, die Mag­gi-Wür­ze ver­wen­den. Mag­gi-Wür­ze ist cum gra­no sa­lis nix an­de­res als So­ja-Sau­ce – cf. Ernst Köh­lers noch im­mer an­ti­qau­risch er­hält­li­ches ganz ge­lun­ge­nes Wa­gen­bach-Ta­schen­buch über die Ar­bei­ter­stadt Singen/Hohentwiel: »Die Stadt und ih­re Wür­ze – ein Be­richt aus dem Sü­den un­se­res So­zi­al­staa­tes«. So be­ti­telt, weil Sin­gen d i e Mag­gi-Stadt ist – bis heu­te.

  18. Wer Ent­eig­nug [sic!] sagt, sagt Mey­er, muss bit­te auch Gu­lag sa­gen.
    Das ist, mit Ver­laub je­ner Blöd­sinn, den man nur dann gou­tie­ren kann, wenn man im Er­re­gungs­ka­rus­sell auf der höch­sten Stu­fe durch­ge­dreht wird.

  19. @Gregor
    Ra­disch hat, wie es scheint, noch kei­nen Keil zwi­schen sich und ihr Schrei­ben ge­trie­ben, und bringt das, was Sie ener­viert in ei­ne Form. So soll­te es denn auch sein (al­ler­dings wi­der­spricht es dem Be­trieb).

    Ein Ein­wurf zu den po­li­ti­schen Rich­tungs­zu­schrei­bun­gen, jen­seits ei­nes blo­ßen links-rechts-Sche­mas: Die wer­den frucht­bar, wenn man sie in­halt­lich (das Hi­sto­ri­sche ein­ge­schlos­sen) be­stimmt, von ein­an­der ab­grenzt und auf ge­gen­wär­ti­ge Ent­wick­lun­gen be­zieht.

  20. # 18

    Ent­eig­nun­gen als Lö­sung des Ber­li­ner Miet­woh­nungs­pro­blems – das wird da ernst­haft und tau­send­fach – zu­letzt auf ei­ner gro­ßen De­mo – ge­for­dert. Be­son­ders von den An­ti­fan­ten, von der Links­par­tei und den Ju­sos – aber auch von al­ler­lei Kul­tur­schaf­fen­den an den Ber­li­ner Thea­tern z. B., die sich gleich mas­sen­haft so­li­da­ri­sier­ten.

    Da­bei gab es ja öf­fent­li­chen Woh­nungs­bau in gro­ßem Um­fang in Ber­lin – aber die Kor­rup­ti­on in der – da­mals – ÖTV und der Ber­li­ner Bank und der SPD usw. hat das zu­nich­te ge­macht – Stich­wort “Teu­re Hei­mat«. (Die FR als Ge­samt­pa­ket ist ver­gleich­bar – Wolf­ram Schüt­te könn­te da viel­leicht ei­ni­ges er­zäh­len.)

    Rut­ch­kys “Ge­gen En­de” passt hier­her, weil Rutsch­ky da durch­blicken lässt, dass das links­li­be­ra­le Mi­lieu, für das er – ge­ra­de in Ber­lin! – in­tel­lek­tu­ell zu­sam­men mit Kurt Scheel/Merkur ein­stand, ab spä­te­stens ‘89 kom­plett die Bin­dung zur Ber­li­ner Rea­li­tät der klei­nen Leu­te, al­so der ge­nui­nen SPD-Kli­en­tel ver­lo­ren hat­te. Kom­plett. Und es geht auch in sei­nem ei­ge­nen Hin­ter­kopf an­dau­ernd um Sta­tus, me­dia­le An­er­ken­nung, Spal­ten­zah­len, Sen­de­zeit, Sex und Kör­per (Kör­per, Kör­per, Kör­per, Kör­per). Bzw. um Haus­tie­re – es geht da zehn­mal so oft und aus­führ­lich über Haus­tie­re, als­über die Ar­beits­welt und die Wohn­si­tua­ti­on des Durch­schnitts­ber­li­ners.

    Bei Don Al­phon­so kommt der Durch­schnitts­ber­li­ner aber durch­aus vor.
    Sein Ar­ti­kel heu­te in der Welt ist, was die Im­mo­bi­li­en­si­tua­ti­on und den Miet­woh­nungs­bau in Ber­lin an­geht, von ge­ra­de­zu de­tail­freu­di­ger Ken­ner­schaft. – Wer schrie­be so­was noch? – Wüß­te gar nie­mand.