Neu­gier

Kei­ne Hy­bris, nur Neu­gier. Ei­ne Neu­gier, der Jah­res­zeit ent­spre­chend: Wel­cher der 65 Bei­trä­ge die­ser Web­sei­te war im Jahr 2013 am schön­sten, an­re­gend­sten (wenn es so et­was über­haupt gibt), viel­leicht auch nur am schreck­lich­sten? Was hat be­son­ders ge­fal­len – was über­haupt nicht? Und: Braucht’s das hier über­haupt? Und viel­leicht gibt es ei­ne Be­grün­dung?

»Der deut­sche Wald ist krank auf den Tod«

Nichts ver­lo­ren von sei­ner Ak­tua­li­tät, auch wenn die Zah­len nach mehr als 40 Jah­ren viel­leicht nicht mehr stim­men. Der Te­nor ist je­doch un­ver­än­dert gül­tig.

Horst Stern und sei­ne Be­mer­kun­gen über den Rot­hirsch (lei­der zer­split­tert in meh­re­re Tei­le, aber im­mer noch loh­nend):

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Idyl­len­split­ter und Ra­se­rei

Der ju­go­sla­wi­sche Schrift­stel­ler Dra­gan Al­ek­sić ist mehr als nur ei­ne Ent­deckung für ei­nen Le­se­abend »Un­ten, am We­ges­rand fie­len in den war­men, tie­fen, vom Mond­licht gol­den ge­färb­ten Staub dicke, pral­le schwar­ze Maul­bee­ren«. So en­det der Ro­man »Zwi­schen Ne­ra und Ka­rasch« des ju­go­sla­wi­schen Schrift­stel­lers Dra­gan Al­ek­sić. Be­gon­nen hat­te er mit dem Satz: »Dicke, pral­le schwar­ze Maul­bee­ren fal­len ...

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Da­vid Fo­ster Wal­lace: Der blei­che Kö­nig

David Foster Wallace: Der bleiche König
Da­vid Fo­ster Wal­lace:
Der blei­che Kö­nig

Wo Jo­han­nes Ja­ko­bus Vos­kuil mit sei­ner Fi­gur Maar­ten Ko­ning in »Das Bü­ro« den Bü­ro­an­ge­stell­ten der 1950er Jah­re be­schrieb(?), er­zähl­te(?) oder ein­fach nur dar­stell­te und vor al­lem bei den Kri­ti­kern auf Wohl­ge­fal­len oder so­gar Be­gei­ste­rung stieß für die ein Bü­ro schon im­mer ein ex­ter­ri­to­ria­ler Un-Ort und Brut­stät­te der grau­en Unter­durchschnittlichkeit gilt und die Kafka‑, Bartleby/­Melville‑, Abschaffel/Genazino‑, Händ­ler- oder Strom­­berg-Al­le­go­rien nur so aus den Zei­len pur­zeln, wo al­so das Vor-Ur­teil im­mer ei­ne gu­te drei­vier­tel Län­ge Vor­sprung vor der Er­fah­rung hat und nie­mals ein­ge­holt wer­den kann, kommt na­tür­lich auch ein Buch wie »Der blei­che Kö­nig« von Da­vid Fo­ster Wal­lace mit ent­spre­chen­den Vor­schuss­lor­bee­ren in die Ka­min­zim­mer des deut­schen Li­te­ra­tur­rich­ter­we­sens. Nichts lie­ber, als die ei­ge­nen Res­sen­ti­ments wenn mög­lich wort­ge­wal­tig und mit der un­ver­meid­li­chen Por­ti­on Iro­nie be­stä­tigt zu fin­den. Bei Wal­lace kom­men noch zwei »Vor­zü­ge« hin­zu, die na­he­zu un­schlag­bar sind und im­mer Ge­währ für Auf­merk­sam­keit ge­bie­ten: Er ist tot (wei­te­rer Un­ter-Plus­punkt: Frei­tod) und er ist bzw. war Ame­ri­ka­ner. Aber dann bleibt der all­zu gro­ße (Begeisterungs-)Sturm aus. War­um? Dar­auf wird noch ein­zu­ge­hen sein.

Zu­nächst: Wie wei­land An­dre­as Mai­er, der zur Re­zen­si­on von Gün­ter Grass’ »Die Box« frei­mü­tig be­kann­te, vor die­sem noch nie ein Buch von Grass ge­le­sen zu ha­ben, so ge­ste­he ich dies in Be­zug auf Da­vid Fo­ster Wal­lace und dem »blei­chen Kö­nig«. Nun bin ich na­tür­lich nicht An­dre­as Mai­er und möch­te mich auch nicht mit ihm ver­glei­chen, aber es kann schon manch­mal ein Vor­zug sein, ei­nen Schrift­stel­ler zum er­sten Mal zu le­sen. Die Fah­nen zum »blei­chen Kö­nig« er­reich­ten mich nur durch ei­nen Zu­fall: ich wur­de ein­ge­la­den, am »So­cial Re­a­ding« des Ver­lags teil­zu­neh­men, was mir selbst­ver­ständ­lich un­mög­lich war, denn ich kann nicht in Ge­mein­schaft und/oder in vor­ge­fass­ten Por­tio­nen le­sen und trotz­dem war der Ver­lag so freund­lich mir ein Pa­ket mit lo­sen Blät­tern zu schicken (das Buch lässt im­mer noch auf sich war­ten; ver­mut­lich spart man sich das bei zwie­lich­ti­gen Online­schreibern, was be­deu­tet, dass ich die Text­stel­len in den Fah­nen, die mit schwar­zen Qua­dra­ten statt Buch­sta­ben ver­se­hen sind, nie wer­de nach­le­sen kön­nen). Die Ent­scheidung, nicht teil­zu­neh­men, war rich­tig, denn die Teil­neh­mer, die schrei­ben­den Le­ser der Sei­te waren/sind aus­ge­spro­che­ne Wal­lace-Ex­per­ten und –Ex­ege­ten und sie le­sen dann im­mer die gan­zen an­de­ren Bü­cher von Wal­lace so­fort mit, ent­decken Ver­knüp­fun­gen und dies oft vor der Be­schäf­ti­gung mit dem ei­gent­li­chen Ge­gen­stand (vul­go: Ro­man), was kein Vor­wurf ist son­dern was ich sel­ber ken­ne, wenn ich beispiels­weise Bü­cher von Pe­ter Hand­ke, Jo­sef Wink­ler, Rai­ner Ra­bow­ski oder Mar­tin von Arndt le­se.

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Die Rei­se zu Ozus Grab

Ein Ge­spräch mit Emi­ne Sev­gi Öz­da­mar
ge­führt von Leo­pold Fe­der­mair und Na­o­ko Yu­da

Das Ge­spräch fin­det im März 2013 in ei­nem Ca­fé im Ber­li­ner Stadt­teil Kreuz­berg statt.1

Im Jahr 2009 ha­ben Sie trotz Ih­rer Flug­angst die Ein­la­dung ja­pa­ni­scher Uni­ver­si­tä­ten an­ge­nom­men, dort meh­re­re Le­sun­gen zu hal­ten. Wir wis­sen von Ih­rer Ver­eh­rung für den Film­re­gis­seur Ya­su­ji­rō Ozu. War das ein Grund, nach Ja­pan zu fah­ren?

Als ich das Grab von Ya­su­ji­rō Ozu be­such­te, ha­be ich ge­weint. Es war der Tag, an dem Ba­rack Oba­ma nach Ja­pan kam.2 Ich muss­te mei­nen Kof­fer am Bahn­hof de­po­nie­ren, da­mit es am näch­sten Tag kein Pro­blem gab bei dem Ver­kehr, um zum Flug­ha­fen zu fah­ren, Rück­flug nach Deutsch­land. Aber die Schließ­fä­cher wa­ren al­le ver­schlos­sen, man durf­te nichts de­po­nie­ren, da­mit kei­ne Bom­ben hoch­ge­hen kön­nen. Ei­ne Si­cher­heits­vor­keh­rung... Und dann sind wir mit mei­nem Kof­fer, es reg­ne­te auch, in die Stadt, wo Ozu be­gra­ben liegt, ge­fah­ren. Ich frag­te mei­ne Be­glei­te­rin, ob sie nicht die Be­sit­ze­rin des Re­stau­rants, wo wir ge­ges­sen hat­ten, ob sie die nicht bit­ten kann, den Kof­fer auf­zu­be­wah­ren. Und die Frau sag­te ja. Wir sind zum Grab ge­gan­gen, es war ei­nes der Grä­ber mit die­sen un­glaub­lich schö­nen ja­pa­ni­schen In­schrif­ten. Da ha­be ich ge­se­hen, dass die Leu­te zu Ozus Grab hin­pilgern wie zum Grab von Ber­tolt Brecht in Ber­lin. Auch Al­ko­hol­fla­schen und Zi­ga­ret­ten hat­ten sie hin­ge­tan, wie bei Brecht.

Emine Sevgi Özdamar - ©: Helga Kneidl
Emi­ne Sev­gi Öz­da­mar – ©: Hel­ga Kneidl

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  1. Einige wenige Ergänzungen und Änderungen wurden in einem weiteren Gespräch zwischen Emine Sevgi Özdamar und Naoko Yuda im Oktober 2013 in Berlin besprochen. 

  2. Im September 2009 - G.K. 

Fré­dé­ric Va­lin: In klei­nen Städ­ten

Frédéric Valin: In kleinen Städten
Fré­dé­ric Va­lin: In klei­nen Städ­ten
Viel­leicht hät­te der Ver­bre­cher-Ver­lag nicht die er­ste Ge­schich­te (»Der Vor­gang«) aus »In klei­nen Städ­ten« als Le­se­pro­be an­bie­ten sol­len. Im leicht sa­lop­pen Buf­di-Ton er­zählt ein Al­ten­pfle­ger von sei­ner Sta­ti­on und vor al­lem von Syl­via, ei­ner al­ten Da­me, Epi­lep­ti­ke­rin, mo­to­risch ge­stört und auch noch »Dow­nie« oder »Mon­go«: »Die Ter­mi­no­lo­gie än­dert sich al­le zehn Jah­re, ja nach ge­sell­schaft­li­cher Gesamt­lage.« Syl­via ist an­stren­gend, »al­les an ihr ist pas­si­ver Wi­der­stand«, sie spricht mit Aus­nah­me ei­nes Sat­zes (»Du al­te Schach­tel«) nur un­ver­ständ­li­ches und re­agiert nicht auf Fra­gen. Es ist auch phy­sisch stra­pa­zi­ös sie aus dem Bett auf­zu­rich­ten, was de­tail­liert mit den Re­fle­xio­nen des Pfle­gers er­zählt wird. Ein biss­chen sprung­haft geht es dann zum Wa­schen und An­zie­hen – da wird man plötz­lich mit der Mit­tei­lung kon­fron­tiert, dass dies in 15 Mi­nu­ten er­le­digt ist.

»Syl­via« ist lei­der nicht die stärk­ste Er­zäh­lung in Fré­dé­ric Va­lins Buch. Nicht, weil ei­ne so ganz an­de­re Welt als die des Zi­vil­dienst­lei­sten­den Kâ­zim aus Chri­stoph Si­mons »Spazier­gänger Zbin­den« er­scheint; ei­ne Welt mit Trink­pro­to­kol­len, Tablettenmedi­kationen und be­fri­ste­ten Ar­beits­ver­trä­gen. Va­lins Pfle­ger duzt Syl­via, sei­ne Arbeits­auf­fassung ist un­prä­ten­ti­ös, die Ton­la­ge zu­wei­len prag­ma­tisch-schnodd­rig (et­wa, wenn er dar­über nach­denkt, wie kör­per­lich ge­sund De­men­te doch sind, da sie ei­ne um­fas­sen­de und re­gel­mä­ssi­ge ärzt­li­che Ver­sor­gung er­hal­ten) aber trotz al­lem nie­mals de­spek­tier­lich oder gar zy­nisch. Die Er­zäh­lung fällt aus ei­nem an­de­ren Grund ein biss­chen von den an­de­ren ab: Die Klip­pen des Kli­schees, die sich beim The­ma Al­te und Pfle­ge so be­reit­wil­lig auf­tun, ver­mag der Au­tor nicht ganz zu um­kur­ven. Lie­ber hät­te man ge­habt, wenn der Pfle­ger über sei­nen Be­ruf im all­ge­mei­nen und über Syl­via im spe­zi­el­len ein­fach er­zählt hät­te.

In der Ge­schich­te mit dem ver­blüf­fen­den Ti­tel »Lea lacht« fährt ein Ich-Er­zäh­ler mit sei­ner Ex-Freun­din Lea in den Ur­laub an die por­tu­gie­si­sche Al­gar­ve­kü­ste. Tou­ri­sten­höl­le mit Rent­nern und, vor al­lem, Eng­län­dern, die­se »Hun­nen der Ga­stro­no­mie«. Schnell stellt sich die Lang­wei­le ein, die ei­ne Er­ho­lung er­zeu­gen soll in Wirk­lich­keit je­doch nur Öd­nis schafft. Not­dürf­tig wird der in­tel­lek­tu­el­le Ap­pe­tit mit Be­sich­ti­gun­gen lä­cher­li­cher Kir­chen oder Klein­städ­te ge­stillt. Ins­be­son­de­re dem Mann über­kommt ei­ne in An­sät­zen bemerk­bare Meurs­ault-haf­te Gleich­gül­tig­keit. Früh be­gin­nen bei­de zu trin­ken. Am letz­ten Abend ver­sucht er sich mit ei­ner dä­ni­schen Ab­itu­ri­en­tin (»sie riecht nach Erd­beer­ku­chen« [wo­bei es ei­gent­lich »duf­tet« hei­ßen müss­te]) und fin­det da­nach Lea mit dem rus­si­schen Bar­kee­per in ih­rem Zim­mer im Bett.

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Der Sym­pa­thi­sant und die Schau­spie­le­rin

TAGEBUCHAUFZEICHNUNGEN NOVEMBER 1983

11. No­vem­ber 1983, Frei­tag, Köln, Stutt­gart

Um 13h Tref­fen mit Cra­mer1 – wir bei­de sind mit Jo­hann Kamps, dem Hör­spiel-Re­dak­teur des WDR, ver­ab­re­det. Ge­mein­sa­mes Mit­tag­essen bei ei­nem Chi­ne­sen. Kei­ne wirk­lich gu­te Stim­mung, und Kamps ist mir kei­nes­wegs sym­pa­thisch, viel­leicht auch ich ihm nicht. Er kommt mir ei­gent­lich wie ein DDR-Kul­tur­funk­tio­när vor. Sehr an­de­re Wel­len­län­ge und »Bau­stel­le«. Sei­ne kri­ti­sche Hal­tung mir ge­gen­über – er möch­te wis­sen, wor­an ich zur Zeit ar­bei­te. Er­wäh­ne das Stück2. Dar­auf­hin sei­ne (be­rech­tig­te) Fra­ge: wie kann Ihr Prota­gonist (Wohnaut) sich ei­ne Schiffs­rei­se lei­sten? Kamps bohrt – das ist ja gut, an sich, aber er macht’s ir­gend­wie HÄMISCH, will mir schei­nen. Cra­mer und er hacken dann gemein­sam auf mei­nem Hör­spiel-Text her­um, ich weh­re mich un­ge­nü­gend. Als Kamps über den ge­plan­ten Ro­man3 et­was wis­sen will, re­fü­sie­re ich die Ant­wort; er­zäh­le statt­dessen ein we­nig ad Franz-Wer­fel-Pro­jekt4 und wie ich’s mir vor­stel­le.

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  1. Heinz von Cramer, 1924 – 2009, Autor und Hörspielregisseur. Er hatte 1979 mein Hörspiel »Oktave« für den WDR inszeniert (Hörspiel des Monats Dezember 1979) und arbeitete 1983 an der Realisierung des Hörspiels »Suchkraft«, ebenfalls für den WDR 

  2. Ich plante damals ein Theaterstück zu schreiben, das Fragment blieb 

  3. Gemeint ist »Tigor«, 1991 bei S.Fischer erschienen 

  4. Franz Werfel – Eine Lebensgeschichte, erschien 1987 im S.Fischer Verlag 

Ei­ni­ge An­mer­kun­gen zur trans­ver­sa­len Äs­the­tik

Vor­trag vom 2. No­vem­ber 2013 beim Sym­po­si­um »In­ter­kul­tu­ra­li­tät in der Li­te­ra­tur – re­gio­na­le, na­tio­na­le und kon­ti­nen­ta­le Iden­ti­tä­ten«, Städ­ti­sche Uni­ver­si­tät (Shirit­su Dai­ga­ku) Nagoya/Japan

Ich bin ein Mi­grant. Seit elf Jah­ren le­be ich in ei­nem Land fern von mei­nem Ge­burts­ort, da­vor ha­be ich in vier an­de­ren Län­dern dau­er­haft ge­wohnt, und auch die Jah­re in Wien wa­ren für mich als über­zeug­ten West­öster­rei­cher ein Aus­lands­auf­ent­halt, üb­ri­gens der un­an­ge­nehm­ste von al­len. Wo ich den Le­bens­abend ver­brin­gen wer­de, wo ich be­gra­ben sein möch­te? Kei­ne Ah­nung. Viel­leicht »zu Hau­se«, viel­leicht nicht. Mei­ne Wan­de­run­gen sind noch nicht be­en­det.

Mi­grant zu sein ist nichts Be­son­de­res, heut­zu­ta­ge eher die Re­gel als die Aus­nah­me. Ei­ne Le­bens­form, mit der vie­le Men­schen auf die ei­ne oder an­de­re Wei­se Be­kannt­schaft ge­schlossen ha­ben. In­so­fern ist auch »Mi­gran­ten­li­te­ra­tur« nichts Be­son­de­res. Man wird so­gar sa­gen kön­nen, daß die Li­te­ra­tur mit ih­rer al­ten und no­to­ri­schen Neu­gier für al­les Frem­de das, was heu­te der ge­sell­schaft­li­che Re­gel­fall ist, vor­weg­ge­nom­men hat. Im Grun­de be­ruht die Re­de von den Mi­gran­ten mit ih­rem Hin­ter­grund und ih­rer Kul­tur nur auf ei­ner be­stimm­ten Sicht­wei­se. Die Wur­zeln der Mi­gra­ti­on ge­hen weit, sehr weit zu­rück. Eben­so das Phä­no­men der Glo­ba­li­sie­rung. Wann hat sie be­gon­nen? Mit Ko­lum­bus? Mit der Han­se? Mit Odys­seus? Mit den Ar­go­nau­ten? Als ich in den sieb­zi­ger Jah­ren Ger­ma­ni­stik stu­dier­te, war Exil­li­te­ra­tur ein Mo­de­the­ma. Das Exil aber ist nur ei­ne be­son­de­re Art der Mi­gra­ti­on, wie Sev­gi Öz­da­mars Ro­man Die Brücke vom Gol­de­nen Horn sinn­fäl­lig macht.

Vor ei­ni­gen Jah­ren wur­de ich von ei­ner Li­te­ra­tur­zeit­schrift um ei­nen Bei­trag für ein Heft zum The­ma Rei­se­li­te­ra­tur ge­be­ten. Ich sag­te zu und hat­te ein un­gu­tes Ge­fühl, weil ich mich nicht als Rei­se­schrift­stel­ler be­trach­te. Mei­stens bin ich nicht auf Rei­sen, son­dern le­be wo­an­ders (als in mei­nem Her­kunfts­land) und be­we­ge mich zwi­schen ver­schie­de­nen Or­ten, weil ich dort et­was zu tun ha­be, et­was su­che, Freun­de tref­fen will, mich in ei­ne Frau ver­liebt ha­be, an ei­nem Kon­greß teil­neh­me, mit ei­nem Au­tor über ein zu über­set­zen­des Buch spre­chen will. Der Rei­sen­de im her­kömm­li­chen Sinn hat sei­ne Rück­kehr ein­ge­plant. Das ist bei mei­nem Mi­gran­ten­tum – mei­ner viel­fäl­ti­gen Wan­der­schaft – oft nicht der Fall. Manch­mal sa­ge ich, um ei­nen Ge­sprächs­part­ner zu ver­blüf­fen: Ich rei­se nicht gern. Und fü­ge, wenn die Ver­blüf­fung auf­ge­braucht ist, hin­zu: Ich hal­te mich gern an ver­schie­de­nen Or­ten auf, aber ich bin nicht so gern un­ter­wegs. Mein Ide­al wä­re die Ubi­qui­tät. Sem­per et ubi­que. Den Kör­per bea­men, nicht nur den Geist und die Bil­der (was durch die kommu­nikations­technische Ent­wick­lung sehr er­leich­tert wor­den ist). Rei­sen ist mir auf die Dau­er zu an­stren­gend.

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