Wel­ten und Zei­ten XVII

Trans­ver­sa­le Rei­sen durch die Welt der Ro­ma­ne

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Ge­dich­te von Wil­liam Car­los Wil­liams im Ra­dio, Öster­rei­chi­scher Rund­funk, in ei­ner Sen­dung, die seit acht­zig Jah­ren ih­re Struk­tur und Ge­stalt nicht ver­än­dert hat und die ich schon als Stu­dent gern hör­te. Un­ver­än­dert auch der Ti­tel, ein Schu­bert-Lied zi­tie­rend, al­ter­tüm­lich und, im­mer schon, oh­ne Iro­nie: Du hol­de Kunst. Al­ter­tüm­lich oder bes­ser, mit ei­nem an­de­ren al­ter­tüm­li­chen Wort: zeit­los. Al­so hier Wil­liam Car­los Wil­liams, ein Ge­dicht aus dem All­tag, aus sei­nem Haus, sei­nem Gar­ten, aus ei­ner klei­nen Stadt, aus der Pro­vinz, der Pro­vinz des Men­schen. Spä­ter Ge­dich­te aus und über Pa­ter­son, im Al­ter wur­de so­gar Wil­liams ein we­nig ge­schwät­zig. Zwei­fel­los hat sich Jim Jar­musch für sei­nen wun­der­ba­ren Film Pa­ter­son auch von Wil­liams an­re­gen las­sen. Ge­dich­te schrei­ben, Ge­dich­te hö­ren, Ge­dich­te le­sen – üb­ri­gens auch im Film – ist hier ein Platz ma­chen, Weg­räu­men von Un­er­heb­li­chem, nicht et­wa, um ir­gend­ein We­sent­li­ches ins Au­ge zu fas­sen, son­dern um das, was da ist, die paar Din­ge, mei­ne ei­ge­ne We­nig­keit, ins spär­li­che Wort zu set­zen.

  • Wenn mei­ne Frau schläft
    wenn das Klei­ne und Kath­rin
    wenn sie schla­fen
    und die Son­nen­schei­be flam­mend
    weiß in sei­de­nen Ne­beln
    über schim­mern­den Bäu­men steht
    wenn ich dann in mei­nem Zim­mer, –
    nörd­lich, nackt, gro­tesk
    vor mei­nem Spie­gel tan­ze,
    schwenk mein Hemd mir um den Kopf
    und mir lei­se selbst zu­sin­ge:
    »Ich bin ein­sam, ein­sam,
    und zum Ein­sam­sein ge­bo­ren,
    ein­sam bin ich auf der Hö­he!«
    Wenn ich Ar­me und Ge­sicht,
    Schul­tern, Flan­ken, Hin­tern an mir selbst
    be­wund­re vor den gel­ben Ja­lou­sien, –
    Wer leug­net dann, daß ich hier glück­lich
    und mein gu­ter Haus­geist bin?

Al­so Platz schaf­fen für Be­deu­tung, nicht für gro­ße, son­dern für klei­ne, ge­rin­ge, ver­ein­zel­te Be­deu­tung. Weg mit dem Bla­bla, mit dem Rau­schen, dem Viel-zu-Vie­len, weg mit den Me­di­en (ab­ge­se­hen von Ra­dio und Buch). Kon­text re­du­zie­ren, bis nur ein paar Wör­ter üb­rig­blei­ben, die die Din­ge ih­rer Exi­stenz ver­si­chern, und dich dei­ner. Ei­ne Art von – Ge­nug­tu­ung. Das Wil­liams­sche Ge­dicht tut ge­nau ge­nug.

Und die­sen Ro­man woll­te ich ei­gent­lich gar nicht le­sen: De Vri­endt kehrt heim von Ar­nold Zweig. War­um nicht? Weil mir Ar­nold Zweig, so mein Vor­ur­teil, zu sehr im Fahr­was­ser je­ner da­mals, seit den zwan­zi­ger Jah­ren des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts, vor Hit­lers Macht­er­grei­fung und der Emi­gra­ti­on der deut­schen Gei­stes­welt, im Schwan­ge be­find­li­chen, po­li­tisch kor­rek­ten, hu­ma­ni­sti­schen, pa­zi­fi­sti­schen, an­ti­fa­schi­sti­schen Li­te­ra­tur schrieb. Li­on Feucht­wan­ger, Le­on­hard Frank, Erich Ma­ria Re­mar­que. Das Pro­blem mit De Vri­endt kehrt heim ist aber nicht sein Hu­ma­nis­mus oder An­ti­fa­schis­mus (ver­stan­den als Ab­leh­nung von Ge­walt als po­li­ti­schem Mit­tel), son­dern die jour­na­li­sti­sche Mach­art. Li­te­ra­ri­sche Kon­fek­ti­ons­wa­re, ge­schickt ver­fugt. War­um auch nicht? Als ar­mer Schlucker kann ich mir maß­ge­schnei­der­te Kla­mot­ten ja auch nicht lei­sten, war­um soll­te ich von Bü­chern ver­lan­gen, daß sie ex­qui­sit sind? Ex­qui­sit wie was? Wie die Jo­sephs­ro­ma­ne, wo Tho­mas Mann – wie üb­lich – ver­steckt von sich selbst er­zählt. Au­to­fik­ti­on, ist das et­wa bes­ser?

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Chri­stoph Rans­mayr: Egal wo­hin, Ba­by

Christoph Ransmayr: Egal wohin, Baby
Chri­stoph Rans­mayr: Egal wo­hin, Ba­by

Sieb­zig »Mi­kro­ro­ma­ne« auf et­was mehr als 250 Sei­ten prä­sen­tiert Chri­stoph Rans­mayr in sei­nem neue­sten Buch mit dem zu­nächst leicht ir­ri­tie­ren­den Ti­tel Egal wo­hin, Ba­by. Na­tür­lich ist die Ka­te­go­rie Mi­kro­ro­man ein Wi­der­spruch in sich, denn ein Text von drei oder fünf Sei­ten ist kein Ro­man. Aber Er­zäh­lun­gen im klas­si­schen Sinn sind es auch nicht. Nach je ei­nem Fo­to er­folgt der Text, der wie­der­um Ort und Ge­gen­stand der Ab­bil­dung er­läu­tert. Manch­mal kommt es fast zum Er­zäh­len, häu­fi­ger je­doch ist es ein Auf­flackern ei­ner Si­tua­ti­on.

Zu Be­ginn je­doch ei­ne Di­stan­zie­rung: Hier er­zäh­le kein Ich, kein Rans­mayr, son­dern wir se­hen, er­le­ben ei­nen ge­wis­sen Lor­can, ei­nen Na­men »aus ei­nem bis­lang nur aus Krit­ze­lei­en be­stehen­den, noch un­ge­schrie­be­nen Ro­man, der den Ti­tel tra­gen soll Swan oder Der Puls der Ster­ne und von der Ent­deckung der wah­ren Grö­ße des Uni­ver­sums han­deln soll.«

Vie­le Or­te und Er­in­ne­run­gen dürf­te Rans­mayr-Le­sern bei­spiels­wei­se aus dem At­las ei­nes ängst­li­chen Man­nes oder der Er­zäh­lungs­samm­lung Als ich noch un­sterb­lich war be­kannt vor­kom­men und bis­wei­len wir­ken die hier kon­stru­ier­ten Mi­kro­ro­ma­ne wie ge­raff­te Wie­der­ga­ben der aus­führ­li­che­ren Tex­te. Man sieht ihn un­ter an­de­rem in der Ark­tis des Franz-Jo­sef-Lan­des auf rus­si­schen Eis­bre­chern, in der Az­te­ken-Me­tro­po­le Te­noch­ti­tlán, beim in­di­schen Ster­nen­fest Ta­na­ba­ta, im ober­öster­rei­chi­schen To­ten Ge­bir­ge, in der al­ge­ri­schen Erg-Oa­se auf dem Weg nach Tim­buk­tu oder auf ei­ner Nil­fahrt. Er be­sucht die Ro­bin­son-Crusoe‑, Oster- und Pit­cairn-In­seln, rät­selt über die merk­wür­di­gen Ku­gel­ge­bil­de auf der Champ-In­sel, be­wun­dert die sub­tro­pi­sche Viel­falt des Gar­tens des Cast­le­ha­ven Hou­se, be­reist Hand­lungs­or­te der Il­li­as und Odys­see und ent­wickelt am Grab Ho­mers sei­ne ei­ge­ne Theo­rie über den Ur­sprung der bei­den Epen. Sel­te­ner gibt es Er­gän­zun­gen zu den lan­gen Tex­ten, wie et­wa über die­se Bunt­stift­zeich­nung von Emi­ly Chri­sti­an von den Pit­cairn-In­seln, die Lor­can vom Ka­pi­tän des Schif­fes ge­schenkt wur­de, der ihn auf die In­sel brach­te. Emi­ly war »ein sie­ben­jäh­ri­ges Mäd­chen und Nach­fah­rin des Steu­er­manns­maats und An­füh­rers der Meu­te­rer Flet­cher Chri­sti­an« und mal­te Pfer­de, ob­wohl sie noch nie wel­che ge­se­hen hat­te.

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Gun­dolf S. Frey­er­muth: Wer war WM?

Gundolf S. Freyermuth: Wer war WM?
Gun­dolf S. Frey­er­muth: Wer war WM?

Als ich dem ei­nen oder der an­de­ren auf Nach­fra­ge er­zähl­te, was ich ge­ra­de le­se, ka­men fra­gen­de Blicke zu­rück. Wolf­gang Men­ge? Das Co­ver­bild – der mar­kan­te und gut­ge­klei­de­te Mann mit Glat­ze und Pfei­fe – half nicht im­mer. Die Ret­tung nah­te bei der Er­wäh­nung, dass Men­ge der Schöp­fer von »Ekel Al­fred«, der Haupt­fi­gur aus Ein Herz und ei­ne See­le, war. Den kann­ten sie, weil min­de­stens ei­ne Fol­ge – die vom Sil­ve­ster­punsch – in jähr­li­cher Re­gel­mä­ssig­keit wie­der­holt wird. Bei Smog und Mil­lio­nen­spiel wuss­ten die mei­sten auch nicht mehr wei­ter.

Nun al­so ei­ne Bio­gra­phie von Wolf­gang Men­ge, fast ein biss­chen ver­spä­tet zum 100. Ge­burts­tag. Viel­leicht liegt es am Ver­fas­ser Gun­dolf S. Frey­er­muth, Jour­na­list, Au­tor und Pro­fes­sor u. a. an der In­ter­na­tio­na­len Film­schu­le Köln, der von Men­ge ein­mal als un­pünkt­li­cher Zeit­ge­nos­se cha­rak­te­ri­siert wor­den sein soll, was der Freund­schaft der bei­den nicht im We­ge stand. Die bei­den lern­ten sich erst 1987 ken­nen. Men­ge war da 63, Frey­er­muth 32. Ir­gend­wie fin­den sie ei­nen Draht. Der jun­ge Au­tor, der u. a. für den Stern schreibt und lan­ge in den USA ge­lebt hat, kann Men­ge über­zeu­gen, sein Com­pu­te­r­e­quip­ment auf Mac­in­tosh um­zu­stel­len. Das war, wie sich spä­ter her­aus­stell­te, be­mer­kens­wert, denn Men­ge war nor­ma­ler­wei­se schwer zu über­zeu­gen.

Der Ti­tel ist mit Wer war WM? in­ter­es­sant ge­wählt. Frey­er­muth schreibt in den fast 500 Sei­ten, die ge­le­gent­lich von Bil­dern auf­ge­lockert wer­den, im­mer dann von »WM«, wenn es um all­ge­mein bio­gra­phi­sche und/oder werk­ge­ne­ti­sche Din­ge geht und wech­selt zum »Wolf­gang«, wenn es per­sön­lich wird. Die­se Me­tho­de er­weist sich als Glücks­griff, weil der Le­ser so­fort weiß, wer da ge­ra­de schreibt – der Freund oder der Bio­graph (wo­bei das ei­ne nicht das an­de­re aus­schlie­ßen muss).

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Wel­ten und Zei­ten XVI

Trans­ver­sa­le Rei­sen durch die Welt der Ro­ma­ne

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Ar­son von Lau­ra Freu­den­tha­ler, ei­ne Art Um­welt­sor­ge­pro­sa in Welt­un­ter­gangs­stim­mung. Da und dort, im­mer wie­der, bre­chen Brän­de aus. Wie in der Wirk­lich­keit in Ka­li­for­ni­en, zum Bei­spiel. Was brin­gen sol­che Wald­brän­de für die Li­te­ra­tur, oder um­ge­kehrt: Wie soll der Au­tor ih­rer hab­haft, ih­nen ge­recht wer­den, wenn er sie schon nicht lö­schen kann? Was ver­mag das al­te, kul­tu­rell ge­präg­te Na­tur­ge­fühl ge­gen­über den Feu­ern? Über al­len Wip­feln ist Ruh; über ka­li­for­ni­schen Wip­feln schla­gen die Flam­men zu­sam­men.

Freu­den­tha­ler pflegt un­ter an­de­rem, wie vie­le Au­toren heu­te, ei­nen Es­say­is­mus im Mu­sil­schen Sin­ne, man er­laubt sich gern Ab­schwei­fun­gen – De­fi­ni­ti­on von »Es­sai«: das schwei­fen­de Gen­re –, hier zum Bei­spiel nach Su­ma­tra, über die dor­ti­gen Wald­brän­de. Auch Tho­mas Mann hat das ge­tan, sei­ner­zeit, nur we­ni­ger auf­dring­lich als Mu­sil, nicht so theo­rie­la­stig, nicht zwang­haft-über­höht, son­dern in al­ler Ru­he von der gu­ten Schreib­stu­be aus, sie­he zum Bei­spiel die um­fas­sen­de Welt­erklä­rung, die er im Fe­lix Krull ei­nem ge­wis­sen Pro­fes­sor Kuckuck un­ter­schiebt: Dort geht es nicht bloß um ein paar Aspek­te, nicht nur um die Mög­lich­keit des Welt­un­ter­gangs bzw. des En­des der Erd­ge­schich­te, die­se ist dem Pro­fes­sor so­wie­so ge­wiß; nicht nur das ein­zel­ne Men­schen­le­ben oder die gan­ze Mensch­heit, son­dern der Pla­net Er­de ist wei­ter nichts als ei­ne un­er­heb­li­che Epi­so­de im All. Un­ser klei­he­i­ner Pla­net… Der be­rühm­te Pas­cal­sche Schau­der. Trotz­dem sind die vor­zeit­li­chen Farn­wäl­der, von de­nen letz­te Re­ste im Bo­ta­ni­schen Gar­ten von Lis­sa­bon zu be­sich­ti­gen sind, wis­sen­schaft­li­cher Stu­di­en und all­ge­mein­mensch­li­cher Wert­schät­zung wert. Die Fi­gu­ren und ih­re Be­zie­hun­gen zu­ein­an­der sind nur Hilfs­kon­struk­te, um in­ter­es­san­te Ge­dan­ken aus­zu­füh­ren.

Blei­ben wir bei der ge­gen­wär­ti­gen Ge­gen­warts­li­te­ra­tur. Ar­son nennt sich auch gar nicht »Ro­man«, nennt sich über­haupt nicht. Das Buch bie­tet ei­ne Ver­samm­lung von Epi­so­den, Stim­mungs­bil­dern, Frag­men­ten, die hin und wie­der Se­quen­zen bil­den, Sprach­per­len an Mo­tiv­schnü­ren – das Tho­mas Mann-Jahr wirft sei­ne Schat­ten vor­aus – wie Schlaf­lo­sig­keit oder die Wun­de an der Lip­pe, sie wer­den vor­sätz­lich nicht ver­knüpft, son­dern locker auf­ge­fä­delt, so daß kei­ne Strän­ge ent­ste­hen, kei­ne Ge­we­be, son­dern. Hand­lungs­mo­men­te. Auf­pop­pen. Da ist wie­der mal ei­ne Lip­pe auf­ge­platzt. Ein Wald­stück auf­ge­flackert. Edel­pop!

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Alex­an­der Tes­ke: In­si­de Ta­ges­schau

Alexander Teske: inside Tagesschau
Alex­an­der Tes­ke:
in­si­de Ta­ges­schau

Ent­hül­lungs­bü­cher ha­ben meist ei­nen schlech­ten Ruf. Man un­ter­stellt den Au­toren ger­ne per­sön­li­che Mo­ti­ve bis hin zur Ra­che für tat­säch­li­che oder ein­ge­bil­de­te In­tri­gen. Man liebt zwar den Ver­rat, aber we­ni­ger den Ver­rä­ter, nicht zu­letzt, weil der Le­ser da­bei zu­wei­len brüsk mit sei­ner ei­ge­nen Des­il­lu­sio­nie­rung lan­ge ge­pfleg­ter Idea­le kon­fron­tiert wird. Die Be­trof­fe­nen re­agie­ren ent­täuscht bis be­lei­digt, manch­mal, aus pu­rer Ver­zweif­lung, zie­hen sie vor Ge­richt. Auch der NDR, so heißt es, prü­fe der­zeit ge­gen Alex­an­der Tes­kes Buch in­si­de Ta­ges­schau ju­ri­sti­sche Schrit­te. Der­weil ver­kauft sich das Buch gut und je­der möch­te es noch ha­ben, be­vor viel­leicht ei­ni­ge Stel­len ge­schwärzt wer­den müs­sen.

Der Le­ser rät­selt, wel­che Stel­len das sein sol­len. Alex­an­der Tes­ke ist ein Jour­na­list, der sein Hand­werk von der Pi­ke auf ge­lernt hat. Er ar­bei­te­te sechs Jah­re (von 2018 bis En­de 2023) in der Re­dak­ti­on der Ta­ges­schau in Ham­burg als »Pla­nungs­re­dak­teur«. Vor­her war er vier­zehn Jah­ren beim MDR, der ARD-An­stalt, die, wie man im Lau­fe des Bu­ches er­fährt, in Ham­burg aus ver­schie­de­nen Grün­den kei­nen gu­ten Ruf ge­nießt. Was ein Pla­nungs­re­dak­teur macht, wird skiz­ziert. Auch die Hier­ar­chien in­ner­halb die­ses Ge­bil­des Ta­ges­schau bzw. ARD-ak­tu­ell be­kommt man er­klärt. Ver­blüf­fend: Der bzw. die Chef­re­dak­teu­re (Mar­cus Born­heim, Hel­ge Fuhst und Ju­lia­ne Leo­pold) ha­ben zwar for­mal das Sa­gen, aber die wah­ren Herr­scher über die Nach­rich­ten sind die »Chefs vom Dienst« (von mir hier »CvD« ab­ge­kürzt), ein nicht öf­fent­lich agie­ren­der Kreis von rund zehn Re­dak­teu­ren.

Wer ein­mal CvD ist, bleibt dort meist bis zur Pen­sio­nie­rung. Män­ner sind über­re­prä­sen­tiert (2/3 von 10 sind, lie­ber Herr Tes­ke, sechs oder sie­ben?). Al­le CvD sind äl­ter als 45. Sie er­hal­ten 11.434 Eu­ro mo­nat­lich. Die mei­sten von ih­nen ha­ben in ih­rer Lauf­bahn eher sel­ten ei­nen Fern­seh­bei­trag sel­ber ver­fasst und wenn, dann vor sehr lan­ger Zeit. Au­ßer­halb von ARD-ak­tu­ell kennt sie nie­mand. Man wird nie er­fah­ren, wer bei wel­cher Sen­dung CvD war. Tes­ke nennt kei­ne Na­men, ver­wen­det Ab­kür­zun­gen (die ver­mut­lich noch ein­mal ver­frem­det sind). Ei­nen al­ler­dings nennt er, »emp­fiehlt« so­gar des­sen Web­sei­te. (Er ist seit kur­zem pen­sio­niert. Viel­leicht reicht es bald noch für ein ju­ri­stisch ein­wand­frei­es Im­pres­sum.) Dass ei­ne sol­che Per­son jah­re­lang be­stimmt hat, wel­che Nach­rich­ten ge­sen­det wer­den und wel­che nicht, lässt fast tie­fer blicken als al­les an­de­re, was Tes­ke so er­zählt.

Chef­re­dak­teur vs. Chef vom Dienst

Um die CvD schwir­ren ins­ge­samt mehr als 300 »Mit­ar­bei­ten­de« (manch­mal be­nutzt Tes­ke die­se Spra­che). Laut KEF ent­fie­len 2021 55,7 Mil­lio­nen Eu­ro Ge­büh­ren­gel­der auf ARD-ak­tu­ell, dem In­for­ma­ti­ons­kom­plex der ARD, da­von 12 Mil­lio­nen Eu­ro auf den Spar­ten­fern­seh­sen­der tagesschau24, ei­nem Sen­der, des­sen Markt­an­teil je nach Al­ters­grup­pe zwi­schen 0,4% und 0,5% liegt und in­zwi­schen ei­ne Art Hob­by von Hel­ge Fuhst zu sein scheint. Be­mer­kens­wert, dass phoe­nix, der »ge­mein­sa­me Er­eig­nis- und Do­ku­men­ta­ti­ons­ka­nal von ARD und ZDF«, im Buch kei­ne re­le­van­te Rol­le spielt, au­ßer, dass die Re­dak­teu­re aus Ham­burg die tagesschau24-Kol­le­gen ein­mal als »Schnarch­na­sen« ti­tu­lie­ren, weil sie bei ei­nem The­ma als letz­ter »auf­ge­sprun­gen« sind. Die­ses Igno­rie­ren könn­te dar­auf zu­rück­zu­füh­ren sein, dass phoe­nix ARD-sei­tig vom WDR be­treut wird – und da­mit nicht un­ter der Zu­stän­dig­keit von ARD-ak­tu­ell fällt. phoe­nix er­hält nach ei­ge­nen An­ga­ben 37 Mil­lio­nen Eu­ro pro Jahr und hat ei­nen Markt­an­teil um die 0,8%.

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Lud­wig Fels: Ein Sonn­tag mit mir und Bier

Ludwig Fels: Ein Sonntag mit mir und Bier
Lud­wig Fels: Ein Sonn­tag mit mir und Bier

Der Blick nach oben zu ei­nem Lämp­chen, viel­leicht ge­hört es ja zum Brat­wurst­häus­le in Nürn­berg, dem Ort der klei­nen, vier Jah­re nach sei­nem Tod er­schei­nen­den, nach­ge­las­se­nen Er­zäh­lung Ein Sonn­tag mit mir und Bier von Lud­wig Fels. Ein Text, der nach An­ga­be des Ver­lags 2018 ge­schrie­ben wur­de. Ge­ring­fü­gig sei er kor­ri­giert und ver­än­dert wor­den, heißt es. Scha­de, dass man nicht mehr er­fährt. Oder, bes­ser: Scha­de, dass man es über­haupt er­fährt. Das Büch­lein wirkt aus sich selbst. Weg mit dem »Faul­turm« der Kri­tik!

Ein »Selbst­por­trät im Gast­gar­ten« ist der Un­ter­ti­tel. Und tat­säch­lich setz­te sich der Schrift­stel­ler Lud­wig Fels an ei­nem Sonn­tag in die­sen Bier- oder Gast­gar­ten und woll­te dort ei­nen Ro­man schrei­ben, oder min­de­stens ein Ge­dicht oder er ist Haupt­fi­gur in ei­nem Film mit sich zu­gleich als Re­gis­seur oder al­les gleich­zei­tig.

Zwi­schen­zeit­lich hat­te man Lud­wig Fels fast schon für ei­nen öster­rei­chi­schen Schrift­stel­ler ge­hal­ten, aber das war er nicht, ob­wohl er jahr­zehn­te­lang in Wien leb­te. Er war ein »Vran­ge« (hoch­deutsch: Fran­ke) und zwar mehr als ihm lieb war, was sich jetzt in die­ser Hei­mat­be­schwö­rung mit vie­len frän­ki­schen Ein­spreng­seln zeigt. Das Es­sen ist be­stellt, die er­sten Maß Bier wir­ken schnell. Er er­in­nert sich an Bier­gär­ten und de­ren Er­zeug­nis­se in An­tana­na­ri­vo und Pa­pua-Neu­gui­nea, er­trägt mann­haft die Bus­la­dun­gen Tou­ri­sten in Wan­der­tracht, die das Brat­wurst­häus­le auf­su­chen, ima­gi­niert sei­ne (ver­geb­li­che) Su­che nach dem Ye­ti und setzt sich mit ei­nem Mann mit Ak­ten­ta­sche aus­ein­an­der, der ihm er­klärt, dass er 20 Mark Ho­no­rar für ei­nen Vier­zei­ler nicht ord­nungs­ge­mäss ver­steu­ert ha­be.

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Józ­sef De­brec­ze­ni: Kal­tes Kre­ma­to­ri­um

József Debreczeni: Kaltes Krematorium
Józ­sef De­brec­ze­ni: Kal­tes Kre­ma­to­ri­um

Józ­sef De­brec­ze­ni wur­de 1905 als Józ­sef Bru­ner in Bu­da­pest ge­bo­ren. Die jü­di­sche Fa­mi­lie floh 1919 vor an­ti­jü­di­schen Po­gro­men in den un­ga­risch spre­chen­den Teil des da­ma­li­gen Kö­nig­reichs Ju­go­sla­wi­en. Un­ter dem Pseud­onym De­brec­ze­ni ver­fass­te Bru­ner Ar­ti­kel und Kom­men­ta­re, wur­de Re­dak­teur und Her­aus­ge­ber über­re­gio­na­ler un­ga­ri­scher Zei­tun­gen und Ma­ga­zi­ne, schrieb aber auch Ge­dich­te, Ro­ma­ne und Thea­ter­stücke. Die un­ga­ri­schen Ras­se­ge­set­ze des Hor­ty-Re­gimes, ei­nem Ver­bün­de­ten Hit­lers, be­en­de­ten 1938 die Mög­lich­keit der Pu­bli­ka­ti­on. Er zog in die Re­gi­on Bač­ka (Voj­vo­di­na), die al­ler­dings 1941 von Un­garn an­nek­tiert wur­de. De­brec­ze­ni und sei­ne Fa­mi­lie wur­den in das Ar­beits­la­ger Bač­ka To­pola de­por­tiert. Am 1. April 1944 stieg er ei­nen Wag­gon. Ge­rüch­te spra­chen von Ausch­witz als Ziel.

Mit die­sem Trans­port be­ginnt Kal­tes Kre­ma­to­ri­um. Es en­det ir­gend­wann An­fang Mai 1945. Józ­sef De­brec­ze­ni hat über­lebt. Er ist frei. Sein »Be­richt aus dem Land na­mens Ausch­witz« (so der deut­sche Un­ter­ti­tel) er­schien 1950 in Ju­go­sla­wi­en. Von da an dau­er­te es nur et­was mehr als sie­ben Jahr­zehn­te bis es in Eng­li­sche und nun von Ti­mea Tan­kó ins Deut­sche über­setzt wur­de.

Über die Grün­de der Miss­ach­tung des Bu­ches kann nur spe­ku­liert wer­den. Viel­leicht weil es in Un­ga­risch ge­schrie­ben war? Ahn­te De­brec­ze­ni die Re­ser­viert­heit, ja Ab­leh­nung, sich mit die­sen Men­schen­ver­bre­chen zu be­schäf­ti­gen? Dem Be­richt ist ein Ge­dicht vor­an­ge­stellt, dass ei­ner ge­wis­se Ah­nung Aus­druck ver­leiht. Da heißt es un­ter an­de­rem:

»Wo­zu die Jah­res­zei­ten,
Wenn die Fa­schi­sten blei­ben,
Le­ben wie Ma­den im Speck?

Ob mei­ner Mut­ter Mör­der
Noch lebt als bra­ver Bür­ger,
Nach sei­ner Sün­den Beich­te?«

Es en­det fa­ta­li­stisch:

»Ein be­kann­ter Wind weht,
Neue Uni­form trägt
Der Mör­der mei­ner Mut­ter.«

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