Fe­lix Au­stria

Klaus Kastberger: Alle Neune
Klaus Kast­ber­ger:
Al­le Neu­ne

Klaus Kast­ber­ger, der in die­sem Jahr 60 Jah­re alt wird, be­kam un­längst (ver­dien­ter­ma­ßen) den Öster­rei­chi­sche Staats­preis für Li­te­ra­tur­kri­tik zu­ge­spro­chen. Nie­mand, der sich mit deutsch­spra­chi­ger Ge­gen­warts­li­te­ra­tur be­schäf­tigt, kann auf Dau­er dem queck­silb­ri­gen Geist Kast­ber­gers ent­kom­men. Als or­dent­li­cher Pro­fes­sor der Karl-Fran­zens-Uni­ver­si­tät in Graz steht er nicht nur am Ka­the­der, son­dern ku­ra­tiert Le­sun­gen, Dis­kus­si­ons­ver­an­stal­tun­gen und Sym­po­si­en, mo­de­riert zu­sam­men mit Da­nie­la Stri­gl ei­ne Li­te­ra­tur­show mit dem zu­kunfts­wei­sen­den Ti­tel Ro­bo­ter mit Senf, be­gibt sich in die Nie­de­run­gen der Li­te­ra­tur­kri­tik, stellt und ent­facht li­te­ra­risch-äs­the­ti­sche De­bat­ten und sitzt in di­ver­sen Ju­rys. Recht­zei­tig zur Leip­zi­ger Buch­mes­se mit ih­rem Schwer­punkt Öster­reich prä­sen­tiert der Son­der­zahl-Ver­lag in ei­nem schick de­sign­ten Buch (die Hap­tik des Co­vers!) zehn Auf­sät­ze zur öster­rei­chi­schen Li­te­ra­tur un­ter dem zünf­ti­gen Ti­tel Al­le Neu­ne. Das Pa­ra­do­xon wird rasch auf­ge­löst. Neun öster­rei­chi­sche Au­torin­nen und Au­toren wer­den werk­ge­ne­tisch skiz­ziert. Ein wei­te­rer Text wid­met sich ei­ner (in­for­mel­len) Au­toren­grup­pie­rung. Die Aus­wahl der Schrift­stel­ler ori­en­tiert sich an den For­schungs­schwer­punk­ten des Au­tors in den letz­ten Jah­ren. Er­schie­nen sind die Tex­te zwi­schen 2009 und 2021 in Bü­chern, Fest­schrif­ten oder als Sym­po­si­ums­pu­bli­ka­tio­nen. Für Al­le Neu­ne wur­den sie noch ein­mal »gründ­lich über­ar­bei­tet«, was man auch an den An­mer­kun­gen sieht, die als ro­te Mar­gi­na­li­en ge­setzt wur­den, für die in die Jah­re ge­kom­me­ne Le­ser wie ich zwar ei­ne Lu­pe be­nö­ti­gen, aber das macht nichts.

Der Band be­ginnt leb­haft mit dem »letzte[n] Mo­hi­ka­ner des sechs­fa­chen Dak­ty­lus«, An­ton Wild­gans. Die­ser sei zu Recht ver­ges­sen, so spot­tet Kast­ber­ger und am En­de des Auf­sat­zes glaubt man ihm. Man lernt, dass Wild­gans’ Kunst un­ter an­de­rem dar­in be­stand, »aus der Plat­ti­tü­de ei­ne At­ti­tü­de zu ma­chen«. Die ur­teil­stüt­zen­de Re­fe­renz auf Karl Kraus, der Wild­gans nicht moch­te, er­scheint hin­ge­gen nicht zwin­gend, denn Kraus moch­te à la longue nie­man­den (und vice ver­sa). In­ter­es­san­ter ist die Be­schäf­ti­gung mit Ri­chard Bil­lin­ger, zu dem Kast­ber­ger zu­sam­men mit Da­nie­la Stri­gl 2014 ein Sym­po­si­um ver­an­stal­te­te. Zu­nächst als ex­pres­sio­ni­sti­scher Ly­ri­ker be­gon­nen und sich im Um­feld von Carl Zuck­may­ers »Henn­dor­fer Kreis«, ent­schied er sich in den 1930er Jah­ren zum »Reichs­bau­ern­dich­ter« der Na­zis zu wer­den. Bil­lin­ger wur­de 1932 mit dem Kleist-Preis aus­ge­zeich­net und schrieb nicht nur dem Blut und Bo­den-Den­ken ver­haf­te­te, be­lieb­te Stücke son­dern auch Dreh­bü­cher, wie zum Bei­spiel für Veit Harlans Die gol­de­ne Stadt von 1942.

Kast­ber­ger zi­tiert aus ei­ner »Ho­me­sto­ry« des spä­te­ren Feuil­le­ton­chefs und Chef­re­dak­teurs der Wo­chen­zei­tung Die Zeit, Jo­sef Mül­ler-Marein, der 1937 ne­ben sei­nen Tex­ten zum Völ­ki­schen Be­ob­ach­ter für ein Me­di­um mit dem Na­men Lo­kal An­zei­ger den kör­per­li­chen Hü­nen Ri­chard Bil­lin­ger be­such­te und sei­ne Dich­ter-In­sze­nie­run­gen ver­brei­te­te. Spä­te­stens mit Zuck­may­ers Ein­ord­nun­gen im so­ge­nann­ten Ge­heim­re­port, ist deut­lich, dass Bil­lin­ger ein »par­fü­mier­ter Groß­städ­ter« war, »der in sei­nem Werk den Bau­ern nur spiel­te«. Dass Bil­lin­ger bei den Na­zis re­üs­sie­ren konn­te, war ei­gent­lich un­ge­wöhn­lich. Denn er war 1935, zwei Jah­re vor Mül­ler-Mareins In­au­gu­ra­ti­on, we­gen sei­ner Ho­mo­se­xua­li­tät für meh­re­re Wo­chen in­haf­tiert und ins Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Dach­au ver­bracht wor­den. Ei­ni­gen Funk­tio­nä­ren war er des­we­gen dau­er­haft ein Dorn im Au­ge, aber sei­ne Po­pu­la­ri­tät schüt­ze ihn und er er­hielt in den 1940er Jah­ren wei­te­re Prei­se, be­vor er dann nach dem Krieg dem Ver­ges­sen über­ge­ben wur­de.

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Ma­thi­as Enard: Der per­fek­te Schuss

Mathias Enard: Der perfekte Schuss
Ma­thi­as Enard:
Der per­fek­te Schuss

2003 er­schien vom da­mals 31jährigen Her­aus­ge­ber und Über­set­zer Ma­thi­as Enard das be­mer­kens­wer­te Ro­man­de­but La per­fec­tion du tir (et­wa: »Die Per­fek­ti­on des Schie­ßens«). Haupt­fi­gur ist ein na­men­los blei­ben­der Ich-Er­zäh­ler, der zu Be­ginn 17 Jah­re alt ist. Der Ro­man spielt in ei­nem nicht nä­her ge­nann­ten Land, in dem ein Bür­ger­krieg tobt. Da­mals mut­maß­te man, dass der Li­ba­non ein Vor­bild ge­we­sen sein könn­te. Mir er­schei­nen die ju­go­sla­wi­schen Se­zes­si­ons­krie­ge nä­her­lie­gend. Die Kom­bat­tan­ten des Ro­mans kön­nen sich ver­stän­di­gen, spre­chen die glei­che Spra­che. Der Ver­lag schreibt zu Be­ginn, dass Enard für die »vor­lie­gen­de Über­set­zung« des Der per­fek­te Schuss ge­nann­ten, von Sa­bi­ne Mül­ler über­setz­ten Bu­ches, den Text »neu durch­ge­se­hen« ha­be (Enard spricht her­vor­ra­gend Deutsch). Die ak­tu­el­le Nach­rich­ten­la­ge ver­lei­tet da­zu, den Text in die Ukrai­ne zu ver­or­ten, was wo­mög­lich jetzt auch den Han­ser-Ver­lag er­mun­tert hat, ihn zwan­zig Jah­re spä­ter zu pu­bli­zie­ren.

Er­zählt wird im Prä­ter­itum rück­blickend auf et­was mehr als ein Jahr. Der Er­zäh­ler ist be­reits seit drei Jah­ren »da­bei«, ver­ließ das Gym­na­si­um, ver­mut­lich, weil es ge­schlos­sen wur­de. Er lebt mit sei­ner 50jährigen Mut­ter zu­sam­men, die dem Wahn­sinn oder der De­menz ver­fal­len ist und die zu Be­ginn pfle­ge­be­dürf­tig ist. Der Va­ter, einst ein wohl­ha­ben­der Bau­un­ter­neh­mer, starb bei ei­nem Sturz vom Ge­rüst; es ist nicht klar, ob dies ei­ne Tat ei­nes der schlecht­be­zahl­ten Ar­bei­ter war oder ein Un­fall. Die Mut­ter zer­brach dar­an.

Ein­zel­hei­ten zu dem Krieg gibt es nicht. Er zeigt un­ter­schied­li­che In­ten­si­tä­ten, trifft die Be­tei­lig­ten in Wel­len. Im­mer wie­der gibt es Waf­fen­still­stän­de, die aber nur kur­ze Zeit hal­ten. Der Er­zäh­ler lebt in ei­ner Stadt, von der er je nach La­ge wie bei ei­nem re­gel­mä­ßi­gen Ar­beits­ver­hält­nis an die Front geht und abends wie­der nach Hau­se kom­men kann. Ein­mal er­lebt die Stadt ei­nen star­ken Ar­til­le­rie­an­griff, bei dem Wohn­häu­ser ge­trof­fen wer­den; am Ran­de auch das Haus, in dem er lebt.

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Gert Le­dig und das Ver­ges­sen

100. Schreibheft
100. Schreib­heft

Das Schreib­heft von Nor­bert Wehr fei­ert heu­er die 100. Aus­ga­be. Zum Ju­bi­lä­um gibt es ei­nen um­fang­rei­chen Es­say von Frank Wit­zel über »100 Ver­ges­se­ne, Ver­kann­te und Ver­schol­le­ne«. Er­in­ne­run­gen kom­men auf an Mi­cha­el Hel­mings wun­der­ba­re Rei­sen zu fünf ver­ges­se­nen ost­eu­ro­päi­schen Schrift­stel­lern und sei­ne »Kon­takt­auf­nah­me« an de­ren Grä­bern. Wit­zel be­kommt für sei­ne 100 Hin­wei­se (es sind mehr, weil zum Bei­spiel aus Le­xi­ka zi­tiert wird, die ein ähn­li­ches An­lie­gen ver­folg­ten) 128 Sei­ten. Über­wie­gend sind Schrift­stel­ler ge­meint, auch wenn es ei­ne klei­ne Ru­brik über Zeich­ner und bil­den­de Künst­ler gibt. Wit­zels Aus­wahl ist sub­jek­tiv und dar­aus macht er kei­nen Hehl. So er­klärt er auch häu­fi­ger, wie er auf die­sen oder je­ne ge­kom­men ist, fin­det fast im­mer die bio­gra­phi­schen Da­ten und es wer­den häu­fig auch (län­ge­re) Aus­schnit­te ab­ge­druckt. Es fin­det sich Ori­gi­nel­les, Kon­zep­tu­el­les und Skur­ri­les (et­wa ein Hin­weis auf ei­nen Au­tor, der Re­zen­sio­nen über nicht exi­stie­ren­de Bü­cher ver­fass­te); Ge­dich­te, Pro­sa, Dra­ma, Dia­lo­ge, In­ter­views, Col­la­gen. Man­ches Mal er­tappt man sich da­bei, dass die Ver­schol­len- und/oder Ver­bor­gen­heit gar nicht so schlecht ge­we­sen ist, aber das ist na­tür­lich eben­falls sub­jek­tiv. Viel­leicht soll­te man das Kon­vo­lut nicht in ei­nem Stück le­sen.

Die Fra­ge, die Wit­zel sich und den Le­ser im­mer wie­der stellt: War­um wur­de je­mand mit ei­ner zu­wei­len in sei­ner Zeit durch­aus be­acht­li­chen Pu­bli­ka­ti­ons­tie­fe ir­gend­wann schlicht­weg ver­ges­sen? Die Grün­de kön­nen vie­le Ur­sa­chen ha­ben. Tex­te wie der von Wit­zel (aber auch Hel­ming) sol­len zei­gen, dass sie nichts oder nur sehr we­nig mit der Qua­li­tät des je­wei­li­gen Werks zu tun ha­ben. Häu­fig fin­det Wit­zel den Feh­ler beim je­wei­li­gen Au­tor, et­wa wenn es sich um über­trie­be­ne Per­fek­tio­ni­sten han­delt, die nie­mals fer­tig wer­den. Oder sie ver­lie­ren nach den er­sten Miss­erfol­gen schlicht­weg die Lust (ein­her geht da­mit zu­meist auch der Ver­lust des Ver­lags).

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Von Alb­traum­ma­schi­nen

Giuliano da Empoli: Der Magier im Kreml
Giu­lia­no da Em­po­li:
Der Ma­gi­er im Kreml

Der Ma­gi­er im Kreml ist na­tür­lich ein Ro­man, Ge­schrie­ben wur­de er vom italo-schwei­ze­ri­schen Au­tor Giu­lia­no da Em­po­li (Über­set­zung aus dem Fran­zö­si­schen von Mi­chae­la Meß­ner). Die einst ge­bets­müh­len­ar­tig vor­ge­brach­te Er­klä­rung, dass Ähn­lich­kei­ten mit re­al exi­stie­ren­den Per­so­nen rein zu­fäl­lig sei­en, ist im Zeit­al­ter des Do­ku-Dra­mas längst über­holt. Statt­des­sen wird zu Be­ginn dar­auf hin­ge­wie­sen, dass der Ro­man auf wah­ren Be­ge­ben­hei­ten und rea­len Per­so­nen ba­siert, de­nen »ein Pri­vat­le­ben und er­fun­de­ne Äu­ße­run­gen zu­ge­ord­net« wor­den sei­en. Das war, wenn man sich die Welt­li­te­ra­tur an­sieht, ei­ni­ge Jahr­hun­der­te lang nicht un­ge­wöhn­lich. Shake­speare tat es mit Ri­chard III., Schil­ler schrieb Wal­len­stein Tex­te zu, die er nicht wis­sen konn­te und im­mer noch glau­ben Men­schen, dass der Re­vo­lu­tio­när Dan­ton so ge­spro­chen hat, wie man in Ge­org Büch­ners Stück nach­le­sen kann. Die Au­toren konn­ten sich dar­auf ver­las­sen, dass ihr Pu­bli­kum die Fik­tio­na­li­tät in­ner­halb des hi­sto­ri­schen Um­felds ver­stand – und wenn nicht, war es eher be­deu­tungs­los, weil es da­mals kei­ne Hor­den von Schrei­bern gab, die zwi­schen Rea­li­tät und Schrift­stel­le­rei nicht un­ter­schei­den konn­ten.

Der Erz­engel des To­des und sein (fik­ti­ver) Be­ra­ter

Da­mit der Ro­man nicht im Kor­sett der (bis­her weit­ge­hend un­be­kann­ten und da­her eher tri­via­len) Rea­li­tät er­stickt, hat Em­po­li die Haupt­fi­gur Wa­dim Bara­now er­fun­den. Ein nicht nä­her vor­ge­stell­ter Ich-Er­zäh­ler, der sich in Mos­kau auf­hält, der »un­er­gründ­li­chen Haupt­stadt ei­ner neu­en Epo­che«, ist ei­ner­seits fas­zi­niert von die­sem ge­heim­nis­vol­len Bara­now, dem vor ei­ni­ger Zeit de­mis­sio­nier­ten Be­ra­ter des »Za­ren« Wla­di­mir Pu­tin. Und er ist be­ses­sen von Jew­ge­ni Sam­ja­tin, ei­nem rus­si­schen Schiff­bau­in­ge­nieur und Schrift­stel­ler (1884–1937), der in den 1920er Jah­ren den dys­to­pi­schen Ro­man Wir ver­fass­te und da­mit bei Sta­lin in Un­gna­de fiel. Es gibt in Em­po­lis Ro­man, va­ge In­ter­es­sen­ten an ei­ner Neu­auf­la­ge von Wir so­wie ei­ner Ver­fil­mung, was als Ur­sa­che für den Auf­ent­halt ge­nom­men wird. Wann der Ro­man spielt bleibt un­klar; es ist dif­fus vom Ukrai­ne-Krieg in der Ver­gan­gen­heit die Re­de. So recht kommt der Er­zäh­ler nicht vor­an; er pflegt sein Au­ßen­sei­ter­tum ob­wohl (oder ge­ra­de weil?) er als Aus­län­der ei­ner stän­di­gen Über­wa­chung zu un­ter­lie­gen scheint (die Be­glei­ter nennt er »Brief­mar­ken«).

In den so­zia­len Netz­wer­ken ent­deckt er ei­nen ge­wis­sen Ni­co­las Brand­eis. Der Na­me er­in­nert an ei­ne Fi­gur aus ei­nem Jo­seph-Roth-Ro­man und ist vor al­lem das Pseud­onym, un­ter dem Bara­now einst Es­says, Auf­sät­ze und ein Thea­ter­stück ver­öf­fent­licht hat­te. Brand­eis’ Po­stings sind eher sel­ten und meist ge­heim­nis­voll. Ist es Bara­now oder ein­fach nur ir­gend­ein Stu­dent, der das Pseud­onym an­ge­nom­men hat? Als Brand­eis ei­nen Satz aus Wir po­stet, wird er hell­hö­rig. Er ant­wor­tet dem un­be­kann­ten Nut­zer eben­falls mit ei­nem Zi­tat und rasch steht der Re­por­ter in Bara­nows für rus­si­sche Ver­hält­nis­se lu­xu­riö­sen An­we­sen au­ßer­halb von Mos­kau.

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An­drzej Sta­si­uk: Grenz­fahrt

Und wie­der der Aus­ruf: End­lich ein neu­es Buch von An­drzej Sta­si­uk! Wie schon die Be­s­ki­­den-Chro­­nik (deutsch 2020) ist Grenz­fahrt ein Hy­brid, aber dies­mal kei­ne Mi­schung aus Feuil­le­tons und Rei­se­be­rich­ten. Im Zen­trum steht zu­nächst ein dra­ma­ti­sches Kam­mer­spiel, kurz vor »Pe­ter und Paul« im Ju­ni 1941 und man ist am Bug, dem Grenz­fluss zwi­schen Po­len und der ...

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Trash for cash

Ei­gent­lich dach­te man, dass mit dem Pod­cast Fa­king Hit­ler von Mal­te Her­wig (2019) die Sa­che mit den Hit­ler-Ta­ge­bü­chern er­le­digt sei. Si­cher­lich, es gab noch die­se un­säg­lich drö­ge so­ge­nann­te Ver­fil­mung glei­chen Na­mens (mit Lars Ei­din­ger als Gerd Hei­de­mann), aber die hat­te ge­gen die Hu­mo­res­ke Schtonk von Hel­mut Dietl kei­ne Chan­ce.

Nun ist man al­ler­dings der Ori­gi­nal-Fäl­schun­gen Ku­jaus hab­haft ge­wor­den, hat sie tran­skri­biert und setzt zum er­neu­ten Scoop an. Fast zeit­gleich ver­öf­fent­li­chen der NDR (an­ge­kün­digt in der Sen­dung Resch­ke-Fern­se­hen) und der März-Ver­lag Ku­jaus Fäl­schun­gen. Der NDR bie­tet zu­sätz­lich ei­ne Voll­text­su­che der (di­gi­ta­li­sier­ten) »Ta­ge­bü­cher« an. Kom­men­tiert wer­den die Ein­tra­gun­gen in bei­den Me­di­en von Ha­jo Fun­ke. So­wohl die Er­läu­te­run­gen des Her­aus­ge­bers des Bu­ches John Goetz als auch die hi­sto­ri­schen Ein­ord­nun­gen von Hei­ke B. Gör­tema­ker fin­den sich im Buch wie auch auf der NDR-Sei­te. In­ter­es­sant ist, dass auf der NDR-Sei­te kein ein­zi­ger Hin­weis auf das Buch im März-Ver­lag zu fin­den ist.

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Bret Ea­ston El­lis: The Shards

Bret Easton Ellis: The Shards
Bret Ea­ston El­lis: The Shards

Bret Ea­ston El­lis ist im deutsch­spra­chi­gen Raum vor al­lem durch sei­nen Ro­man Ame­ri­can Psy­cho be­kannt, teil­wei­se be­rühmt, mit­un­ter auch be­rüch­tigt ge­wor­den. Ver­mut­lich wür­de man den Ro­man al­ler­dings oh­ne die In­di­zie­rung (die Jah­re nach sei­ner Ver­öf­fent­li­chung in Deutsch­land 1991 er­folg­te), den hier­aus an­schlie­ßen­den Rechts­streit und die Wie­der­zu­las­sung 2001, ver­mut­lich weit we­ni­ger re­zi­piert ha­ben. So um­gab ihn lan­ge ei­ne Au­ra des Ver­bo­te­nen.

Die Ge­schich­te dürf­te weit­ge­hend be­kannt sein: Aus Ich-Per­spek­ti­ve er­zählt der New-Yor­ker-Wall­street-Yup­pie Pa­trick Ba­te­man von sei­nem lu­xu­riö­sen Le­ben, sei­nen Restaurant‑, Club- und Kon­zert­be­su­chen, schil­dert de­tail­liert die ver­wen­de­ten Mar­ken sei­ner Klei­dung, Kör­per­pfle­ge­pro­duk­te und Au­to­mo­bi­li­sie­rung und kom­men­tiert die Mar­ken, die sei­ne Be­kann­ten und Kol­le­gen ver­wen­den. Die Ein­tö­nig­keit sei­nes Le­bens wird durch Sex, ex­zes­si­ven Dro­gen­kon­sum aber vor al­lem ge­le­gent­li­che Frau­en­mor­de und ent­spre­chen­den Mas­sa­krie­run­gen der Lei­chen durch­bro­chen.

Ame­ri­can Psy­cho konn­te durch ein raf­fi­nier­tes Zei­chen­spiel des Au­tors als ei­ne Art US-ame­ri­ka­ni­sches Ge­sell­schafts­bild der Post-Rea­gan-Jah­re ge­le­sen wer­den, als ei­ne Bi­lanz ei­nes mo­ra­lisch de­ran­gier­ten, he­do­ni­stisch-ka­pi­ta­li­sti­schen Lan­des. Spä­ter er­schie­nen ei­ni­gen die Stel­len im Ro­man über Do­nald Trump als pro­phe­tisch. El­lis’ Ma­nie, den Mar­ken­fe­ti­schis­mus sei­nes Prot­ago­ni­sten aus­zu­brei­ten, wur­de von Au­toren über­nom­men und galt lan­ge als ein Clou post­avant­gar­di­sti­scher Cha­rak­ter­dar­stel­lung (und sorg­te für ein Re­vi­val des Be­griffs »Pop-Ro­man«). ¬

Ob­wohl nach Ame­ri­can Psy­cho wei­te­re Pro­sa von El­lis er­schie­nen war, weckt jetzt der neue Ro­man The Shards (et­wa: Die Scher­ben) zum er­sten Mal wie­der ein um­fas­sen­des In­ter­es­se im Feuil­le­ton. Der Ro­man wur­de von Ste­phan Klei­ner über­setzt. So­mit hat man für die neun­te Pu­bli­ka­ti­on von Bret Ea­ston El­lis in deut­scher Spra­che den sieb­ten Über­set­zer (Drechs­ler und Hell­mann als Ein­heit ge­zählt).

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Chat­bot und Pe­ter Hand­ke

Ir­gend­wie be­kom­me ich ja beim neue­sten Spiel­zeug Chat­botGPT kei­nen Zu­gang. Um­so dank­ba­rer bin ich Wolf­gang Scher­reiks, der ein spon­ta­nes »In­ter­view« mit der Ma­schi­ne zu Pe­ter Hand­ke ge­führt hat­te und mir er­laubt, es hier ab­zu­drucken:

W.S.: »Ei­ne Fra­ge, ChatGPT, was zeich­net das Werk Pe­ter Hand­kes aus?

GPT: »Das Werk von Pe­ter Hand­ke zeich­net sich durch ver­schie­de­ne Merk­ma­le aus, wie z.B.:

Sprach­li­che Ex­pe­ri­men­te: Hand­ke hat in sei­nem Werk ei­ne ei­ge­ne Spra­che und ei­ne ein­zig­ar­ti­ge Li­te­ra­tur­form ent­wickelt, die durch sprach­li­che Ex­pe­ri­men­te und for­ma­li­sti­sche An­sät­ze ge­kenn­zeich­net ist.

The­men­re­le­vanz: Hand­ke be­fasst sich in sei­nem Werk mit The­men wie Iden­ti­tät, Exi­sten­zia­lis­mus, Land­schaft und Land­schafts­er­le­ben, so­wie mit den po­li­ti­schen Er­eig­nis­sen in Ju­go­sla­wi­en in den 1990er Jah­ren.

Kon­tro­ver­se Dis­kus­sio­nen: Hand­kes Werk hat oft kon­tro­ver­se Dis­kus­sio­nen aus­ge­löst, ins­be­son­de­re auf­grund sei­ner Hal­tung zu den po­li­ti­schen Er­eig­nis­sen in Ju­go­sla­wi­en.
Sinn­su­che und Phi­lo­so­phie: In sei­nem Werk geht Hand­ke auf die Su­che nach dem Sinn des Le­bens und ver­weist auf Phi­lo­so­phien und li­te­ra­ri­sche Tra­di­tio­nen.

Mi­ni­ma­lis­mus: Hand­kes Pro­sa ist oft mi­ni­ma­li­stisch und re­du­ziert, was ei­ne in­ten­si­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit der Spra­che und ih­ren Mög­lich­kei­ten er­for­dert.

Es ist wich­tig zu be­ach­ten, dass Hand­kes Werk höchst um­strit­ten ist und po­la­ri­sie­ren­de Re­ak­tio­nen her­vor­ruft, und dass nicht al­le sei­ne Wer­ke die glei­chen Merk­ma­le auf­wei­sen.«

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