Hans Magnus Enzensberger: Schreckens Männer – Versuch über den radikalen Verlierer
Was „Schreckens Männer“ am Anfang interessant macht, ist, dass Enzensberger versucht, eine Typologie des frustrierten, gescheiterten und dann „ausrastenden“ Messerstechers, Mörders oder Amokläufers zu entwerfen, ohne mit dem erhobenen Zeigefinger in altlinker Manier ausschliesslich „die Gesellschaft“ verantwortlich zu machen. Sein Versuch geht dahin, die persönlichen Umstände desjenigen zu hinterfragen, ohne in psychologische, vor allem jedoch soziologische Deutungsmuster zu verfallen (letzteres dezidiert – ersteres scheitert zwangsläufig [soviel muss vorweggenommen werden]).
Gestern wieder „Lesen!“ im ZDF mit Elke Heidenreich, der Frau mit dem „grossen Herz für schlechte Bücher“ (Iris Radisch).
Diese Sendung zeigt das Elend der Vermittlung von Literatur durch / im Fernsehen. In dreissig Minuten nudelt Frau Heidenreich ihre höchstpersönliche Auswahl von Büchern herunter. Es sind meist um die 20 – dezidierte Besprechungen sind da natürlich nicht möglich. Hauptsache „Lesen“! (Der längste Part der Ruhe in der Sendung ist das Vorlesen aus einem Hörbuch – diesmal Scott Fitzgerald.)
Ihre Kriterien bleiben dabei im Dunkeln bzw. sind (vermutlich) an einer vulgär-ästhetischen Linie zwischen Unterhaltungsroman und politisch-korrekter Milieuprosa festzumachen.
Die User des Onlineforums Nensch staunten vergangene Woche nicht schlecht: Der vor einem halben Jahr gesperrte Teilnehmer war wieder da! Erleichterung bei vielen, war doch dies einer der Gründe, warum etliche Schreiber dem Forum grollend den Rücken gekehrt hatten.
Eine Erklärung gab es – traditionsgemäss – nicht. Wieder einmal konnte man beobachten, wie Kommunikationsprofis im Bereich „Öffentlichkeitsarbeit“ höchst unglücklich agieren. Oder wollte man nur Raum für Diskussionen abgeben?
Vielen Teilnehmern reicht diese Versöhnungsgeste offensichtlich nicht. Andere wirkten auch unzufrieden. Hinzu kamen flugs weitere Spannungen; es gibt Teilnehmer, die unfähig sind, persönliche Animositäten hintan zu stellen, wenn es um Bewertungen von Kommentaren oder Texten geht. Sie stellen ihre persönlichen Rachegelüste über sachliche Auseinandersetzung. Ein extrem forumschädigendes Verhalten – sanktioniert wurde es kaum bzw. gar nicht.
Francis Fukuyama: Scheitert Amerika? Supermacht am Scheideweg
Eines vorweg: Der deutsche Titel von „America at the crossroads“ ist wieder einmal Beleg für den unnötigen und primitiven Alarmismus, mit dem Verleger glauben, höhere Verkaufszahlen erzielen zu können. „Amerika am Scheideweg“ reicht nicht, es muss heissen: Scheitert Amerika? – Supermacht am Scheideweg.
Auch die Erwartung, die vom Verlag geschürt und gelegentlich von Rezensenten übernommen wurde, nämlich eine „Abrechnung“ des (ehemaligen) „Neocon“ (Neokonservativen) Francis Fukuyama, Professor der Politikwissenschaften, mit der Administration Bush, bleibt aus. Im grossen und ganzen kritisiert der Autor nur einen bestimmten Auswuchs einer von ihm im Kern durchaus richtig empfundenen Politik; da helfen auch alle Distanzierungen (auch in Interviews) nicht; an den Kernthesen des Neokonservatismus rüttelt er nicht.
Im Verlauf des Buches scheint sich seine Kritik immer mehr auf den Irakkrieg der Bush-Administration zu fokussieren (und zu monopolisieren), wobei er selbst diesen noch fast unfallhaft darstellt und den Spiess irgendwann schlichtweg umdreht: Die Krise des kollektiven Handelns der internationalen Staatengemeinschaft wurde nicht, wie viele annahmen, von der Bush-Regierung verursacht, sondern von den Vereinten Nationen und jenen Europäern, die im Rahmen der UNO Sicherheit gewähren wollten.
Altenheime haben seit einiger Zeit eine neue Möglichkeit gefunden, ihre Personalkosten weiter zu senken.
Trotz weiterhin steigender Kosten (Pflegesätze) wird fachlich ausgebildetes Personal immer mehr zurückgefahren. Inzwischen sind aber bereits 400 Euro-Arbeiten zu teuer geworden.
Trotz Oskar Lafontaine und Lothar Späth hatte ich mir die Sendung angeschaut, da Götz Werner sein Modell eines Grundeinkommens für alle dort ein wenig erläutern sollte.
Leider hatte Sandra Maischberger nicht ihren besten Tag; die Diskussion zerfranste immer wieder, weil insbesondere Oskar Lafontaine es nicht lassen konnte, seine politischen Thesen unterzubringen, auch wenn sie gar nicht Gegenstand der Diskussion waren.
A. L. Kennedy: Gleissendes Glück
Helen ist eine normale Hausfrau. Sie träumt von einem glücklichen Leben, arbeitet nicht. Ihr Mann ist selten zu Hause, trinkt sich einen oder sitzt im Unterhemd vor dem Fernsehen. Helen macht Morgengymnastik und lauscht den Lebenshilfen eines gewissen Professor Gluck (sic!). Der hat eine Methode entwickelt, wie jeder Mensch glücklich wird oder zu sich selber findet oder beides oder was anderes.
A. L. Kennedy zeigt uns etwas, was wir seit unserer Kindheit kennen, etwas was wir nur bei anderen sehen, nie bei uns: das Klischee. So gut, so schön. Eine Vortragsreise des Lebenshelfers nach Deutschland nutzt sie, ihn zu begleiten. Ihr Brief hat ihn beeindruckt, man trifft sich; der Professor ist auch so, wie man sich im allgemeinen solche Leute vorstellt: arrogant, herablassend, keine Zeit.
Man weiss damit nach ungefähr 30 Seiten, was passiert. Der Professor entpuppt sich als gar nicht so toll, wie er scheint; der Mann prügelt seine Frau als er erfährt, wo sie wirklich war, sie flüchtet zu Gluck, eine zarte Liebesbande beginnt (der Professor muss seinem Laster, unabänderlich Pornos sich ansehen zu müssen, entsagen und rasiert stattdessen der Frau die Schamhaare), usw. usw.
Unfassbar ist nicht die Geschichte, die die Schottin hier erzählt. Unfassbar ist, wie ein Sammelsurium von Klischees, Holzschnitten und Plattitüden derart enthusiastisch von der Literaturkritik besprochen werden konnte. Das Buch ist ohne Sprache, durchschaubar, fast fad. Die Sprödheit, Lakonie, die eine erzählerische Grundhaltung ausdrücken soll, ist so zäh wie altes Brot, was zu lange an der Luft gelegen hat. Das Ende, die fast pubertär anmutende geschlechtliche Vereinigung zwischen der durch glückliche Umstände (Selbsttötung) zur Witwe gewordenen Frau und dem „bekehrten“ Glückspropheten schwülstig. Hätte man im 19. Jahrhundert einen Geschlechtsverkehr „beschreiben“ können, es hätte so geschehen können.
Fritz H. Dinkelmann: Das OpferGerichtsreportagen von Fritz H. Dinkelmann lösten bei mir immer ein gesteigertes Interesse an den Menschen aus, die Verbrechen ausübten. Sie rüttelten dabei an die scheinbar so fest installierte „Rechtsordnung“, die glaubt, mit der Bestrafung einer Straftat diese nachträglich „auszugleichen«. Zwar ist allen Beteiligten klar, dass beispielsweise bei einem Mord oder Totschlag der jeweils Getötete nicht mehr lebendig wird, aber das in uns allen wesende Gefühl der Rache (oder ist es der Sühne?) muss befriedigt werden.
Hierfür dient das Strafrecht. Aber es kommt stets zu spät: Die Tat ist längst geschehen und meist ist das Geschehene unumkehrbar. Dem Prozess kommt dabei die Rolle des Vollstreckers des Sühnegedankens zu. In einem Rechtsstaat muss es einen Prozess geben, um zweifelsfrei festzustellen, ob die Tat vom Angeklagten tatsächlich ausgeübt wurde.