En­de ei­ner Freund­schaft

Ich ken­ne die­se öden, lang­wei­li­gen Dis­kus­sio­nen, wäh­rend­des­sen fried­lie­ben­de und sich ein­an­der re­spek­tie­ren­de Men­schen in we­ni­gen Au­gen­blicken mu­tier­ten zu feind­se­li­gen, auf im­mer zer­strit­ten mit de­nen, die sie noch vor we­ni­gen Stun­den Freun­de ge­nannt hat­ten: Es geht um das Pro und Con­tra des­sen, was man (un­ge­nau) To­des­stra­fe nennt und in den 70er und 80er Jah­re das be­lieb­te­ste Re­fe­ren­darsdis­kus­si­ons­the­ma ge­we­sen sein muss.

Konn­te man doch in der si­che­ren Hül­le ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft sei­ne po­li­tisch-kor­rek­te Äch­tung mon­stranz­ähn­lich im­mer aufs Neue un­ter Be­weis stel­len und es all den­je­ni­gen zei­gen, die sich der ka­te­go­ri­schen Fest­le­gung auf ei­ner der schein­bar un­ver­rück­ba­ren Po­le ent­zie­hen woll­ten (mei­stens ver­such­ten sie dies an­fangs ar­gu­men­ta­tiv, um dann – nach kur­zer Zeit – vom Wort­schwall nie­der­mo­ra­li­siert zu wer­den). Se­lek­ti­ve Wahr­neh­mun­gen hat­ten auch da­mals schon Kon­junk­tur.

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Zwi­schen den Jah­ren

In der ver­gan­ge­nen Wo­che lief auf Phoe­nix die Wie­der­ho­lung der Do­ku­men­ta­ti­on von Lutz Hach­mei­ster und Gert Sco­bel »Ich, Reich-Ra­­nicki«. So viel über die­sen Film zu sa­gen und zu kri­ti­sie­ren wä­re – ei­ne Sze­ne aus Reich-Ra­­nickis Zeit als Li­te­ra­tur­kri­ti­ker in Deutsch­land sticht her­aus und be­ein­druckt nach­hal­tig. Er sitzt da ir­gend­wann (ver­mut­lich in den 80er Jah­ren) mit ...

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Will­kom­men im Club

Ein reich­lich er­nüch­tern­der Text (mit ei­nem skur­ri­len Ti­tel): »Sieg der Es­sig­gur­ke« von Ivay­lo Dit­chev. Dit­chevs Ana­ly­se der be­reits vor der tat­säch­li­chen Mit­glied­schaft in der EU des­il­lu­sio­nier­ten Bul­ga­ren ent­spricht si­cher­lich den Tat­sa­chen. Die »Halb­wert­zeit«, in der die Eu­ro­päi­sche Uni­on noch Bür­ger zu be­gei­stern ver­mag, hat in den letz­ten Jah­ren dra­ma­tisch ab­ge­nom­men. Be­reits bei der letz­ten EU-Er­wei­te­rung im Mai 2005 hiel­ten sich in den Be­völ­ke­run­gen vie­ler neu­er Bei­tritts­län­der (Po­len; Tsche­chi­sche Re­pu­blik) EU-Geg­ner und EU-Be­für­wor­ter die Waa­ge. In­zwi­schen sind die Be­für­wor­ter längst in der Min­der­heit.

Dit­chevs Ana­ly­se, ein neu­er Na­tio­na­lis­mus stem­me sich so­zu­sa­gen ei­nem le­gis­la­ti­ven Bü­ro­kra­tie­mon­ster EU ent­ge­gen, wäh­rend die Na­tio­nal­re­gie­run­gen bei der (nach wie vor fra­gi­len) De­mo­kra­ti­sie­rung der Ge­sell­schaft ver­sa­gen, mag für Län­der wie Bul­ga­ri­en zu­tref­fen. Das be­schrie­be­ne Phä­no­men ist aber in der ge­sam­ten EU vi­ru­lent – auch bei Län­dern, die der Ge­mein­schaft seit Jahr­zehn­ten an­ge­hö­ren.

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Gun­nar Hein­sohn: Söh­ne und Welt­macht

Die be­reits in 2003 von Gun­nar Hein­sohn ent­wickel­ten The­sen zur Bevölkerungs­entwicklung und de­ren emi­nen­te Be­deu­tung wur­den En­de Ok­to­ber 2006 im »Phi­lo­so­phi­schen Quar­tett« des ZDF vor­ge­stellt. Die an­son­sten recht struk­tu­riert und sta­tisch von Pe­ter Slo­ter­di­jk und Rü­di­ger Sa­fran­ski mo­de­rier­te Sen­dung ge­riet ein biss­chen aus den Fu­gen, da Hein­sohn, schlag­fer­tig, iro­nisch und ge­le­gent­lich ein biss­chen rau­nend Wi­der­spruch pro­vo­zie­rend, die Dis­kus­si­ons­teil­neh­mer in den Bann zog und im Lau­fe der 60 Mi­nu­ten dann al­le sei­nen Schluss­fol­ge­run­gen er­la­gen.

Gunnar Heinsohn: Söhne und Weltmacht
Gun­nar Hein­sohn: Söh­ne und Welt­macht

Die Kern­the­se Hein­sohns ist ziem­lich ein­fach: In Ge­sell­schaf­ten mit über­zäh­li­gen jun­gen Män­nern be­steht die gro­sse Ge­fahr, dass die­se jun­gen, wü­ten­den [zor­ni­gen] und oh­ne Karriere­aussichten Zweit‑, Dritt- und Viertsöh­ne (der er­ste, äl­te­ste Sohn ist durch Erb­fol­ge ab­ge­si­chert) ih­re Per­spek­ti­ve an­ders­wo su­chen und es zu blu­ti­gen Ex­pan­sio­nen und zur Schaf­fung und Zer­stö­rung von Rei­chen kommt.

Hein­sohn führt den Be­griff des child­ren bul­ge und des youth bul­ge* ein. Un­ter child­ren bul­ge ver­steht er den Über­schuss in ei­nem pro­zen­tua­len Ver­hält­nis der Kin­der un­ter 15 Jah­ren in ei­ner Ge­sell­schaft (bzw. ei­ner Na­ti­on oder Re­gi­on oder der Welt­be­völ­ke­rung). Aus dem child­ren bul­ge ent­steht dann der so­ge­nann­te youth bul­ge; so nennt er die 15–24 jäh­ri­gen (in vie­len Ge­sell­schaf­ten be­ginnt das Krie­ger­al­ter bei 15 Jah­ren). Aus dem child­ren bul­ge lässt sich das »Re­kru­tie­rungs­po­ten­ti­al« der »Zor­ni­gen« ab­le­sen.

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Sön­ke Wort­mann: Deutsch­land – Ein Som­mer­mär­chen (ARD)

Nein, Sön­ke Wort­manns »Deutsch­land – Ein Som­mer­mär­chen« ist kein Do­ku­men­tar­film. Er ist ein Schlüs­sel­loch­film, der Ein­blicke gibt, die sonst ver­bor­gen blei­ben. Wort­mann war wo­chen­lang mit Ka­me­ra und Ton Be­glei­ter der deut­schen Fuss­ball­na­tio­nal­mann­schaft. Er hat al­les brav ge­filmt und ei­nen Cock­tail zu­sam­men­ge­stellt, der die Neu­gier der Fans und Zu­schau­er be­frie­digt.

Nie­mals gibt es ei­ne ru­hi­ge, ein­zel­ne Ein­stel­lung. Stän­dig ist die Ka­me­ra in Be­we­gung. Man will im­mer gleich­zei­tig al­les zei­gen. Die Hö­he­punk­te des Films sind die »Ka­bi­nen­an­spra­chen« von Jür­gen Klins­mann vor, wäh­rend und auch nach dem Spiel. Klins­mann wird als Mo­ti­va­tor ge­zeigt – Löw der ru­hi­ge Tak­ti­ker – Bier­hoff ir­gend­et­was an­de­res. Mehr nicht.

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Pé­ter Ná­das: Be­hut­sa­me Orts­be­stim­mung

Péter Nádas: Behutsame Ortsbestimmung
Pé­ter Ná­das: Be­hut­sa­me Orts­be­stim­mung

Pé­ter Ná­das’ hoch­ge­lob­tes, klei­nes Büch­lein »Be­hut­sa­me Orts­be­stim­mung« ent­hält zwei klei­ne Ge­schich­ten. Die er­ste, die dem Buch den Ti­tel gab, er­zählt (?) von ei­nem klei­nen Dorf im länd­li­chen Un­garn, in das sich der be­kann­te Schrift­stel­ler ge­mein­hin be­gibt; dort (über­wie­gend?) lebt. Ná­das, der »Aus­stei­ger« ge­nannt wer­den kann (hier­in vie­len an­de­ren Schrift­stel­lern wie et­wa John Ber­ger oder An­drzej Sta­si­uk ähn­lich), ver­sucht hier ei­ne Er­zäh­lung über »sei­nen« Ort, »sein« Dorf und des­sen Struk­tu­ren und »funk­tio­nie­ren«. Man ist je­doch früh ge­neigt, hin­ter dem Be­griff des Er­zäh­lens ei­ne Fra­ge­zei­chen zu set­zen – denn so rich­tig ist es dann doch kei­ne Er­zäh­lung (Ná­das nennt bei­de dann auch tref­fend »Zwei Be­rich­te«). All­zu oft gibt es es­say­isti­sche Zü­ge und wer ei­ne bu­ko­li­sche, em­pha­ti­sche Hym­ne auf das »na­tür­li­che Le­ben«, auf den (von Ná­das an­der­wei­tig so her­vor­ge­ho­be­nen) Wald­bir­nen­baum er­war­tet, wird ent­täuscht wer­den; in­so­fern ist der Un­ter­ti­tel »Die ein­ge­hen­de Be­trach­tung ei­nes ein­sa­men Wald­bir­nen­baums« ein biss­chen ir­re­füh­rend.

Aus­ge­hend von die­sem Ort phan­ta­siert sich Ná­das durch die Jahr­hun­der­te und die Ge­schich­te, die von der frü­hen Be­sied­lung bis heu­te re­ka­pi­tu­lier­bar ist (die rö­mi­schen Ton­scher­ben sind fast all­ge­gen­wär­tig) und be­rich­tet da­bei (ja: be­rich­tet!) über die­ses Dorf und sein So­zi­al­we­sen. Al­les dich­te­risch und oh­ne Po­se; erst recht oh­ne Her­ab­las­sung (oder – was fast noch schlim­mer wä­re – stil­ler oder gar of­fe­ner Be­wun­de­rung).

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Ver­fall des Feuil­le­tons?

Wie­der ein in­ter­es­san­ter Ar­ti­kel in der taz. Dies­mal von Da­ni­el Bax: »Kampf der Kultur­banausen«. Bax greift dort fron­tal das deutsch­spra­chi­ge Feuil­le­ton an – und ganz spe­zi­ell das Feuil­le­ton der FAZ.

Bax’ Auf­satz kon­sta­tiert zu­nächst rich­tig, dass das Feuil­le­ton gro­sser Zei­tun­gen nicht mehr bloss Re­zen­si­ons­feuil­le­ton ist, son­dern ei­ne Art in­ter­dis­zi­pli­nä­rer De­bat­ten­ort, der zu ak­tu­el­len Dis­kur­sen in Kunst, Po­li­tik, Ge­sell­schaft, Wirt­schaft und Na­tur­wis­sen­schaf­ten Stel­lung be­zieht. Die­se Ent­wick­lung ist je­doch nicht neu; so hat bei­spiels­wei­se Al­fred Kerr be­reits um 1900 »mo­der­ne« Feuil­le­tons mit um­fas­sen­der ge­sell­schaft­li­cher Di­men­si­on ver­fasst, die weit über das bloss be­schrei­ben­de der Ber­li­ner Kul­tur­sze­ne hin­aus­gin­gen. Wer sei­ne Feuil­le­tons aus Ber­lin nach­liest, die er für die Bres­lau­er Zei­tung wö­chent­lich ver­fass­te, wird dies ent­decken und – so­gar heu­te noch! – ge­nie­ssen kön­nen. In der Wei­marer Re­pu­blik folg­ten vie­le; ei­ni­ge Feuil­le­to­ni­sten wa­ren oder wur­den Schrift­stel­ler (man er­in­ne­re sich nur an Jo­seph Roth oder Wal­ter Ben­ja­min).

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