Zu­mu­tun­gen auf NDR2

Manch­mal steht man fas­sungs­los vor dem, was sich in­zwi­schen in Deutsch­land Literatur­kritik nennt. Und fragt sich, es mög­lich ist, dass so et­was im Ra­dio ei­ne Stim­me be­kommt.

Ga­brie­la Jas­kul­la hat für NDR2 Sa­bi­ne Gru­bers Ro­man »Still­bach oder Die Sehn­sucht« ge­le­sen. Schon die­ser Satz ent­hält je­doch ei­nen Feh­ler, denn Jas­kul­la kann das Buch gar nicht ge­le­sen ha­ben. Sie hat nur un­ge­fähr ei­ne Ah­nung von dem, was sie da ge­le­sen hat. Sie ver­or­tet den Sehn­suchts­ort Still­bach näm­lich in Kärn­ten (in der Ein­gangs­mo­de­ra­ti­on zum Pod­cast wird dies mit Ma­ja Ha­der­laps Ro­man »En­gel des Ver­ges­sens« ver­knüpft). Sa­bi­ne Gru­ber ha­be, so Jas­kul­la, ei­nen Ro­man über die »jün­ge­re Ge­schich­te Kärn­tens« ge­schrie­ben. Mehr­fach be­tont die (so­ge­nann­te) Re­zen­sen­tin die Ver­or­tung mit Kärn­ten und Öster­reich. Das ist na­tür­lich ein ha­ne­bü­chen­der Un­fug, denn je­der, der das Buch wirk­lich ge­le­sen hat, weiss, dass es um Süd­ti­rol und die jün­ge­re ita­lie­ni­sche Ge­schich­te geht, die hier er­zählt wird.

Als wä­re die­ser Bock nicht schon groß ge­nug, geht es wei­ter: »…Em­ma war mit ei­nem deut­schen Wehr­machts­sol­da­ten li­iert, der sich am Mas­sa­ker in den Ar­de­ati­ni­schen Höh­len be­tei­lig­te, je­ner Mas­sen­er­schie­ßung am 24. März 1944 im Sü­den Roms.« Auch das ist kom­plett falsch: Em­mas Mann war im Ro­man nicht am Mas­sa­ker be­tei­ligt. Er war, im Ge­gen­teil, ei­nes der Op­fer des An­schlags, der dann zum Mas­sa­ker führ­te.

Den Gip­fel der Un­ver­schämt­heit er­klimmt Jas­kul­la, als sie, die Nicht­le­se­rin und Nicht­versteherin, Gru­bers Ro­man be­wer­tet: »Eh­ren­wert, ehr­gei­zig, ein­schüch­ternd klug, aber nicht über­zeu­gend – so ist die­ser vier­te Ro­man von Sa­bi­ne Gru­ber.« Und schließ­lich: »Es scheint, als ha­be Sa­bi­ne Gru­ber, die im­mer schon un­ei­tel und hart­näckig an ih­ren ganz ei­ge­nen Stof­fen fest­hielt, sich in den Höh­len der Hi­sto­rie ver­lau­fen.« In An­be­tracht der Tat­sa­che, dass das Buch auch das Mas­sa­ker in den Ar­de­ati­ni­schen Höh­len be­han­delt, ein be­son­ders ge­schmack­lo­ses Wort­spiel. Aber das sich aus­ge­rech­net Jas­kul­la ein sol­ches Ur­teil an­maßt, ist ei­ne Frech­heit.

Und weit und breit kein Re­dak­teur, der uns vor die­sem Mach­werk schützt.

9 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. An Klap­pen­tex­te, de­ren Ver­fas­ser den da­zu­ge­hö­ri­gen Ro­man of­fen­sicht­lich nicht ken­nen, ha­be ich mich ge­wöh­nen müs­sen. Ein Buch zu be­spre­chen, das man selbst ganz of­fen­sicht­lich nicht ein­mal durch­ge­blät­tert hat, ist al­ler­dings schon dreist. Ich ha­be den üb­len Ver­dacht, dass das auch in an­de­ren Be­rei­chen des Re­zen­si­ons- und Test-Jour­na­lis­mus so ist, und es nicht nur je­de Men­ge aus den Fin­gern ge­so­ge­ne Buch‑, Film- und Mu­sik­re­zen­sio­nen gibt, son­dern z. B. auch »Au­to­tests« oh­ne Test­fahr­ten, oder »Rei­se­tipps«, de­ren Ver­fas­ser nie an Ort und Stel­le wa­ren. Ich ver­mu­te au­ßer­dem, dass sol­che fik­ti­ven Er­fah­rungs­be­rich­te, im Ge­gen­satz et­wa zu fik­ti­ven In­ter­views, prak­tisch nie auf­fal­len.
    Es sei denn, man macht es so atem­be­rau­bend un­ge­schickt wie Ga­brie­la Jas­kul­la in die­sem Fall.

  2. Das ist ei­gent­lich so arg, dass es mir die Stim­me ver­schlägt. Da könn­te man ei­gent­lich nur da­mit re­agie­ren, dass man ihr ei­ge­nes Buch mit ei­ner eben­sol­chen Be­ur­tei­lung auf ama­zon be­denkt.
    An sich ist das eher ei­ne ame­ri­ka­ni­sche Un­art, Kärn­ten und Ti­rol oder Süd­ti­rol zu ver­wech­seln.
    Viel­leicht ist sie auch ei­ne Na­tio­nal­so­zia­li­stin. Die ha­ben da auch nicht so vie­le Un­ter­schie­de ge­macht.

  3. @ Mar­tinM
    Ja, ich glau­be auch, dass Frau Jas­kul­la nur die be­rühm­te Spit­ze des Eis­ber­ges ist, die be­son­ders ex­po­niert her­aus­ragt.

    @ step­pen­hund
    Es soll ja Scha­ren von ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten ge­ge­ben ha­ben, die we­nig bis gar kei­ne Geo­gra­phie­kennt­nis­se vor­wei­sen konn­ten. Die Ver­wechs­lung von Slo­we­ni­en und der Slo­wa­kei ist ja fast schon ge­läu­fig.

  4. @Gregor Keu­sch­nig
    ... oder noch bes­ser, wie von eben­dem­sel­ben US-Prä­si­den­ten, Au­stra­lia mit Au­stria zu ver­wech­seln.
    Wenn die­se Sen­dung tat­säch­lich so war, wie Sie be­schrei­ben, star­kes Stück! Wun­dert mich aber heut­zu­ta­ge nicht mehr, wenn man­che (an­geb­li­chen) Re­zen­sen­ten Bü­cher be­spre­chen und nur die dür­re In­halts­an­ga­be des Ver­la­ges ge­le­sen ha­ben.
    Ähn­lich wie bei Au­to­tests (Mar­tinM) oder son­sti­gen Pro­dukt­tests, die vor­ge­täuscht wer­den und sich nur auf Mit­tei­lun­gen der Her­stel­ler stüt­zen.

  5. ei­ne re­zen­sen­tin, die et­was nicht liest und dann so be­wer­tet, muß auch ziem­lich le­bens­mü­de sein. in je­dem fall ist sie aber ziem­lich fair. nach dem mot­to »wenn ich schon ih­ren ro­man nicht le­se, le­se ich auch mei­ne ei­ge­ne re­zen­si­on nicht .

  6. Ich ver­mu­te, die Kom­men­ta­to­rIn­nen wür­den mil­de dar­über hin­weg­ge­hört ha­ben, hät­te es sich um ei­ne po­si­ti­ve Re­zen­si­on ge­han­delt. Na­tür­lich pas­sie­ren Irr­tü­mer, in der Hit­ze der Re­zen­si­ons­ge­fech­te. Na­tür­lich ist die­ser Irr­tum be­son­ders bla­ma­bel. Doch ge­le­sen hat Ga­brie­la Jas­kul­la den Ro­man von Sa­bi­ne Gru­ber ver­mut­lich schon. Denn im Kern muss ich ihr lei­der recht­ge­ben. Still­bach oder die Sehn­sucht ist ge­nau das: »Eh­ren­wert, ehr­gei­zig, ein­schüch­ternd klug, aber nicht über­zeu­gend«.

  7. @ Gre­gor Keu­sch­nig – »ver­mut­lich«: weil ich die Re­zen­sen­tin nicht ken­ne und nicht ge­fragt ha­be. Von mir selbst kann ich al­ler­dings sa­gen: Ich ha­be das Buch ge­le­sen. Mein Ein­druck äh­nelt dem von Ga­brie­la Jas­kul­la sehr, ob die­se es nun ge­le­sen hat oder nicht. Das jüng­ste Buch von Sa­bi­ne Gru­ber (die ich als Au­torin von »Über Nacht« schät­ze) ver­brei­tet auf um­ständ­li­che Art und Wei­se Ge­schichts­wis­sen. Der li­te­ra­ri­sche Wert ist ge­ring, die sprach­li­chen und hand­werk­li­chen Schwä­chen sind ekla­tant. Dar­an än­dern die durch­wegs ge­fäl­li­gen Kri­ti­ken (de­nen ich zum Op­fer fiel) nichts. Falls Ih­nen das zu we­nig kon­kret ist: Die Au­torin be­herrscht in die­sem Buch u.a. die Zei­ten nicht. Der Wech­sel zwi­schen den Zeit­ebe­nen funk­tio­niert des­halb schlecht und macht die Lek­tü­re eben­so schwer­fäl­lig wie die über­mä­ßi­ge Ver­wen­dung des Plus­quam­per­fekt. Über sprach­li­che Holp­rig­kei­ten bin ich auf Schritt und Tritt ge­stol­pert. Ich sa­ge nur: »Der Bus war von Pen­sio­ni­sten über­füllt, die mit Stöcken gin­gen«.

  8. Ihr ei­ge­nes Ur­teil stel­le ich nicht in­fra­ge. Ich ha­be ei­ne leicht an­de­re Sicht des Bu­ches. Aber das spielt hier kei­ne Rol­le. Hier geht es dar­um, ob ei­ne Re­zen­sen­tin, die zwei Bü­cher auf schlam­pig­ste Art und Wei­se mit­ein­an­der ver­wech­selt, über­haupt sa­tis­fak­ti­ons­fä­hig ist.

    Ich glau­be, dass al­lei­ne die Tat­sa­che, dass ich das Le­sen ei­nes Bu­ches durch ei­ne Re­zen­sen­tin »ver­mu­ten« muss, die Sa­che schon ent­wer­tet. Ich bin mir da­bei si­cher, dass dies wenn nicht gän­gi­ge Pra­xis, so doch recht weit ver­brei­tet ist: Es gibt ja Fern­seh-Hel­den (Neu­trum), de­nen nach­ge­sagt wird, die von ih­nen ge­lob­ten bzw. ver­ris­se­nen Bü­cher nicht oder nur teil­wei­se ge­le­sen zu ha­ben. Ge­le­gent­lich (haupt­säch­lich bei Ra­dio­ge­sprä­chen) mer­ke ich, dass ein Re­zen­sent (Neu­trum) das Buch nicht ge­le­sen ha­ben kann (wo­bei ich da­von aus­ge­he, dass die­se Leu­te über­durch­schnitt­lich in­tel­li­gent sein müs­sen); das sind dann meist Klei­nig­kei­ten, die kaum auf­fal­len (bzw. mir dann auf­fal­len, wenn ich das Buch ge­le­sen ha­be).

    Die ver­meint­li­che »Hit­ze der Re­zen­si­ons­ge­fech­te« (ein schö­ner Ter­mi­nus) in­ter­es­siert mich nicht. Ich will jetzt nicht mit der Be­la­stung von Schicht­ar­bei­tern in der In­du­strie oder im Dienst­lei­stungs­ge­wer­be an­fan­gen. Aber die­se Leu­te er­le­ben Streß­si­tua­tio­nen mit un­gleich hö­he­rer Ver­ant­wor­tung tag­täg­lich – und be­wäl­ti­gen sie. Hin­zu kommt ja noch, dass es nicht al­lei­ne die Re­zen­sen­tin ist, die ei­nen Aus­fall zu ver­ant­wor­ten hat – je­der Re­dak­teur mit nur mar­gi­na­len Kennt­nis­sen aus den Pres­se­mit­tei­lun­gen der Ver­la­ge hät­te fest­stel­len müs­sen, dass die Da­me Un­sinn er­zählt.