Russ­land, die Ukrai­ne und Zbi­gniew Brze­zin­ski

Ge­le­gent­lich hilft es ja, sich dem Me­di­en­stream aus­zu­set­zen. So wur­de ich auf ei­ne Dis­kus­si­on auf­merk­sam, in der es wie­der ein­mal um die Ukrai­ne, Russ­land und den We­sten ging. Der Zu­schnitt der Sen­dung war auf Kra­wall ge­bür­stet, der auch schon früh ein­trat. Der bis­her nicht durch po­li­ti­sche Ana­ly­sen be­son­ders her­vor­ge­tre­te­ne Börsen­händler Dirk Mül­ler wur­de als »Putin­ver­ste­her« an­ge­kün­digt und auch flugs von Eric Frey vom öster­rei­chi­schen »Stan­dard« als sol­cher de­kla­riert. Die­ses Eti­kett ist nicht neu; es dient al­len Denk­fau­len da­zu, lä­sti­ge An­sich­ten mit ei­nem Fe­der­strich zu dis­kre­di­tie­ren. Die Ge­schwin­dig­keit, mit der die­ses At­tri­but aus dem rhe­to­ri­schen Waf­fen­ar­se­nal ge­zo­gen wird, ist enorm. Es er­in­nert von Fer­ne an die Ein­wän­de der Rechts­kon­ser­va­ti­ven und Ver­trie­be­nen in den 1970er Jah­ren, die mit ähn­li­chen Pa­ro­len die Po­li­tik des Aus­gleichs der so­zi­al­li­be­ra­len Re­gie­rung mit den Län­dern Ost­eu­ro­pas dif­fa­mier­ten. »Vaterlands­verräter« war noch das mil­de­ste At­tri­but. Le­dig­lich auf die For­mu­lie­rung »Bre­sch­new-Ver­ste­her« ist da­mals nie­mals ge­kom­men, was ge­wis­se Rück­schlüs­se auf das heu­ti­ge Er­re­gungs­pre­ka­ri­at der so­zia­len Me­di­en zu­lässt.

In der o. e. Dis­kus­si­on spiel­te ein Buch ei­ne Rol­le, des­sen Kennt­nis of­fen­sicht­lich al­len Teil­neh­mern nicht glei­cher­ma­ßen ge­läu­fig war. Es heißt im deut­schen Ti­tel »Die ein­zi­ge Welt­macht – Ame­ri­kas Stra­te­gie der Vor­herr­schaft« und ist von Zbi­gniew Brze­zin­ski ver­fasst, dem Si­cher­heits­be­ra­ter ei­ni­ger (de­mo­kra­tisch do­mi­nier­ter) US-Re­gie­run­gen (ob of­fi­zi­ell oder in­of­fi­zi­ell). Das Buch ist von 1997 und gilt of­fen­bar als Ge­heim­tipp. Bei Ama­zon ist das gün­stig­ste An­ge­bot ak­tu­ell bei rund 190 Eu­ro; für ein Ta­schen­buch ein stol­zer Preis. Die Links auf die ko­sten­lo­se Zur­ver­fü­gung­stel­lung set­ze ich jetzt nicht um mich nicht straf­bar zu ma­chen – aber mit ein biss­chen Su­chen kann sich je­der ei­ne wenn auch schlecht for­ma­tier­te Ver­si­on als pdf her­un­ter­la­den (ein fin­di­ger Kopf ver­kauf­te für kur­ze Zeit den pdf-Aus­druck bei Ama­zon für 30 Eu­ro).

Um es vor­weg zu sa­gen: Die­se Lek­tü­re lohnt trotz des Zeit­ab­stands. Man muss Zbi­gniew Brze­zinskis The­sen in die­sem Buch nicht tei­len. Für Brze­zin­ski ist Po­li­tik ein Schach­spiel (der eng­li­sche Ti­tel ist ent­spre­chend: »The Grand Ch­ess­board«), in dem es vor al­lem dar­um geht, stra­te­gi­sche Vor­tei­le für die USA zu er­rin­gen um Macht­an­sprü­che zu er­hal­ten oder aus­zu­bau­en. Ins Zen­trum sei­ner Be­trach­tun­gen steht »Eu­ra­si­en« – der Raum von Lis­sa­bon bis Wla­di­wo­stok.

Der Zu­sam­men­bruch der So­wjet­uni­on als Schock

1997 war das Aus­ein­an­der­bre­chen der So­wjet­uni­on noch sehr prä­sent. Brze­zin­ski ver­setzt sich wie ein Pro­fi­ler im­mer wie­der in die La­ge der­je­ni­gen, de­ren Be­ur­tei­lung er vor­nimmt. So kon­sta­tiert er die Ent­rü­stung in der rus­si­schen bzw. ehe­ma­li­gen so­wje­ti­schen Polit­nomenklatura 1991:

Am be­un­ru­hi­gend­sten war der Ver­lust der Ukrai­ne. Das Auf­tre­ten ei­nes un­ab­hän­gi­gen ukrai­ni­schen Staa­tes zwang nicht nur al­le Rus­sen, das We­sen ih­rer ei­ge­nen po­li­ti­schen und eth­ni­schen Iden­ti­tät neu zu über­den­ken, son­dern stell­te auch für den rus­si­schen Staat ein schwer­wie­gen­des geo­po­li­ti­sches Hin­der­nis dar. Da mehr als drei­hun­dert Jah­re rus­si­scher Reichs­ge­schich­te plötz­lich ge­gen­stands­los wur­den, be­deu­te­te das den Ver­lust ei­ner po­ten­ti­ell rei­chen in­du­stri­el­len und agra­ri­schen Wirt­schaft so­wie von 52 Mil­lio­nen Men­schen, die den Rus­sen eth­nisch und re­li­gi­ös na­he ge­nug stan­den, um Ruß­land zu ei­nem wirk­lich gro­ßen und selbst­si­che­ren im­pe­ria­len Staat zu ma­chen. Die Unab­hängigkeit der Ukrai­ne be­raub­te Ruß­land zu­dem sei­ner be­herr­schen­den Po­si­ti­on am Schwar­zen Meer, wo Odes­sa das un­er­setz­li­che Tor für den Han­del mit dem Mittelmeer­raum und der Welt jen­seits da­von war.

Und wei­ter:

Un­ter geo­po­li­ti­schem Aspekt stell­te der Ab­fall der Ukrai­ne ei­nen zen­tra­len Ver­lust dar, denn er be­schnitt Ruß­lands geo­stra­te­gi­sche Op­tio­nen dra­stisch. Selbst oh­ne die bal­ti­schen Staa­ten und Po­len könn­te ein Ruß­land, das die Kon­trol­le über die Ukrai­ne be­hiel­te, noch im­mer die Füh­rung ei­nes selbst­be­wuß­ten eu­ra­si­schen Rei­ches an­stre­ben, in wel­chem Mos­kau die nicht­sla­wi­schen Völ­ker im Sü­den und Süd­osten der ehe­ma­li­gen So­wjet­uni­on do­mi­nie­ren könn­te.

[…]

Der Weg­fall der Ukrai­ne wirk­te auch als geo­po­li­ti­scher Ka­ta­ly­sa­tor. Po­li­ti­sche Schrit­te der ukrai­ni­schen Füh­rung — die ukrai­ni­sche Un­ab­hän­gig­keits­er­klä­rung im De­zem­ber 1991, das In­si­stie­ren bei den kri­ti­schen Ver­hand­lun­gen in Be­la Vez­ha, daß die Sowjet­union durch ei­ne lo­se­re Ge­mein­schaft un­ab­hän­gi­ger Staa­ten er­setzt wer­den soll­te, und vor al­lem die un­er­war­te­te, staats­streich­ar­ti­ge Un­ter­stel­lung der auf ukrai­ni­schem Bo­den sta­tio­nier­ten Ein­hei­ten der So­wjet­ar­mee un­ter ukrai­ni­sches Kom­man­do — ver­hin­der­ten, daß sich un­ter dem neu­em Na­men GUS die al­te UdSSR in et­was fö­de­ra­le­rem Ge­wand ver­barg. Die po­li­ti­sche Selbst­be­stim­mung der Ukrai­ne mach­te Mos­kau fas­sungs­los und setz­te ein Bei­spiel, dem die an­de­ren ehe­ma­li­gen So­wjet­re­pu­bli­ken, wenn auch an­fangs eher zö­ger­lich, folg­ten.

Men­ta­le Kri­se

Ein­dring­lich be­schreibt Brze­zin­ski den Zu­sam­men­bruch, der sich in sehr kur­zer Zeit er­eig­ne­te und al­le über­roll­te. Plötz­lich fin­den sich über­all sou­ve­rä­ne Staa­ten, die zwar durch­aus selbst­be­wusst, aber auch sehr fra­gil sind. Dies hat auch Aus­wir­kun­gen auf Russ­land:

Ruß­land, bis vor we­ni­gen Jah­ren der Schmied ei­nes gro­ßen Land­rei­ches und Füh­rer ei­nes ideo­lo­gi­schen Blocks von Sa­tel­li­ten­staa­ten, die sich bis ins Herz von Eu­ro­pa er­streck­ten und an ei­nem Punkt so­gar bis ins Süd­chi­ne­si­sche Meer, ist zu ei­nem un­ru­hi­gen Na­tio­nal­staat ge­wor­den, der geo­gra­phisch ge­se­hen kei­nen leich­ten Zu­gang zur Au­ßen­welt hat und der an sei­ner west­li­chen, süd­li­chen und öst­li­chen Flan­ke kräf­te­zeh­ren­den Kon­flik­ten mit sei­nen Nach­barn aus­ge­setzt ist. Nur die un­be­wohn­ba­ren und un­zu­gäng­li­chen nörd­li­chen Per­ma­frost­ge­bie­te schei­nen geo­po­li­tisch noch si­cher.

[…]

Ei­ne Pha­se hi­sto­ri­scher und stra­te­gi­scher Kon­fu­si­on war so­mit im post­im­pe­ria­len Ruß­land un­aus­weich­lich. Der Zu­sam­men­bruch der So­wjet­uni­on und un­er­war­te­te Zer­fall des Groß­rus­si­schen Rei­ches stürz­ten Ruß­land in ei­ne men­ta­le Kri­se und lö­ste ei­ne weit­rei­chen­de De­bat­te über ein neu­es, der ge­gen­wär­ti­gen hi­sto­ri­schen La­ge ent­sprechendes Selbst­ver­ständ­nis aus. Plötz­lich wur­den öf­fent­lich und pri­vat Fra­gen dis­ku­tiert, die sich bis­lang nicht ein­mal die mei­sten grö­ße­ren Na­tio­nen ge­stellt ha­ben: Was ist Ruß­land? Wo ist Ruß­land? Was heißt es, Rus­se zu sein?

Brze­zin­ski be­schreibt die La­ge des das zwi­schen Ver­gan­gen­heit und un­ge­wis­ser Zu­kunft tau­meln­den Russ­lands. So än­der­te sich der Kreml-Kurs lau­fend. Zu­nächst gab es freund­liche An­nä­he­run­gen an den We­sten. Da­bei weist in der ihm ei­ge­nen Art Brze­zin­ski im­mer wie­der dar­auf hin, dass Russ­land für die USA kein gleich­be­rech­tig­ter Part­ner sein kann: Es be­steht ein Un­gleich­ge­wicht in po­li­ti­scher Macht, Fi­nanz­kraft, tech­no­lo­gi­schem In­no­va­ti­ons­po­ten­ti­al und kul­tu­rel­ler At­trak­ti­on. Den­noch hät­te man Russ­land früh ein­bin­den müs­sen. Brze­zin­ski kri­ti­siert, dass die Ge­le­gen­heit hier­für ver­passt wur­de:

Wä­ren die Ame­ri­ka­ner von vorn­her­ein klar und ent­schie­den für ei­ne Er­wei­te­rung des Bünd­nis­ses [der NATO – G. K.] ein­ge­tre­ten un­ter der Be­din­gung, daß Ruß­land in ir­gend­ei­ner Form in den Pro­zeß mit ein­ge­bun­den wer­den soll­te, dann hät­te die spä­te­re Ent­täu­schung Mos­kaus über die voll­ent­wickel­te stra­te­gi­sche Part­ner­schaft möglicher­weise eben­so ver­mie­den wer­den kön­nen wie die fort­schrei­ten­de Schwä­chung des pro­west­li­chen La­gers im Kreml. Der rich­ti­ge Zeit­punkt da­für wä­re im zwei­ten Halb­jahr 1993 ge­we­sen, un­mit­tel­bar nach­dem Jel­zin im Au­gust Po­lens In­ter­es­se an ei­nem Bei­tritt zur trans­at­lan­ti­schen Al­li­anz als mit den In­ter­es­sen Ruß­lands ver­ein­bar ge­bil­ligt hat­te. Statt des­sen ver­folg­te die Clin­ton-Ad­mi­ni­stra­ti­on un­ver­dros­sen ih­re Ruß­land-geht-vor-Po­li­tik, die sich noch wei­te­re zwei Jah­re da­hin­quäl­te, in de­nen der Kreml sei­ne Mei­nung än­der­te und ge­gen­über den in­zwi­schen auf­tau­chen­den va­gen Hin­wei­sen auf die von den USA be­ab­sich­tig­te NA­TO-Er­wei­te­rung ei­ne zu­neh­mend feind­li­che Hal­tung ein­nahm. Als Wa­shing­ton 1996 end­lich be­schloß, der NA­TO-Er­wei­te­rung in sei­ner auf die Ge­stal­tung ei­ner grö­ße­ren und si­che­re­ren eu­roat­lan­ti­schen Ge­mein­schaft ab­zie­len­den Po­li­tik Prio­ri­tät ein­zu­räu­men, hat­ten sich die Rus­sen be­reits in ei­ne star­re Op­po­si­ti­on ver­rannt. Folg­lich könn­te man 1993 als das Jahr ei­ner ver­paß­ten hi­sto­ri­schen Chan­ce an­se­hen.

Höch­ste Prio­ri­tät für die Ukrai­ne

Un­ab­ding­bar ist für Brze­zin­ski die Ver­an­ke­rung ins­be­son­de­re der Ukrai­ne in ein west­lich ori­en­tier­tes La­ger. Hier­für sind selbst Ver­stim­mun­gen mit Russ­land hin­zu­neh­men:

In der seit spä­te­stens 1994 zu­neh­men­den Ten­denz der USA, den ame­ri­ka­nisch-ukrai­ni­schen Be­zie­hun­gen höch­ste Prio­ri­tät bei­zu­mes­sen und der Ukrai­ne ih­re neue na­tio­na­le Frei­heit be­wah­ren zu hel­fen, er­blick­ten vie­le in Mos­kau —so­gar die so­ge­nann­ten West­ler — ei­ne ge­gen das vi­ta­le rus­si­sche In­ter­es­se ge­rich­te­te Po­li­tik, die Ukrai­ne schließ­lich wie­der in den Schoß der Ge­mein­schaft zu­rück­zu­ho­len.

Brze­zin­ski be­rich­tet, dass es 1996 so­gar Be­stre­bun­gen in Russ­land gab, die Auf­lö­sung der So­wjet­uni­on wie­der rück­gän­gig zu ma­chen. Wie auch im­mer: Auch das Russ­land un­ter Jel­zin de­kla­riert frei­mü­tig sei­nen Füh­rungs­an­spruch in der GUS, die, wie dar­ge­legt wird, fälsch­lich im Aus­land kurz als ei­ne Art öst­li­che EU ge­se­hen wur­de. Brze­zin­ski er­klärt, dass schon un­ter Jel­zin all­zu for­sche Aut­ar­kie­be­stre­bun­gen der ehe­ma­li­gen So­wjet­re­pu­bli­ken mit ei­nem ge­wis­sen Un­be­ha­gen ver­folgt wur­den. Hier wie­der­um der Teil sei­ner Aus­füh­run­gen, der mit der Ukrai­ne zu tun hat:

Die Ent­schlos­sen­heit der Ukrai­ne, sich ih­re Un­ab­hän­gig­keit zu be­wah­ren, er­hielt Un­ter­stüt­zung von au­ßen. Ob­wohl der We­sten, vor al­lem die Ver­ei­nig­ten Staa­ten, die geo­po­li­ti­sche Be­deu­tung ei­nes sou­ve­rä­nen ukrai­ni­schen Staa­tes erst reich­lich spät er­kannt hat­te, wa­ren um die Mit­te der neun­zi­ger Jah­re so­wohl Ame­ri­ka als auch Deutsch­land zu eif­ri­gen För­de­rern ei­ner ei­gen­stän­di­gen Iden­ti­tät Kiews ge­wor­den.

Ge­gen En­de die­ses Ka­pi­tels mit dem spre­chen­den Ti­tel Das schwar­ze Loch (»The Black Ho­le«) stellt Brze­zin­ski ei­ne ver­blüf­fen­de Wech­sel­wir­kung zwi­schen Russ­land und der EU und dem Ver­hält­nis der Ukrai­ne zur EU fest:

Ruß­lands ein­zi­ge geo­stra­te­gi­sche Op­ti­on — die Op­ti­on, die ihm ei­ne rea­li­sti­sche Rol­le auf der in­ter­na­tio­na­len Büh­ne ein­tra­gen und auch sei­ne Chan­cen für ei­ne ge­sell­schaft­li­che Ver­än­de­rung und Mo­der­ni­sie­rung er­hö­hen könn­te — ist Eu­ro­pa. Und zwar nicht ir­gend­ein Eu­ro­pa, son­dern das trans­at­lan­ti­sche Eu­ro­pa ei­ner er­wei­ter­ten EU und NATO.

[…]

Am wich­tig­sten al­ler­dings ist die Ukrai­ne. Da die EU und die NATO sich nach Osten aus­deh­nen, wird die Ukrai­ne schließ­lich vor der Wahl ste­hen, ob sie Teil ei­ner die­ser Or­ga­ni­sa­tio­nen wer­den möch­te. Es ist da­von aus­zu­ge­hen, daß sie, um ih­re Eigenständig­keit zu stär­ken, bei­den bei­tre­ten möch­te, wenn de­ren Ein­zugs­be­reich ein­mal an ihr Ter­ri­to­ri­um grenzt und sie die für ei­ne Mit­glied­schaft not­wen­di­gen in­ne­ren Re­for­men durch­ge­führt hat. Ob­wohl dies Zeit brau­chen wird, kann der We­sten — wäh­rend er sei­ne Si­cher­heits- und Wirt­schafts­kon­tak­te mit Kiew wei­ter aus­baut —‚ schon jetzt das Jahr­zehnt zwi­schen 2005 und 2015 als Zeit­rah­men für ei­ne suk­zes­si­ve Ein­glie­de­rung der Ukrai­ne ins Au­ge fas­sen.

Die Ukrai­ne zeigt an, wo­hin Russ­land will

Das dürf­te, so der Au­tor, nicht oh­ne Pro­ble­me ab­ge­hen, denn Russ­land wird es unver­gleichlich schwer[er] fal­len, sich mit ei­nem NA­TO-Bei­tritt der Ukrai­ne ab­zu­fin­den, denn da­mit wür­de Mos­kau ein­ge­ste­hen, daß das Schick­sal der Ukrai­ne nicht mehr or­ga­nisch mit dem Ruß­lands ver­bun­den ist. Doch wenn die Ukrai­ne als un­ab­hän­gi­ger Staat über­le­ben soll, wird sie eher mit Mit­tel­eu­ro­pa als mit Eu­ra­si­en zu­sam­men­ge­hen müs­sen. Soll sie zu Mit­tel­eu­ro­pa ge­hö­ren, wird sie an den Bin­dun­gen Mit­tel­eu­ro­pas zur NATO und der Eu­ro­päi­schen Uni­on voll teil­ha­ben müs­sen. Ak­zep­tiert Ruß­land die­se Bin­dun­gen, dann legt es sich da­mit in sei­ner Ent­schei­dung fest, selbst Teil von Eu­ro­pa zu wer­den. Ruß­lands Wei­ge­rung wä­re gleich­be­deu­tend mit dem Ein­ge­ständ­nis, daß es Eu­ro­pa zu­gun­sten ei­ner eu­ra­si­schen Iden­ti­tät und Exi­stenz den Rücken kehrt.

Der sprin­gen­de Punkt ist, und das darf man nicht ver­ges­sen: Oh­ne die Ukrai­ne kann Ruß­land nicht zu Eu­ro­pa ge­hö­ren, wo­hin­ge­gen die Ukrai­ne oh­ne Ruß­land durch­aus Teil von Eu­ro­pa sein kann. Soll­te Ruß­land be­schlie­ßen, sich mit Eu­ro­pa zu­sam­men­zu­tun, liegt es letzt­end­lich in sei­nem ur­ei­ge­nen In­ter­es­se, daß die Ukrai­ne in ein grö­ßer wer­den­des eu­ro­päi­sches Haus auf­ge­nom­men wird. Tat­säch­lich könn­te die Be­zie­hung der Ukrai­ne zu Eu­ro­pa der Wen­de­punkt für Ruß­land selbst sein.

Es geht üb­ri­gens nicht dar­um, ob Brze­zinskis po­li­ti­sche Am­bi­tio­nen rich­tig oder gar mo­ra­lisch kor­rekt sind. Stra­te­gen nei­gen da­zu ge­le­gent­lich so stark um die Ecke zu den­ken, dass sie das viel­leicht Na­he­lie­gen­de aus dem Au­ge ver­lie­ren.

Wich­tig ist hier, dass selbst je­mand wie Brze­zin­ski, der als »Kal­ter Krie­ger« oder »Fal­ke« galt (und teil­wei­se noch gilt), in der La­ge war, rus­si­sche In­ter­es­sen zu se­hen und zu er­ken­nen. Sein Kurs ist da­bei nicht kon­fron­ta­tiv ge­we­sen. Auch wenn er, was ar­ro­gant klin­gen mag, Russ­land den Sta­tus ei­ner Welt­macht nicht zu­spre­chen woll­te, sah er ein, dass ei­ne Brüs­kie­rung des Lan­des zu ver­mei­den ist. Sein Ide­al ging da­hin, dass sich Russ­land als ei­ne Art neu­tra­ler Part­ner – al­len­falls als Re­gio­nal­macht – aus dem gro­ßen geo­po­li­ti­schen Spiel her­aus­hält bzw. von ihm ver­ab­schie­det, min­de­sten so lan­ge, bis es sich po­li­tisch und öko­no­misch sta­bi­li­siert hat.

Für ei­ne Po­li­tik der Ba­lan­ce – aus der Stär­ke her­aus

Brze­zinskis Idee: Russ­land zum ei­nen nä­her an die NATO bin­den, um die Län­der Mit­tel­eu­ro­pas (Po­len, die bal­ti­schen Staa­ten, Tsche­chi­en, Un­garn) in die Or­ga­ni­sa­ti­on zu über­neh­men. Aber: Es soll­te kei­ne Ver­ein­ba­rung mit Ruß­land über die Fra­ge ei­ner NA­TO-Er­wei­te­rung dar­auf hin­aus­lau­fen, daß Ruß­land de fac­to am Entscheidungs­findungsprozeß des Bünd­nis­ses be­tei­ligt wird und da­durch den spe­zi­fisch euro­atlantischen Cha­rak­ter der NATO auf­weicht, wäh­rend de­ren neu auf­ge­nom­me­ne Mit­glieder zu Staa­ten zwei­ter Klas­se de­gra­diert wer­den. Da­mit er­hiel­te näm­lich Ruß­land nicht nur die Ge­le­gen­heit, von neu­em zu ver­su­chen, sei­ne Ein­fluß­sphä­re in Mit­tel­eu­ro­pa wie­der­zu­ge­win­nen…

Die­ses geo­po­li­ti­sche Ziel, ei­ne Art Ba­lan­ce zwi­schen Ein­bin­dung Russ­lands, Do­me­sti­zie­rung und gleich­zei­tig Di­stan­zie­rung, ist gründ­lich miss­lun­gen. Auch Brze­zinskis an Russ­land ge­rich­te­ter Rat ver­puff­te: Viel­mehr muß das rie­si­ge Ruß­land der Tat­sa­che ins Au­ge se­hen, daß Eu­ro­pa und Chi­na bei­de schon heu­te wirt­schaft­lich mäch­ti­ger sind und Chi­na es noch da­zu auf dem Weg zu ei­ner Mo­der­ni­sie­rung der Ge­sell­schaft zu über­ho­len droht. Dar­aus muß Ruß­land die rich­ti­gen Schluß­fol­ge­run­gen zie­hen. Un­ter die­sen Um­stän­den soll­te sich die po­li­ti­sche Füh­rung in Mos­kau deut­li­cher dar­über be­wußt wer­den, daß Ruß­land in er­ster Li­nie sich selbst mo­der­ni­sie­ren muß, an­statt sich auf nutz­lo­se Be­mü­hun­gen ein­zu­las­sen, sei­nen frü­he­ren Sta­tus als Welt­macht wie­der­zu­er­lan­gen.

Ei­ne über den NA­TO-Russ­land-Rat hin­aus­ge­hen­de Ver­bin­dung wur­de nicht ge­trof­fen. Das 2002 ge­schaf­fe­ne Gre­mi­um war ein bes­se­res Kaf­fee­kränz­chen; Russ­land emp­fand es als Ali­bi­ver­an­stal­tung. Die Eis­zeit der Bush-Re­gie­rung wech­sel­te zu ei­ner Art Gleich­gültigkeit Russ­land ge­gen­über der Oba­ma-Ad­mi­ni­stra­ti­on, die sich all­zu deut­lich nach Fern­ost ori­en­tier­te.

Ei­ne Wand­lung Brze­zinskis?

Er­staun­lich, dass Brze­zinskis Aus­füh­run­gen von 1997 heut­zu­ta­ge als »ei­ne ver­steck­te und in­di­rek­te Fort­set­zung des Kal­ten Krie­ges mit an­de­ren Mit­teln« in­ter­pre­tiert wer­den. So der Ge­schichts­phi­lo­soph Hau­ke Ritz in sei­ner Be­spre­chung von Brze­zinskis 2012 neu er­schie­ne­nem Buch »Stra­te­gic Vi­si­on: Ame­ri­ca and the Cri­sis of Glo­bal Power 2012«. Wie oben er­läu­tert (und auch zi­tiert), gab es sehr wohl Vor­schlä­ge Brze­zinskis, Russ­land in ein eu­ra­si­sches Sy­stem ein­zu­bin­den. Ritz’ Zi­ta­te – zum Bei­spiel je­nes, in dem Brze­zin­ski ei­ne Tei­lung Russ­lands vor­schlägt – bil­den nicht das tat­säch­li­che Bild ab, dass Brze­zin­ski zu Russ­land zeich­net (auch Chi­na »rät« er zu de­zen­tra­len Struk­tu­ren; sol­che un­ge­frag­ten Rat­schlä­ge ge­hört zum We­sen von Stra­te­gen). Da­bei ist na­tür­lich für Brze­zinskis Den­ken im­ma­nent, dass ei­ne He­ge­mo­ni­al­stel­lung der USA für ihn nicht dis­ku­ta­bel war. Ihm dies vor­zu­wer­fen ist al­bern. Auch der Vor­wurf, er ha­be mit sei­ner Be­ra­tung der Mud­scha­hed­din-Un­ter­stüt­zung wäh­rend der Car­ter-Ära in­di­rekt zu ei­nem Krieg von »ei­ner Mil­lio­nen To­ten« ge­führt, ist ein biss­chen ten­den­zi­ös. (Der schwer­wie­gen­de­re mo­ra­li­sche Feh­ler der ame­ri­ka­ni­schen Po­li­tik be­stand dar­in, die di­ver­sen Frei­heits­be­we­gun­gen in Af­gha­ni­stan auch dann noch mi­li­tä­risch un­ter­stützt und auf­ge­rü­stet zu ha­ben, als Gor­bat­schows das Ver­spre­chen ab­ge­ge­ben hat­te, das Land zu ver­las­sen. Das war nach Brze­zinskis »Amts­zeit«.)

Auch die Tat­sa­che, dass Brze­zin­ski die Ge­fah­ren des Ver­lu­stes des Welt­macht­sta­tus für die USA 1997 nicht ge­nü­gend be­dacht ha­be, ist aus der Lek­tü­re des »Chessboard«-Buches nicht zwin­gend ab­zu­lei­ten. Schon die For­mu­lie­rung, dass die USA die er­ste, ein­zi­ge
und letz­te ech­te Su­per­macht
der Ge­schich­te sein könn­te, im­pli­ziert die Mög­lich­keit des Schei­terns. Wenn Brze­zin­ski nun, 2012, Par­al­le­len zwi­schen der USA und der UdSSR in den 1980er Jah­ren fest­stellt, ist dies be­mer­kens­wert. Um­so un­ver­ständ­li­cher, dass die­ses Buch nicht über­setzt und der deut­schen Öf­fent­lich­keit prä­sen­tiert wur­de.

Wenn man Brze­zinskis Aus­füh­run­gen von 1997 ver­ge­gen­wär­tigt hat Pu­tin nun, nach Jah­ren des La­vie­rens, ei­ne Kehrt­wen­de be­schlos­sen: Er will ein eu­ra­si­sches Reich mit Russ­land an der Spit­ze re-im­ple­men­tie­ren um den stra­te­gi­schen (ver­meint­li­chen) Be­deu­tungs­ver­lust Russ­lands zu til­gen. Mag die An­nek­tie­rung der Krim noch geo­strategisch sinn­voll ge­we­sen sein (Brze­zin­ski wies be­reits 1997 auf die Wich­tig­keit der Krim für Russ­land hin), so ist die min­de­stens ge­dul­de­te, wenn nicht for­cier­te De­sta­bi­li­sie­rung der Ost-Ukrai­ne vor al­lem öko­no­misch un­sin­nig.

Brze­zinskis Re­ak­ti­on im März die­sen Jah­res, die weit­ge­hend als ag­gres­siv wahr­ge­nom­men wur­de, weil er Pu­tins Vor­ge­hen mit dem Hit­lers 1939 im Su­den­ten­land ver­gleicht, ist zwar scharf, aber nicht kopf­los: »In ad­di­ti­on, such ef­forts to avert mis­cal­cu­la­ti­ons that could lead to a war should be matched by a re­af­fir­ma­ti­on of the West’s de­si­re for a peaceful ac­com­mo­da­ti­on wi­th Rus­sia re­gar­ding a joint ef­fort to help Ukrai­ne re­co­ver eco­no­mic­al­ly and sta­bi­li­ze po­li­ti­cal­ly. The West should re­assu­re Rus­sia that it is not see­king to draw Ukrai­ne in­to NATO or to turn it against Rus­sia.«

War­ten wir ab, was pas­siert.


Die kur­siv ge­setz­ten Zi­ta­te sind aus dem Buch »Die ein­zi­ge Welt­macht – Ame­ri­kas Stra­te­gie der Vor­herr­schaft«. Da es sich nicht um ei­ne wis­sen­schaft­li­chen Text han­delt, wur­den auf ge­nau­en Quel­len­an­ga­ben (Sei­ten­zah­len) ver­zich­tet. Die mei­sten Zi­ta­te stam­men aus Ka­pi­tel 4 »Das schwar­ze Loch« so­wie den »Schluß­fol­ge­run­gen« (Ka­pi­tel 7).

10 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Nicht zu fas­sen, der al­te Zbig. Lebt der im­mer noch?! Das ist ja ei­ne in­tel­lek­tu­el­le Bank­rott-Er­klä­rung, wenn man die Fos­si­li­en be­fragt. Schon die Idee (Fra­gen wir Zbig!) ist re­ak­tio­när. Es k****t mich an, wenn ich das mal sa­gen darf.
    Die geo­stra­te­gi­schen Ana­ly­sen sind un­be­dingt von den Zeit­ge­nos­sen Pu­tins, Mer­kels und Oba­ma an­zu­fer­ti­gen. Das ist es­sen­ti­ell. Al­les an­de­re ver­fälscht das Re­sul­tat. Es gibt kein »al­tes Wis­sen« an­ge­sichts der (von Äon zu Äon schrei­ten­den) geo­po­li­ti­schen Her­aus­for­de­rung, ich be­schwö­re den Geist von Gil­les De­leu­ze an die­ser Stel­le.
    Aber mir ist schon klar, dass die­sen Ö.R.-Hirnakrobaten all­mäh­lich die Muf­fe geht.
    »Wir ver­ste­hen das nicht...«.
    Das, mei­ne Lie­ben, hat an­de­re Grün­de, das ist nicht eu­er Al­ter!
    Tschul­di­gung.

  2. Na­ja, ei­ne Art Re­de­ver­bot für Nicht-Zeit­ge­nos­sen ist – mit Ver­laub – Un­sinn. Wo­hin das ge­führt hat, sieht man an­hand der US-Neo­kon­ser­va­ti­ven à la Wol­fo­witz und Fu­ku­ya­ma.

    Im Kern ging es um die Be­haup­tung, dass die USA in der Ukrai­ne kei­ne In­ter­es­sen ha­ben. Das kann man spä­te­stens dann, wenn man BZs Buch ge­le­sen hat (oder auch ein­fach nur den Wi­ki­pe­dia-Ar­ti­kel da­zu), nicht mehr be­haup­ten. Ob man den Mann nun mag oder nicht: Sich öf­fent­lich zu die­ser Pro­ble­ma­tik zu äu­ßern, oh­ne sei­ne Haus­auf­ga­ben ge­macht zu ha­ben, ist lä­cher­lich. Und Haus­auf­ga­ben sind nicht im­mer an­ge­nehm.

  3. Da gibt es ein viel grund­sätz­li­che­res Werk, das al­ler­dings kein Buch ist, son­dern ei­ne Samm­lung un­ter­schied­lich lan­ger Tex­te mit Stem­peln drü­ber wie »Con­fi­den­ti­al«, »Un­clas­si­fi­ed«, »Se­cret« oder »Top Se­cret« mit Au­to­renn­na­men wie Zbi­gniew Bre­zin­ski, Sa­mu­el Hun­ting­ton, Gra­ham Clay­tor jr., Jo­shua Le­der­berg und Hen­ry Kis­sin­ger, das 1988 die Zu­kunfts­stra­te­gie der USA fest­leg­te, was das Feind­bild an­geht, wenn es kei­nen Ost-West-Kal­ten Krieg mehr gibt. Feind­bild Is­lam und Ein­krei­sung Russ­lands ba­sie­ren dar­auf glei­cher­ma­ßen.

  4. Ver­zei­hung, aber Geo­po­li­tik hat ja auch mit Emo­tio­nen zu tun. Mein »re­ak­tio­när« ist da­mit nicht wi­der­legt.
    Zum Kern: in der Tat ha­ben die U.S.A. In­ter­es­sen an der Ukrai­ne. Der CIA, Bi­den, etc. Sol­len wir wirk­lich die Le­git­mität die­ser In­ter­es­sen dis­ku­tie­ren, oh­ne das dop­pel­te Spiel­chen des He­ge­mons auf­zu­decken, das uns seit 20 Jah­ren in Atem hält?!
    Durch die Blu­me: es gibt ein ein­zi­ges Land in der NATO, nicht mal das klein­ste, wel­ches dem in spi­ri­to und de fac­to Ver­tei­di­gungs­bünd­nis ei­ne ganz und gar ex­pan­si­ve »selbst­stän­dig for­mu­lier­te und durch­ge­führ­te« In­ter­ven­ti­ons­stra­te­gie zur Sei­te stellt, und da­mit die In­ter­es­sen Eu­ro­pas und das stra­te­gi­sche Den­ken die­ses Sub­kon­ti­nents per­ma­nent (es gibt kein bes­se­res Wort) ver­ge­wal­tigt, die UNO zur Schwatz­bu­de de­kla­riert, und ei­ner vor Zei­ten noch er­war­te­ten Exe­ku­ti­ve des Ver­ein­ten Wil­len al­ler Völ­ker mit ei­nem recht ro­bu­sten Waf­fen-Prag­ma­tis­mus vor­ab­gleicht. Wenn die Stra­te­gien der U.S.A. (Oo­ops!) in den letz­ten 20 Jah­ren et­was mit »Den­ken«, Ana­ly­se, Kul­tur & Ge­schich­te im ge­naue­ren und en­ge­ren Sin­ne zu tun ge­habt hät­ten, wä­re al­les ganz wun­der­bar. Brauch­te man aber nicht! Grund: He­ge­mo­nie macht läs­sig. Und Ge­schich­te, Kul­tur, etc. sind der Ame­ri­ka­ner Pro­blem be­stimmt nicht. Das re­cher­chiert man, oder be­stellt sich ei­nen Be­ra­ter. Für mich sind das Bar­ba­ren in Na­del­strei­fen–
    Mein Wort dar­auf: die äl­te­re Ge­ne­ra­ti­on ist mo­ra­lisch und in­tel­lek­tu­ell nicht in der La­ge, die­se He­ge­mo­nie zu be­grei­fen. Sie sind der Stra­te­gie als Va­sal­len vor­aus­ei­lend ver­fal­len. Sie zie­hen sie nicht in Zwei­fel und hal­ten sie für ih­re ei­ge­ne... Für mich als Mitt-Vier­zi­ger heißt das, noch wei­te­re 20 Jah­re zu­schaun, bis man hier­zu­lan­de wie­der un­ab­hän­gi­ge Ge­dan­ken ent­wickelt.

  5. @de kal­te So­phie
    »Un­ab­hän­gi­ge Ge­dan­ken« wä­re ja auch Geo­po­li­tik. Wel­cher Art könn­ten die­se Ge­dan­ken sein? Die EU ist zu schwach, um he­ge­mo­nia­le An­sprü­che zu stel­len. Nach dem bis­he­ri­gen Stand der Din­ge will sie es auch gar nicht; ih­re ein­zi­ge Macht grün­det sie auf die Öko­no­mie. ZB be­schreibt üb­ri­gens schon 1997 wie lä­cher­lich die Ver­su­che Groß­bri­tan­ni­ens und Frank­reichs sind, sich als Welt­mäch­te auf­zu­spie­len. Be­son­ders scharf fällt sein Ur­teil ge­gen­über Groß­bri­tan­ni­en aus.

    Sie soll­ten sich wirk­lich die Mü­he ma­chen, das Buch von ZB zu le­sen; min­de­stens die er­sten bei­den Ka­pi­tel und Nr. 7. Zieht man den im­pli­zi­ten Welt­macht­an­spruch, der aus die­sem Text her­aus­quillt wie ein Pud­ding aus ei­nem Ku­chen­stück ab, so bleibt viel zu­tref­fen­de Zu­stands­be­schrei­bung – und zwar nicht nur aus 1997. Viel ver­än­dert hat sich nicht (sieht man ein­mal den von ZB ge­nann­ten »Eu­ra­si­schen Bal­kan« ab – hier gab es mit der Af­gha­ni­stan-In­ter­ven­ti­on der USA und des We­stens ein für ihn nicht pro­gno­sti­zier­ba­res Er­eig­nis).

    Nach der Lek­tü­re kann man die­sen He­ge­mon ein biss­chen bes­ser »be­grei­fen«. Das be­deu­tet nicht, dass man ihn gut­fin­den oder mit al­len Ana­ly­sen über­ein­stim­men muss. He­ge­mo­nia­le Macht wird man üb­ri­gens im­mer dann, um nicht sel­ber von ei­nem an­de­ren He­ge­mon un­ter­wor­fen zu wer­den. ZB kom­mu­ni­ziert üb­ri­gens die­se Ab­hän­gig­keit von den USA oh­ne Be­schö­ni­gun­gen.

  6. Ge­nau das Pro­blem ha­be ich mit Zbig. Zieht man den Pud­ding ab, sind das ganz ex­qui­si­te Be­schrei­bun­gen. Dan­ke für den Tipp. Ich hab zwar noch nichts ge­le­sen, aber an­hand ver­schie­de­ner Ein­las­sun­gen von ihm konn­te ich mir schon mal ei­nen Ein­druck ver­schaf­fen. Ge­fähr­li­cher Mann, weil in­tel­li­gent. Al­so, ge­fähr­lich nicht weil in­tel­li­gent, son­dern weil Be­ra­ter von He­ge­mon! In dra­ma­tur­gi­schen Zu­sam­men­hän­gen: Po­lo­ni­us.

  7. »Ob­wohl der We­sten, vor al­lem die Ver­ei­nig­ten Staa­ten, die geo­po­li­ti­sche Be­deu­tung ei­nes sou­ve­rä­nen ukrai­ni­schen Staa­tes erst reich­lich spät er­kannt hat­te, wa­ren um die Mit­te der neun­zi­ger Jah­re so­wohl Ame­ri­ka als auch Deutsch­land zu eif­ri­gen För­de­rern ei­ner ei­gen­stän­di­gen Iden­ti­tät Kiews ge­wor­den.«

    Nicht, dass Brze­zin­ski Lü­gen un­ter­tel­len möch­te, aber das ist nicht ganz rich­tig. Die West­mäch­te ha­ben be­reits En­de des 2. Welt­kriegs die Be­deu­tung der Ukrai­ne er­kannt und sind nicht ein­mal vor Zu­sam­men­ar­beit mit Na­zi-Kol­la­bo­ra­teu­ren zu­rück­ge­schreckt, um die Ukrai­ne zu de­sta­bi­li­sie­ren und der So­wjet­uni­on zu ent­rei­ßen.

    Brze­zin­ski könn­te da­von wirk­lich nichts ge­wusst ha­ben, da das ent­spre­chen­de CIA-Ma­te­ri­al noch bis 1998 der Ge­heim­hal­tung un­ter­lag. Die Un­ter­la­gen kön­nen heu­te un­ter http://www.foia.cia.gov/ ein­ge­se­hen wer­den, die CIA-Ak­ti­vi­tä­ten in der Ukrai­ne wur­den un­ter dem Code­wort »Ae­ro­dy­na­mic« zu­sam­men­ge­fasst. Es han­delt sich buch­stäb­lich um Mil­lio­nen von Sei­ten, de­ren Aus­wer­tung noch an­dau­ert. Ei­ni­ge vor­läu­fi­ge Zu­sam­men­fas­sun­gen sind be­reits ver­füg­bar, z.B. z.B. un­ter http://www.matthewaid.com/post/51394955674/debacle-the-cias-failed-agent-penetration oder un­ter http://www.archives.gov/iwg/reports/hitlers-shadow.pdf.

    Über die en­ge Ver­bin­dung der Exil-Ukrai­ner (und an­de­rer Ost­eu­ro­pa-Flücht­lin­ge) zur US-Po­li­tik und vor al­lem zu den Re­pu­bli­ka­nern hat au­ßer­dem be­reits 1989 Russ Bel­lant sein Buch »Old Na­zis, the New Right & the Re­pu­bli­can Par­ty« ge­schrie­ben. Das Buch lässt sich bei ge­schick­ter Su­che im In­ter­net als PDF-Do­ku­ment fin­den, aber ei­ne ganz gu­te Zu­sam­men­fas­sung hat der Au­tor selbst in ei­nem In­ter­view ge­ge­ben, als die Ukrai­ne-Kri­se noch sehr frisch war (http://www.thenation.com/blog/179057/seven-decades-nazi-collaboration-americas-dirty-little-ukraine-secret).

    Wenn man sich die­se Din­ge vor Au­gen führt, ver­steht man erst rich­tig, was mit der »eif­ri­gen För­de­rung ei­ner ei­gen­stän­di­gen Iden­ti­tät Kiews« ge­meint ist. Da­mit er­ge­ben die Er­eig­nis­se der letz­ten Jah­re (seit der er­sten Oran­gen Re­vo­lu­ti­on) ei­nen nach­voll­zieh­ba­ren Sinn. Für den ei­nen oder an­de­ren wird viel­leicht auch die ag­gres­si­ve Re­ak­ti­on Russ­lands ver­ständ­li­cher.

  8. @Spock78
    Nur, dass Sie sich nicht wun­dern, war­um Ihr Kom­men­tar erst jetzt zu se­hen ist: Kom­men­ta­re mit mehr als zwei Links wer­den au­to­ma­tisch zur »Ge­neh­mi­gung« in ei­ne Schlei­fe be­för­dert.

    Ih­re Äu­ße­run­gen sind in­ter­es­sant; ob Brze­zin­ski das ge­wusst hat, weiss ich na­tür­lich auch nicht. Sei­ne Äu­ße­rung ha­be ich da­hing­hend ver­stan­den, dass man (= USA) nach dem Zu­sam­men­bruch der So­wjet­uni­on mit den nun un­ab­hän­gi­gen GUS-Staa­ten so recht nichts an­zu­fan­gen wuss­te.

  9. @Gregor Keu­sch­nig

    Kein Pro­blem, ich ha­be mir schon ge­dacht, dass es et­was mit den Links zu tun hat­te.

    Mit mei­nem Bei­trag woll­te ich üb­ri­gens kei­nes­wegs Brzezinski’s Sicht­wei­se wi­der­le­gen oder Ih­re Ana­ly­se kri­ti­sie­ren. Sein Buch be­schreibt al­ler­dings nur die Sei­te der Er­eig­nis­se nach dem Kal­ten Krieg, die so­zu­sa­gen für al­le »sicht­bar« war, und das aus ei­ner aus­ge­präg­ten US-Per­spek­ti­ve. Um sich ein voll­stän­di­ges Bild ma­chen zu kön­nen, soll­te man aber auch wis­sen, was sich in den Jahr­zehn­ten da­vor »hin­ter den Ku­lis­sen« ab­ge­spielt hat. Zum Glück ha­ben wir seit ein paar Jah­ren die Mög­lich­keit da­zu.

    Lei­der müs­sen wir wahr­schein­lich noch ei­ne Wei­le war­ten, bis wir er­fah­ren, ob und in wel­chem Ma­ße die USA auch nach dem Zu­sam­men­bruch der UdSSR ver­deckt in der Ukrai­ne ak­tiv wa­ren. Bei Wiki­leaks fin­det man hier und da et­was zur Ukrai­ne (z.B. über Pe­tro Po­ro­schen­ko: https://wikileaks.org/plusd/cables/06KIEV1706_a.html), aber das ist na­tür­lich zu we­nig, um sich ein um­fas­sen­des Bild zu ma­chen.