Le­thar­go­kra­tie, Staats­ver­schul­dungs­be­schleu­ni­ger und Semiso­zia­lis­mus

Pe­ter Slo­ter­di­jk und die deut­sche Po­li­tik

Ei­ne ir­gend­wie öde Dis­kus­si­on, die da seit ei­ni­gen Mo­na­ten (ins­be­son­de­re von der ZEIT, aber auch in der FAZ) am Kö­cheln ge­hal­ten wird. Kern der Aus­ein­an­der­set­zung ist Pe­ter Slo­ter­di­jks Ar­ti­kel »Die Re­vo­lu­ti­on der ge­ben­den Hand« (al­ler­dings auch ei­ni­ge Ka­pi­tel aus des­sen Buch »Du musst dein Le­ben än­dern«). Axel Hon­neth glaub­te dar­auf­hin nun Slo­ter­di­jk an­grei­fen zu müs­sen, in dem er ihn – grob ver­kür­zend – in durch­aus alt­lin­ker Ma­nier als Neu-Rech­ten und/oder wirt­schaft­li­be­ra­len de­nun­ziert, der ir­gend­wie blind für die Be­dürf­nis­se von Hartz-IV-Emp­fän­gern ist. Es gab ei­ni­ges Feuil­le­ton-Ge­plän­kel und so­gar ei­ne bril­lan­te, aber schwer ver­ständ­li­che Ver­tei­di­gungs­re­de von Karl-Heinz Boh­rer in der FAZ.

Aber Slo­ter­di­jk wä­re nicht Slo­ter­di­jk wenn er nicht zu ei­ner Art Be­frei­ungs­schlag aus­ge­holt hät­te; ab­ge­druckt in »Ci­ce­ro« mit dem am­bi­tio­nier­ten wie pro­vo­ka­ti­ven Ti­tel »Auf­bruch der Lei­stungs­trä­ger«.

Der Ar­ti­kel ist na­tür­lich un­ge­ach­tet des­sen, ob man Slo­ter­di­jks The­se von ei­ner Revi­talisierung von Po­li­tik nach dem 27. Sep­tem­ber teilt oder nicht, ziem­lich le­sens­wert und er­fi­schend. Das gilt zu­nächst ins­be­son­de­re für die hi­sto­ri­schen Aper­çus, die Slo­ter­di­jk ein­streut. Nach ei­nem klei­nen Epi­log wi­der die ab­ge­kar­te­te Grup­pen­dy­na­mik in un­se­rer Dis­kurs­ge­sell­schaft folgt zu­nächst ei­ne poin­tier­te Ab­rech­nung mit den Kohl-Jah­ren, die er für die Ur­sa­che der ak­tu­el­len Pro­ble­me sieht:

    Die mun­te­re Fahrt in den Dreck, in dem der Kar­ren heu­te steckt, be­gann – so­weit man das zur Stun­de über­blicken kann – An­fang der acht­zi­ger Jah­re, als Hel­mut Kohl an die Macht ge­lang­te, ein Mann, der schon durch sei­ne mar­kant form­lo­se Phy­sis den Zeit­geist des fi­na­len Kon­sumismus pro­phe­tisch ver­kör­per­te. […] Un­ter Hel­mut Kohl ist in un­se­rem Land ein ein­zig­ar­ti­ges psy­cho­po­li­ti­sches Syn­drom ent­stan­den, das ich die deut­sche Le­thar­go­kra­tie nen­ne. Von wei­tem er­in­nert sie an alt­chi­ne­si­sche Zu­stän­de in­so­fern, als schon vor zwei­tau­send Jah­ren bei den Rat­ge­bern des Kai­sers von Chi­na die Weis­heits­ma­xi­me zu hö­ren war: Die be­ste Herr­schaft sei die­je­ni­ge, von der das Volk glaubt, sie fin­de gar nicht statt. Dem­nach soll im öf­fent­li­chen Raum nicht mehr an Len­kung, Do­mi­nanz und Macht­aus­übung spür­bar wer­den, als Was­ser ver­spürt, wenn es dem Hang des Ge­län­des folgt. Die im Rück­blick un­fass­bar lang er­schei­nen­de Kohl-Ära – sie dau­er­te schier end­lo­se sech­zehn Jah­re, 1982 bis 1998 –, war so ge­se­hen ei­ne stil­rei­ne Hang-Dy­na­stie. Da rutsch­te je­der je­den Buckel run­ter, der ab­wärts ins Wahr­schein­li­che­re führt, im­mer en­tro­pisch mun­ter hin­un­ter ins Allzu­menschliche, der so­zia­len End­for­mel ent­ge­gen: Ur­laub, Umver­teilung, Adi­po­si­tas. […] Kurz­um, die le­thar­go­kra­ti­sche Grund­stim­mung, die bis ge­stern über un­se­rem Land lag und auch nach dem 27. Sep­tem­ber nicht ganz ver­schwun­den ist, reicht unmiss­verständlich bis in die Jah­re, die ihr kennt, zu­rück. In ih­nen wur­de die Gro­ße Ko­ali­ti­on aus Spaß und Sta­gna­ti­on ge­schmie­det, die für ei­ne gan­ze Ge­ne­ra­ti­on jun­ger Deut­scher den letz­ten Ho­ri­zont mar­kier­te. Träg­heit und Fri­vo­li­tät wur­den da­mals un­zer­trenn­lich. Zieht man nach sol­chen Zei­ten Bi­lanz, so ist in ih­nen, wie das Vertreter­sprichwort sagt, tat­säch­lich au­ßer Spe­sen nichts ge­we­sen, und wenn uns nicht mit­ten in den Kohl-Jah­ren wie aus hei­te­rem Him­mel die deut­sche Wie­der­ver­ei­ni­gung in den Schoß ge­fal­len wä­re, man wür­de sich schlecht­hin an nichts er­in­nern – ein paar schö­ne Nach­mit­ta­ge auf der Ter­ras­se aus­ge­nom­men. Es war Kohl’sche Re­gie­rungs­weis­heit, schein­bar oder wirk­lich drän­gen­de Pro­ble­me zu­rück­zu­stel­len, wie um zu be­wei­sen, dass sich das Mei­ste durch Igno­rie­ren er­le­digt. Kohls ho­he Kunst des Nicht-zur-Kennt­nis-Neh­mens von Dring­lich­kei­ten war eng­stens mit der schon da­mals nicht neu­en Tech­nik der Staatsschul­denausweitung ver­knüpft. Im Grun­de war er wie ein chi­ne­si­scher Re­gent da­von über­zeugt, das Nicht­han­deln sei stets dem Han­deln vor­zu­zie­hen. In sei­ner Re­gie­rungs­zeit wur­de das Wort „Re­form­stau“ zum Syn­onym für deut­sche Be­find­lich­kei­ten. Der Kanz­ler selbst war der Stau in Per­son, und er war in den Stau ver­liebt – denn der stell­te si­cher, dass der Mann, der ihn über­ho­len könn­te, soll­te er schon ge­bo­ren sein, kei­ne Chan­ce hät­te, an die Spit­ze der Ko­lon­ne vor­zu­fah­ren.

In den sie­ben Jah­ren Rot-Grün, in der zwei te­sto­ste­ron­be­feu­er­te Al­pha­tie­re es ge­nos­sen, an der Spit­ze des Staa­tes zu schwe­ben war es aus­ge­rech­net der nicht­lethar­gi­sche Ger­hard Schrö­der, der da­mit den Nie­der­gang sei­ner Par­tei ein­lei­te­te, in dem er ei­ne Re­form­po­li­tik be­trieb, von wel­cher der li­stig trä­ge Kanz­ler Kohl stets die Fin­ger ge­las­sen hat­te. Der von Slo­ter­di­jk ge­zo­ge­ne Schluss ist höchst ori­gi­nell: In dem Kohl in Le­thar­gie er­starr­te, ver­ur­sach­te er zwar die Nie­der­la­ge 1998, trug aber in­di­rekt zur CDU-Herr­schaft ab 2005 wie­der bei:

    Seit den Ta­gen Hel­mut Kohls herrscht im Bun­des­tag nicht bloß das Ge­setz der Wäh­ler­ver­wir­rung durch Pro­gramm­ver­tau­schung zwi­schen links und rechts, auch der Be­griff Op­po­si­ti­on hat ei­nen neu­en Sinn an­ge­nom­men: Op­po­si­ti­on ist längst nicht mehr das, was die Nichtre­gierungsparteien trei­ben. Op­po­si­ti­on wird wirk­sam nur noch durch die ak­tu­el­le Re­gie­rung aus­ge­übt, und zwar da­durch, dass sie ih­rer mög­lichen Nach­fol­ge­rin die Pro­ble­me hin­ter­lässt, an de­nen sie zuverl­ässig schei­tert. In die­sem Sinn brach­te die Mer­kel-Wahl von 2005 ei­ne spä­te Ge­nug­tu­ung für den Va­ter al­ler Läh­mun­gen. Auf sei­nen Spu­ren zog sei­ne na­tür­li­che Toch­ter ins Kanz­ler­amt ein. Man lernt dar­aus: Der le­thar­go­kra­ti­sche Po­li­ti­ker wird mit­tel­fri­stig be­lohnt, weil er und sei­ne Nach­fol­ger die be­sten Chan­cen ha­ben, die näch­ste Wahl zwar zu ver­lie­ren, aber da­für die über­näch­ste zu ge­win­nen.

Erst da­nach kommt Slo­ter­di­jk zu sei­nem ei­gent­li­chen The­ma: Die Be­haup­tung, in Deutsch­land wür­den die Leistungs­träger in ei­ner Art Se­mi-So­zia­lis­mus ab­ge­schröpft. Tat­säch­lich sieht er den So­zi­al­de­mo­kra­tis­mus der 1970er Jah­re im­mer noch in ste­ti­gem Wachs­tum. Die Trans­fer­ma­schi­ne des Staa­tes ge­he ih­ren Gang, un­ab­hän­gig da­von, wie die Wahl­re­sul­ta­te der SPD der­zeit aus­se­hen. Aber die­ses Sy­stem stößt seit ei­ner Wei­le an die Gren­zen sei­ner Lei­stungs­fä­hig­keit, weil die Zahl der­je­ni­gen, die über­haupt noch in der La­ge sind, die Kas­sen zu fül­len, dra­ma­tisch schrumpft. Slo­ter­di­jk plä­diert für ei­nen neu­en »Gesellschafts­vertrag«:

    Es gilt, ei­ne In­te­gra­ti­ons­for­mel hö­he­rer Stu­fe zu fin­den, kraft wel­cher ei­ne zu­neh­mend he­te­ro­ge­ne Staats­be­völ­ke­rung als Leistungs­trägergemeinschaft jen­seits der di­ver­gie­ren­den Herkunfts­kulturen be­stimmt wird. Die­se For­mel kann nur durch ei­nen neu­en »Gesell­schaftsvertrag« zu­stan­de kom­men, der die Lei­stungs­trä­ger al­ler be­tei­lig­ten Sei­ten in die Mit­te der so­zia­len Syn­the­sis rückt. An die­ser Pro­blem­front en­ga­gie­ren sich seit ei­ner Wei­le die weit­sich­ti­ge­ren Tei­le der Bür­ger­ge­sell­schaft und der Staat­lich­keit. Ih­nen ist ei­nes völ­lig klar: Das so­zia­le Band von mor­gen wird durch die In­ve­sti­tio­nen und In­te­gra­tio­nen ge­knüpft, die hier und heu­te ge­sche­hen. Wird die voraus­schauende Pfle­ge die­ses Ban­des ver­nach­läs­sigt, bringt man durch Un­ter­las­sun­gen von heu­te den Zer­fall von mor­gen auf den Weg.

Al­lei­ne: Ist die­ser neue Ge­sell­schafts­ver­trag mit Schwarz-Gelb zu schaf­fen? Wer ge­nau liest, be­merkt bei al­ler Eu­pho­rie Slo­ter­di­jks über den so un­spek­ta­ku­lä­ren Macht­wech­sel ei­ne ge­hö­ri­ge Por­ti­on Skep­sis. Die Fron­ten sind noch nicht ein­deu­tig ge­klärt. Das Wahl­er­geb­nis zeigt: Die so­ge­nann­ten Volks­par­tei­en ero­die­ren – und zwei di­ver­gie­ren­de Strö­mun­gen le­gen zu: Hier die FDP mit ih­rem wirt­schafts­li­be­ra­len Kurs. Und dort die Lin­ke mit den Um­ver­tei­lungs­ideen:

    Die An­ti­the­se zwi­schen der Lin­ken und den Li­be­ra­len ist über­aus be­deu­tungs­voll, um nicht zu sa­gen zu­kunfts­ent­schei­dend, weil sich in ihr ei­ne bis­her sy­ste­ma­tisch ver­schlei­er­te Po­la­ri­sie­rung der Ge­sell­schaft in nie zu­vor ge­se­he­ner Klar­heit ar­ti­ku­liert. Zum er­sten Mal in der Ge­schich­te der neue­ren deut­schen De­mo­kra­tie tre­ten sich in den Ge­win­nern des 27. Sep­tem­ber zwei Grup­pen ge­gen­über, die man so noch nicht mit­ein­an­der kon­fron­tiert sah. Man möch­te fast an ei­nen „Klassen“gegensatz un­be­kann­ten Typs glau­ben, der bis­her nicht bis zur of­fe­nen Kol­li­si­on her­an­ge­reift war. De­fi­niert man je­doch den Be­griff der „Klas­se“, dem Marx’schen Sprach­ge­brauch ge­mäß, durch die Stel­lung von so­zia­len Ak­teu­ren im „Pro­duk­ti­ons­pro­zess“, so sind die neu­en Kon­tra­hen­ten kei­ne Klas­sen. Mit „Pro­duk­ti­on“ hat ih­re Ent­ge­gen­set­zung ge­ra­de nichts zu tun. Ih­re Rol­le im Sy­stem be­stimmt sich viel­mehr durch ih­re Stel­lung im fis­ka­lisch-mo­ne­tä­ren Pro­zess und im staat­lich ge­steu­er­ten Um­ver­tei­lungs­ge­sche­hen. Hier fin­den wir in dem ei­nen La­ger die Steu­er­ak­ti­ven, die den Fis­kus mit ih­ren Ab­ga­ben be­rei­chern, im an­de­ren, vor­sich­tig ge­spro­chen, die Steu­erneu­tra­len, die über­wiegend von Trans­fer­lei­stun­gen pro­fi­tie­ren. An der neu­en po­li­ti­schen Front sto­ßen al­so, um die Sa­che tech­ni­scher aus­zu­drücken, zwei fi­nanz­po­li­ti­sche Groß­grup­pen auf­ein­an­der: hier die Transfer­massengeber, die auf­grund von un­um­geh­ba­ren Steu­er­pflich­ten die Kas­sen fül­len, dort die Trans­fer­mas­sen­neh­mer, die auf­grund von so­zi­al­po­li­tisch fest­ge­leg­ten Rechts­an­sprü­chen die Kas­sen lee­ren.

Vie­le Fra­gen blei­ben: Was ist mit der »gei­stig-mo­ra­li­schen Wen­de«, wel­che die Kohl-Re­gie­rung am An­fang ih­rer Re­gie­rungs­zeit ver­sprach? Und war­um brach die­se zu­sam­men, noch be­vor sie über­haupt star­te­te? Die Fra­ge ist des­we­gen in­ter­es­sant, weil es ei­ne ad­äqua­te in­tel­lek­tu­el­le Auf­bruch­stim­mung von Schwarz-Gelb 2009 nicht ein­mal an­satz­wei­se gibt.

Wie be­ur­teilt Slo­ter­di­jk den Ko­ali­ti­ons­ver­trag, der doch letzt­lich nur ein Do­ku­ment des sy­stem­im­ma­nen­ten Man­gel-Ver­wal­tens und –Ab­wä­gens dar­stellt? Wie soll ei­ne An­ge­la Mer­kel, die un­ter dem Staats­ver­schul­dungs­be­schleu­ni­ger Kohl Po­li­tik ge­lernt hat (und in der Gro­ssen Ko­ali­ti­on selbst zur Staats­ver­schul­dungs­be­schleu­ni­ge­rin wur­de), die­se in­tel­lek­tu­el­le und po­li­ti­sche Her­aus­for­de­rung mei­stern?

29 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ob dem Herrn Slo­ter­di­jk klar ist, dass es ihn oh­ne die­sen klep­to­kra­ti­schen Se­mi-So­zia­lis­mus nicht gä­be? Oder glaubt er gar sei­ne »Pro­duk­te« wä­ren in ei­nem li­ber­tä­ren Markt über­le­bens­fä­hig oh­ne sich zum kon­su­mier­ba­ren Hof­nar­ren zu ma­chen? Wer ist Pro­dukt der ge­schmäh­ten Sieb­zi­ger-Jah­re, wenn nicht Slo­ter­di­jk.

    Der zwang­haf­te Im­pe­tus pro­phe­tisch und ori­gi­nell zu sein, den Dis­kurs er­schnüf­felt und pu­blik ge­macht zu ha­ben, er­starrt zur rei­nen Po­se. Soll er sein Ge­tue doch da voll­brin­gen wo es hin ge­hört, in die Ma­ne­ge. Es ist ihm und ei­nem gro­ßen Teil des jam­mern­den Bür­ger­tums zu wün­schen, dass nicht mal wirk­lich
    ab­ge­rech­net wird, wer Cash­cow ist und wer ali­men­tiert wird.

  2. Ich se­he bei Slo­ter­di­jk gar kei­ne Be­schwer­de, al­len­falls ei­ne Rhe­to­rik der Fest­stel­lung und Un­zu­frie­den­heit. Ihm vor­zu­wer­fen, dass er Pro­dukt der Ge­sell­schaft ist, die er kri­ti­siert, ist fast nie ziel­füh­rend, weil sie Dank­bar­keit zum Maß­stab er­hebt.

  3. >»Ob dem Herrn Slo­ter­di­jk klar ist, dass es ihn oh­ne die­sen klep­to­kra­ti­schen Se­mi-So­zia­lis­mus nicht gä­be?«

    ich ha­be nicht den ge­ring­sten Zwei­fel dass er dies (und noch viel mehr) sehr ge­nau sieht.

    und im­ho zeigt Peter42 sehr viel mehr zwangs­haf­te re­ak­tio­nen...

  4. @Gregor
    Lei­stungs­trä­ger als Steu­er­ak­ti­ve zu de­fi­nie­ren ist kei­ne Fest­stel­lung. Das ist gro­ber Un­fug. Was für ein wi­der­wär­ti­ges Men­schen­bild. Oder ist der Herr Non­nen­ma­cher jetzt der grö­ße­re Lei­stungs­trä­ger vul­go Steu­er­ak­ti­ve, weil er Mil­lio­nen er­gau­nert hat. Sind z.B. die Ge­schäfts­füh­rer der Kran­ken­kas­sen lei­stungs­stär­ker (sprich mehr En­er­gie pro Zeit) ge­wor­den, weil sie sich die Ge­häl­ter in Ei­gen­re­gie dank Ge­sund­heits­fond ex­or­bi­tant er­höht ha­ben. Ich le­se nur ein Sam­mel­so­ri­um un­aus­ge­go­re­ner Ge­dan­ken, die ein phi­lo­so­phi­scher Par­ty­lö­we aus dem El­fen­bein­turm in die rea­le Welt po­saunt und dann wie­der schnell die Tür schließt, um auf sei­ner phi­lo­so­phi­schen Dreh­bank neue Wor­te zu drech­seln, die­se li­te­ra­len Eye­cat­cher oh­ne Sinn aber mög­lichst schlag­zei­len­fä­hig. Der Ci­ce­ro-Ar­ti­kel ist ein er­bärm­li­cher Ver­such der be­deu­tungs­auf­ge­la­de­nen Um­deu­tung ei­nes miss­lun­ge­nen na­tio­na­len In­tel­li­genz­tests. Wo­mög­lich hält er sich noch selbst für ei­nen Lei­stungs­trä­ger.

    [EDIT: 2009-12-08 21:21]

  5. @Peter42
    Wo steht ge­schrie­ben, dass er Non­nen­ma­cher für ei­nen Lei­stungs­trä­ger hält? Er greift doch die­se Art der Bank­zocker an. Die Glei­chung Lei­stungs­trä­ger = Steu­er­ak­ti­ve ist be­reits ei­ne In­ter­pre­ta­ti­on des Tex­tes, die die­ser gar nicht auf­kom­men lässt, es sei denn, man in­ter­pre­tiert ihn be­wusst bös­wil­lig (das kann man mit vie­lem dann ma­chen und sein Müt­chen küh­len). Für sei­ne Ver­hält­nis­se de­fi­niert Slo­ter­di­jk die »Lei­stungs­trä­ger« re­la­tiv klar: Es sind die­je­ni­gen, die mit ih­ren Steu­er­auf­kom­men (na­tür­lich le­gal er­wirt­schaf­te­ten – das muss man doch nicht be­to­nen, oder?) et­was we­ni­ger als 50% ih­rer Ein­nah­men zur Ver­fü­gung zu stel­len, oh­ne dem in ir­gend­ei­ner Form aus­wei­chen zu kön­nen. Er meint ge­ra­de nicht die Ober­schicht, die sich eh’ ei­nen Scheiß­dreck dar­um schert, da sie ihr Geld in Steu­er­pa­ra­die­sen ge­parkt hat.

    [EDIT: 2009-12-08 21:29]

  6. @Gregor
    Neh­men wir nur die­se dum­me Rech­nung be­züg­lich des pro­zen­tu­al enor­men Steu­er­auf­kom­mens ei­ner klei­nen Ober­schicht. Al­lein, dass er es für nö­tig hält die­sen All­ge­mein­platz ei­nes pro­gres­si­ven Steu­er­sy­stems zu be­to­nen, zeigt den Tief­gang des Ar­ti­kels. Und ja, ich le­se dar­aus die simp­le Glei­chung, da auch Slo­ter­di­jk nicht ver­bor­gen ge­blie­ben ist, dass Ka­pi­tal­erträ­ge seit Jahr­zehn­ten stär­ker stei­gen als Ge­häl­ter. Ihm wird auch nicht ent­gan­gen sein, dass die letz­te Re­gie­rung den Steu­er­satz auf Ka­pi­tal­erträ­ge auf ei­nen fe­sten Wert be­stimmt hat, so dass sich die Ein­kom­men die­ser Lei­stungs­trä­ger noch deut­lich auf Ko­sten der we­ni­ger Ver­mö­gen­den er­höht ha­ben.

    Die wirk­li­che Fra­ge die sich stellt, näm­lich »Wer ist über­haupt Lei­stungs­trä­ger?«, tou­chiert er nicht mal. Ei­ne Kran­ken­schwe­ster o.ä., die zu voll­kom­men un­an­ge­mes­se­nem Lohn Schicht­dienst ar­bei­tet, ist für mich Lei­stungs­trä­ger. Der No­tar, der für al­ber­ne Rou­ti­ne­tä­tig­keit maß­lo­se Sum­men ver­dient, ist es nicht (Vie­le wei­te­re Bei­spie­le auf Nach­fra­ge). Das gilt es zu the­ma­ti­sie­ren und nicht die ge­sell­schaft­li­che Be­deu­tung ei­ner Kli­en­tel­par­tei.

    Ge­kühlt wer­den muss, aber nicht mein Müt­chen.

    [EDIT: 2009-12-08 22:04]

  7. Mir sind die groß­spu­ri­gen rhe­to­ri­schen Über­ge­ne­ra­li­sie­run­gen ziem­lich su­spekt, mit de­nen Slo­ter­di­jk um sich wirft. So et­was kön­nen sich halt Phi­lo­so­phen lei­sten, weil sie nicht zur Em­pi­rie ver­pflich­tet sind. Her­aus kom­men dann Pseu­do-Zeit­dia­gno­sen. Grob ge­schnitz­te Ge­sell­schafts­mo­del­le, die zwar gut klin­gen und des ei­nen oder an­de­ren Le­bens­ge­fühl an­spre­chen, die aber die un­gleich viel­fäl­ti­ge­re Wirk­lich­keit nicht wirk­lich er­fas­sen.

    Aber gut, ich wer­de nach­her, wenn ich mehr Mu­ße ha­be, die­sen Ar­ti­kel le­sen, um mir ein ab­ge­wo­ge­nes Ur­teil zu bil­den. Vor­weg: die Front­stel­lung ge­gen »Alt­links« ist ein biss­chen ge­fähr­lich, sie ver­führt da­zu, so man­ches Kind mit dem Ba­de aus­zu­schüt­ten.

  8. Sprü­che­klop­fen oder kon­struk­ti­ve Kri­tik?
    Be­son­ders den von Ih­nen zu­erst zi­tier­ten Teil Slo­ter­di­jks Ar­ti­kels fin­de ich schon rein sprach­lich ge­se­hen sehr amü­sant und in­ter­es­sant. Aber Schlecht­re­den kann ja je­der, es soll­ten dann ja auch kon­struk­ti­ve An­sät­ze (man muss ja nicht gleich von der per­fek­ten Lö­sung aus­ge­hen) fol­gen.
    Die wei­te­ren Zi­ta­te wa­ren dann weit we­ni­ger in­ter­es­sant. Ich glau­be, wenn ich den Ar­ti­kel durch­le­sen wer­de (wenn ich ir­gend­wann ein­mal Zeit und Lust ha­ben wer­de), dann wird mir die Ent­täu­schung ins Ge­sicht ge­schrie­ben sein. Sie ha­ben das zwar durch­aus gut her­aus­ge­ar­bei­tet, war­um, aber den­noch lässt sich zu­min­dest ei­ne der­be Ab­fla­chung der an­fäng­li­chen Eu­pho­rie mei­ner­seits wohl kaum ver­mei­den. Ein ähn­li­ches Ge­fühl ha­be ich auch bei Frank Schirr­ma­chers neu­en Buch »Payback«. Ich hof­fe, es wird mich nicht ent­täu­schen...

    Da muss sich der Le­ser dann schein­bar die Fra­ge stel­len, ob Slo­ter­di­jk sich mit sei­nem Ar­ti­kel wirk­lich als kom­pe­ten­ter Kri­ti­ker oder nur als Sprü­che­klop­fer dar­stellt.

    Um das noch mal auf Oba­ma zu be­zie­hen: Ich den­ke, dass man Oba­ma auf Grund sei­ner Sprü­che – das be­kann­te »Yes, we can!«, das jetzt et­li­che Ma­le für kom­mer­zi­el­le Zwecke gar miss­braucht wird – et­was über­schätzt hat. Oba­ma ist auch nur ein Mensch und kein Gott. Auch er kann den »in den Dreck ge­fah­re­nen Kar­ren« nicht ein­fach so mit ei­ner Hand wie­der auf die Strecke brin­gen.
    Und ge­nau den­sel­ben Ge­dan­ken muss man sich m.E. auch bei der Be­trach­tung ei­nes­je­den Po­li­tik­kri­ti­kers vor Au­gen füh­ren: Ist der nur ver­bal gut oder auch in sei­nen Ta­ten?

  9. @Internetausdrucker und @Count Le­crin
    Ich fin­de die Hal­tung »wenn ich mal Zeit ha­be, wer­de ich mir den Rest durch­le­sen« und dann trotz­dem die Ver­wen­dung von Ver­bal­in­ju­ri­en wie »Sprü­che­klop­fer« oder »Pseu­do-Zeit­dia­gno­sen« sel­ber eher sprü­che­klop­fe­risch und Aus­weis ei­ner merk­wür­dig hoch­nä­si­gen Pseu­do-In­tel­lek­tua­li­tät.

    Man kann The­sen ab­leh­nen, aber man soll­te sie vor­her we­nig­stens zur Kennt­nis neh­men.

  10. @Gregor Keu­sch­nig

    Ich hat­te die­se Flan­ke ja nicht um­sonst auf­ge­macht. Da steckt schon ein biss­chen Selbst­kri­tik drin. Und ein ge­wis­ser Vor­be­halt ge­gen­über den ei­ge­nen Aus­sa­gen. Zu­dem ha­be ich Ih­ren Text in­klu­si­ve der Aus­zü­ge vor dem Schrei­ben mei­nes Kom­men­tars über­flo­gen. Ich bit­te al­so um Nach­sicht.

    Aber ich den­ke, mei­nen Vor­wurf der »Pseu­do-Zeit­dia­gno­se« kann ich leicht auf­recht er­hal­ten. Neh­men wir mal die­se Pas­sa­ge von Slo­ter­di­jk:

    »Da rutsch­te je­der je­den Buckel run­ter, der ab­wärts ins Wahr­schein­li­che­re führt, im­mer en­tro­pisch mun­ter hin­un­ter ins All­zu­mensch­li­che, der so­zia­len End­for­mel ent­ge­gen: Ur­laub, Um­ver­tei­lung, Adi­po­si­tas. […] Kurz­um, die le­thar­go­kra­ti­sche Grund­stim­mung, die bis ge­stern über un­se­rem Land lag und auch nach dem 27. Sep­tem­ber nicht ganz ver­schwun­den ist, reicht un­miss­ver­ständ­lich bis in die Jah­re, die ihr kennt, zu­rück. In ih­nen wur­de die Gro­ße Ko­ali­ti­on aus Spaß und Sta­gna­ti­on ge­schmie­det, die für ei­ne gan­ze Ge­ne­ra­ti­on jun­ger Deut­scher den letz­ten Ho­ri­zont mar­kier­te.«

    Slo­ter­di­jk, der Nicht­em­pi­ri­ker, ge­ne­ra­li­siert – »je­der je­den« – al­so be­trifft das aus­nahms­los al­le. Der Mensch nach Slo­ter­di­jk ist wohl ein Her­den­tier.

    Wun­der­bar auch die »so­zia­le End­for­mel« »Ur­laub, Um­ver­tei­lung, Adi­po­si­tas«. Das soll si­cher ei­ne Kri­tik an ei­ner ge­wis­sen Sa­tu­riert­heit sein und an ei­nem Man­gel an ge­sell­schaft­li­cher Uto­pie und Ge­stal­tungs­wil­len. Schließ­lich geht es hier nur um den Bauch – ganz und gar wört­lich um das Wachs­tum des Bau­ches. Es fehlt hier jeg­li­che Dif­fe­ren­zie­rung z.b. in so­zia­le Mi­lieus oder in po­li­ti­sche Strö­mun­gen. »Um­ver­tei­lung« wird ge­wöhn­lich der So­zi­al­de­mo­kra­tie zu­ge­schrie­ben oder der ka­tho­li­schen So­zi­al­leh­re. Was ist mit den Li­be­ra­len, gar den Neo­li­be­ra­len? Letz­te­re gab es auch zu Kohls Zei­ten und das The­ma Glo­ba­li­sie­rung und Ver­schlan­kung des Staa­tes wur­de auch in den 90er Jah­ren hef­tig dis­ku­tiert.

    »die le­thar­go­kra­ti­sche Grund­stim­mung« scheint eben­falls bei Slo­ter­di­jk aus­nahms­los je­den Men­schen in Deutsch­land be­herrscht zu ha­ben. Denn sonst wä­re es ja kei­ne GRUND­stim­mung. Nur gibt es für sol­che pau­scha­len The­sen nur ir­gend­ei­nen Be­weis? In dem Text von Slo­ter­di­jk se­he ich erst ein­mal kei­nen. Gut, nicht im­mer muss je­de ori­gi­nel­le Idee ab­ge­würgt wer­den, in­dem man Be­wei­se und dicke An­mer­kungs­ap­pa­ra­te ver­langt. Dann aber soll­te man et­was be­schei­de­ner auf­tre­ten bzw. mit Wi­der­spruch le­ben kön­nen.

    »die für ei­ne gan­ze Ge­ne­ra­ti­on jun­ger Deut­scher den letz­ten Ho­ri­zont mar­kier­te.« Ei­ne GANZE GENERATION. Geht es nicht ein biss­chen klei­ner? Nein, es müs­sen gleich al­le sein. Und wenn ei­ne gan­ze Ge­ne­ra­ti­on von solch ei­nem Kul­tur­ver­fall be­droht ist, droht ja min­de­stens der Un­ter­gang des Abend­lan­des. Da­ne­ben kann man mit ei­ner sol­chen Dia­gno­se gleich al­le An­ge­hö­ri­gen die­ser de­ge­ne­rier­ten Ge­ne­ra­ti­on (Gro­ße Ko­ali­ti­on aus Spaß und Sta­gna­ti­on) pau­schal ab­wer­ten. Sie ha­ben al­le ei­nen kol­lek­ti­ven Ma­kel. Wer Vor­wür­fe er­hebt, zeigt ein­mal, dass er sich als mo­ra­lisch über­le­gen dünkt. Schließ­lich sind ja »Um­ver­tei­lung, Ur­laub, Adi­po­si­tas« nicht die Wer­te des Herrn Slo­ter­di­jk. Al­so muss der scharf­zün­gi­ge Kri­ti­ker ja bes­ser sein als je­ne, die die­sen ego­isti­schen und sa­tu­rier­ten Hal­tun­gen ver­fal­len sind.

    Ver­wun­der­lich ist da­bei auch der feh­len­de Zwei­fel an den ei­ge­nen im­po­san­ten The­sen. Wer in Bausch und Bo­gen gan­ze Ge­ne­ra­tio­nen der­art ver­bal nie­der­macht, soll­te viel­leicht mal nach­prü­fen, ob sei­ne The­sen so stim­men.

    Lie­ber Herr Keu­sch­nig,
    ich hof­fe, ich konn­te sie da­von über­zeu­gen, dass mei­ne Ein­wän­de kei­nes­wegs nur
    »sprü­che­klop­fe­risch und Aus­weis ei­ner merk­wür­dig hoch­nä­si­gen Pseu­do-In­tel­lek­tua­li­tät«
    sind. Ich hof­fe zu­min­dest, dass mein Vor­wurf der »Pseu­do-Zeit­dia­gno­se« jetzt et­was mehr be­den­kens­wert ist.

  11. Un­be­ha­gen
    Aus dem »wenn ich mal Zeit ha­be, wer­de ich mir den Rest durch­le­sen« le­se ich zu­min­dest den Wil­len, sich erst rich­tig zu äu­ssern, nach­dem man sich nae­her mit der Sa­che be­fasst hat (nur geht das meist im Rau­schen un­ter; man kommt ja eh’ nicht da­zu). – Aus den Aus­schnit­ten her­aus Herrn Slo­ter­di­jk als Sprü­che­klop­fer zu be­zeich­nen er­scheint mir zwar auch et­was ab­we­gig... aber wenn er vom »Kar­ren im Dreck« spricht, so ist das nicht nur ab­ge­grif­fen, son­dern bie­dert sich mir doch all­zu dumpf an un­se­re Po­li­tik­ver­dros­sen­heit an (Wä­re es nicht an der Zeit ver­dros­sen zu sein von die­ser gan­zen ver­drieß­li­chen Po­li­ti­ker­schel­te? Ist sie nicht Teil des Ni­veau­ver­falls, den zu be­zeich­nen sie sich vor­ge­nom­men hat?).
    Der Text von Slo­ter­di­jk hat­te mich zu­nächst amü­siert, wie auch die Re­geln für den Men­schen­park, aber.. ich wer­de mich noch wei­ter scheu­en, mein Un­be­ha­gen zu äu­ßern, da es sich viel­leicht auch um ideo­lo­gi­sche Dif­fe­ren­zen han­delt bzw. ich Slo­ter­di­jks Men­schen­bild ab­leh­ne – Die­se Schar­müt­zel sind ja auch hier in den Kom­men­ta­ren schon kurz aus­ge­bro­chen. Wahr­schein­lich war die­ses Links-Rechts-Ge­klop­pe zu pro­vo­zie­ren auch Ab­sicht und Ver­gnü­gen von Herrn Slo­ter­di­jk; War­um aber hat er der­glei­chen noch nö­tig, da er doch 1999 schon (mit gu­tem Grund) den Tod der kri­ti­schen Theo­rie fest­stell­te (http://www.zeit.de/1999/37/199937.sloterdijk_.xml – wenn ich die da­ma­li­gen Um­stän­de rich­tig er­fah­ren ha­be, ha­ben sich Herr Tho­mas Ass­heu­er und die an­de­ren Skan­da­li­sie­rer der er­sten Stun­de Mar­tin Meggle, Rai­ner Ste­phan eher selbst dis­kre­di­tiert.. )?

  12. @Internetausdrucker
    Je­der Hi­sto­ri­ker, je­der Zeit­geist­for­scher be­treibt ge­ne­ra­li­sie­ren­de Aus­sa­gen. Ge­ra­de in der Dia­gno­se der Kohl-Jah­re (und in Ab­stri­chen auch der Schrö­der-Ära) se­he ich viel Zu­tref­fen­des. Es war letzt­lich Hel­mut Kohl sel­ber, der dann ir­gend­wann vom »kol­lek­ti­ven Frei­zeit­park« sprach – und da­mit gleich­zei­tig den Bank­rott sei­ner »gei­stig-mo­ra­li­schen Wen­de«, die nie mehr als nur ei­ne Schi­mä­re war, zu­gab. Das war/ist der be­ste Zeu­ge für Slo­ter­di­jks zu­ge­ge­ben poin­tier­te Sicht der Din­ge.

    Der zwei­te Zeu­ge der »le­thar­go­kra­ti­schen Grund­stim­mung« ist Alt-Bun­des­prä­si­dent Ri­chard von Weiz­säcker, der in sei­nem lei­der fast ver­ges­se­nen In­ter­view­band mit Hofmann/Perger von ei­ner Art De­le­ga­ti­on des Bür­ger an die po­li­ti­schen In­sti­tu­tio­nen sprach. Zwar woll­te er nicht von ei­nem still­schwei­gen­den Ver­trag spre­chen (das wä­re zu un­ge­nau – au­ßer­dem war er da­mals noch im Amt), aber seit den 80er Jah­ren sah von Weiz­säcker ei­ne Hal­tung bei den Wäh­lern, die der Po­li­tik ei­ne Art Blan­ko­scheck aus­stellt, wenn man da­für mit grö­sse­ren Ver­än­de­run­gen ver­schont bleibt (das sind mei­ne For­mu­lie­run­gen; von Weiz­säcker drückt sich we­sent­lich ela­bo­rier­ter aus; sie kön­nen hier­zu ei­ni­ges auf mei­nem Blog mit ent­spre­chen­der Su­che fin­den).

    Es ist doch auch die­se Zeit, die Kohl-Jah­re, die von den Ver­fech­tern der »Bon­ner Re­pu­blik« im nach­hin­ein noch ver­klärt wird. Im Grun­de knüpf­te doch Schrö­der dar­an an, als er die Wahl 1998 nicht zu­letzt da­mit ge­wann, dass er ver­sprach, nicht Vie­les an­ders son­dern bes­ser zu ma­chen.

    Ih­ren Ein­wand bezgl. der so­ge­nann­ten »Neo­li­be­ra­len« (ein Be­griff, der voll­kom­men falsch ver­wen­det wird, weil »Neo­li­be­ra­le« et­was ganz an­de­res sind, als im­mer be­haup­tet wird, aber las­sen wir das) nimmt Slo­ter­di­jk sehr wohl auf, als er den un­ter Kohl stän­dig noch aus­ge­bau­ten So­zi­al­staat an­spricht. Das ist ge­meint mit der For­mu­lie­rung Schrö­der mach­te die Po­li­tik, die Kohl li­stig ver­mied.

    Über­ra­schend die For­de­rung, man soll­te sei­ne ei­ge­nen The­sen in ei­nem de­ra­ti­gen Es­say auch noch be­fra­gen. Das ist doch ex­akt der ge­stus des weich­ge­spült-nichts­sa­gen­den, den je­mand wie Slo­ter­di­jk nicht ein­schlägt. Da fällt mir dann nur noch die Plat­ti­tü­de des »wasch mich, aber mach mich nicht naß« ein. Ich glau­be, von der (trau­ri­gen) Text­ge­stalt ha­ben wir ge­nug.

    Na­tür­lich ist Slo­ter­di­jks Auf­satz poin­tiert und von ge­wis­sen Ei­tel­kei­ten nicht frei. Aber er stösst ein Fen­ster auf. Mag sein, dass vie­le die fri­sche Luft nicht mö­gen, weil ih­nen in ih­rem Oh­ren­ses­sel schnell kalt wird.

  13. @Gregor
    »Über­ra­schend die For­de­rung, man soll­te sei­ne ei­ge­nen The­sen in ei­nem de­ra­ti­gen Es­say auch noch be­fra­gen. Das ist doch ex­akt der ge­stus des weich­ge­spült-nichts­sa­gen­den, den je­mand wie Slo­ter­di­jk nicht ein­schlägt. Da fällt mir dann nur noch die Plat­ti­tü­de des »wasch mich, aber mach mich nicht naß« ein. Ich glau­be, von der (trau­ri­gen) Text­ge­stalt ha­ben wir ge­nug.«

    Ich ver­ste­he den Är­ger über sol­che Au­toren, die am En­de ih­rer gan­zen aka­de­mi­schen Placke­rei nur ein ent­schie­de­nes »viel­leicht« zu­stan­de brin­gen. Das ist auch nicht mein Ide­al und so et­was le­se ich nicht gern. Aber die star­ke The­se soll­te das Pro­dukt der Ar­beit sein, das heißt, man soll­te ih­re Plau­si­bi­li­tät auch an­hand der Fak­ten zei­gen kön­nen. Dann sind die Über­spit­zun­gen durch­aus le­gi­tim. Aber mög­li­che gra­vie­ren­de Ein­wän­de müs­sen eben be­rück­sich­tigt wer­den.

    Das se­he ich bei Slo­ter­di­jk nicht. Es ist die­ser ho­he Ton, der mich die Wän­de hoch­ge­hen lässt. Da­bei hat er ver­mut­lich sei­nen Schreib­tisch nie­mals ver­las­sen, um et­was über die Welt, über die er schreibt, her­aus­zu­fin­den. Phi­lo­so­phen nä­hern sich der Wirk­lich­keit ja oft, in­dem sie Bü­cher le­sen. Aber das ge­nügt manch­mal nicht.

    »Es ist doch auch die­se Zeit, die Kohl-Jah­re, die von den Ver­fech­tern der »Bon­ner Re­pu­blik« im nach­hin­ein noch ver­klärt wird. Im Grun­de knüpf­te doch Schrö­der dar­an an, als er die Wahl 1998 nicht zu­letzt da­mit ge­wann, dass er ver­sprach, nicht Vie­les an­ders son­dern bes­ser zu ma­chen.«

    Ich ge­be Ih­nen hier recht. An den Kohl­jah­ren gibt es nicht viel zu ver­klä­ren. Pas­send war der Klap­pen­text zu Glotz’ Ta­ge­bü­chern aus den Jah­ren 1993/94. Das war die Re­de von ei­nem Land, »über dem die Luft steht.«

    »aber seit den 80er Jah­ren sah von Weiz­säcker ei­ne Hal­tung bei den Wäh­lern, die der Po­li­tik ei­ne Art Blan­ko­scheck aus­stellt, wenn man da­für mit grö­sse­ren Ver­än­de­run­gen ver­schont bleibt«

    Das wird von der Po­li­tik­wis­sen­schaft teil­wei­se auch be­stä­tigt. Da ich sel­ber mal be­ruf­lich mit der Bun­des­po­li­tik zu tun hat­te, kann ich das auch aus ei­ge­ner Er­fah­rung be­stä­ti­gen. Es ist reich­lich schwer, die Leu­te an ih­re ei­ge­ne Ver­ant­wor­tung zu er­in­nern.

    »Ih­ren Ein­wand bezgl. der so­ge­nann­ten »Neo­li­be­ra­len« (ein Be­griff, der voll­kom­men falsch ver­wen­det wird, weil »Neo­li­be­ra­le« et­was ganz an­de­res sind, als im­mer be­haup­tet wird, aber las­sen wir das) nimmt Slo­ter­di­jk sehr wohl auf, als er den un­ter Kohl stän­dig noch aus­ge­bau­ten So­zi­al­staat an­spricht. Das ist ge­meint mit der For­mu­lie­rung Schrö­der mach­te die Po­li­tik, die Kohl li­stig ver­mied.«

    Ich mein­te et­was an­de­res: Laut Lö­sche und Wal­ter (Par­tei­en­for­scher aus Göt­tin­gen) setzt die ei­ne Re­gie­rung nur fort, was die an­de­re be­gann. Sie ge­lan­gen letzt­lich zu der Be­haup­tung, dass Rot-Grün erst dann an die Macht kam, als ei­gent­lich die Bun­des­re­pu­blik längst die wich­tig­sten rot-grü­nen Pro­jek­te ver­wirk­licht hat­te. Sie hat­ten mit Amts­an­tritt kaum noch was zu ver­wirk­li­chen. Franz Wal­ter be­haup­tet wei­ter, dass Schrö­ders Agen­da den »Neo­li­be­ra­lis­mus« (was das dann auch im­mer ge­nau ist) nur fort­setz­te, weil un­ter Kohl längst der Um­bau des So­zi­al­staa­tes be­gon­nen hat­te.

    Aber dass un­ter Kohl der So­zi­al­staat um­ge­baut wur­de, ist heu­te ver­ges­sen und des­halb kommt zur Ver­klä­rung der Kohl­zeit wohl auch der My­thos der so­zia­len Nest­wär­me hin­zu. Kohls Bun­des­re­pu­blik er­scheint so im Rück­blick als ru­hi­ges, freund­li­ches Wohl­stands­pa­ra­dies. Dies stimmt so – laut Franz Wal­ter – wohl nicht. Es gibt da tat­säch­lich mehr Re­form, als all­ge­mein wahr­ge­nom­men wird.

    Und das ist es, was ich sa­gen woll­te. Die­ses von Slo­ter­di­jk zu holz­schnitt­ar­tig ent­wor­fe­ne Sche­ma von Zä­su­ren und Tem­po­wech­sel, ana­log zu den Bun­des­tags­wah­len, wird so nicht stim­men.

    Auf der an­de­ren Sei­te glau­be ich auch nicht, dass die Mer­ke­lin ein­fach nur die Früch­te ih­res Zieh­va­ters ern­tet. Hi­sto­risch be­trach­tet hät­te sie ja auch mehr­mals schei­tern kön­nen, nicht zu­letzt war der Wahl­aus­gang 1995 äu­ßerst knapp. Im Rück­blick wirkt der Sie­ges­zug von Mer­kel fast zwangs­läu­fig, aber da­bei über­sieht man die Ri­si­ken, die sie hat aus­hal­ten müs­sen.

    Das än­dert frei­lich nichts dar­an, dass sie und an­de­re Fi­gu­ren Leu­te Kohls sind, die ih­re po­li­ti­sche Kul­tur un­ter Kohl er­wor­ben ha­ben. Wirk­lich auf­mun­ternd ist die­ser Gruß aus der Ver­gan­gen­heit nicht.

  14. Ir­gend­wie rat­los
    ...dar­über, dass sich die­se Feuil­le­ton-Dis­kus­si­on nicht pro­duk­ti­ver ge­stal­tet. Da­bei ist die Sloterdijk’sche Uto­pie

    Wä­re es dann nicht viel wür­de­vol­ler und so­zi­al­psy­cho­lo­gisch pro­duk­ti­ver, die­sel­ben Be­trä­ge wür­den nicht durch fis­ka­li­sche Zwangs­ab­ga­ben auf­ge­bracht, son­dern in frei­wil­li­ge Zu­wen­dun­gen von ak­ti­ven Steu­er­bür­gern an das Ge­mein­we­sen um­ge­wan­delt? Wür­de man nicht erst nach die­ser Um­stel­lung von Ent­eig­nung auf Spen­de wirk­lich von ei­ner Zi­vil­ge­sell­schaft spre­chen dür­fen, in der die Bür­ger mit dem Ge­mein­we­sen durch ei­ne per­ma­nen­te Selbst­über­win­dung und ei­ne ste­ti­ge Be­stä­ti­gung des Et­was-Üb­rig-Ha­bens fürs All­ge­mei­ne und Ge­mein­sa­me ver­bun­den sind?

    durch­aus be­den­kens­wert. Et­wa ei­ne »Zwi­schen­lö­sung«, die den­je­ni­gen der (ho­he) Steu­ern zahlt ein­bin­det, und ihm z.B. ei­ne Zweck­wid­mung er­mög­licht. Man darf sich nicht wun­dern – mir ist das aus Ge­sprä­chen be­kannt -, dass z.B. jun­ge (<30), gut ver­die­nen­de Men­schen eben weil sie ho­he Steu­ern be­zah­len müs­sen, kein (wei­te­res) In­ter­es­se an ei­nem so­zia­len En­ga­ge­ment u.ä. ha­ben, im­mer­hin in­ve­stie­ren sie 50% ih­rer Ar­beits­zeit für an­de­re.

    Dar­über nach­zu­den­ken ist le­gi­tim, und nicht je­der der das tut be­treibt ei­nen Klas­sen­kampf von oben.

  15. @Metepsilonema
    Ich wür­de mich auf den we­sent­lich aus­führ­li­che­ren Ar­ti­kel im Ci­ce­ro be­zie­hen.

    Das wä­re ei­ne sinn­vol­le Fra­ge, wenn das Steu­er­auf­kom­men (was na­tür­lich ge­ra­de von de­nen, die es am mei­sten zah­len müss­ten, am mei­sten ver­mie­den wird) und die Lei­stung kor­re­spon­die­ren wür­den. Das be­strei­te ich, was auch die viel­leicht un­an­ge­mes­se­ne Ve­he­menz er­klärt, mit der ich den Ar­ti­kel ver­ab­scheue. Es wird aber nicht Lei­stung be­zahlt und schon lan­ge nicht Lei­stung für das Ge­mein­wohl. Die nö­ti­gen Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten, die man be­nö­tigt, um über­pro­por­tio­na­le Ein­kom­men zu er­rei­chen, ge­hen in den sel­ten­sten Fäl­len mit ei­nem ge­sell­schaft­li­chen Al­tru­is­mus ein­her.

    Der ver­heu­chel­te ame­ri­ka­ni­sche Cha­ri­ty-Zir­kus ist ab­sto­ßen­des Bei­spiel ge­nug, um sich die Fra­ge zu stel­len, was man auf dem Fun­da­ment bau­en soll? Nicht mal den Kir­chen traut man in Deutsch­land zu, sich über ei­ne frei­wil­li­ge Ab­ga­be zu fi­nan­zie­ren. Aber in Not­ge­ra­te­ne sol­len Bro­sa­men auf­le­sen, statt ei­nen ver­brief­ten An­spruch zu ha­ben? Was ist da wür­de­vol­ler?

    Das Schwarz-Weiß-Den­ken, dass je­der Wohl­ha­ben­de so­fort den So­zi­al­schma­rot­zer von sei­nem Geld le­ben sieht und der Harz IV-Emp­fän­ger auf die da oben schimpft, die so­wie­so ma­chen, was sie wol­len, ist ge­nau so dumm, wie ab­zu­strei­ten, dass Ka­pi­tal (nicht Markt­wirt­schaft) in der west­li­chen Welt wie­der zu olig­ar­chi­schen Struk­tu­ren ge­führt hat.

  16. Schwarz-Weiss-Den­ken
    ist im­mer schlecht. Slo­ter­di­jks Po­le­mi­ken sind je­doch (mei­nes Er­ach­tens) Re­ak­tio­nen. Sie re­agie­ren auf ei­ne seit Jah­ren ge­führ­te Dis­kus­si­on, die sug­ge­riert, die Bun­des­re­pu­blik be­we­ge sich in Rich­tung Man­che­ster-Ka­pi­ta­lis­mus-Staat (an­de­re Schlag­wor­te sind »Neo­li­be­ra­lis­mus« [die mei­sten wis­sen vor lau­ter Schaum vor dem Mund gar nicht, was das in Wirk­lich­keit ist). Das gröss­te Sym­bol die­ser schein­ba­ren Ent­so­zia­li­sie­rung ist das, was mit dem Schlag­wort »Hartz-IV« ins Feld ge­führt wird und hef­tig be­kämpft wird (man kühlt da­mit sein Müt­chen oh­ne Ri­si­ko). Da­bei wird fast im­mer ver­ges­sen, wo das Geld her­kommt und dass die­se Form der Un­ter­stüt­zung kei­ne Dau­er­ali­men­tie­rung sein soll.

    Die Feuil­le­ton-Dis­kus­si­on kann ver­mut­lich nicht pro­duk­ti­ver ge­führt wer­den, weil die Mei­nungs­bo­jen den Weg (lei­der) vor­zeich­nen.

  17. Mei­nungs­bo­jen al­so. Und das bzgl. der Kri­tik ei­nes Tüm­pels des Feuil­le­tons, des­sen Tief­gang nie­mand ins Schwim­men bringt. Was ich ver­misst ha­be, wa­ren Ar­gu­men­te, als Fels in der Bran­dung so­zu­sa­gen. Dar­an kann man we­nig­stens zer­schel­len und nicht nur mit hoh­lem Ge­räusch plump an­schla­gen. Ich glau­be eher man be­wegt sich hier weit weg von der Kü­ste in der Dis­coun­ter-Aus­ga­be Ka­sta­li­ens und wirft Mur­meln, weil das ech­te Le­ben lang­weilt, so un­ori­gi­nell. Ich wünsch’ dann mal Mast und Schot­bruch.

  18. Ja, Mei­nungs­bo­jen
    Das zeigt doch die af­fekt­ge­steu­er­te Ab­leh­nung von Slo­ter­di­jks Text (der na­tür­lich sel­ber auch Mei­nungs­bo­jen setzt – wenn auch an­de­re). Wie­so muss ist man nur ein gu­ter Mensch, wenn man die­ses dum­me Schlag­wort­ge­re­de von der Ar­mut in Deutsch­land und/oder den un­ter­schied­li­chen Bil­dungs­chan­cen, die es ge­ben soll, mit­macht? War­um darf man nicht sa­gen, dass die Ver­ant­wor­tung für ei­ne gu­te Bil­dung zu­nächst im El­tern­haus liegt und sich nicht in 20 Eu­ro mehr Kin­der­geld do­ku­men­tiert (und auch nicht in 200 Eu­ro mehr do­ku­men­tie­ren wür­de)?

    Im Grun­de sagt Slo­ter­di­jk nichts an­de­res, als das die­je­ni­gen, die man hier ge­mein­hin Mit­tel­schicht nennt, am En­de ih­rer fi­nan­zi­el­len Mög­lich­kei­ten sind. Die »Gro­ssen«, von mir aus auch die »Rei­chen«, ha­ben ih­re Mög­lich­kei­ten, sich aus der Ver­ant­wor­tung zu steh­len, längst wahr­ge­nom­men. Es blei­ben nur die­je­ni­gen, die er pro­vo­ka­tiv »Lei­stungs­trä­ger« nennt. Das sind mehr­heit­lich die Leu­te, wel­che die So­zi­al­kas­sen fül­len. Die viel­be­schwo­re­ne So­li­da­ri­tät fährt der­zeit auf ei­ner Ein­bahn­stra­sse, in der es nur in ei­ner Rich­tung Zah­lungs­ab­sen­der und Zah­lungs­emp­fän­ger gibt.

    Was Slo­ter­di­jk aus­macht ist, dass sich der Fo­kus von der Schil­de­rung der »Hartz-IV«-Welt (in­klu­si­ve di­ver­ser Do­ku-So­aps im Fern­se­hen) ver­la­gert hat hin zu dem, was man, in sei­ner Dik­ti­on, den Lei­stungs­trä­ger-Dis­kurs nen­nen könn­te. Die von ihm ge­nann­ten po­li­ti­schen Ent­wick­lun­gen bei FDP und Lin­ke sind nicht oh­ne »Ar­gu­men­te« (wenn man sie denn le­sen möch­te), auch wenn sie na­tur­ge­mäss eher Be­haup­tun­gen blei­ben.

    Was ich nicht tei­len kann, ist Slo­ter­di­jks Eu­pho­rie ob ei­ner Art neu­en Sicht auf die Pro­ble­me – ich se­he ge­nau das Ge­gen­teil (nicht zu­letzt des­halb, weil der Staat in­fol­ge aku­ten Geld­man­gels kei­nen Hand­lungs­spiel­raum hat). Aber ghier­über gibt es ja gar kei­ne Dis­kus­si­on, weil man sich vor­her schon in ri­tua­li­sier­ter Ab­scheu ge­ba­det hat­te.

  19. Ei­ne Be­rufs­krank­heit von Soft­ware­ent­wick­lern ist, dass man die Ana­ly­se ei­ner Pro­blem­stel­lung auch im ech­ten Le­ben schwer ab­stel­len kann. Der zwang­haf­te Drang in al­lem und je­dem Ab­hän­gig­kei­ten zu fin­den, zu iso­lie­ren, um mög­lichst quer­ver­bin­dungs­freie Ker­ne ei­nes Sy­stems zu fin­den, lau­ert über­all. Der Vor­wurf der af­fekt­ge­steu­er­ten Ab­leh­nung ist ei­ne bo­den­lo­se Frech­heit. Üb­ri­gens ist dei­ne Re­zep­ti­on des Tex­tes ei­ne Trans­for­ma­ti­on in das Welt­bild, was du auch sonst ver­trittst. Ich glau­be nicht, dass dies dort so steht. Das soll es aber jetzt auch ge­we­sen sein.

  20. War­um so emp­find­lich?
    Die Ab­leh­nung ist mei­stens af­fekt­ge­steu­ert – nicht nur hier, be­son­ders auch in den FAZ- und Ci­ce­ro-Kom­men­ta­ren. Was ist an die­ser Fest­stel­lung ei­ne Un­ver­schämt­heit? Wer Slo­ter­di­jk mit At­tri­bu­ten wie Par­ty­lö­we ver­sieht und schreibt Ob dem Herrn Slo­ter­di­jk klar ist, dass es ihn oh­ne die­sen klep­to­kra­ti­schen Se­mi-So­zia­lis­mus nicht gä­be? ver­teilt Be­nimm­kärt­chen? Bit­te nicht.

    Die Stel­le Üb­ri­gens ist dei­ne Re­zep­ti­on des Tex­tes ei­ne Trans­for­ma­ti­on in das Welt­bild, was du auch sonst ver­trittst. Ich glau­be nicht, dass dies dort so steht. ver­ste­he ich nicht.

    Na­tür­lich ist mei­ne In­ter­pre­ta­ti­on ei­ne Trans­for­ma­ti­on bzw. In­ter­pre­ta­ti­on (ich sag’ ja nicht, dass es die »rich­ti­ge« ist – falls es so ei­ne gibt). Ich muss auch gar nicht 100% mit dem Text über­ein­stim­men (in der hi­sto­ri­schen Be­wer­tung der Kohl­jah­re bspw. ha­be ich ja mei­ne Vor­be­hal­te for­mu­liert) – aber ihn nur des­we­gen nicht zur Kennt­nis zu neh­men, weil er sich mit dem Ge­gen­satz von Kran­ken­schwe­ster-Be­zü­gen und den in der Tat un­ver­schäm­ten No­tar­ge­büh­ren nicht be­schäf­tigt – das ist mir ein biss­chen zu ein­fach.

  21. @Peter42
    Mich wür­de ei­ne ge­naue­re Be­grün­dung in­ter­es­sie­ren, war­um Du der An­sicht bist, dass im all­ge­mei­nen nicht lei­stungs­be­zo­gen be­zahlt wird – ich mei­ne kei­ne Aus­rei­ßer nach oben hin, über die wir oh­ne­hin ei­nig sind, son­dern war­um das z.B. in der so­ge­nann­ten Mit­tel­schicht nicht der Fall sein soll­te, ein­schließ­lich des­sen was »Lei­stung« ist, und was »an­ge­mes­sen«. (Ich kann Gre­gor da schon ein we­nig ver­ste­hen: Die Re­ak­tio­nen sind oft dra­stisch, die Be­grün­dung bleibt spär­lich, und das är­gert dann den­je­ni­gen, an den es ge­rich­tet ist. Ich den­ke auch, dass die ge­sam­te Dis­kus­si­on im Sin­ne des Ge­sell­schaft­li­chen Zu­sam­men­halts be­grü­ßens­wert ist, aber da­für muss man über ei­ne Ab­wehr der Ge­gen­po­si­ti­on hin­aus­ge­hen.)

    Ähn­li­ches gilt für die olig­ar­chi­schen Struk­tu­ren: Klar, glo­bal agie­ren­de Un­ter­neh­men und/oder Ka­pi­tal be­deu­ten po­ten­zi­el­le Macht. Aber erst de­ren Kon­kre­ti­sie­rung, kann man be­wer­ten, und da­für braucht es Bei­spie­le, je­den­falls tue ich mir sonst mit ei­ner Dis­kus­si­on schwer.

    War­um soll­te ich mich auf den Ci­ce­ro-Ar­ti­kel be­zie­hen?

  22. Ich wüss­te gar nicht, wo ich an­fan­gen soll­te. Er­trä­ge aus Bör­sen­spe­ku­la­tio­nen oder Ka­pi­tal­ge­schäf­ten, die nicht je­dem of­fen ste­hen, hal­te ich per se für mo­ra­lisch frag­lich. Im Steu­er­recht gibt es noch hau­fen­wei­se Be­gün­sti­gun­gen ge­sell­schaft­li­cher Grup­pen, die ge­nug Ein­fluss ha­ben. Die Be­frei­ung von der Ge­wer­be­steu­er für Be­rufs­grup­pen wie Ärz­te, Rechts­an­wäl­te etc. ist z.B. noch ech­tes Re­likt aus der Zeit vor 1918. Da pro­fi­tie­re ich noch heu­te von, da ich als Dipl.Ing. kei­ne Ge­wer­be­steu­er zah­le. Tä­te das ein un­ge­lern­ter Ent­wick­ler, müss­te er. Die Ge­werk­schaft, die am ef­fek­tiv­sten strei­ken kann, er­reicht hö­he­re Lohn­stei­ge­run­gen (man schaue sich nur die Un­ter­be­zah­lung der so­zia­len Be­ru­fe an). etc.pp.

    Aber ma­che ein­fach mal ein Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment. Un­ter der An­nah­me, dass je­der al­les kann und je­der Job gleich be­zahlt wird, muss die ge­sam­te Ar­beit ver­teilt wer­den. Na­tür­lich wird man­che Ar­beit be­lieb­ter sein, an­de­re eher ge­mie­den. Im zwei­ten Schritt senkt man jetzt das Ein­kom­men der be­lieb­ten zu Gun­sten der un­be­lieb­ten Tä­tig­kei­ten. Das führt man wei­ter, bis al­le Jobs ver­ge­ben sind und ver­gleicht das Er­geb­nis mit der tat­säch­li­chen Ver­tei­lung. Was meinst du, wie das Er­geb­nis aus­sä­he? Das wä­re üb­ri­gens für mich Sinn und Zweck der Markt­wirt­schaft.

    P.S. Na­tür­li­cher­wei­se fin­de ich mei­ne Ar­gu­men­ta­ti­on nicht dürf­tig. Die von dir zi­tier­te The­se ist durch mein Kir­chen­bei­spiel nicht sturm­reif ge­schos­sen?
    P.P.S. Die olig­ar­chi­schen Struk­tu­ren sind nicht mehr zu über­se­hen. Wel­che we­sent­li­chen Ent­schei­dun­gen un­ter­lie­gen noch dem of­fe­nen de­mo­kra­ti­schen Dis­kurs?
    P.P.P.S. der Ci­ce­ro-Ar­ti­kel ist aus­führ­li­cher und da­mit nach­voll­zieh­ba­rer.

  23. Er­trä­ge aus Bör­sen­spe­ku­la­tio­nen oder Ka­pi­tal­ge­schäf­ten, die nicht je­dem of­fen ste­hen, hal­te ich per se für mo­ra­lisch frag­lich.
    Wel­che Bör­sen­spe­ku­la­tio­nen oder Ka­pi­tal­ge­schäf­te ste­hen denn nicht je­dem of­fen?

    Im Steu­er­recht gibt es noch hau­fen­wei­se Be­gün­sti­gun­gen ge­sell­schaft­li­cher Grup­pen, die ge­nug Ein­fluss ha­ben.
    Was hat das mit Slo­ter­di­jks Ar­ti­kel zu tun?

    Be­frei­ung von der Ge­wer­be­steu­er für Be­rufs­grup­pen wie Ärz­te, Rechts­an­wäl­te etc. ist z.B. noch ech­tes Re­likt aus der Zeit vor 1918.
    Die Sekt­steu­er ist ein Re­likt vor dem Er­sten Welt­krieg. Noch ein­mal: Was hat es mit dem Te­nor von Slo­ter­di­jk zu tun?

    Sinn und Zweck der Markt­wirt­schaft ist es, die Ar­beit nach Kri­te­ri­en der Be­liebt­heit zu ent­loh­nen? Was, wenn der »Markt« dies nicht macht (wie ge­habt)? Wer be­stimmt den, was »be­liebt« ist und was nicht?

    Wel­che we­sent­li­chen Ent­schei­dun­gen un­ter­lie­gen noch dem of­fe­nen de­mo­kra­ti­schen Dis­kurs?
    War­um ist das denn so? Wo ist denn die Mo­ti­va­ti­on der Bür­ger ge­blie­ben, sich ak­tiv zu en­ga­gie­ren? (Man kann ja über die Pi­ra­ten­par­tei den­ken, was man will – aber das ist im­mer­hin ein An­fang). Oder weil sie sich längst in ih­rer schein­ba­ren Be­deu­tungs­lo­sig­keit suh­len?

  24. Dass mei­ne Fra­ge nicht ganz so ab­we­gig ist, wie du ver­mu­test, mag die­ser Ar­ti­kel aus der lin­ken Kra­wall­pres­se zei­gen. Dort fin­det man auch an­de­re Stim­men, die mei­ne Aver­si­on ge­gen die Glei­chung Lei­stungs­trä­ger = Steu­er­ak­ti­ve tei­len. Ich wie­der­ho­le mich: Wenn Ein­kom­men und Lei­stung nicht di­rekt kor­re­lie­ren, ist der Ar­ti­kel Slo­ter­di­jks nicht nur ober­fläch­lich, son­dern Un­fug. Das ha­be ich ver­sucht zu zei­gen. Und hät­test du ver­sucht das Ge­dan­ken­spiel ein­mal ex­em­pla­risch durch­zu­füh­ren, wärst du ver­mut­lich auf den Trich­ter ge­kom­men, was ich mei­ne. An­ge­bot und Nach­fra­ge in sei­ner rein­sten Form. Da die Pra­xis völ­lig an­ders aus­sieht, soll­te man ver­mu­ten, dass et­was faul ist. Viel­leicht kauft die INSM ja des­halb Sen­de­zeit in den Dai­ly So­aps?

    Der be­rühm­te Alt­sta­li­nist Chri­sti­an Ude be­haup­tet üb­ri­gens: Aber die Steu­er­frei­heit ge­wis­ser Be­rufs­spar­ten ist ein Re­likt aus dem 19. Jahr­hun­dert und ge­hört drin­gend mo­di­fi­ziert. Et­was nüch­ter­ner er­scheint der Blick des Ju­ri­sten. Bei­des von der er­sten Goog­le-Tref­fer­sei­te.

    Wo ist denn die Mo­ti­va­ti­on der Bür­ger ge­blie­ben, sich ak­tiv zu en­ga­gie­ren?

    Das ist al­ler­dings ei­ne Fra­ge, die sich lohnt zu be­ant­wor­ten.

    Zu den Oli­go­po­len schrei­be ich nichts mehr. Wer das nach den letz­ten zwei Jah­ren be­strei­tet, ist als Dis­kus­si­ons­part­ner un­in­ter­es­sant.

  25. Spät, aber doch ...
    @Peter42

    Die Men­schen wer­den, so­lan­ge sie mit we­ni­ger Geld (noch) gut aus­kom­men, je­ne Tä­tig­kei­ten wäh­len, die sie lie­ber ha­ben, ganz klar (mein Haupt­kri­tik­punkt ist, dass es aber kei­ne all­ge­mei­ne Be­liebt­heit gibt, sieht man von ei­ni­gen Be­ru­fen ab: Man­cher ist lie­ber Tisch­ler als Ban­ker, oder Gärt­ner als Jour­na­list, und zu­dem kann eben nicht je­der al­les gleich gut). Wor­auf ge­nau willst Du hin­aus? Dass die be­lieb­ten Tä­tig­kei­ten auch noch gut be­zahlt wer­den, und um­ge­kehrt? Müs­sen nicht auch Aus­bil­dung, Kön­nen, Ver­ant­wor­tung, Nach­fra­ge u.a. ein­be­zo­gen wer­den?

    Die von dir zi­tier­te The­se ist durch mein Kir­chen­bei­spiel nicht sturm­reif ge­schos­sen? Nein, weil ich nicht von Frei­wil­lig­keit ge­spro­chen ha­ben, zu­min­dest nicht im hier und heu­te. Prin­zi­pi­ell: Was wä­re falsch dar­an, ein Ab­ga­ben­mo­dell zu ent­wickeln, das an­ders als heu­te üb­lich funk­tio­niert, und die »Ge­ben­den« mit den »Neh­men­den« an­ders als über Zwang ver­bin­det?

    Die olig­ar­chi­schen Struk­tu­ren sind nicht mehr zu über­se­hen. Wel­che we­sent­li­chen Ent­schei­dun­gen un­ter­lie­gen noch dem of­fe­nen de­mo­kra­ti­schen Dis­kurs? Auch auf die Ge­fahr hin, dass ich als Dis­kus­si­ons­part­ner un­in­ter­es­sant wer­de, wenn wir da nicht kon­kre­ter wer­den, hat es we­nig Sinn, den Punkt wei­ter zu be­leuch­ten. Es ist doch nicht so, dass – um ein Bei­spiel zu nen­nen – in Kli­ma- und En­er­gie­po­li­tik ein­zig und al­lein Kon­zer­ne be­stim­men wo und wie es wei­ter­ge­hen soll.

    Es mag sein, dass der Ci­ce­ro-Ar­ti­kel aus­führ­li­cher ist, aber die ent­spre­chen­de Stel­le scheint mir Slo­ter­di­jks Idee kom­pri­miert wie­der­zu­ge­ben, und da mir beim Le­sen kei­ne Un­ter­schie­de auf­ge­fal­len sind, se­he ich ei­gent­lich kei­ne Ver­an­las­sung et­was zu än­dern.

    Zum Steu­er­recht­li­chen erst, wenn ich den ver­link­ten Ar­ti­kel ge­le­sen ha­be.

  26. Falls du dies noch nicht ge­le­sen hast, glaubst du viel­leicht die­sem Ma­ga­zin mehr als mir, dass es olig­ar­chi­sche Struk­tu­ren gibt. Und was glaubst du denn, wer die Kli­ma- und En­er­gie­po­li­tik do­mi­niert? Ein Blick auf die tat­säch­li­che Pra­xis an der En­er­gie­bör­se in Leip­zig reicht. Eben­so bin ich es mü­de, über die Bin­sen­weis­heit des deut­schen stän­disch ge­präg­ten Steu­er­sy­stems zu sal­ba­dern und dann noch von je­mand der zu faul ist ein­mal zu goo­geln mit ei­ner Sekt­steu­er­po­le­mik über­zo­gen zu wer­den. Manch­mal mag man ver­zwei­feln.

  27. @Peter42 / Feind­bil­der
    Es ist im­mer wie­der in­ter­es­sant, auf Spie­gel-Ar­ti­kel ver­wie­sen zu wer­den und Du hast recht – ich er­spa­re mir das Goog­len von an­de­ren viel­leicht 10 Spie­gel-Ar­ti­kels, die das Ge­gen­teil be­haup­ten. Mich in­ter­es­siert auch nicht, was Herr Ude von ir­gend­wel­chen Stän­de­sy­ste­men sagt, von de­nen er im­mer wei­ter flei­ßig pro­fi­tiert und die ab­zu­schaf­fen er und sei­ne Par­tei nicht den Mut hat­te.

    Es ist mü­ßig, die Po­li­tik da­für ver­ant­wort­lich zu ma­chen, dass der Bür­ger sich nicht mehr in der Po­li­tik ar­ran­giert. Ein per­fek­ter De­le­ga­ti­ons­mo­dus, um die ei­ge­ne Le­thar­gie (!) an­de­ren in die Schu­he zu schie­ben. Ich mag es nicht mehr hö­ren, die wohn­zim­mer­wär­mi­ge Faul­heit (das ist nicht ad ho­mi­nem ge­meint) und das Her­um­gen­öle, die an­de­ren sol­len doch bit­te.

    Ähn­li­ches sieht man beim so­ge­nann­ten Kli­ma­gip­fel – Ent­rü­stung über­all, weil die Da­men und Her­ren Re­gie­rungs­chefs sich nicht ha­ben ei­ni­gen kön­nen und dann mal schnell mit dem Wa­gen zum Bäcker ge­fah­ren. Te­nor: Wenn DIE sich nicht ei­ni­gen kön­nen, war­um soll ich? Ist denn die­ser Ken­ne­dy-Spruch so falsch, nur weil er von ei­nem Ame­ri­ka­ner ist?

    Kli­schees, ich weiß. Aber was bringt es, in der INSM den bö­sen Feind zu se­hen, der uns un­ter­wan­dert? Man wähnt sich zwar auf der rich­ti­gen Sei­te – aber wie wei­ter? Und von »olig­ar­chi­sche Struk­tu­ren« zu spre­chen als leb­ten wir in Russ­land ist dop­pel­ter Un­sinn. Er­stens kann je­der ei­nen ak­ti­ven po­li­ti­schen Bei­trag lei­sten (sie­he oben) und zwei­tens sug­ge­riert es, als sei frü­her al­les bes­ser ge­we­sen. Und da hül­fe na­tür­lich dann doch der Blick auf Slo­ter­di­jks Be­schrei­bung der Kohl- und Schrö­der-Jah­re, die­ses Wech­sel­spiel zwi­schen Aus­sit­zen und »Re­for­mie­ren« und die Par­al­le­len zu Schmidt sind zum Grei­fen na­he.

    Und wenn man mir den Be­griff »Lei­stung« ein biss­chen mehr de­fi­niert, dann könn­te man auch dar­über re­den, wie lei­stungs­be­zo­ge­ne Ein­kom­men aus­se­hen könn­ten und vor al­lem wer die­se fest­legt.

  28. Schau dir mal an, wer in Deutsch­land kei­ne Ge­wer­be­steu­er zahlt und gleich­zei­tig ei­ner Ge­büh­ren­ord­nung un­ter­liegt. Steu­er­vor­tei­le ge­gen­über Schlech­ter­ver­die­nen­den ein­strei­chen, sich aber selbst nicht der viel be­schwo­re­nen Markt­wirt­schaft aus­set­zen? Das sind Re­lik­te aus dem 19. Jahr­hun­dert, die nie­mand ernst­haft be­zwei­felt. Wenn du das nicht weist, ist das dein Pro­blem. Weg dis­ku­tie­ren kann man die­se Tat­sa­chen nicht.

    Dir mag es un­an­ge­nehm sein, dass viel schwa­dro­niert und we­nig ge­tan wird. Da die Pra­xis aber zeigt, dass man bei Ak­ti­vi­tä­ten für das Ge­mein­wohl im klei­nen bür­ger­li­chen Rah­men im­mer nur mit den glei­chen zwei, drei Mann er­scheint, soll­te man dies als Tat­sa­che hin­neh­men. Geiz ist geil und ich bin ich. In un­se­rer Stra­ße wohnt z.B. ei­ne Fa­mi­lie, die auf das Au­to ver­zich­tet, die ob­li­ga­to­ri­sche »Ge­mü­se­ki­ste« er­hält und sich auch sonst kon­se­quent öko­lo­gisch und mo­ra­lisch ver­hält. Letz­te Wo­che hat­ten Acker­mann und Ber­no­tat noch auf die­se Fa­mi­lie ver­wie­sen und auf Re­kord­ge­win­ne auf Ko­sten der All­ge­mein­heit ver­zich­tet und wol­len Kern­kraft ge­gen den Wil­len der Mehr­heit nicht mehr for­cie­ren. Von wem er­war­test du, In­ter­es­sen ge­gen die Deut­sche Bank oder EnBW durch­set­zen zu wol­len? Das ist in Deutsch­land fast aus­ge­schlos­sen, wenn es nicht um Ne­ben­kriegs­schau­plät­ze geht.

    In der glo­ba­li­sier­ten Welt sind ei­ner Sei­te die Macht­mit­tel stark be­schnit­ten wor­den, die an­de­re ist mas­siv ge­stärkt wor­den (man schaue auf die hilf­lo­sen, ge­schei­ter­ten Ver­su­che der SPD sich der Tat­sa­che der Hedge­fonds und von Pri­va­te Equi­ty zu ent­zie­hen). Nur noch hoch­qua­li­fi­zier­te Fach­ar­bei­ter könn­ten ge­werk­schaft­lich or­ga­ni­siert (ge­ra­de die sind es kaum noch) über­haupt noch Ein­fluß aus­üben. Die Dia­ko­nie hat z.B. ge­ra­de für ihr Pfle­ge­per­so­nal die Löh­ne dra­stisch ge­senkt, wäh­rend der Mar­bur­ger Bund zum drit­ten Mal in Fol­ge weit über­durch­schnitt­li­che Stei­ge­run­gen for­dert. Die näch­sten Jah­re bis Jahr­zehn­te wer­den man­gels Mas­se Zei­ten von Ver­tei­lungs­kämp­fen wer­den, de­ren Ge­win­ner heu­te schon be­kannt sind.

    Da braucht man nicht von gu­ten al­ten Zei­ten spre­chen. Der Mit­tel­punkt hat sich schlicht ver­scho­ben und die un­pro­duk­ti­ve Fi­nanz­bran­che ist vier­te Macht im Staat.