Pe­ter Wald­mann: Ter­ro­ris­mus – Pro­vo­ka­ti­on der Macht

Peter Waldmann: Terrorismus - Provokation der Macht

Pe­ter Wald­mann: Ter­ro­ris­mus – Pro­vo­ka­ti­on der Macht

Die­je­ni­gen, die sich mit ei­ner ge­nau­en und in­ten­si­ven Be­schäf­ti­gung über Ter­ro­ris­mus fast zwangs­läu­fig jen­seits von Hy­ste­rie und Af­fekt be­ge­ben, lernt der Me­di­en­nut­zer fast aus­schließ­lich über das Me­di­um Buch ken­nen. Hier be­steht (noch) die Mög­lich­keit, sich dif­fe­ren­ziert mit ei­nem Phä­no­men aus­ein­an­der­zu­set­zen, das in Wirk­lichkeit (fast) so alt ist wie die Mensch­heit. Nach den An­schlägen vom 11. Sep­tem­ber 2001 hat­ten Bü­cher über Ter­ro­ris­mus ei­nen kaum für mög­lich ge­hal­te­nen Boom er­fah­ren. Bis hin­ein in die po­pu­lär­wis­sen­schaft­li­che Li­te­ra­tur gilt nun das als un­ter­su­chens­wert, was ge­mein­hin frü­her als das häss­li­che Werk­zeug ei­ni­ger we­ni­ger fa­na­ti­sier­ter Spin­ner ab­ge­tan wur­de. Um­so zahl­rei­cher presch(t)en in den gän­gi­gen Me­di­en die so­ge­nann­ten »Ter­ro­ris­mus-Ex­per­ten« nach vor­ne, die je­doch mit zu­meist aus all­ge­mein zu­gäng­li­chen Quel­len zu­sam­men­ge­ba­stel­ten The­sen nur sehr ober­fläch­li­che Ana­ly­sen an­bie­ten und all­zu ger­ne in fahr­läs­sig kon­stru­ier­te Be­dro­hungs­sze­na­ri­en ver­fal­len.

Oh­ne Zwei­fel ge­hört Pe­ter Wald­mann zu den Ex­per­ten, de­nen je­mand wie El­mar The­ve­ßen nicht das Was­ser rei­chen kann. Hier­in dürf­te ei­ner der Grün­de lie­gen, war­um man von Wald­mann im Fern­se­hen so gut wie nie et­was hört. Er ver­mei­det wohl­tu­end emo­tio­na­le Hy­per­ven­ti­lie­run­gen und bleibt nüch­tern. Da­für be­müht er häu­fig die Wis­sen­schaft­lich­keit sei­ner Er­he­bun­gen, speist The­sen aus Sta­ti­sti­ken und zieht hier­aus Schlüs­se. So ver­sucht er die Ba­lan­ce zwi­schen über­er­reg­ter Stamm­tisch-Ver­dam­mung und alt­lin­kem Ein­füh­lungs­ver­mö­gen zu fin­den. Sein Buch »Ter­ro­ris­mus – Pro­vo­ka­ti­on der Macht« er­schien 2011 in ei­ner 3. und ak­tua­li­sier­ten Auf­la­ge; am En­de konn­te so­gar noch die Er­mor­dung Osa­ma bin La­dens auf­ge­nom­men wer­den. Da­bei hät­ten die grund­sätz­li­chen Er­läu­te­run­gen aus den vo­ri­gen Auf­la­gen kaum ei­ner Er­gän­zung be­durft. Es geht wohl um die auf­ge­nom­me­nen Sta­ti­sti­ken und die am En­de des Bu­ches auf­ge­führ­ten Li­sten (der »Groß­an­schlä­ge mit fünf­zig und mehr To­des­op­fern« [ei­gent­lich ei­ne ent­behr­li­che Auf­zäh­lung] und die »der wich­tig­sten ter­ro­ri­sti­schen Grup­pen 1960–2010«), die fort­lau­fen­de Er­gän­zun­gen not­wen­dig ma­chen bzw. zu ma­chen schei­nen.

De­fi­ni­tio­nen

Zu­nächst wird sinn­vol­ler­wei­se der Staats­ter­ro­ris­mus und der Gue­ril­la­kampf vom »nor­ma­len« Ter­ro­ris­mus ab­ge­grenzt (ob­wohl es ins­be­son­de­re zum Gue­ril­la­kampf durch­aus Par­al­le­len gibt) und fol­gen­de De­fi­ni­ti­on vor­ge­schla­gen: Un­ter Ter­ro­ris­mus sind plan­mä­ßig vor­be­rei­te­te, schockie­ren­de Ge­walt­an­schlä­ge aus dem Un­ter­grund ge­gen ei­ne po­li­ti­sche Ord­nung zu ver­ste­hen. Sie sol­len vor al­lem Un­si­cher­heit und Schrecken ver­brei­ten, da­ne­ben aber auch Sym­pa­thie und Un­ter­stüt­zungs­be­reit­schaft er­zeu­gen.. Da­bei geht es, so Wald­mann we­ni­ge Sei­ten spä­ter schon ein­schrän­kend, dem Ter­ro­ri­sten we­ni­ger um den ei­gent­li­chen Zer­stö­rungs­ef­fekt sei­ner Ak­tio­nen. Die­se sind nur ein Mit­tel, ei­ne Art Si­gnal, um ei­ner Viel­zahl von Men­schen et­was mit­zu­tei­len. Ter­ro­ris­mus, das gilt es fest­zu­hal­ten, ist pri­mär ei­ne Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gie. Ei­ne un­glück­li­che Formu­lierung, denn es geht ja sehr wohl um den »Ef­fekt« der Zer­stö­rung, wie er dann spä­ter auch aus­drückt: Der Schock­ef­fekt ist der zentrale[n] Be­stand­teil ter­ro­ri­sti­scher Lo­gik. Die­ser Schock­ef­fekt kann je­doch nur über ei­ne über­aus spek­ta­ku­lä­re Zer­stö­rung (mit not­wen­di­ger­wei­se vie­len Op­fern) er­zielt wer­den.

Hier wird ex­em­pla­risch ein im­mer wie­der auf­flackern­des Di­lem­ma die­ses Bu­ches deut­lich: Eben noch ei­ne The­se auf­ge­stellt – wird sie manch­mal nur we­ni­ge Sei­ten spä­ter ab­ge­wan­delt und re­la­ti­viert. Im Bei­spiel des Schock­ef­fekts heißt es ei­ne Sei­te spä­ter: Die­se Be­trach­tungs­wei­se, die aus­schließ­lich auf die Ne­ga­tiv­ef­fek­te ter­ro­ri­sti­scher An­schlä­ge ab­stellt, wird der Kom­ple­xi­tät der ter­ro­ri­sti­schen Bot­schaft nicht ge­recht. Na­tür­lich hat Wald­mann recht, wenn er fest­stellt, dass die An­schlä­ge für ei­nen Teil der Be­völ­ke­rung als Hoff­nungs­zei­chen ge­dacht wer­den muss. Aber war­um wird hier­aus plötz­lich ein Ge­gen­satz kon­stru­iert? Ist es nicht mög­lich, dass Ter­ror­ak­te für die bei­den Sei­ten un­ter­schied­li­che In­ter­pre­ta­tio­nen lie­fern kön­nen? Was für die über­wie­gen­de Mehr­heit ein verabscheu­ungswürdiger »Schock­ef­fekt« ist, mag für die (we­ni­gen) An­hän­ger ein Si­gnal sein. Aber ge­ra­de über die In­ter­de­pen­den­zen zwi­schen Ter­ro­ri­sten und Me­di­en er­fährt man lei­der viel zu we­nig in die­sem Buch (hier­für gibt je­doch glück­li­cher­wei­se An­dre­as El­ters »Pro­pa­gan­da der Tat«).

Pen­deln zwi­schen The­se und Aus­nah­me

Ein­ge­lei­tet wird je­des Ka­pi­tel mit ei­ner Art Ex­zerpt, was auf Dau­er ner­vig ist und ge­le­gent­lich zu Red­un­dan­zen führt. Zu­dem ist sein Ton manch­mal be­leh­rend und flos­kel­haft. Lau­fend wird der Le­ser auf­ge­for­dert, et­was nicht zu un­ter- oder zu über­schät­zen. Bis­wei­len wirkt das Po­chen auf Wis­sen­schaft­lich­keit un­frei­wil­lig ko­misch. Wenn Wald­mann bei­spiels­wei­se den Nach­ah­mungs­ef­fekt ter­ro­ri­sti­scher Ak­tio­nen durch die Be­richt­erstat­tung in den Me­di­en un­ter­sucht heißt es zu­nächst: Für den nicht po­li­ti­schen Be­reich ist er­wie­sen, dass me­dia­len Ge­walt­in­for­ma­tio­nen und ‑dar­stel­lun­gen, vor al­lem wenn sie auf rea­len, nicht bloß fik­ti­ven Vor­gän­gen und Er­eig­nis­sen be­ru­hen, un­ter Um­stän­den ein ge­wis­ses An­steckungs­po­ten­ti­al zu­kom­men kann. Schon die For­mu­lie­rung »un­ter Umständen…kann« ist reich­lich un­ver­bind­lich. Im näch­sten Satz re­la­ti­viert Wald­mann dann auch noch die­se schwam­mi­ge Aus­sa­ge: Ob sich nun die­se Er­kennt­nis auch auf den Ter­ro­ris­mus über­tra­gen lässt, ist ei­ne kom­ple­xe und bri­san­te Fra­ge, auf die es kei­ne ein­deu­ti­ge Ant­wort gibt. War­um dann al­so die­ses Auf­he­ben?

Im­mer wie­der stellt der Au­tor The­sen­punk­te zu­sam­men – um sie dann flugs in schein­ba­rer Prä­zi­sie­rung und Per­fek­tio­nie­rung ein­zu­schrän­ken. So wird der mehr­mals er­wähn­te Rechts­ter­ro­ris­mus (der mit dem Zu­satz vi­gi­l­an­ti­stisch ver­se­hen wird) als eigentümliche[r] Zwi­schen­platz in der Di­cho­to­mie »Ter­ror von oben« und »Ter­ror von un­ten« auf­ge­führt. Wald­mann führt Un­ter­schie­de zu den so­zi­al-re­vo­lu­tio­nä­ren und eth­nisch-na­tio­na­li­sti­schen Ter­ror­or­ga­ni­sa­tio­nen an (letz­te­re wä­re si­cher­lich mit dem Zu­satz »se­zes­sio­ni­stisch« bes­ser spe­zi­fi­ziert), die je­doch bei nä­he­rer Sicht nicht im­mer grei­fen. Rechts­ra­di­ka­le Ge­walt (wie­so »nur« »Ge­walt«?) sei ein ty­pi­sches Grup­pen­de­likt, so Wald­mann. Aber das ist ein All­ge­mein­platz und nicht auf Rechts­ra­di­ka­le be­schränkt (wie er an an­de­rer Stel­le im Buch auf­zeigt). Und nicht nur im Rechts­ter­ro­ris­mus gibt es »Teil­zeit­ter­ro­ri­sten«. Auch die Aus­sa­ge, die rechts­ter­ro­ri­sti­schen Ak­tio­nen sei­en ei­ne Mi­schung aus spon­ta­nem Ent­schluss und ge­ziel­ter Pla­nung und oft un­ter Al­ko­hol­ein­fluss ge­plant wor­den, sticht nicht be­son­ders.

Zu­tref­fend scheint dann wie­der die Fest­stel­lung, rechts­ter­ro­ri­sti­sche Krei­se sei­en auf mar­gi­na­li­sier­te so­zia­le Grup­pen fo­kus­siert, die wehr­los sind und vor die sich nie­mand stellt. In­ter­es­sant ist da­bei we­ni­ger, dass das Ziel der An­schlä­ge sei, in der be­tref­fen­den Be­völ­ke­rungs­grup­pe Angst und Schrecken aus­zu­lö­sen (das ist ja ge­nu­in für je­de Form von Ter­ro­ris­mus), son­dern ih­re An­ge­hö­ri­gen nach Mög­lich­keit da­zu zu be­we­gen, das Land be­zie­hungs­wei­se den be­tref­fen­den Ort zu ver­las­sen (ei­ne Aus­sa­ge, die auch für den eth­nisch-se­zes­sio­ni­sti­schen Ter­ro­ris­mus gilt). Wür­de die­se Ein­schät­zung zu­tref­fen, wä­re die »NSU« kei­ne ter­ro­ri­sti­sche Ver­ei­ni­gung ge­we­sen (Wald­manns Buch war vor den Ent­hül­lun­gen zur »NSU« fer­tig­ge­stellt), wäh­rend der in ei­ni­gen Ge­bie­ten be­son­ders in Ost­deutsch­land agie­ren­de Stra­ßen­mob, der »aus­län­der­freie Zo­nen« pro­pa­giert, sehr wohl da­zu­ge­hört.

Voll­ends im Pen­deln zwi­schen The­se und Aus­nah­me ver­hed­dert sich Wald­mann in den Por­traits von vier Ter­ro­ri­sten. Es wird so­gar die Fra­ge nach dem sta­ti­sti­schen Durch­schnittsterroristen auf­ge­wor­fen und tat­säch­lich ei­ne Ty­po­lo­gie ent­wickelt – die we­ni­ge Zei­len spä­ter re­la­ti­viert wird, weil sie nicht ver­ab­so­lu­tier­bar ist. Wenn die recht dürf­ti­gen Por­traits et­was zei­gen, dann nur die weit dif­fe­rie­ren­den bio­gra­fi­schen An­läs­se und Mo­ti­va­tio­nen für ter­ro­ri­sti­sche »Kar­rie­ren«. Am En­de hat man rund 30 Sei­ten oh­ne be­son­de­ren Er­kennt­nis­ge­winn ge­le­sen.

Zu­wei­sun­gen

Wald­mann zeigt kur­so­risch, wie der Ter­ro­ris­mus seit Jahr­tau­sen­den in der Mensch­heit ver­an­kert ist. Sehr in­struk­tiv ist das Ka­pi­tel über die Geld­be­schaf­fung ter­ro­ri­sti­scher Or­ga­ni­sa­tio­nen. Es wird ge­zeigt, wie die Ent­wick­lung von eher ru­sti­ka­len Raub­zü­gen über Ent­füh­run­gen und Kon­tak­ten zur or­ga­ni­sier­ten Kri­mi­na­li­tät (bspw. ko­pier­te man das »Mo­dell« der Schutz­geld­erpres­sun­gen), der Fi­nan­zie­rung durch Des­po­ten an­de­rer Staa­ten bis hin zum le­ga­len Un­ter­neh­mer­tum durch Sym­pa­thi­san­ten fort­ge­schrit­ten ist. Er­hel­len­de Ein­sich­ten, die er­staun­lich we­nig Be­rück­sich­ti­gung fin­den.

Der Au­tor ist au­gen­schein­lich ein Freund aus­gie­bi­ger Sta­ti­sti­ken – ins­be­son­de­re mit den Zah­len von der »RAND Cor­po­ra­ti­on«, ei­ner Denk­fa­brik aus den USA mit durch­aus neo­kon­ser­va­ti­vem Po­ten­ti­al. Durch die Mon­stro­si­tät des An­schlags von 2001 (be­son­ders was die Op­fer­zah­len an­geht), be­kom­men die Sta­ti­sti­ken je­doch ei­ne Schlag­sei­te. Gänz­lich schwie­rig wird es, wenn die Op­fer­zah­len ter­ro­ri­sti­scher Grup­pen zwi­schen 1910 und 2000 nach Ideo­lo­gien er­fasst wer­den. Die Pro­ble­ma­tik be­ginnt be­reits mit den Zu­ord­nun­gen »links­extrem«, »eth­nisch-na­tio­na­li­stisch«, »re­li­gi­ös« und »rechts­extrem«. Da hät­te man im Ein­zel­fall ger­ne ge­wusst, wie bei­spiels­wei­se die ETA, die IRA oder auch die nord­iri­schen Pro­te­stan­ten ein­ge­ord­net wer­den (78 Sei­ten spä­ter er­fährt man, dass die ETA als »eth­nisch-na­tio­na­li­stisch« ein­ge­ord­net wird – was nur teil­wei­se stimmt, da der bas­ki­sche Na­tio­na­lis­mus der ETA par­al­lel zu ei­ner so­zia­li­sti­scher Ge­sell­schafts­ord­nung ver­tre­ten wur­de.)

Zu­dem neigt Wald­mann da­zu, den Be­griff des »re­li­giö­sen« Ter­ro­ris­mus in Be­zug auf al-Qai­da und de­ren Nach­ah­mer vor­ei­lig zu fest­zu­schrei­ben. Das re­li­giö­se Mo­tiv sei im in­ter­na­tio­na­len Ter­ro­ris­mus der­zeit do­mi­nie­rend, so die The­se. Zwar ver­weist er auf den pan-na­tio­na­li­sti­schen, ter­ri­to­ria­len An­spruch von al-Qai­da, der sich jen­seits der Durch­set­zung ei­nes wie auch im­mer de­fi­nier­ten ra­di­ka­len Is­lam be­wegt, ver­folgt die­se Fähr­te je­doch nicht wei­ter. Statt­des­sen setzt er voll auf die Theo­rie ei­ner »Re­nais­sance des Is­lam«, ob­wohl die so­zia­len Miss­stän­de und die paternalistische[n] politische[n] Füh­rungs­sy­ste­me in den Mit­tel­ost-Staa­ten, die man als Ur­sa­che zur Hin­wen­dung an den Is­lam be­nen­nen könn­te, durch­aus ge­streift wer­den. Wald­mann macht die is­la­mi­sche Re­vo­lu­ti­on im Iran von 1979 als de­fi­ni­ti­ve Re­ha­bi­li­tie­rung des is­la­misch-ara­bi­schen La­gers (sic!) aus. Da­bei ver­gisst er die spe­zi­fi­sche Vor­ge­schich­te des Iran (Mos­sa­degh und die Un­ter­stüt­zung durch den We­sten für das kor­rup­te Schah-Re­gime). We­nig bis gar nicht wird auf den in den 1970er Jah­ren be­gin­nen­den im­mer schnel­ler fort­schrei­ten­den und als Be­dro­hung für die ori­gi­nä­ren Wer­te emp­fun­de­nen Ein­fluss des west­li­chen Kon­su­mis­mus in die bis da­hin eher rural ge­präg­ten ara­bi­schen Räu­me ein­ge­gan­gen. Auch die als ein­sei­tig emp­fun­de­ne Un­ter­stüt­zung Is­ra­els durch den We­sten the­ma­ti­siert er nicht.

Über die Mo­ti­va­tio­nen von Selbst­mord­at­ten­tä­tern er­fährt man eben­falls lei­der we­nig. Zwar wer­den in ei­nem Halb­satz die LTTE er­wähnt (die sä­ku­la­re, se­zes­sio­ni­sti­sche Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on der »Ta­mil Ti­gers« auf Sri Lan­ka), am En­de ru­bri­ziert er je­doch den Selbst­mord­an­griff aus­schließ­lich als in jen­sei­ti­gen Heils­ver­spre­chen an­ge­legt. Die so­zia­len Im­pli­ka­tio­nen kom­men nicht vor.

Kei­ne Hor­ror­sze­na­ri­en

Hor­ror­sze­na­ri­en mit An­grif­fen von Ter­ro­ri­sten durch ABC-Waf­fen er­teilt Wald­mann ei­ne be­son­ne­ne und gut be­grün­de­te Ab­sa­ge. Er weist dar­auf hin, dass Ter­ro­ris­mus in ei­ner frei­en Ge­sell­schaft nicht ein­zu­däm­men ist, oh­ne grund­sätz­li­che Wer­te die­ser Ge­sell­schaft ein­zu­schrän­ken. In die­sem Zu­sam­men­hang sind die Er­ör­te­run­gen über die Re­ak­tio­nen und die Re­ak­ti­ons­an­ge­wie­sen­heit ter­ro­ri­sti­scher Ak­te, ins­be­son­de­re in und von Rechts­staa­ten, durch­aus in­ter­es­sant. Mehr In­for­ma­tio­nen hier­zu gibt es al­ler­dings in Loui­se Ri­chard­sons Buch »Was Ter­ro­ri­sten wol­len«, in dem sie – un­ter an­de­rem – ih­re »3R«-Theorie ent­wickelt.

In Wald­manns Sicht auf das ver­meint­li­che En­de ter­ro­ri­sti­scher Or­ga­ni­sa­tio­nen fehlt ei­ne Kom­po­nen­te. Er ent­wickelt drei For­men der Be­en­di­gung ter­ro­ri­sti­scher Feld­zü­ge: Zum ei­nen die mi­li­tä­ri­sche Nie­der­la­ge, zum zwei­ten die Zer­schla­gung der Organisations­strukturen oder – drit­tens – die frei­wil­li­ge Auf­lö­sung des Ge­walt­ver­ban­des (letz­te­res war/ist haupt­säch­lich bei den mit­tel­eu­ro­päi­schen Links­ter­ro­ri­sten zu be­ob­ach­ten). Nur in ei­nem Halb­satz er­wähnt er, dass ter­ro­ri­sti­sche Or­ga­ni­sa­tio­nen sehr wohl zu staatstragen­den In­sti­tu­tio­nen auf­ge­stie­gen sind. Da­bei gibt es hier­für zahl­rei­che Bei­spie­le für die­se Form der Do­me­sti­zie­rung von Ter­ro­ri­sten wie PLO, ANC, IRA oder MPLA (um nur ei­ni­ge zu nen­nen). Könn­te es nicht sein, dass von der Ge­schich­te die­ser längst fast durch­gän­gig an­er­kann­ten ehe­ma­li­gen Ter­ror-Or­ga­ni­sa­tio­nen ein ge­wis­ser An­reiz für heu­ti­ge Ak­ti­vi­sten aus­geht?

Es ist zwar nicht pri­mär die Auf­ga­be ei­nes eher be­schrei­ben­den Bu­ches Lö­sungs­vor­schlä­ge an­zu­bie­ten. Aber wenn es am Schluss dann doch ein Ka­pi­tel in die­ser Hin­sicht gibt, kann man es auch kri­ti­sie­ren. Hier­zu be­steht al­ler­lei Grund. Denn Wald­mann schreibt haupt­säch­lich, was nicht er­folg­ver­spre­chend (Ent­wick­lungs­hil­fe, mi­li­tä­ri­sche In­ter­ven­tio­nen) für ei­ne Ein­däm­mung des Ter­rors bzw. ei­nem Rechts­staat nicht zu­zu­mu­ten sei (Ver­hand­lun­gen). Wie­der­um hat Loui­se Ri­chard­son hier mehr zu bie­ten.

Trotz der viel­leicht ge­ballt er­schei­nen­den Kri­tik ist Pe­ter Wald­manns Buch als Ein­stieg in die The­ma­tik durch­aus zu emp­feh­len. Nach der Lek­tü­re kann man we­nig­stens die Bin­sen­wahr­hei­ten der üb­li­chen Nach­rich­ten­ex­per­ten pro­blem­los igno­rie­ren.


Die kur­siv ge­setz­ten Pas­sa­gen sind Zi­ta­te aus dem be­spro­che­nen Buch.

2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ein Ter­ro­rist be­fin­det sich viel­leicht tat­säch­lich in dem Di­lem­ma, dass er Ef­fekt und Mo­tiv glei­cher­ma­ßen kal­ku­lie­ren bzw. ver­mit­teln muss, al­ler­dings lenkt der Ef­fekt leicht vom Mo­tiv ab (oder über­deckt es).

    Ich kann mir vor­stel­len, dass hin­sicht­lich des Ter­ro­ris­mus ei­ne Dis­kre­panz zwi­schen Aus­lö­ser und Mo­tiv be­stehen könn­te (dass al­so der Aus­lö­ser ei­nes Ter­ror­akts nicht dem ar­ti­ku­lier­ten Mo­tiv ent­spricht). Sagt Wald­mann da­zu et­was?

  2. Eher nicht. Zwar gibt es zahl­rei­che An­knüp­fungs­punk­te über die Aus­lö­ser ter­ro­ri­sti­scher Ak­ti­vi­tä­ten, bspw. in den an­ge­spro­che­nen Por­traits. Hier spie­len dann per­sön­li­che Mo­ti­va­tio­nen ei­ne Rol­le (auch Grup­pen­druck). Beim Ra­di­ka­li­sie­rungs­pro­zess von »is­la­mi­sti­schen« Ter­ro­ri­sten heißt es dann ein­mal: Die ent­spre­chen­de in­di­vi­du­el­le Ent­schei­dung hat mei­stens ei­ne län­ge­re Vor­ge­schich­te. Dann ist noch von sub­ti­len Vor­ur­tei­len und Dis­kri­mi­nie­run­gen die Re­de, die dann die häu­fig ge­bil­de­ten, meist ju­gend­li­chen Män­ner in ei­ne tie­fe Un­ru­he ver­setzt. Mir ist das ein biss­chen zu holz­schnitt­ar­tig. Viel­leicht hät­te man bes­ser die eu­ro­päi­schen Links­ter­ro­ri­sten (RAF oder BR) un­ter­su­chen sol­len; hier dürf­ten mehr em­pi­ri­sche Da­ten vor­lie­gen. (Bei der RAF mach­ten z. B. fast nur Mit­tel­schicht­kin­der mit; der mit gro­ßer Ver­ve vor­ge­tra­ge­ne so­zi­al­re­vo­lu­tio­nä­re Im­pe­tus spie­gel­te sich nie­mals in der Sym­pa­thi­san­ten- bzw. Mit­glie­der­struk­tur.)