Ostern: Das Wun­der und die Na­tur

Ein Wun­der wi­der­spricht dem Ge­ge­be­nen, dem Selbst­ver­ständ­li­chen und der Er­fah­rung: Es ist et­was Un­mög­li­ches, das uns, nicht da­durch dass es ge­dacht, son­dern da­durch dass es be­ob­ach­tet wur­de, aus der Fas­sung bringt. Die­ses »ar­chai­sche« Ver­ständ­nis des Wun­ders im­pli­ziert ei­ne Un­auf­lös­bar­keit: Der Mensch kann es nur als ge­ge­ben ak­zep­tie­ren, be­sten­falls ehr­fürch­tig be­zeu­gen, aber nicht be­grei­fen: Es über­steigt ihn und sei­nen Ver­stand. — Ei­ne »auf­ge­klär­te« Deu­tung des Be­griffs »Wun­der«, ge­steht die­ses Über­stei­gen nur tem­po­rär und re­fu­gi­al zu: Wun­der­li­ches und Über­mensch­li­ches sind als An­nah­men nur dort be­rech­tigt, wo noch kei­ne zu­frie­den­stel­len­den Er­klä­run­gen ge­fun­den wur­den: Sie ge­win­nen ih­re Gel­tung aus der be­grenz­ten Not mensch­li­chen Er­ken­nens, und sie schwin­den mit der Zu­nah­me des Ver­ste­hens, das ei­nen Pro­zess von Eman­zi­pa­ti­on dar­stellt. Al­ler­dings lässt die­ser Pro­zess, je stär­ker er sich ent­fal­tet und je mehr De­tails er dar­legt, wie­der ein Stau­nen zu: Das Wun­der als ei­ne Sum­me na­tür­li­cher Ge­ge­ben­hei­ten und Ent­wick­lun­gen, die um­so un­be­greif­li­cher wer­den, je mehr man über sie weiß: Es ist die un­ge­heu­re Kom­ple­xi­tät selbst der ein­fach­sten Er­schei­nun­gen, die die Er­fah­rung nö­ti­gen und uns fas­sungs­los ma­chen, wenn wir dar­an den­ken, dass al­les trotz­dem so ge­kom­men ist, als wä­re es ge­plant wor­den, ein Wun­der, ge­ra­de in der Ab­senz des­sel­ben.

Die öster­li­che Auf­er­ste­hung von den To­ten ist oh­ne Zwei­fel ein Wun­der, ein Wi­der­spruch zwi­schen der Er­fah­rung, dass To­te nicht mehr le­ben, und dem be­zeug­ten »Fak­tum«, dass ei­ner auf­er­stan­den ist (oder auf­er­weckt wur­de). Es ist ein Wun­der, das al­ler Nüch­tern­heit wi­der­spricht, weil es sei­ne Exi­stenz au­ßer­halb des Re­fu­gi­ums be­haup­tet. — Setzt man das Oster­fest in den Kon­text des Jah­res­krei­ses der ge­mä­ßig­ten Brei­ten und ver­gleicht man es mit Weih­nach­ten, so er­hält man ein ge­ra­de­zu re­la­ti­vie­ren­des Bild: Hier die Auf­er­ste­hung in­mit­ten der zy­kli­schen Wie­der­kehr des Le­bens, dort ei­ne Ge­burt im Win­ter, in der To­ten­star­re des Le­bens. Ostern ist, so ge­se­hen, das wahr­schein­li­che­re, lo­gi­sche­re und selbst­ver­ständ­li­che­re Fest, ein gleich­sam im­pli­zi­tes und viel­leicht auch des­halb ein we­nig stief­müt­ter­lich be­han­delt, ob­wohl es das wich­tig­ste ist, das die Chri­sten­heit kennt.

In­ner­halb des öster­li­chen Zeit­fen­sters – der Oster­sonn­tag ist der Sonn­tag nach dem er­sten Voll­mond im Früh­ling – er­wacht die Na­tur, es wird hel­ler, lich­ter und mil­der: Sie er­wacht, sie steht auf, sie wird er­weckt, wenn man be­denkt, dass Sa­men kei­men und aus den Knos­pen neue Trie­be her­vor­bre­chen: Im Über­dau­ern und Über­win­den der le­bens­feind­li­chen Zeit liegt eben­falls et­was Un­er­hör­tes, et­was Un­er­war­te­tes, ge­ra­de an uns selbst be­mes­sen. Es ist zwei­fel­los ei­ne Selbst­er­mäch­ti­gung, ei­ne Selbst­er­he­bung des Le­bens, über je­ne Be­din­gun­gen, die es ver­weh­ren möch­ten: Nicht un­ab­hän­gig von au­ßen, doch aus ei­ge­nem An­trieb tritt es trotz al­ler Zwän­ge her­vor.

Und die Na­tur? Statt sich ernst­haft oder ver­zwei­felt zu mü­hen, möch­te man ihr Trei­ben fast ein un­an­ge­mes­se­nes Spiel nen­nen: Wei­den, For­sy­thi­en und Schle­hen, Hya­zin­then, Tul­pen und Ver­giss­mein­nicht blü­hen, die Kohl­mei­sen und Am­seln träl­lern, sin­gen und tol­len her­um, es ist völ­lig ab­we­gig, dass sie ge­nug Ernst­haf­tig­keit auf­brin­gen wer­den, um Ne­ster zu bau­en und Nach­wuchs her­an­zu­zie­hen; Trie­be drän­gen aus dem Holz und Keim­blät­ter aus der feuch­ten, dich­ten Er­de, aus der noch ver­gilb­te Hal­me und ver­mo­der­te Wur­zeln ra­gen; Schu­ster­kä­fer kom­men tol­pat­schig un­ter der Rin­de her­vor und lau­fen zu re­gel­rech­ten Ver­samm­lun­gen zu­sam­men, Hum­meln schwir­ren noch ein we­nig er­ra­tisch, aber voll En­er­gie über Blu­men und Zwei­ge; die Son­ne dringt durch die Wol­ken, sie wirft kurz­le­bi­ge Schat­ten, nichts deu­tet auf die ver­sen­gen­de Kraft, die sie noch ge­win­nen wird, die Luft ist kühl und mild zu­gleich: Ein wan­kel­mü­ti­ger, manch­mal ver­hal­te­ner, dann wie­der über­mü­ti­ger Ton von Fröh­lich­keit, der sich mehr noch in der Ra­sanz und Leich­tig­keit, als in der ge­lun­ge­nen Ent­fal­tung selbst, of­fen­bart: Freu­de über das Noch­sein, das Wie­der­sein, Freu­de an der blo­ßen Exi­stenz: Noch kei­ne Fül­le, noch kei­ne Rei­fe, noch kei­ne Schwe­re: Leich­tig­keit und Le­ben­dig­keit, an­wach­send, sich er­he­bend: Ein selbst­ge­fäl­li­ger, an­stecken­der Ein­klang: Frie­de und Er­lö­sung deu­ten sich an, oh­ne aus­ge­spro­chen zu wer­den.

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  2. Ein biss­chen den Spiel­ver­der­ber ge­bend: Die Am­seln und mit ih­nen ihr Mor­gen­ge­sang sind seit Jah­ren ver­schwun­den aus den Gär­ten. Statt­des­sen Ra­ben­krä­hen und vor al­lem krei­schen­de El­stern. Bäu­me wur­den ge­fällt, Hecken re­du­ziert, Dach­gie­bel ab­ge­dich­tet, Ra­sen ge­sät, Lie­gen aus­ge­brei­tet. Ein Wun­der, dass ein Dom­pfaff-Paar ein Nest ge­baut hat (noch un­ver­schont von der Kat­ze des Nach­barn). Aus dem Teich des Nach­barn, der im letz­ten Jahr ge­stor­ben ist, sind die Fi­sche vom Rei­her ge­fres­sen wor­den. Im­mer­hin. Es gibt Men­schen, die all­er­gisch auf die Pro­duk­te des le­bens­be­ja­hen­den Früh­lings ge­wor­den sind.

    Ostern war mir im­mer das lieb­ste Fest. Weil ich das, was es aus­macht, am we­nig­sten nach­voll­zie­hen und glau­ben konn­te. Da­bei wä­re es doch ein schö­ner Trost.

  3. Ob­wohl har­ter Re­duk­tio­nist kann ich me­tep­si­lo­n­e­mas Text gut nach­emp­fin­den. Ich ver­su­che in den näch­sten Wo­chen je­de ver­füg­ba­re Mi­nu­te in der Na­tur zu ver­brin­gen und den An­blick des fri­schen Grüns auf­zu­sau­gen, dass es für das gan­ze Jahr rei­chen kann. En­de Ok­to­ber wer­de ich mich wie­der ducken und war­ten. Aber jetzt sind erst­mal wie­der Fest­spiel­wo­chen.

  4. Ostern ist das lo­gi­sche­re Fest, der Jah­res­kreis be­g­int und en­det im­pli­zit im Früh­jahr mit dem her­ein­bre­chen­den Früh­ling.
    Je öf­ter man die­sen Zy­klus durch­läuft, um­so plau­si­bler er­scheint die Fü­gung: das Kir­chen­jahr ver­läuft zwi­schen Ge­burt und Wie­der­ge­burt, nach ein paar har­ten Ex­er­zi­ti­en, und Me­di­ta­tio­nen über den Tod.
    Wie stark sich die­ser Zy­klus in mir ab­ge­bil­det hat, er­fuhr ich ganz bei­läu­fig: Es war ge­ra­de Kar­sams­tag abend, spät­abends, als ich ge­lang­weilt vom TV hoch sah, durch das Fen­ster in die stark dunk­le Nacht blick­te, wo über den Bal­kon hin­aus im Gar­ten kaum et­was aus­zu­ma­chen war, als zu­fäl­lig die Glocken der na­hen Kir­che an­spran­gen. Es war ein mehr­tö­ni­ges fest­li­ches Ge­läut, und der Wech­sel in der Sin­nes­wahr­neh­mung gab mir ei­nen klei­nen Kick. Ich dach­te: Wow, es klingt so über­zeu­gend wie der Satz »Chri­stus ist auf­er­stan­den! Aus tie­fer fin­ste­rer Nacht...«.

  5. Bei mir ähn­lich: Ostern, ob­wohl es meist nicht mal be­son­ders er­freu­lich aus­fällt, bei mir das lieb­ste »Fest«. Ist viel­leicht doch was dran an ei­nem ir­gend­wie christ­lich for­ma­tier­ten Er­be?

    Auch wenn man nicht glaubt, ist es doch ein wei­te­res, viel­fäl­tig an­ge­rei­cher­tes Be­zug­sy­stem, und mit ein paar Re­sten aus der Er­zie­hung et­was, in das man sich hier und da über­ra­schend in­spi­riert ein­füh­len kann. Ich ge­he manch­mal in Kir­chen um ei­nen Mo­ment aus dem bar­ba­ri­schen Stadt­raum raus­zu­kom­men, und je­des­mal wird es zu ei­nem un­er­war­te­ten in­ne­ren An­spre­chen, das ich oft dann spä­ter als be­le­bend emp­fin­de. Aber das Sa­ka­ra­le als »Stim­mung« ist nun mal tief in mich ver­senkt – und will manch­mal sinn­lich an­ge­trig­gert wer­den. (So ist es al­ler­dings auch, wenn ich mal wie­der kurz in ei­ne Wald­idyl­le ge­ra­te – was für ei­ne an­ders ge­stimm­te Welt!)

    Des­we­gen bin ich auch – Dis­kus­si­on, die im­mer zu Kar­frei­tag hoch­kommt, von we­gen Tanz­ver­bot und Schein-Au­to­no­mie der re­pres­siv Ent­sub­li­mier­ten – ge­gen die Gleich­ma­che­rei der Jün­ge­ren, die letz­ten ei­ni­ger­ma­ßen still zu ver­brin­gen­den Ta­ge ge­gen das 24/7‑­fun-Ver­lan­gen ein­zu­damp­fen.

    Ei­ne Am­sel ver­irrt sich noch manch­mal in die Gär­ten hin­term Haus, aber an­son­sten hier auch nur El­stern und Krä­hen. Was ich aber wirk­lich ver­mis­se sind die Ler­chen, die es frü­her an be­stimm­ten, von mir oft be­such­ten Plät­zen am Rhein gab. Ob­wohl da nix mehr pas­siert an Land­wirt­schaft, sind die Ler­chen schon län­ger ver­schwun­den, seit Jah­ren. Kei­ner weiß wo­hin.

  6. Mit dem Be­ginn des Früh­jahrs (»dem Hel­ler­wer­den«) wer­den mir die klamm­heim­lich an­ge­leg­ten Fes­seln des Win­ters erst rich­tig be­wusst, es ist, als wä­re ich ein we­nig lahm ge­wor­den, oh­ne es zu be­mer­ken.

    Das Ver­schwin­den der Vö­gel kann ich gott­sei­dank nicht nach­voll­zie­hen: Am­seln, Kohl­mei­sen und Haus­sper­lin­ge sind vor­han­den, ein paar Gä­ste auch (bei uns sind an die Stel­le der Ra­ben- die Ne­bel­krä­hen zu fin­den, die Saat­krä­hen sind mitt­ler­wei­le fort, El­stern se­he ich nur sel­ten).

    Es gibt ir­gend­ei­ne Art von Ver­wandt­schaft zwi­schen dem dem Sa­kra­len und der Na­tur, aber be­nen­nen kann ich sie nicht.

  7. Schö­ne Kom­men­ta­re. So ger­ne ich ei­gent­lich den Win­ter ha­be (als Re­fu­gi­um-Jah­res­zeit), so sehr freue ich mich auf den Wech­sel der Jah­res­zei­ten. Un­mög­lich für mich in ei­nem Land, in ei­ner Re­gi­on zu le­ben, in der bei­spiels­wei­se 350 Ta­ge im Jahr Som­mer herrscht. (Auch in Po­lar­kreis-Re­gio­nen mit Mit­ter­nachts­son­nen­näch­ten möch­te ich nicht le­ben.)