Mat­thi­as Ma­tus­sek: Das ka­tho­li­sche Aben­teu­er

Matthias Matussek: Das katholische Abenteuer

Mat­thi­as Ma­tus­sek:
Das ka­tho­li­sche Aben­teu­er

Hans-Ge­org Ga­da­mers Prä­mis­se für das Ge­spräch – »Ein Ge­spräch setzt vor­aus, dass der an­de­re Recht ha­ben könn­te« – ist für den po­ten­ti­el­len Le­ser die­ses Bu­ches die Minimal­anforderung. An­son­sten soll­te man lie­ber ver­zich­ten und sei­ne Vor­ur­tei­le im Gar­ten der Ak­kla­ma­ti­on pfle­gen (et­was, was nicht nur für die­ses Buch gilt).

Da­bei gibt es so­fort Grund zur Kri­tik. Der ei­gent­lich schö­ne Buch­ti­tel »Das ka­tho­li­sches Aben­teu­er« wird durch die flap­sig-über­flüs­si­ge Un­ter­zei­le »Ei­ne Pro­vo­ka­ti­on« so­fort wie­der ni­vel­liert (das hät­te sich viel­leicht dem Le­ser noch sel­ber er­schlos­sen). Und der heh­re An­spruch, hier er­zäh­le je­mand von sei­nem ka­tho­li­schen Glau­ben in den Zei­ten des forsch-plap­pern­den Athe­is­mus wird durch das blö­de Co­ver mit Hörn­chen, Drei­zack und Hei­li­gen­schein kon­ter­ka­riert. Mar­ke­ting ist wohl al­les und Mat­thi­as Ma­tus­sek muss un­be­dingt als Feuil­le­ton-Kra­wall­bär ver­kauft wer­den – drun­ter geht’s nicht.

Scha­de, denn da hat je­mand durch­aus et­was zu sa­gen. In den be­sten Au­gen­blicken be­rührt das Bild des gläu­bi­gen Ka­tho­li­ken Ma­tus­sek in der zy­ni­schen Spaß­ge­sell­schaft mit ih­rer anödende[n] Dau­er­i­ro­nie so­gar. Wenn er von dem Mo­ment Ver­wand­lung im Got­tes­dienst er­zählt (er ist na­tür­lich My­sti­ker). Und wenn er die Ge­mein­de und die Ver­bun­den­heit mit ihr we­nig­stens für ei­nen kur­zen Mo­ment zu spü­ren be­ginnt. Oder das »Va­ter Unser«-Gebet Wort für Wort liest und sei­ne Er­grif­fen­heit be­merk­bar ist (frei­lich wä­re es bei die­ser Ge­le­gen­heit in­ter­es­sant ge­we­sen, wel­chen Wand­lun­gen die Wor­te in den letz­ten Jahr­zehnten un­ter­wor­fen wa­ren und war­um). Ma­tus­sek ver­steht es ernst­haft und da­bei oh­ne pa­ter­na­li­sti­schen Un­ter­ton über die Sün­de zu re­fe­rie­ren. Tat­säch­lich pol­tert hier kein Mo­de-Ka­tho­lik, der dem Athe­is­mus-Main­stream aus pu­rer Kon­fron­ta­ti­ons­lust entge­genpöbelt. Da ist je­mand im Ka­tho­li­zis­mus ver­wur­zelt und ver­mag dies durch­aus zu be­le­gen (so­gar für sei­ne Mar­xis­mus-Zeit). Und als Sohn ei­nes CDU-Manns im ro­ten Ruhr­ge­biet ist Ma­tus­sek ge­ra­de­zu prä­de­sti­niert für Dia­spo­ra-Si­tua­tio­nen. Da­her mag er »Don Ca­mil­lo« so und schlüpft so­gar ein­mal in des­sen Rol­le.

Ver­tei­di­gung für den »Kul­tur­spei­cher«

In­so­fern er­war­tet den Le­ser ei­ne em­pha­ti­sche Ver­tei­di­gungs­schrift. Der Ka­tho­li­zis­mus ist längst im Ver­tei­di­gungs­mo­dus, was ei­nem durch Ma­tus­seks fu­rio­se Plä­doy­ers für den Fels Kir­che in der Bran­dung des Be­lie­big­keits­meers deut­lich vor­ge­führt wird. Ma­tus­sek hat kei­ne Pro­ble­me da­mit, den Zö­li­bat zu ver­tei­di­gen, ist ge­gen Frau­en im Prie­ster­amt und er­kennt, dass ei­ne de­mo­kra­ti­sche Struk­tur in der Kir­che nicht zweck­mä­ßig ist. Tat­säch­lich gibt es Un­ter­su­chun­gen, die zei­gen, dass re­li­giö­se Ge­mein­schaf­ten mit stren­gen Re­geln auf Dau­er de­nen mit eher li­be­ra­len Ge­bo­ten über­le­gen sind. Sind doch auch die Pro­te­stan­ten seit Jah­ren mit schwin­den­den Mit­glie­der­zah­len kon­fron­tiert – und die ma­chen doch all das, was die Kri­ti­ker for­dern. Da­bei sind, so Ma­tus­sek, die mei­sten De­bat­ten­bei­trä­ge zum The­ma ka­tho­li­sche Kir­che ei­ne ge­ra­de­zu be­lei­di­gen­de Un­ter­for­de­rung der In­tel­li­genz. Ähn­lich äu­ßert er sich auch für die lau­war­men Fröm­mig­keits­re­den à la »Wort zum Sonn­tag«.

Ma­tus­sek hat Recht, wenn er sagt, dass 180-Grad-Wen­dun­gen nur um dem Zeit­geist und den pu­bli­zi­sti­schen Ge­gen­päp­sten (Küng, Geiß­ler) zu ge­nü­gen, bil­li­ger Po­pu­lis­mus wä­re. Und so­zi­al­po­li­tisch stün­den Ka­tho­li­ken eh schon weit links. Wie heuch­le­risch doch Me­di­en (und be­stimm­te In­sti­tu­tio­nen) sei­en, die Papst und Kir­che vor al­lem bei die­sen The­men im­mer als ethi­sche Re­fe­renz her­bei­zi­tie­ren, wäh­rend ih­nen an­son­sten zu­meist jeg­li­che mo­ra­li­sche Re­pu­ta­ti­on ab­ge­spro­chen wird.

Ma­tus­sek ver­ficht so­gar ei­ne teil­wei­se Zu­rück­nah­me der Be­schlüs­se des Zwei­ten Va­tikanischen Kon­zils, de­ren Fol­gen (un­ter an­de­rem ei­ne Ent­my­sti­fi­zie­rung) er wortge­waltig gei­ßelt. Er plä­diert für ei­ne Hin­wen­dung zu ei­ner neu­en Ernst­haf­tig­keit – zur Not auf Ko­sten ei­nes wei­te­ren Mit­glie­der­schwunds. Und über­nimmt da­mit den Duk­tus des 2000 ver­stor­be­nen Erz­bi­schofs Jo­han­nes Dy­ba: Zur Not ge­he es eben wie­der in die Kata­komben. ‘We­ni­ger ist mehr’ – kommt ei­nem da in den Sinn. Die Fra­ge bleibt je­doch un­be­ant­wor­tet, ob da­mit nicht auch die ge­sell­schaft­li­che Le­gi­ti­ma­ti­on schwin­den wür­de.

Die ka­tho­li­sche Kir­che, die­ser 2000 Jah­re al­te Kul­tur­spei­cher sol­le sich, so Ma­tus­sek, nicht zu Gun­sten kurz­fri­sti­gen Bei­falls ei­ner ir­rever­si­blen Ge­schichts­lo­sig­keit hin­ge­ben. An­passung an den Zeit­geist gä­be es schon ge­nug. Hier macht er na­tur­ge­mäß den weich­gespülten Pro­te­stan­tis­mus aus, der trotz je­ner Maß­nah­men, die man von der ka­tho­li­schen Kir­che for­de­re eben­falls längst in ei­ne Sinn­kri­se ge­tau­melt sei. War­um soll ein geschied­ener pro­te­stan­ti­scher Prie­ster ei­ne bes­se­re Ehe­be­ra­tung ge­ben kön­nen als sein zöli­batär le­ben­des Pen­dant, fragt er neckisch. Schließ­lich gibt es auch kei­nen Ver­ein, der, nur um neue Mit­glie­der zu ge­win­nen, sei­ne Prin­zi­pi­en ein­fach ver­wäs­sert.

Die Welt des Gläu­bi­gen ist ei­ne an­de­re als die des Un­gläu­bi­gen

Ma­tus­sek er­klärt wort­ge­wal­tig, war­um Wulff irrt, wenn er sagt, der Is­lam ge­hö­re zu Deutsch­land. Er ver­wirft die lu­the­ri­sche Schreckens­theo­lo­gie, preist den nai­ven Kinder­glauben als ein Re­ser­voir, so groß wie ein un­ter­ir­di­scher See und be­rich­tet über das Mysteri­um des Weih­rauch­schwen­kens. Er wet­tert ge­gen Well­ness-Re­li­gio­si­tät und Betriebs­nudeln der ka­tho­li­schen Kir­che. Er mo­niert, es wer­de zu­viel über den Glau­ben ge­spro­chen, statt aus dem Glau­ben. Der Ka­tho­lik Ma­tus­sek be­kennt durch­aus sei­ne Zwei­fel an der Auf­er­ste­hungs­ge­schich­te (schließ­lich ist der Zwei­fel das Salz des Ka­tho­li­zis­mus), ver­fasst ein flam­men­des Plä­doy­er für die Wahr­heit, ist an­ge­wi­dert von der Spie­ßig­keit ei­ner Hab­suchts­ge­sell­schaft und ver­tritt die Po­si­ti­on des erkenntnis­theoretischen Plu­ra­lis­mus (er nennt es nur an­ders). Er zollt dem Athe­isten Ca­mus sei­nen gro­ßen Re­spekt und fin­det ein Böll-Zi­tat, wel­ches den Ka­tho­li­zis­mus ehrt. Er er­kennt de­gou­tan­te Plün­de­run­gen der ka­tho­li­schen Iko­no­gra­fie und er­klärt, war­um er den Film »Das Le­ben des Bri­an« gut fin­den kann. Er spricht mit Rü­di­ger Sa­fran­ski und be­sucht Mi­cha­el Krü­ger. Er er­zählt über En­gel und pol­tert ge­gen hirn­lo­se Wohlstands­atheisten wie Chri­sto­pher Hit­chens. Er sym­pa­thi­siert mit der an­ony­men Oh­ren­beich­te, die ei­ne Psy­cho­ana­ly­se durch­aus er­set­zen kön­ne. Und er fragt sich, war­um al­le Welt Angst vor ei­ner Ko­ran­ver­bren­nung hat und nie­mand ei­ne Bi­bel­ver­bren­nung auch nur mit ei­ner Zei­le mel­det.

Na­tür­lich ist – um Witt­gen­stein zu va­ri­ie­ren – die Welt des Gläu­bi­gen ei­ne an­de­re als die des Un­gläu­bi­gen. Und so ver­tei­digt er sei­ne Kir­che auch, wenn es um die fürch­ter­li­chen Miss­brauchs­ver­bre­chen geht (die er auch Ver­bre­chen nennt). Sein Kron­zeu­ge ist der Kri­mi­no­lo­ge Chri­sti­an Pfeif­fer, der in ei­nem Ar­ti­kel in der Süd­deut­schen Zei­tung im März 2010 von ei­ner Tä­ter­quo­te durch ka­tho­li­sche Geist­li­che von 0,1% sprach. Auch wenn sol­che Zah­len mit Vor­sicht zu ge­nie­ßen sind, ist es ein Fak­tum, dass die mei­sten Ver­brechen in­ner­halb der Fa­mi­lie statt­fin­den. Wor­in nun die At­trak­ti­vi­tät be­steht, kirch­liche (und be­son­ders ka­tho­li­sche) Wür­den­trä­ger in den Me­di­en über­pro­por­tio­nal als Tä­ter her­aus­zu­stel­len – hier­zu hät­te ich ger­ne ei­ne The­se ge­le­sen.

Ma­tus­seks trot­zi­ge Apo­lo­gie der Ent­schei­dungs­re­li­gi­on Ka­tho­li­zis­mus hat sei­nen Charme. Man liest die­ses Pa­thos als Er­ho­lung zum dau­er­i­ro­ni­schen Jour­na­li­sten­kri­ti­zis­mus zu­nächst ganz ger­ne. Mit der Zeit ent­deckt man al­ler­dings Red­un­dan­zen. Schließ­lich kommt man zum Ka­pi­tel mit Re­por­ta­gen aus dem Aus­land – »Gott und die Welt«. Hier wird die Lek­tü­re manch­mal er­mü­dend; die Tex­te wir­ken leicht ver­staubt. Liegt es dar­an, dass dem Po­le­mi­ker das Fut­ter fehlt? Man be­ginnt zu re­cher­chie­ren – und sie­he da: Ma­tus­sek hat die­se Re­por­ta­gen aus »Spie­gel« bzw. »Spie­gel Re­por­ter« über­nom­men. Da­bei wur­den For­mu­lie­run­gen, die ei­ne zeit­li­che Ein­ord­nung der Tex­te er­mög­li­chen könn­ten, zu­meist ent­fernt oder be­ar­bei­tet. Ei­nen Hin­weis auf das Ent­ste­hungs­da­tum der Re­por­ta­gen gibt es al­ler­dings auch nicht. War­um ei­gent­lich nicht?

Vie­le Re­por­ta­gen ha­ben mit dem Ka­tho­li­zis­mus we­nig bis nichts mehr zu tun, et­wa wenn er von den Evan­ge­li­ka­len in den USA schreibt und die so­zia­len und po­li­ti­schen Ge­fah­ren aus­malt. Das tat Ma­tus­sek schon 1994 – mit der Re­por­ta­ge, die im Buch un­ter »Glau­ben und Ster­nen­ban­ner« ab­ge­druckt ist. Das Por­trait über Al Sharp­ton ist auch von 1994. Noch äl­ter (von 1992) ist die Re­por­ta­ge über Cal­vin Butts (aus »42, ein fe­dern­der jun­ger In­tel­lek­tu­el­ler mit schar­fem Ver­stand« wur­de 2011 ein In­tel­lek­tu­el­ler mit schar­fem Ver­stand. Al­les gut und schön. Aber wenn man schon die­se Clin­ton-Zeit wie­der­auf­le­ben lässt, hät­te man zwangs­läu­fig die noch ag­gres­si­ve­re Evan­ge­li­ka­li­se­rung un­ter Bush the­ma­ti­sie­ren müs­sen. Das un­ter­bleibt je­doch – ver­mut­lich, weil Ma­tus­sek da­mals nicht mehr »Spiegel«-Korrespondent in den USA war.

Vie­les wie­der­erkannt

Die Ge­sprä­che mit dem bra­si­lia­ni­schen Au­tor João Ubal­do Ri­bei­ro und dem Pia­ni­sten Joãs Car­los Mar­tins sind von 2003. Die Lubawit­scher in Brook­lyn be­such­te er 1992 (ein dür­rer Satz er­klärt am En­de, dass der »neue Mes­si­as« 1994 ver­starb) und über den in­di­ge­nen Ka­tho­li­zis­mus Bo­li­vi­ens schrieb er 2001.

Fast schüch­tern kom­men­tier­te Alex­an­der Wal­l­asch in der Re­zen­si­on in der Süd­deut­schen Zei­tung, dass man mei­ne, »vie­les wie­der­zu­er­ken­nen aus sei­ner jahr­zehn­te­lan­gen journal­istischen Ar­beit«. We­nig­stens ihm schwant da was.

Ein­mal fün­dig ge­wor­den, ent­deckt man auch vie­le an­de­re Tex­te, die Ma­tus­sek für die­ses Buch be­ar­bei­tet bzw. an­ein­an­der­ge­fügt hat. Klar, der »Spie­gel« hat ein Ka­pi­tel vorab­gedruckt. Aber auch der schö­ne Text über die sie­ben Tod­sün­den, das Wahrheits­plädoyer, das Ge­spräch mit Mar­tin Wal­ser, die Re­por­ta­ge über »Geld und Glau­be« (Mer­kels Re­de zur Wirt­schafts­kri­se war da­mals »ganz schmal und un­wich­tig«; 2011 steht dann eher klein und un­wich­tig; das nennt man dann wohl Lek­to­rat), Ma­tus­seks Aus­ein­an­der­set­zung über Tho­mas Stein­feld und Pa­trick Bah­ners über die Is­lam­kri­tik in Deutsch­land, die bei­den Ver­tei­di­gungs­tex­te zum Zö­li­bat (Ja­nu­ar 2011 und Fe­bru­ar 2011) und die em­pha­tisch-klu­gen Be­mer­kun­gen zu Be­ne­dikts Je­sus-Buch fin­den sich mit Leich­tig­keit im Netz. Das heu­te noch bri­san­te und hoch­in­ter­es­san­te Por­trait über den Ful­da­er Erz­bi­schof Jo­han­nes Dy­ba (hier­zu gibt es ei­ne klei­ne Ein­lei­tung) und die Re­por­ta­ge über die Abtreibungs­befürworter sind von 1999. Aber hät­te man nicht 2011 noch ein­mal nach Ful­da fah­ren kön­nen? So be­dient sich Ma­tus­sek bei Ma­tus­sek – der Ver­lag ver­kauft es als »neu­es Buch«, was es für viel­leicht 50% der Tex­te auch sein mag (sagt ein Nicht-Spie­gel-Le­ser).

Lei­der geht Ma­tus­sek zu sel­ten in die Tie­fe. So hät­te man ger­ne ge­wusst, wie man ei­ner­seits das theo­lo­gi­sche Je­sus-Bild Be­ne­dikts der­art lo­ben kann, wäh­rend man an­de­rer­seits – voll­kom­men zu Recht – vom Pa­so­li­ni-Film über das Mat­thä­us-Evan­ge­li­um von 1964 der ei­nen so­zi­al­re­vo­lu­tio­nä­ren Je­sus zeigt, schwär­men kann. Und ob­wohl Ma­tus­sek manch­mal non­cha­lant bis hin zur Ober­fläch­lich­keit die Vor­be­hal­te ge­gen die In­sti­tu­ti­on Kir­che ab­bür­stet – manch­mal be­kommt man dann doch ei­ne Ah­nung, was mit dem »Aben­teu­er« ge­meint sein könn­te. Auch wenn man glaubt (sic!), da­mit nichts mehr zu tun ha­ben.


Die kur­siv ge­setz­ten Pas­sa­gen sind Zi­ta­te aus dem be­spro­che­nen Buch.

59 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. »...wenn man glaubt [sic], da­mit nichts mehr zu tun zu ha­ben.«
    Tat­säch­lich ha­ben fast al­le da­mit zu tun, sie­he den Be­griff von der Leit-Kul­tur, an die man „glau­ben“ kann oder nicht – der Be­griff aber sagt ja schon, dass sie exi­stiert. (Leid-Kul­tur trä­fe es da na­tür­lich auch).

    Es will da nur kaum je­mand noch mal bei sich in die Tie­fe ge­hen. Und mit all den Un­gleich­zei­tig­kei­ten heu­te, den Wi­der­sprü­chen auch, von der ver­schwie­mel­ten Weih­nachts­se­lig­keit als ver­kapp­te Me­ta­phy­sik-Dienst­lei­stung nach Ka­len­der... bis zur Po­si­tio­nie­rung durch die Zu­mu­tun­gen des nä­her­rücken­den Is­lam hät­te viel­leicht je­der so ei­ni­ges da­mit zu tun. Aber es wür­de ei­nem eben auch so was wie ei­ne Min­desternst­haf­tig­keit ab­ver­lan­gen. Ei­nen Gott brauch­te es da­zu nicht mehr.

    Von den Bourdieu’schen „Di­stink­ti­ons­ge­win­nen“ durch so et­was wie Re­li­gi­on, bis hin zu den (so gern wie vor­schnell als Kon­ser­va­tiv bzw. „rechts“) ver­schriee­nen Re­ne­ga­ten wie Mo­se­bach und Strauß und Da­vila etc. ist mir Ka­tho­li­zis­mus als „Po­si­ti­ti­on“ je­den­falls fast wie­der sym­pa­thisch ge­wor­den. Und so, wie Sie das Buch zu­sam­men­fas­sen – an die­ser Stel­le üb­ri­gens über­haupt mal mei­nen Re­spekt für Ih­re Band­brei­te auch! -, scheint sich Ma­tus­sek in ähn­li­chen Ko­or­di­na­ten zu be­we­gen, näm­lich zwi­schen dem in­sti­tu­tio­na­li­sier­ten Re­al-Ka­tho­li­zis­mus (wo „un­ser“ Papst letzt­lich auch nur noch ein Vor­sit­zen­der ist) und heu­ti­gen Glau­bens-Ver­rück­ten, zwi­schen Ca­mus (der sehr na­he war an so et­was wie ei­nem Cre­do quia ab­sur­dum) und den süd­ame­ri­ka­ni­schen So­zi­al-Uto­pi­sten (a la Je­sus im Tem­pel).

    Und von wo­her soll man sich ge­gen den Kon­sens von ni­hi­li­sti­schen Iro­ni­kern und Nietz­schel­in­gen heu­te noch di­stan­zie­ren?

    Über Mach­werk­cha­rak­ter und Mar­ke­ting von sol­chen Markt-Au­toren wie Ma­tus­sek (er nennt sei­ne Ant­ago­ni­sten, Küng et. al. ja sel­ber) braucht man wohl kein Wort mehr zu ver­lie­ren. Mein Va­ter er­klär­te mir ein­mal, dass eben sol­che Leu­te mit ih­ren (teils ja der Un­ter­hal­tung ge­schul­de­ten) Zu­spit­zungs-Tech­ni­ken eben wie­der­um so et­was wie „Ori­en­tie­rung“ ver­mit­teln, po­pu­li­stisch das, was an­ders­wo eben wie­der „Leh­ren“ be­grün­de­te. Aber zu so was feh­len uns heu­te eben Ernst­haf­tig­keit und die Zeit.

    Schon selt­sam, in was für Al­li­an­zen man sich heu­te fin­den kann.

  2. Di­stink­ti­ons­ge­winn ist mit ei­nem Be­kennt­nis zum Ka­tho­li­zis­mus heut­zu­ta­ge nicht mehr zu er­rin­gen. Ich glau­be so­gar, dass man es sich in der Öf­fent­lich­keit erst wie­der ab ei­nem ge­wis­sen Nim­bus »lei­sten« kann, oh­ne als eso­te­ri­sche Witz­fi­gur ge­brand­markt zu wer­den.

  3. Di­stink­tio­nen
    So war das zwar ei­gent­lich nicht ge­dacht... Aber an den Di­stink­ti­ons­ge­winn glau­be ich ganz be­stimmt doch.

    Ab­ge­se­hen da­von, was für ei­nen – hier schon an­ge­spro­che­nen »Kul­tur­spei­cher« – und da­mit ein gan­zes Gei­stes­in­stru­men­ta­ri­um Glau­ben dar­stel­len kann (ir­gend­ein Glau­ben, so­gar et­wa Astro­lo­gie), kann er kon­kre­te bis im­mense Un­ter­schie­de auch in der Le­bens­füh­rung ma­chen. Und die­se auch noch kom­mu­ni­zie­ren. Oder so­gar un­er­klärt las­sen. Wo­mit er et­was dar­stellt, das so oder so das in der pro­fa­nen Ge­mein­schaft den Pe­gel an Kon­sens­nor­ma­li­tät über­steigt. Ich nen­ne das ei­ne Di­stink­ti­on.

    (Auf den viel­leicht auch Ih­nen be­kann­ten »Mitt­wochs­ge­sprä­chen« kann man das üb­ri­gens oft gut be­ob­ach­ten: Da sind die welt­lich Auf­ge­klär­ten und die Gläu­bi­gen im­mer bald zu un­ter­schei­den. Und – als wä­re das nicht denk­wür­dig ge­nug – es gibt dann auch oft bald er­heb­li­che bis be­rei­chern­de Un­ter­schie­de in den bei­den Ar­gu­men­ta­ti­ons­wei­sen! Man kann sie na­tür­lich un­ver­ein­bar nen­nen. Man kann sie aber auch an­hö­ren, als ob sie ein­an­der er­gänz­ten. Der Be­scheid­wis­ser muss nicht mal was von der Be­see­lung des Nai­ven, der Im­mer-schon-Auf­ge­klär­te nichts vom ewig Wei­ter­fra­gen­den ver­ste­hen. Sie könn­ten um­ge­kehr­ter­wei­se den­noch [und sei­en sie rein phä­no­me­no­lo­gisch] Di­stink­ti­ons­ge­win­ne dar­aus er­lan­gen.)

     

    [EDIT: 2011-06-07 13:28]

  4. Zu we­nig Tie­fe
    Im letz­ten Ab­satz schrei­ben Sie aus, war­um ich die­ses Buch wohl nicht le­sen wer­de. Nicht weil ich der Spaß­ge­sell­schaft frö­ne, mich aus Glau­bens­ver­satz­stücken be­die­ne, um mei­ne Well­ness zu er­hö­hen oder prin­zi­pi­ell des­in­ter­es­siert wä­re an Fra­gen der Tran­szen­denz. Viel­mehr zeigt mir die Auf­zäh­lung der The­men, dass ei­ne theo­lo­gi­sche Aus­ein­an­der­set­zung im Fra­gen des Glau­bens hier nicht ge­sucht wird. Auch mich treibt der Glau­be um, wenn auch nicht der ka­tho­li­sche, son­dern ein pro­te­stan­ti­scher, ein­ge­so­gen als ein Kin­der­glau­be, der noch gar nicht an­ge­krän­kelt war von Life­style und Wohl­fühl-Lied­gut, son­dern Bach-Kan­ta­te und Lu­ther-Zwing­li-Streit. Je mehr ich mich je­doch da­mit be­schäf­tig­te, de­sto deut­li­cher wur­de mir die Un­ver­füg­bar­keit des Glau­bens, der nur als Gna­de i s t. Von da­her ist To­le­ranz kein Gut­men­schen­ge­bot, son­dern dem gläu­bi­gen Men­schen not­wen­dig (auch sich selbst ge­gen­über) – kei­ne »bil­li­ge« al­ler­dings, son­dern ei­ne, die sich be­wusst ist der Un­über­wind­bar­keit von Gren­zen – für mich zum Bei­spiel zum Ka­tho­li­zis­mus, des­sen Hei­li­gen­ver­eh­rung mir die Groß­mutter vol­ler Ver­ach­tung als Hei­den­tum er­klär­te. Ich schaue heu­te fried­fer­tig auf die­se Glau­bens­form, wie­wohl sie mir fremd bleibt und blei­ben muss.

    »Tie­fe« (auch in der Fremd­heit zu sich selbst) ha­be ich in Ma­tus­seks Tex­ten noch sel­ten ent­deckt; sie wird auch nicht ge­won­nen als »Pro­vo­ka­ti­on«.

  5. Zur Ret­tung von M.M. muss man sa­gen, dass er die­se Tie­fe auch gar nicht an­strebt. In­so­fern frönt er in­di­rekt dem, was er im Buch den an­de­ren vor­wirft. Dar­in liegt dann ei­ne Pro­ble­ma­tik, weil es ei­ne Dis­pa­ri­tät bei­spiels­wei­se zu Leu­ten wie Daw­kins führt, der min­de­stens vor­gibt, sei­nen Athe­is­mus wis­sen­schaft­lich zu »recht­fer­ti­gen«.

    In­ter­es­sant ist die­ser Per­spek­tiv­wech­sel, der sich in die­sem Buch zeigt: Als ich Kind war, hät­te ein sol­ches Buch über­haupt kein Er­re­gungs­po­ten­ti­al ge­habt. In­zwi­schen geht so et­was als »Pro­vo­ka­ti­on« durch.

    Ja, die »Un­ver­füg­bar­keit des Glau­bens« zu er­zäh­len wä­re ein Ziel – oh­ne in Fröm­me­lei zu fal­len. Viel­leicht kön­nen Leu­te wie Mo­se­bach so et­was.

  6. Lie­be Me­lu­si­ne,

    da be­fin­de ich mich wohl in ei­ner sehr ähn­li­chen Si­tua­ti­on. – In ei­ner pro­te­stan­ti­schen Ge­mein­de auf­ge­wach­sen, in des­sen Ge­mein­de­haus nur ein schlich­tes Holz­kreuz die­ses über­haupt als christ­li­chen Ort aus­wies und ei­nem Pa­stor mit schar­fer, en­ga­gier­ter und in­tel­lek­tu­el­ler Pre­digt. (Den letz­ten Rest Ka­tho­li­zis­mus nahm mir wohl die ba­rocke Ge­schmack­lo­sig­keit ei­ni­ger spa­ni­scher Kir­chen.. – )

    Die­sen Wunsch Mattuseks nach ei­ner an­spruchs­vol­len, gei­stig an­re­gen­den Aus­übung der Re­li­gi­on ver­spü­re ich al­so eben­so... muss nach der Kri­tik je­doch be­zwei­feln, ob er selbst die­ser For­de­rung Ge­nü­ge tä­te... Viel­leicht muss ich doch mal ernst­haft in ir­gend­wel­che Theo­lo­gie­bü­cher schau­en. Edit: das Theo­lo­gie­buch, das ich da hab, ist wohl von Adolf Schlat­ter. Und der kri­ti­sier­te das gno­sti­sche Chri­sten­tum – viel­leicht doch zu recht.. Viel­leicht schaue ich mir den ol­len Wäl­zer von 1910 doch mal an..) -

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    In Ma­tus­seks Kri­tik der Kri­tik an den Is­lam­kri­ti­ker ha­be ich mal hin­ein­ge­schaut und ich fand es zum weg­schau­en:
    [..] sind nicht ganz so sehr aus der Luft ge­grif­fen, eben­so we­nig wie vie­le der Ar­gu­men­te Bro­ders oder Kel­eks, die viel­leicht auch Bah­ners oder Stein­feld ein­fal­len könn­ten, wenn sie wie­der mal zwei Stun­den vor Ab­flug we­gen is­la­mi­sti­scher Ter­ror­ge­fahr ih­re Zahn­pa­sta­tu­ben in Klar­sicht­hül­len durch den Si­cher­heits­check tra­gen müs­sen, auf Socken, denn die Schu­he lie­gen auf dem Band.
    Wun­der­bar: Die Stich­hal­tig­keit der Angst be­grün­de ich al­so mit der Angst? – Ich er­in­ne­re mich hin­ge­gen an ein Ge­spräch mit dem frot­zeln­den, ent­spann­ten Si­cher­heits­per­so­nal, die sich über die Un­sin­nig­keit die­ser Si­cher­heits­maß­nah­men ge­nau­so amü­sier­ten wie ich... Aber ich es­se ja jetzt auch Sa­lat, Gur­ken und To­ma­ten.

    Ist es nicht pom­pö­ser Un­fug, an­ge­sichts der is­la­mi­sti­schen Groß­wet­ter­la­ge die­je­ni­gen, die auf der Ein­hal­tung von Men­schen­rech­ten auch im re­li­giö­sen Raum be­stehen, als »schrei­ben­de Ein­greif­trup­pe« zu de­nun­zie­ren?
    Eben Groß-/K­lein­wet­ter­la­ge. Heu­te regnet´s, mor­gen scheint wie­der die Son­ne, ge­ra­de das könn­te ei­nen doch die Re­li­gi­on leh­ren, von die­sen gan­zen Stür­men im Was­ser­glas ab­zu­se­hen und den Blick zu wen­den auf das grö­ße­re Gan­ze.
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    (PS. Näch­ste ir­rele­van­te Schnip­sel: In Tai­ze war ich ein­mal, ob­wohl selbst nicht gläu­big, ha­be ich doch von da den Ein­druck mit­ge­nom­men, dass es so et­was wie prak­tisch-ak­tiv ge­leb­ten Glau­ben gibt.)

  7. @Gregor Keu­sch­nig & Phor­k­yas
    Das Schrei­ben über Re­li­gio­si­tät ist tat­säch­lich ei­ne Pro­vo­ka­ti­on, auch wenn das von der Schrei­ben­den nicht so in­ten­diert war. Ich ha­be we­nig Re­ak­tio­nen (auch über die Mail-Adres­se) zu mei­nen Blog­ein­trä­gen er­hal­ten, die so ver­let­zend wa­ren, wie die­je­ni­gen zu mei­nen »re­li­giö­sen Be­kennt­nis­sen«, von Dumm­heit bis In­to­le­ranz, An­ti­se­mi­tis­mus bis Is­lam­pho­bie wur­de mir da al­les un­ter­stellt. Al­lein sich mit dem ei­ge­nen Glau­ben aus­ein­an­der­zu­set­zen, oh­ne die­sen so­gleich zu ver­wer­fen, sich für die Ge­schich­te der Kirche(n) zu ent­schul­di­gen etc.etc. ruft sol­che Re­ak­ti­on schein­bar wie ein Re­flex her­vor, min­de­stens bei mir, wo of­fen­bar Leser:innen das nicht er­war­te­ten.
    Im­mer wie­der trei­ben mich zwei Kern­fra­gen christ­li­chen Glau­bens um: die Kreu­zi­gung Got­tes (das »Selbst­of­per«? oder die »Sün­den­ver­ge­bung«?) und die Berg­pre­digt.

    »Der Sa­do-Ma­so-Gott«

    »Hr. He­di­ger will wis­sen, wie ich die Berg­pre­digt ver­ste­he«

    Wie die­se zwei aus ka­tho­li­scher Per­spek­ti­ve zu deu­ten sind, das frei­lich in­ter­es­sier­te mich sehr. Ob aber M. Ma­tus­sek hier­auf Ant­wor­ten sucht und fin­det, dar­an zwei­fe­le ich.

    Herz­li­chen Gruß
    M.

  8. Lie­be Me­lu­si­ne,

    da­zu – be­son­ders auch Ih­rer In­ter­pra­ta­ti­on der Berg­pre­digt und den Be­mer­kun­gen – schie­ßen mir ei­ne Viel­zahl von Din­gen durch den Kopf. Ver­let­zen­de e‑mails ha­be ich glück­li­cher­wei­se noch nie er­hal­ten, nicht ein­mal kri­ti­sche Kom­men­ta­re.
    Dass je­mand schreibt: »Re­li­giö­se sind al­le eng, Lob­ster, der ein­zi­ge der nicht eng war, war sei­ner­zeit Je­sus, aber den ha­ben sie ja um­ge­bracht.« – ist wahr­schein­lich noch das Harm­lo­se­ste. Al­ler­dings zeigt das in sei­ner ne­ga­ti­ven Zu­spit­zung schon wie­der auf die fei­ne Dia­lek­tik, mit der man sich kon­fron­tiert sieht, wenn man denn selbst de­fi­nie­ren woll­te, was die wah­re Re­li­gi­on sei: Von Eckard Krau­se bin ich da mal über das Ton­do­ku­ment ei­ner Pre­digt mit dem Ti­tel »Über­win­de die Re­li­gi­on« ge­stol­pert, der Je­sus Wor­te so ähn­lich in­ter­pre­tier­te: als das En­de von Re­li­gi­on (Re­li­gi­on ma­che uns im­mer ein schlech­tes Ge­wis­sen, weil wir die von Ih­nen an­ge­spro­che­ne Gren­ze zwi­schen den Vor­stel­lun­gen, dem gu­ten Wil­len zu dem was wir dann tun nicht über­win­den kön­nen, weil wir im­mer klein und fehl­bar blei­ben, kön­ne sie uns klein hal­ten – und Je­su Bot­schaft sei ge­nau das En­de da­von: Gott las­se all die klein­li­chen Re­geln und Vor­schrif­ten der Re­li­gi­on fal­len und neh­me uns so an, wie wir sei­en. – Es ist na­tür­lich ei­ne nicht zu über­se­hen­de Poin­te, dass aus die­ser fro­hen Bot­schaft wie­der »fin­ste­re« Re­li­gi­on wer­den muss­te...)

    Be­vor ich mei­nen Kom­men­tar wie­der ganz zer­fa­se­re... Fin­de ich es, um die Wor­te von oben zu neh­men, »eng»stirnig, eng­her­zig – al­le Re­li­giö­sen schon als eng­stir­nig.. oder gleich als got­tes­wahn­sin­nig oder ähn­li­ches zu ti­tu­lie­ren. Die Ve­he­menz mit der das ge­schieht er­scheint mir schon ver­däch­tig,.. so als laue­re da nicht schon ei­ne ei­ge­ne »Re­li­gi­on« oder (Wissenschafts)ideologie...

  9. @MelusineB
    Was mir nach der Lek­tü­re Ih­rer Tex­te auf­fällt: Da gibt es für mich ei­nen Wi­der­spruch. Ei­ner­seits for­dert man von je­man­dem wie M. M. (oder, um es neu­tra­ler zu for­mu­lie­ren: von ei­nem Gläu­bi­gen) ei­ne Art Be­grün­dung für sei­nen Glau­ben – um dann fest­zu­stel­len, dass dies letzt­lich un­mög­lich ist bzw. der­art in­tim, dass sich je­de Form der Dis­kus­si­on hier­über letzt­lich ver­bie­tet oder min­de­stens als schwie­rig er­weist.

    Ty­pisch kommt man all­zu schnell in ei­ne Art von Recht­fer­ti­gungs­hal­tung, die dem for­dern­den »Sag!« ent­ge­gen­ge­setzt wird – wohl wis­send, dass die Antwort(en) hier­auf wie­der­um ge­nü­gend »An­griffs­flä­che« bie­ten – bis da­hin das Kon­strukt des Gläu­bi­gen zu de­nun­zie­ren.

    Ob Sie auf Ih­re An­fra­gen in den Je­sus-Bü­chern von Ratz­in­ger Ant­wort fin­den wür­den? Kei­ne Ah­nung – ich ha­be sie nicht ge­le­sen. Wenn man bö­se wä­re, könn­te man fra­gen: Aber was wä­re ge­won­nen, die Deu­tun­gen der Kir­che zu ver­neh­men? Deu­tun­gen, die ja auch – frei­lich in an­de­rem Rah­men – Än­de­run­gen un­ter­wor­fen sind bzw. sein könn­ten?

    @Phorkyas
    Tat­säch­lich hat mich die Mi­li­tanz von Daw­kins und die Dumm­heit von Hit­chens mehr in das re­li­giö­se La­ger »ge­trie­ben«, als ich dach­te. Ich be­su­che zwar im­mer noch nicht die Kir­che und bin weit ent­fernt da­von, den Dog­men der ka­tho­li­schen Kir­chen zu fol­gen. Aber die­se Form des ideo­lo­gi­schen Re­li­gi­ons­ex­or­zis­mus (die bei Daw­kins in ei­ne Art Na­tur­wis­sen­schafts­fun­da­men­ta­lis­mus führt) ist ein­fach nur noch to­ta­li­tär.

  10. [...]

    PS. Me­lu­si­nes Be­mer­kung, dass es sich bei dem re­li­giö­sen Be­kennt­nis, um et­was In­nig-In­ti­mes han­delt, kann ich aber gut nach­voll­zie­hen. Beim Kul­tu­rel­len kann man da nicht Ähn­li­ches be­mer­ken: das was man schätzt, das was ei­nem et­was be­deu­tet, das möch­te man nicht an­ge­grif­fen se­hen – und wenn es um das Tran­szen­den­te geht, viel­leicht ei­ne Sinn­ge­bung der ei­ge­nen Exi­stenz, das legt die Lat­te ja schon un­er­reich­bar hoch (schon in Hö­he von Zau­ber­wort, blau­er Blu­me oder Welt­for­mel)

  11. wow – was für ei­ne Fleiß­ar­beit
    Lie­ber Gre­gor Keu­sch­nig – was für ei­ne Fleiß­ar­beit. Und wie sie schrei­ben kön­nen! Al­ler­dings glau­be ich, das Sie mich doch et­was über­in­ter­pre­tie­ren wenn Sie schrei­ben, »Fast schüch­tern kom­men­tier­te Alex­an­der Wal­l­asch in der Re­zen­si­on in der Süd­deut­schen Zei­tung, dass man mei­ne, »vie­les wie­der­zu­er­ken­nen aus sei­ner jahr­zehn­te­lan­gen jour­na­li­sti­schen Ar­beit«. We­nig­stens ihm schwant da was.« Si­cher ha­ben sie mit ih­ren Re­cher­chen recht, aber ich glau­be gar nicht, das sich Ma­tus­sek hier hät­te neu er­fin­den kön­nen, denn auch bei­spiels­wei­se in »Als wir jung und schön wa­ren« wird ja die Kind­heit be­reits aus­führ­lich be­schrie­ben. Nur: wie der Buch­rücken schon sagt, »...er­zählt Ma­tus­sek auch über sich selbst, über sei­nen Glau­ben und wie er wur­de, was er ist.« Zwangs­läu­fig kommt so al­so wie­der al­les zu­sam­men. Das kann man ja nicht neu er­fin­den. Und es er­mög­licht doch dem Le­ser sich ih­re flei­ssi­ge und si­cher hoch­auf­wän­di­ge No­ti­zen- und Re­cher­che­ar­beit zu er­spa­ren. Vie­le Grü­ße
    Ihr Wal­l­asch

  12. Vor al­lem kann der Samm­ler, der sich die Spie­gel-Ar­ti­kel­chen aus­ge­druckt oder gar aus dem Heft ge­ris­sen hat­te, die­se nun ru­hi­gen Ge­wis­sens ent­sor­gen.

    Nie­mand soll et­was »neu er­fin­den« und es ist wohl wirk­lich zu­viel ver­langt, Red­un­dan­zen zu ver­mei­den, wenn in zwei Ta­gen schon wie­der die näch­ste Dis­kus­si­ons­run­de an­steht. Da stim­me ich Ih­nen un­be­dingt zu. Aber es hät­te was von ei­ner ge­wis­sen Red­lich­keit, wenn man dem Le­ser er­klä­ren wür­de, wann das al­les schon mal ge­dacht und ge­schrie­ben wur­de. Aber das ist wohl noch alt­mo­di­scher als der Ka­tho­li­zis­mus.

  13. Lie­ber Gre­gor Keu­sch­nig,

    na ja – ich ver­ste­he ja. Der Gu­ten­berg sitzt ih­nen noch im Nacken ;))) Aber nein, den hier geht es ja um höchst ei­gens Er­le­ben und nicht et­wa um ei­ne Zweit­ver­wer­tung, das wür­de ja be­deu­ten, das ich mei­ne Werk­schau stän­dig in sich über­prü­fen müss­te. Da­von ab fand ich es per­sön­lich ein­fach auch völ­lig of­fen­sicht­lich und un­ver­schlei­ert, denn um sei­ne Vi­ta macht Ma­tus­sek ja über­haupt kein Ge­heim­nis. War­um auch? Mei­ster­li­che Re­por­ta­gen und Es­says! Das ge­ste­hen ihm ja so­gar athe­isti­sche Geg­ner zu. Al­so al­les gut! Und al­les Gu­te, Ihr Wal­l­asch

  14. Ps.: »Spie­gel-Ar­ti­kel­chen« ? na, um die zu ver­nied­li­chen muss man sel­ber erst­mal was auf die glü­hen­de Plat­te schmei­ßen mein Be­ster ;))

  15. ..dann kön­nen Sie ja dem­nächst et­was vir­tu­el­len wei­ßen Rauch hier auf­stei­gen se­hen, wenn Sie die Nach­fol­ge des Li­te­ra­tur­papsts an­tre­ten? Näh­men Sie die Wahl an?

  16. Ich ste­he ja glück­li­cher­wei­se gar nicht zur Wahl. (Ma­tus­sek zeigt ja ganz schön in sei­nem Buch, dass die Po­si­ti­on des Ge­gen­pap­stes zu­meist die me­di­al lu­kra­ti­ve­re ist.)

  17. Des­we­gen könn­te er ja auch den Ge­gen­papst ge­ben. Ah, das gäb´ ein schö­nes Schis­ma wie der­zu­einst 1378 un­ter Gre­gor XI. (der lei­der nicht der Ge­gen­papst war – das passt dann nicht).

  18. @Wallasch
    Schon klar. Aber ich mein­te Ma­tus­sek nicht als Ge­gen­papst. Er schreibt ja schon deut­lich ge­gen die »Ge­gen­päp­ste« Küng und Geiß­ler an, wo­bei der Küngs In­tel­lek­tua­li­tät klu­ger­wei­se nicht in Zwei­fel stellt. Wun­der­bar die Sze­ne vor (oder nach) ei­ner »Maischberger«-Sendung mit Geiß­ler beim Mett­bröt­chen... Sie wis­sen schon.

    Ma­tus­seks Hom­mage an JP II geht mir deut­lich zu weit. Was er zu Be­ne­dikt schreibt, ver­mag ich sehr gut nach­zu­voll­zie­hen.

    [EDIT: 2011-06-09 09:14]

  19. »Spaß­ge­sell­schaft mit ih­rer anödende[n] Dau­er­i­ro­nie «

    Die­ser Punkt hat mich an­ge­spro­chen beim Le­sen Ih­rer Re­zen­si­on. Ich bin nicht gläu­big. Aber manch­mal füh­le ich mich als Exot, weil ich nicht je­des The­ma für witz­fä­hig hal­te und weil ich ein Be­dürf­nis nach ernst­haf­ter Aus­ein­an­der­set­zung mit ge­wis­sen Fra­gen ver­spü­re. Nicht al­les ist ein­fach nur lu­stig und ko­misch und ei­ne amü­san­te An­ek­do­te, die man in ge­sel­li­ger Run­de er­zäh­len kann. Doch das scheint ei­ne weit ver­brei­te­te At­ti­tü­de zu sein: Al­les ist ir­gend­wie Co­me­dy, al­les ist ir­gend­wie wit­zig und mit Hil­fe der oben er­wähn­ten »Dau­er­i­ro­nie« gibt man vor, nie wirk­lich von et­was be­trof­fen zu sein. Oder mit Ro­ger Wil­lem­sen ge­spro­chen, man ver­bleibt im »Un­ei­gent­li­chen«. Das ins ko­mi­sche ver­kehr­te ist gar nicht wirk­lich. Die­je­ni­gen, die aus al­lem ei­ne wit­zi­ge Sto­ry ma­chen, neh­men an den von ih­nen be­schrie­be­nen Er­eig­nis­sen nicht wirk­lich teil – zu­min­dest ist das der Ein­druck, den sie er­wecken.
    Und das fin­de ich wirk­lich ät­zend, denn ich bin nicht mehr jung ge­nug, um von nichts be­trof­fen zu sein. Aber die »Dau­er­i­ro­nie« lässt kei­nen Raum für ei­ne ernst­haf­te Aus­ein­an­der­set­zung mit Pro­ble­men, sei es die ei­ge­ne Bio­gra­fie oder sei­en es öf­fent­li­che An­ge­le­gen­hei­ten. Die Iro­ni­ker sind ge­nervt, wenn man nicht al­les fort­wäh­rend ins Lä­cher­li­che zieht. Sehr scha­de.

  20. @Gregor Keu­sch­nigg: Zum Wi­der­spruch
    Ja, da ist der Wi­der­spruch – und er ist un­auf­lös­lich. Wer vom Glau­ben spricht, re­det von Of­fen­ba­rung. Das ist per se nicht dis­kurs­fä­hig. Ist des­halb das Re­den über Glau­bens­fra­gen selbst ob­so­let?

    Ich glau­be nicht. Denn in den Er­zäh­lun­gen vom Glau­ben sind exi­sten­ti­el­le Mensch­heits­fra­gen ge­bor­gen, auf die der Glau­be Ant­wort ist oder sein kann. Von da­her kann auch dem Nicht­gläu­bi­gen die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Gläu­bi­gen in­ter­es­sant sein: die Fra­ge nach Schuld/ Schuld­emp­fin­den, die Fra­ge nach der Ver­voll­komm­nung, nach dem Sinn von Ge­schich­te, das Sein/­Sol­len-Di­lem­ma, nach dem Men­schen­bild (und dem Bil­der­ver­bot)...

    Für den Gläu­bi­gen ist das Spre­chen über den Glau­ben Selbst­ver­ge­wis­se­rung und – wie ich hof­fe – ei­ne Lehr­übung in To­le­ranz. Denn wo er ehr­lich ist, wird er ver­ste­hen, dass sein Glau­be sich letzt­lich ver­nünf­ti­ger Be­grün­dung ent­zieht und de­mü­tig für sich selbst die Un­ver­füg­bar­keit der Glau­bens­ge­wiss­heit er­ken­nen. Des­halb ist In­to­le­ranz ge­gen­über An­ders­gläu­bi­gen und Nicht­gläu­bi­gen vor al­lem auch im­mer ein Hin­weis auf ei­nen Man­gel an Glau­ben.

    (Das sei den Fun­da­men­ta­li­sten al­ler Coleur ins Stamm­buch ge­schrie­ben. Ich neh­me ge­ra­de ih­nen die Glau­ben­ge­wiss­heit, die sie be­haup­ten, nicht ab. Ver­füg­ten sie tat­säch­lich über sie, müss­te sie dies sanft ge­gen­über je­nen stim­men, de­nen sie fehlt, statt dass sie die­se be­kämpf­ten.)

  21. @MelusineB
    Man darf al­ler­dings nicht ver­ges­sen, dass ins­be­son­de­re dem Chri­sten­tum und dem Is­lam im­mer auch der Ge­dan­ke der Mis­sio­nie­rung in­ne­wohn­te. Die­ser mehr oder we­ni­ger sanf­te Zwang, dem an­de­ren »das Gu­te« auf­zu­zwin­gen, ist frei­lich im­ma­nent auch für an­de­re, welt­li­che Über­zeu­gun­gen, die oft mit ve­he­men­tem Wahr­heits­fu­ror da­her­kom­men.

    Glau­bens­ge­wiss­hei­ten sind im­mer auch mit Pha­sen des Zwei­felns durch­setzt. Wenn »An­ders­gläu­bi­ge« oder »Un­gläu­bi­ge« be­kämpft wer­den, dürf­te dies durch­aus mit der Angst des ei­ge­nen »Glau­bens­ver­lu­stes« er­klärt wer­den kön­nen. Ei­ner Angst, die mit die­ser Mi­li­tanz über­spielt wer­den soll.

    Re­den über Glau­bens­fra­gen ist dann frucht­los, wenn Ga­da­mers Dik­tum, wel­ches ich zu Be­ginn mei­nes Tex­tes er­wähnt ha­be, nicht als Mög­lich­keit ver­bleibt. Was Nietz­sche noch ver­moch­te, ist den heu­ti­gen Athe­isten qua Selbst­bild schein­bar un­mög­lich ge­wor­den. Sie son­nen sich im An­ge­sicht ih­res ver­meint­lich un­um­stöß­li­chen, per­fekt ge­styl­ten Welt­bil­des. Das macht sie ja so lang­wei­lig.

  22. Die Er­geb­nis­of­fen­heit für ei­nen Dis­kurs oder Dis­kus­si­on soll­te man schon ein­for­dern. Des­halb fin­de ich (Polit-)Talkshows auch so en­ner­vie­rend, denn das ist das Ge­gen­teil von Of­fen­heit: kei­ne Zeit und Ru­he ein Ar­gu­ment zu be­den­ken, wird da nur ge­holzt. Dem­entspre­chend wür­de ich mei­ne Er­war­tun­gen für ein Ge­spräch doch et­was her­un­ter­schrau­ben: es wä­re schon ein­mal schön, wenn man über­haupt so weit kä­me, ein­an­der zu­zu­hö­ren! – Zu­dem, weiß ich nicht, ob man in die­sem Punkt wirk­lich for­dern könn­te, dass Gläu­bi­ge oder Athe­isten ih­ren Glau­ben mal so eben er­schüt­tern las­sen. Schon das Zu­hö­ren und sich in den an­de­ren Hin­ein­ver­set­zen wol­len kann aber zu in­ter­es­san­ten Er­geb­nis­sen füh­ren:
    So be­schrieb ei­ne Freun­din ih­re Vor­stel­lung von ei­nem per­so­na­len Gott als ein Ge­fühl der letz­ten Ge­bor­gen­heit, des An­ge­nom­men­seins. Was ei­nem auch im­mer für ei­nen Mist pas­siert, es gibt für sie noch ei­nen Rück­halt (sie kann nicht tie­fer fal­len als in sei­ne Hand – Fro­he Bot­schaft in Rein­form?). – Ich kann mir hin­ge­gen kei­nen per­so­na­len Gott vor­stel­len, das ist mir schon zu sehr nach un­se­rem ei­ge­nen Bil­de, für mich muss er ab­strakt, un­be­greif­bar (letzt­lich auch ab­surd und fern/nichtexistent) blei­ben.

    An­de­re Dis­kus­sio­nen wa­ren je­doch ähn­lich frucht­los wie mit die­sen Athe­isten – da ha­be ich ge­ra­de ein auf­schluss­rei­ches Zi­tat von Daw­kins ge­fun­den:
    »High­ly in­tel­li­gent peo­p­le are most­ly athe­ists,« he says. »Not a sin­gle mem­ber of eit­her hou­se of Con­gress ad­mits to be­ing an athe­ist. It just does­n’t add up. Eit­her they’­re stu­pid, or they’­re ly­ing.«
    Er kann sich nicht in ei­nen Gläu­bi­gen oder auch Agno­sti­ker hin­ein­ver­set­zen – es will ein­fach nicht in sei­nen Schä­del das ei­ni­ger­ma­ßen in­tel­li­gen­te oder in­tel­lek­tu­el­le Men­schen über­haupt an et­was glau­ben kön­nen für das es kei­ne em­pi­ri­sche Evi­denz gibt – und des­halb müs­sen da, wo er sol­che Men­schen ver­mu­tet, noch mehr Athe­isten hocken, die sich ver­stecken.
    (Der Text von wired hat­te mir ins­ge­samt über­haupt ge­fal­len, weil der Au­tor ge­nau er­geb­nis­of­fe­nen die­sen Athe­is­mus an sich aus­pro­bie­ren möch­te )

    PS. In­so­fern, Gre­gor Keu­sch­nig, wür­de ich nicht sa­gen, dass es Zwei­fel oder »Angst [sei], die mit die­ser Mi­li­tanz über­spielt wer­den soll«, son­dern dass es de­nen Fun­da­men­ta­li­sten eben an der Fä­hig­keit man­gelt sich in an­de­re hin­ein­zu­ver­set­zen bzw. die Mög­lich­keit ei­ner an­de­ren Po­si­ti­on au­ßer der ei­ge­nen über­haupt ein­zu­se­hen oder zu­zu­las­sen.

  23. @Phorkyas
    Ja, es kann sein, dass Sie rich­tig lie­gen, wenn Sie man­geln­de Em­pa­thie kon­sta­tie­ren.

    Daw­kins’ athe­isti­scher Feld­zug ist m. E. in sei­ner Ve­he­menz nur durch sei­nen Haß auf die ame­ri­ka­ni­schen Evan­ge­li­ka­len zu er­klä­ren. Ei­ne an­de­re Deu­tung fällt mir nicht ein.

  24. Was ei­nem auch im­mer für ei­nen Mist pas­siert, es gibt für sie noch ei­nen Rück­halt

    Ei­ner der schön­sten Fil­me der Coen-Brü­der A se­rious man han­delt von ei­nem Phy­sik-Pro­fes­sor, der fest im Le­ben steht, sich sei­ner Din­ge in Le­ben und Re­li­gi­on ge­wiss ist. Sein Bru­der da­ge­gen, der sich bei ihm ein­quar­tiert hat, ist das Pa­ra­de­bei­spiel ei­nes Ver­lie­rers, der sich in kab­ba­li­sti­sche Ab­grün­de ret­tet, sei­ten­wei­se Hef­te mit un­sin­nig er­schei­nen­den Sym­bo­len voll­krit­zelt.

    Spä­ter, das rea­le Le­ben ent­glei­tet ihm lang­sam aber si­cher, steht der Haupt­dar­stel­ler vor der mit phy­si­ka­li­schen For­meln be­schrie­be­nen Ta­fel der Uni und ver­sucht die Hei­sen­berg­sche Un­schär­fe­re­la­ti­on zu er­klä­ren. Als die Ka­me­ra auf­zoomt, sieht man ei­nen im­mer grö­ßer wer­den­den Wust von wei­te­ren Glei­chun­gen, die eben­so we­nig ei­nen Sinn zu er­ge­ben schei­nen wie vor­her die kab­ba­li­sti­schen Alb­träu­me.

    Letzt­end­lich sind bei­de durch ih­re An­sprü­che ver­lo­ren und nur die Men­schen im Film, die das Le­ben oh­ne groß nach­zu­den­ken so neh­men wie es ist, ha­ben die häu­fig er­sehn­te Selbst­ge­wiss­heit. Oder an­ders for­mu­liert: Je we­ni­ger ich weiß, de­sto grö­ßer ist die Rol­le, die ich in mei­ner Welt spie­le.

    @Gregor Keu­sch­nig
    Bei Daw­kins ha­ben Sie sich glau­be ich et­was ver­bis­sen und ver­wen­den den ar­men Mann nur noch als Fo­lie für al­le fie­sen Ei­gen­schaf­ten der Pri­mi­tiv-Athe­isten. Da­mit wer­den Sie ihm nicht ge­recht. Zu­min­dest den Un­ter­schied zwi­schen der Kri­tik der re­al exi­stie­ren­den Re­li­gio­nen und der phi­lo­so­phi­schen Her­an­ge­hens­wei­se soll­ten Sie ma­chen. Ich wür­de noch­mal auf sei­nen Film The Root of all Evil hin­wei­sen. Die An­griff sind auch dort scharf, aber do­ku­men­tiert.

  25. @Peter42
    Kann sein. Glau­be ich aber nicht. Daw­kins’ ra­di­ka­ler Athe­is­mus ist Fakt; er ist zwei­fel­los be­grün­de­ter als das Ge­sei­re von Hit­chens. Sei­ne »Kri­tik« an der Re­li­gio­nen ist aus­schließ­lich auf die mo­no­the­isti­schen Re­li­gio­nen fo­kus­siert. Da­mit schlägt er zwei Flie­gen mit ei­ner Klap­pe: Die von ihm so ver­hass­ten Evan­ge­li­ka­len (in den USA) und den (fun­da­men­ta­li­sti­schen) Is­lam. Das ist ziem­lich durch­sich­tig und kei­nes­wegs ei­ne fie­se Un­ter­stel­lung mei­ner­seits.

  26. @Peter42: Mit die­sem Film der Coens konn­te ich lei­der nicht so viel an­fan­gen, ver­mut­lich trug da­zu auch bei, dass ich mich als Phy­si­ker ge­ra­de nicht mit der Haupt­per­son iden­ti­fi­zie­ren (gut, zu­ge­ge­be­ner­ma­ßen sind die mei­sten Fi­gu­ren der Coens eher schrä­ge Ty­pen, aber so übel wie ih­nen die­ses mal mit­ge­spielt wur­de und wie sie auch vor­her dem Spott der Nied­rig­keit aus­ge­setzt wur­den, kam es mir fast schon ag­gres­siv oder bru­tal vor, wie sie mit ih­ren ei­ge­nen Fi­gu­ren um­sprin­gen.. und lö­ste auch so bei mir kei­ne Be­tei­li­gung oder Mit­ge­fühl aus).

    Wie Sie die­je­ni­gen, die ihr Le­ben ein­fach so ge­nie­ßen wie es ist, die ge­gen­über­stel­len, die grü­beln und ver­zwei­feln, das er­in­ner­te mich an die­se Ge­gen­über­stel­lung von Le­bens­tüch­ti­gen und frag­wür­di­ger, re­flek­tie­ren­der Künst­ler­fi­gur, wie z.B. bei Tho­mas Mann (To­nio Krö­ger,..). Die­ser Wi­der­spruch der bei­den Sphä­ren ist mei­ner Mei­nung nach aber Teil je­der In­di­vi­dua­ti­on, des er­wa­chen­den Be­wusst­seins. Man fängt an über sei­ne Um­welt und sich selbst zu sin­nie­ren.. und der Wunsch zu­rück in die ge­dan­ken­lo­se Un­wis­sen­heit ist letzt­lich re­gres­siv (wenn Sie es mit dem al­ten My­thos sa­gen wol­len: in das Pa­ra­dies [der Kind­heit] kön­nen wir nicht zu­rück).

    Wie al­so wird das In­di­vi­du­um er­löst? Springt es aus sei­nen Ge­dan­ken­krei­sen ein­fach ins Absurde/Göttliche? Was könn­te der An­gel­punkt sein, über sich selbst hin­aus­stei­gen zu kön­nen? – Hier könn­ten die Künst­ler auch die Ant­wort ge­ben: das Werk, ein Ro­man. (s. z.B. Bul­ga­kows Mei­ster) – Ein re­li­giö­ser Mensch wür­de sol­chen For­men der Selbst­tran­szen­die­rung viel­leicht wie­der skep­tisch ge­gen­über ste­hen (müs­sen) – Mit die­sem pflicht­be­wuss­ten Stre­ben, wie es sich bei Bul­ga­kow fin­det, und das sei­ne Rück­bin­dung in ei­ne Tra­di­ti­on und Ge­schich­te nicht ver­gisst könn­te Herr Keu­sch­nig viel­leicht wie­der ei­nen Bo­gen schla­gen zu Herrn Slo­ter­di­jks Üben.

    Was ich hier nur an­mer­ken möch­te, ist, dass der Coen-Film viel­leicht ei­ne so trost­lo­se, ne­ga­ti­ve Wir­kung auf mich hat­te, weil er sei­nen Fi­gu­ren solch ei­ne Tran­szen­denz kon­se­quent ver­wei­gert. Für sie gibt es kei­ne Flucht aus die­ser ewig-nied­ri­gen Klein­vor­stadt. (Wie im Na­tu­ra­lis­mus gibt es dann kei­ne Flucht mehr aus der Im­ma­nenz?-)

    Ge­nug. – Die­se Daw­kins-Dig­res­si­on woll­te ich ei­gent­lich ver­mie­den ha­ben, aber da wir nun schon ein­mal da sind: Für mich ist es nicht so sehr ein Feh­len von Em­pa­thie, son­dern »in­tel­lek­tu­el­le Ehr­lich­keit«, wie sie Sam Har­ris zum Bei­spiel von an­de­ren ein­for­dert. So ein­fach: »Es gibt nur Na­tu­ra­lis­mus und wer nicht für uns ist, der muss ein (feind­li­cher) Su­pra­na­tu­ra­list sein«, so ein­fach ist es nun ein­mal nicht. – Im­mer­hin er­kennt er die kul­tur­ge­schicht­li­che Re­le­vanz der My­then ja an, aber viel­leicht soll­te er ein­mal ei­nen Blick wer­fen auf die Ver­hei­ßun­gen der Wis­sen­schaft und Auf­klä­rung. De­ren Licht-Me­ta­pho­rik z.B. sich mit dem gno­sti­schen Chri­sten­tum oder Pla­ton ver­glei­chen lie­ße oder die Ver­hei­ßung im Buch der Na­tur zu le­sen, wel­ches in der Spra­che der Ma­the­ma­tik ge­schrie­ben sei: Ist das nicht auch ei­ne Art Fort­schrei­bung der Buch­re­li­gio­nen mit ih­ren hei­li­gen Schrif­ten?

  27. @Phorkyas
    Ja, ins Pa­ra­dies, dar­auf woll­te ich hin­aus, gibt es tat­säch­lich kei­nen Weg mehr zu­rück. Wer ein­mal vom Baum der Er­kennt­nis ge­nascht hat, der ist auf im­mer ver­trie­ben. Man­che Tür die man auf­ge­macht hat, kriegt man nicht mehr zu, so ger­ne man es auch hät­te. Und der Zwei­fel bleibt, dass Leib und See­le nicht un­ter ei­nen Hut pas­sen, wie man es auch dreht und wen­det. War­um aber, soll­te die Ak­zep­tanz, dass es für Men­schen un­be­ant­wort­ba­re Fra­gen gibt, nicht Er­lö­sung sein. Man steht wie­der wie das Kind in der Ebe­ne, hat aber den Berg hin­ter sich ge­las­sen und wird eben­so.

    Bei Ma­tus­sek ha­be ich aber das Ge­fühl, dass es ge­nau das ist, was ihn treibt. Dass ihn woh­li­ges Schau­dern er­fasst, wenn er in sei­nen Kind­heits­er­in­ne­run­gen ba­det, als die Welt noch nicht so pro­fan war. So ein­fach (re­gres­siv) schät­ze ich den Mann, nach al­lem was ich von ihm ge­hört und ge­le­sen ha­be, lei­der ein. Wenn er die ka­tho­li­sche Kir­che als Kul­tur­spei­cher er­kennt, gilt dies aber eben­so für die Un­kul­tur. Als er mit der Ras­sel um den Weih­nacht­baum lief, stand die Kri­tik der rei­nen Ver­nunft noch auf der Li­ste der ver­bo­te­nen Bü­cher.

    P.S.
    Die von Ma­tus­sek be­schrie­be­ne Ab­scheu vor der an­öden­den Dau­er­i­ro­nie (von Ratz­in­ger schon lan­ge ver­teu­felt), tei­le ich aber voll­stän­dig.

  28. An­öden­de Dau­er­i­ro­nie

    Was bleibt ei­nem an­de­res, wenn man die Feh­ler und Pro­ble­me des Pro­jekts Mo­der­ne sieht, spürt und er­fährt, aber hin­ter sie nicht zu­rück kann und will, weil es ein an­de­res Be­wusst­sein er­for­dert? Wie soll man, au­ßer spie­le­risch und iro­nisch le­ben kön­nen oder wol­len? Das Nicht-mehr-ernst-neh­men scheint mir manch­mal die ein­zi­ge Mög­lich­keit zu sein.

  29. @Metepsilonema
    Aber wirk­lich im­mer? Gibt es ir­gend­wann nur noch Trost in die­ser Pseu­do-Dampf­ham­mer­i­ro­nie, die al­les nie­der­walzt, was sich vor ei­nem auf­baut?

  30. @Metepsilonema: Ge­nau an die­sem Punkt woll­te ich auch schon ein­ha­ken, weil ich es ähn­lich se­he wie du.

    Oben hat­te Mi­lo auch sei­ne Zu­stim­mung aus­ge­drückt (aber noch kei­ne Ant­wort er­hal­ten). Ich glau­be, da ver­ha­ken sich Glau­be und Post­mo­der­ne. Oder meint man nicht, wenn man ge­gen die­se Dau­er­i­ro­nie zielt ei­gent­lich, die post­mo­der­ne Be­lie­bik­geit, ih­ren Re­la­ti­vis­mus? Ge­gen die­se setzt der Glau­be na­tür­lich et­was Ab­so­lu­tes, Har­tes, wäh­rend der Post­mo­der­ne nur noch spielt und nichts mehr ernst nimmt, mit dem er spielt. (Al­so das ist das Mo­tiv, das ich hier ver­mu­te). – OK, sinn­ge­mäß schriebst du das ja auch schon, me­tep­si­lo­n­e­ma. Und ge­nau da woll­te ich auch zu­stim­men: Gott er­halt mir mei­nen Sar­kas­mus, wie soll ich das hier sonst aus­hal­ten.

  31. @Gregor/Phorkyas
    Nein, ich se­he das eher als Not­lö­sung, als Be­helf. An­ders wä­re es mir lie­ber, weil we­der das Spie­le­ri­sche noch die Iro­nie dem Le­ben in je­der Hin­sicht ge­recht wer­den kön­nen (schon des­halb, weil der Ernst ei­nes sei­ner The­men ist). Nur: Wo­hin soll ich? In den Stahl­pan­zer von Mo­der­ne oder Ka­tho­li­zis­mus?

    Ja, ge­nau: Wie soll­te man es sonst aus­hal­ten (ob­wohl man es ei­gent­lich ernst neh­men sollte/wollte).

  32. An­öden­de Dau­er­i­ro­nie
    Zu­nächst ein­mal kri­tisch: Man soll­te mit Eti­ket­ten wie »Spaß­ge­sell­schaft« und »Post­mo­der­ne« vor­sich­tig um­ge­hen. Bei­de be­schrei­ben nicht die ge­sell­schaft­li­che Rea­li­tät. Es sind sehr grob ge­strick­te Deu­tungs­mu­ster, die der Wirk­lich­keit pau­schal über­ge­stülpt wer­den. Sie ent­hal­ten au­ßer­dem ei­nen kon­ser­va­ti­ven Grund­zug. Man dia­gno­sti­ziert ei­nen Ver­lust z.B. an Wer­ten, be­schreibt ei­nen ver­meint­li­chen »Sün­den­fall«, mit dem ei­ne ne­ga­ti­ve Ge­sell­schafts­ent­wick­lung be­gon­nen hat. Ori­en­tiert wird sich dann an ei­ne Zeit vor dem »Sün­den­fall«, als die Welt noch in Ord­nung war. Dass die »Spaß­ge­sell­schaft« wei­test­ge­hend fik­tiv ist, ei­ne Er­fin­dung von Feuil­le­to­ni­sten, bleibt un­er­kannt. Die Ge­sell­schaft ist bei wei­tem viel­fäl­ti­ger.

    Den­noch gibt es die At­ti­tü­de der Dau­er­i­ro­nie. Sie ist ei­ne Form, Be­trof­fen­heit zu ver­mei­den. Der Iro­ni­ker lacht über sich und die er­lit­te­nen Schick­sals­schlä­ge. Er lei­det nicht. Das ist mög­li­cher­wei­se ei­ne eher ju­gend­li­che At­ti­tü­de. Man muss noch dar­an glau­ben kön­nen, dass man bio­gra­fisch noch nicht fest­ge­legt ist. Man muss die Hoff­nung ha­ben, dass ge­schei­ter­te Lie­ben und Kar­rie­ren sich durch neue An­läu­fe voll­stän­dig kor­ri­gie­ren las­sen. Und man baut dar­auf, dass das ei­gent­li­che Le­ben noch vor ei­nem liegt. Erst dann kann die Ver­gan­gen­heit zu ei­ner wit­zi­gen An­ek­do­te re­du­ziert wer­den.

    So­zio­lo­gisch ge­se­hen mag das ein Ver­such sein, sich den Un­gleich­hei­ten der ak­tu­el­len Ge­sell­schaft zu ent­zie­hen. Wer nicht be­trof­fen ist, weil er dau­ernd über al­les lacht, der lebt auch nicht in Kon­flik­ten oder er ist auch nicht dau­er­haft durch struk­tu­rel­le Pro­ble­me ge­zeich­net. Der Dau­er­i­ro­ni­ker ver­sucht die sich ver­schär­fen­den Schief­la­gen der Ge­sell­schaft weg­zu­la­chen. Da­mit ent­zieht er sich auch der po­li­ti­schen Stel­lung­nah­me. Er tut so, als wür­de ihn et­wa die Ent­wick­lung des Ar­beits­mark­tes hin zu Ent­gren­zung, Zeit­ver­trä­gen und Leih­ar­beit nicht wirk­lich be­tref­fen und als kön­ne er sein Le­ben im­mer noch sou­ve­rän ge­stal­ten. Dass sei­ne Le­bens­um­stän­de wo­mög­lich weit­rei­chend durch po­li­ti­sche und öko­no­mi­sche Ent­schei­dun­gen vor­ge­zeich­net sind, will er nicht wahr­ha­ben. Er müss­te sich ein­ge­ste­hen, dass er man­chen Din­gen macht­los ge­gen­über­steht, dass vie­le sei­ner Hoff­nun­gen Il­lu­sio­nen sind und dass er das ent­we­der er­dul­den oder be­kämp­fen müss­te. Für das ei­ge­ne Selbst­kon­zept als fle­xi­bler In­di­vi­dua­list ist das na­tür­lich Gift.

    Das The­ma Re­li­gi­on (sie­he Mattusek) ist dann auch nur ei­ne Form, sich wie­der Sinn­fra­gen zu wid­men. Aber es fängt schon im Klei­nen an. Schließ­lich müs­sen die ei­ge­ne Bio­gra­fie und die sich mit den Jah­ren ver­en­gen­den Op­tio­nen auch ge­deu­tet wer­den. Mattusek plä­diert für sei­ne Vor­stel­lung von ei­ner »rich­ti­gen« Ge­sell­schaft und von ei­nem »gu­ten Le­ben«. Aber die­se The­men sind nicht not­wen­dig re­li­gi­ös. Nur ent­zieht sich der Dau­er­i­ro­ni­ker die­sen Fra­gen ge­schickt, aber es wirkt letzt­lich wie ei­ne Flucht vor den Tat­sa­chen des ge­sell­schaft­li­chen Le­bens. Schließ­lich be­haup­tet der Dau­er­i­ro­ni­ker, dass der ge­sell­schaft­li­che Wan­del bei ihm nichts in Fra­ge stel­len kön­ne. Die Fak­ten spre­chen ei­ne an­de­re Spra­che. Tat­säch­lich wird an­dau­ernd die Le­bens­pla­nung vie­ler Men­schen sehr in Fra­ge ge­stellt. Und dann müss­te man sich ei­gent­lich wie­der ent­sin­nen, dass man In­ter­es­sen und Wer­te hat, die kein Witz und mehr als nur gu­te Par­ty­un­ter­hal­tung sind.

  33. Die »Dau­er­i­ro­nie« ist ei­ne Vor­stu­fe des Zy­nis­mus. Der Zy­ni­ker ist der ge­schei­ter­te Mo­ra­list; der Iro­ni­ker ist auf dem We­ge da­hin. Das ist m. E. nur be­grenzt ein Duk­tus der Ju­gend; es zeigt sich in al­len Al­ters- und Le­bens­la­gen.

    Iro­nie und Zy­nis­mus sind, wenn sie mehr oder we­ni­ger dau­er­haft auf ge­sell­schaft­li­che und po­li­ti­sche Phä­no­me­ne an­ge­wandt wer­den, Aus­druck der Über­for­de­rung mit der Kom­ple­xi­tät der Welt. Das ist zu­min­dest ei­ne Be­ob­ach­tung, die ich an und bei mir sel­ber ma­che: In dem Ma­ße, wie ich mit ei­ner Sa­che nicht mehr ge­wach­sen bin und dies auch nicht mehr möch­te, iro­ni­sie­re ich sie. Schließ­lich ver­kauft man ja sei­ne Groß­mutter für ei­ne gut ge­setz­te Poin­te (sic!).

    Ich glau­be nicht, dass die »Spaß­ge­sell­schaft« ei­ne Er­fin­dung des Feuil­le­tons ist. Sie ist Pro­dukt aus der apa­thi­schen Kohl-Zeit der Vor-Wie­der­ver­ei­ni­gungs- und Post-Nach­rü­stungs-Ära. Zwi­schen 1989 und 1991 und dann wie­der zwi­schen 1998 und 1999 und nach dem 11. Sep­tem­ber 2001 gab es für kur­ze Zei­ten im ge­sell­schaft­lich-so­zio­lo­gi­schen Kli­ma ei­ne klei­ne Flau­te im all­ge­mei­nen Iro­nie- und Zy­nis­mus­mo­dus. Das zum Teil ab­rup­te Schei­tern der sich neu zei­gen­den Per­spek­ti­ven trug dann nur noch zu des­sen Auf­schwung bei.

    Fa­tal ist tat­säch­lich die Ten­denz der ge­gen­sei­ti­gen Über­bie­tung. Wenn man da­ge­gen Tho­mas Manns Ro­ma­ne liest, die in der Ger­ma­ni­stik im­mer noch als fein-iro­ni­sche Mei­ster­wer­ke gel­ten, ver­mag sich ei­nem Zeit­ge­nos­sen die­ses Ur­teil kaum noch zu er­schlie­ßen.

  34. @Milo
    Mir ist es wich­tig zwi­schen der ex­ter­nen Wer­tung und der »Ver­ur­sa­chung« zu tren­nen, oder bes­ser: Bei­de Ebe­nen be­trach­ten. Ich kann den iro­ni­schen Blick ver­ur­tei­len und ich kann zu ver­ste­hen ver­su­chen war­um er exi­stiert.

    Vor­sicht und Eti­ket­ten: Ja. Auch weil sol­che Zu­schrei­bun­gen auf Grund ih­rer re­du­zier­ten Be­trach­tung als »Kampf­be­grif­fe« ver­wen­det wer­den. Kri­tik an Ver­gnü­gen und Spass ist nicht neu.

    Ei­nen kon­ser­va­ti­ven Grund­zug ent­hält die Post­mo­der­ne nicht (zu­min­dest wenn man ihn als ei­ne Fest­schrei­bung des Ge­gen­wär­ti­gen ver­steht und das Wort als nach­mo­dern, als Über­win­dung der Mo­der­ne deu­tet).

    Der Iro­ni­ker nimmt nichts ernst, er bringt al­les in Schwe­be, aber eben auch sich selbst – Iro­nie bringt kei­ne Sy­stem­sta­bi­li­tät mit sich, da möch­te ich wi­der­spre­chen. Sie ist ähn­lich wie der Gal­gen­hu­mor ei­ne Ver­tei­di­gungs- oder »Über­le­bens­stra­te­gie«. Sie macht das Le­ben er­träg­li­cher, manch­mal.

    Nur da­mit wir uns nicht miss­ver­ste­hen: Ich bin kein Dau­er­i­ro­ni­ker und ich wer­de sie auch nicht ver­tei­di­gen, weil ich ger­ne et­was bes­se­res hät­te und oft ha­be ich das auch – manch­mal aber nicht. Was das gu­te Le­ben, für mich, aus­macht, oder aus­ma­chen könn­te, glau­be ich zu wis­sen. Aber die Um­set­zung! Und dann wie­der: Der Zwei­fel.

  35. Bil­der und Me­ta­phern
    @Milo:
    Erst ein klei­nes Trai­ning, in die­ser Dis­kus­si­ons­run­de hat mich so­weit ge­bracht ei­nen sol­chen Be­griff wie Post­mo­der­ne zu ver­wen­den – vor­her hät­te ich ge­sagt: der/die exi­stiert nicht

    Sie se­hen et­was schlech­tes in der Dau­er­i­ro­nie. Die wol­len me­tep­si­lo­n­e­ma und ich auch gar nicht ver­tei­di­gen. Mir geht es nur dar­um auch ei­ne po­si­ti­ve Be­stim­mung von Iro­nie zu­zu­las­sen:
    Sie schrei­ben, der Iro­ni­ker
    »müss[]e sich ein­ge­ste­hen, dass er man­chen Din­gen macht­los ge­gen­über­steht, dass vie­le sei­ner Hoff­nun­gen Il­lu­sio­nen sind und dass er das ent­we­der er­dul­den oder be­kämp­fen müss­te.«
    Dem stim­me ich ja bei­na­he zu, nur mei­ne ich, dass es ge­ra­de die Iro­nie sein kann, die es zu lässt dass wir die Wi­der­sprü­che (hier auch: der mo­der­nen Welt) noch er­tra­gen. Viel­leicht ist das schon ein Feh­ler, viel­leicht soll­ten wir sie nicht er­tra­gen und schrei­end oder wei­nend her­um­lau­fen. An­ders als ein re­li­giö­ser Mensch muss ich aber nicht die Au­gen da­vor ver­schlie­ßen. Auf die Theo­di­zee-Fra­ge, die Fra­ge nach dem Un­recht in der Welt, zuckt der näm­lich nur mit den Schul­tern: die We­ge des Herrn sind un­er­gründ­lich. Die Ge­gen­sät­ze wer­den ein­fach ein­ge­eb­net.

    Wie Herr Keu­sch­nig schreibt: Der Zy­ni­ker ist der ge­schei­ter­te Mo­ra­list – We­nig­stens hat er es ver­sucht. Bei Re­li­gi­on se­he ich das Pro­blem, dass man sich schon als Be­sit­zer be­stimm­ter Wer­te wähnt, oh­ne dass man über die Wer­te nach­ge­dacht hat, noch ob man sie be­sitzt – oh­ne dass man per­sön­lich da­für ge­kämpft, sie er­run­gen hat. Der Zy­ni­ker lei­det zu­min­dest noch dar­an, dass die Welt auf die Wer­te scheißt.

    Aus die­sem an­de­ren Win­kel sä­he es nun so aus dass die »Flucht vor den Tat­sa­chen des ge­sell­schaft­li­chen Le­bens« nicht der Iro­ni­ker son­dern der Re­li­giö­se be­geht. Viel­leicht ist der Win­kel ver­kippt, viel­leicht sind die­se und al­le Zu­schrei­bun­gen nur Un­sinn.

  36. #39 – @Phorkyas
    Na­ja, das Ar­gu­ment, der Re­li­giö­se wäh­ne sich im »Be­sitz« be­stimm­ter Wer­te ist ei­ne der Haupt­li­ni­en der ak­tu­el­len Re­li­gi­ons­kri­tik. Aber nur weil je­mand nach be­stimm­ten Wer­ten sein Le­ben aus­rich­tet – und viel­leicht (aber das wis­sen wir nicht) über die Wer­te nicht nach­ge­dacht hat – muss das Le­ben noch nicht »falsch« sein.

    In die­sem Po­stu­lat liegt schon die Aus­sa­ge: Iro­ni­ker -> Zy­ni­ker = re­flek­tie­ren­der Mensch, aber lei­der ver­zwei­felt. Re­li­giö­ser = dum­mer Nach­be­ter von über­nom­me­nen For­meln. (Ich ver­ein­fa­che und spit­ze zu – aber nur ein biss­chen). Die­se Welt­sicht ist mir zu ein­fach. Es gibt kei­nen Grund, den Re­li­giö­sen a prio­ri zu dis­kre­di­tie­ren. Sein Glau­ben kann sich aus Re­fle­xi­on und Em­pa­thie für die Welt ge­bil­det ha­ben. Selbst der nai­ve Kin­der­glau­ben ist nicht per se zu ver­ur­tei­len.

    (Es gibt na­tür­lich auch kei­nen Grund, den Athe­isten mit re­li­giö­sen Wer­ten zu kon­fron­tie­ren. Der Kom­pro­miss der Mo­der­ne lau­te­te: Die Aus­la­ge­rung des Re­li­giö­sen in den »Pri­vat­be­reich«. Die Sa­che ist je­doch pro­ble­ma­tisch, da die Über­schnei­dun­gen zwi­schen re­li­giö­sen und so­zia­len Mar­kern grö­sser sind, als man ge­mein­hin denkt. Die schein­bar sinn­voll­ste Lö­sung, der Lai­zis­mus, funk­tio­niert da­her nur mit ei­ner ge­wis­sen au­to­ri­tä­ren Hand­lung, die an­de­rer­seits mit dem Recht der frei­en Re­li­gi­ons­aus­übung kol­li­diert. Ein ty­pisch post­mo­der­nes Phä­no­men: Denn der Athe­ist hat auch das Recht, mit jeg­li­chen re­li­giö­se An­spie­lun­gen ver­schont zu wer­den. Nie­mand wür­de ihn je­doch zwin­gen wol­len, Weih­nach­ten zu ar­bei­ten.)

    Ich glau­be, dass Dauerironie/Zynismus und Re­li­gio­si­tät un­ter­schied­li­che Re­ak­ti­ons­mu­ster auf die Kom­ple­xi­tät von Welt sind (es gibt al­ler­dings noch an­de­re Mo­di). Ich wür­de aber aber nicht das Fass ei­ner Be­wer­tung für die ei­ne oder an­de­re Welt­be­wäl­ti­gungs­me­tho­de auf­ma­chen wol­len. In­ter­es­sant wird es aber, wenn, wie Ma­tus­sek das sug­ge­riert, die »Dau­er­i­ro­nie« zum ka­no­ni­sier­ten Duk­tus von Spra­che auch und vor al­lem in den Me­di­en wird. Ernst­haf­tig­keit, ja Pa­thos, sind in­ner­halb die­ser sich im­mer mehr per­p­etu­ie­ren­den Iro­nie­pro­duk­ti­on min­de­stens ver­däch­tig. Das Mo­de­wort meh­re­rer Ge­ne­ra­tio­nen von Ju­gend­li­chen lau­te­te nicht oh­ne Grund »cool«. Es war als Mit­tel zwi­schen Pa­thos und ei­ner sich im Zy­nis­mus be­quem ein­ge­rich­te­ten Ge­sell­schaft ge­dacht. Je­der Ei­fer stand (und steht) un­ter Ge­ne­ral­ver­dacht.

  37. @Gregor:
    Ich ver­ein­fa­che und spit­ze zu – aber nur ein biss­chen
    Sie tref­fen voll ins Schwar­ze. Dass man da her­aus­le­sen könn­te, ich hiel­te Re­li­giö­se für un­re­flek­tiert, war mei­ner­seits ei­ne zu­spit­zen­de Re­ak­ti­on auf das ge­gen­tei­li­ge Sche­ma:
    Iro­ni­ker -> nimmt nichts ernst, lässt nichts an sich her­an -> kennt kei­ne Sinn­fra­gen, sein Le­ben hat kei­ne Sub­stanz

    (Das ist in Kier­ke­gaards Entweder/Oder der Un­ter­schied zwi­schen Äs­the­tem und Ethi­ker. Wäh­rend er­ste­rer im Mo­ment lebt, al­les dar­auf aus­rich­tet den Ge­nuss der ein­zel­nen Au­gen­blicke zu stei­gern und Ge­sell­schaf­ten mit sei­nem Witz er­hei­tert, hat das ethi­sche Le­ben be­stand in der Zeit. Der Ethi­ker ent­schei­det, han­delt und sein Le­ben hat so An­ker­punk­te in der Zeit, wäh­rend der Äs­thet in zu­fäl­li­gen Mo­men­ten um­her­treibt -
    Die Ge­gen­über­stel­lun­gen hier er­in­ner­ten mich ein we­nig dar­an. Spä­ter nahm Kier­ke­gaard noch das Stadium/Existenzmodus der Re­li­gi­on hin­zu. – Wenn man so will, sind die­se Zu­schrei­bun­gen, Ver­all­ge­mei­ne­run­gen nicht so ein­deu­tig. Ich glau­be ein Mensch hat meist teil an meh­re­ren die­ser Stadien/Modi..)

    Es gibt kei­nen Grund, den Re­li­giö­sen a prio­ri zu dis­kre­di­tie­ren.
    Dar­um ging es mir nicht. Ich mein­te ei­ne spe­zi­el­le Form des Re­li­giö­sen, die sich are­li­giö­sen Men­schen schon über­le­gen fühlt, weil sie sich ja im Be­sitz der Wer­te glaubt, die­se je­doch rein for­mal auf­fasst: Die Re­geln und Bräu­che wer­den be­folgt we­gen ih­rer schö­nen Weih­rauch­fas­sa­de. (Auch die­se Zu­spit­zung ist wie­der pro­ble­ma­tisch: wie will ich mir an­ma­ßen, ob je­mand den Ge­halt der Re­geln und Re­li­gi­on er­fasst hat, oder nur der Form nach ver­folgt – wie will ich über­haupt die Es­senz der Wer­te be­stim­men wol­len, de­ren Er­ken­nen ich an­de­ren ab­schrei­ben möch­te?)

    [PS. Wo wir von Ethik spre­chen, soll­ten wir da nicht auch von der Letzt­be­grün­dung spre­chen. Könn­te man nicht auch sa­gen, dass hier der/ ein Un­ter­schied liegt: der Re­li­giö­se re­agiert auf die­ses Pro­blem mit ei­ner Set­zung, wäh­rend der Iro­ni­ker an der Un­lös­bar­keit fest­hält?]

  38. @phorkyas
    Mein Ein­wand war nicht ge­gen Sie ge­rich­tet. Ich nei­ge ge­le­gent­lich da­zu, auch die Ver­wis­sen­schaft­li­chung der Welt als ei­ne Art »Ge­gen­re­li­gi­on« zu se­hen. Ins­be­son­de­re die Neu­ro­bio­lo­gie, die der Phi­lo­so­phie an den Kra­gen möch­te, agiert da sehr an­ma­ßend. Sie re­du­ziert gleich­zei­tig den Men­schen als ei­nen bio­lo­gi­sti­schen Ap­pa­rat – und be­treibt da­mit ex­akt das Spiel re­li­giö­ser Fun­da­men­ta­li­sten (nur von der an­de­ren Sei­te), die das In­di­vi­du­um auch nur als Werk­zeug Got­tes se­hen wol­len.

    Die Di­cho­to­mie Ethi­ker vs. Äs­the­ti­ker ist in­ter­es­sant, wo­bei die Rol­len nicht mehr so ein­deu­tig de­fi­niert sein dürf­ten. In­zwi­schen kann es auch are­li­giö­se Ethi­ker ge­ben, die es na­tür­lich ein biss­chen schwie­ri­ger ha­ben, da ih­nen die letzt­be­grün­den­de In­stanz fehlt, auf die sie sich be­ru­fen kön­nen. Ich glau­be, Kant hat das ver­sucht, in dem er Gott weit­ge­hend »aus dem Ge­schäft« ge­las­sen hat. Wo­bei der (Dauer-)Ironiker heu­ti­ger Prä­gung ge­ra­de die­ses Ver­trau­en Kants in die Sitt­lich­keit nicht mehr be­sitzt.

    Was sich an un­se­rer Dis­kus­si­on zeigt: Das Re­li­giö­se ist ein­deu­tig auf dem Rück­zug. Frü­her muss­te das nicht-re­li­giö­se ge­recht­fer­tigt wer­den – heu­te ist es fast um­ge­kehrt. Bei­des hal­te ich für pro­ble­ma­tisch. La­ger­den­ken be­frie­digt zwar vor­über­ge­hend, aber löst Pro­ble­me nicht.

    Ih­re The­se zur Letzt­be­grün­dung hal­te ich min­de­stens als vor­läu­fi­ge Über­le­gung für sehr schlüs­sig.

  39. In­zwi­schen kann es auch are­li­giö­se Ethi­ker ge­ben, die es na­tür­lich ein biss­chen schwie­ri­ger ha­ben, da ih­nen die letzt­be­grün­den­de In­stanz fehlt, auf die sie sich be­ru­fen kön­nen.

    Das hal­te ich für ei­nen Kar­di­nal­feh­ler der hi­sto­risch kirch­lich do­mi­nier­ten Ethik.

    War­um muss ich im­mer auf den un­mensch­li­chen Hobbes’schen Na­tur­zu­stand re­kur­rie­ren, wenn das re­li­giö­se Kor­rek­tiv weg fällt? Der evo­lu­ti­ve Ur­zu­stand des Men­schen hat nichts mit der Al­le ge­gen Al­le-Men­ta­li­tät von Hob­bes zu tun, son­dern mit ei­ner funk­tio­nie­ren­den Klein­grup­pe, die schon des­halb Men­schen­rech­te ma­ni­fe­stiert, weil je­des Mit­glied der Grup­pe wich­tig und schwer zu er­set­zen war. In den an­er­kann­ten Men­schen­rech­ten steckt viel mehr Evo­lu­ti­on, als vie­le wahr ha­ben wol­len.

    Auch wenn ich lang­sam er­mü­dend wer­de: Das Pro­blem ist und bleibt der Über­gang von evo­lu­tio­när ge­lern­tem, fun­tio­nie­ren­dem Klein­grup­pen­ver­hal­ten zu ei­ner Ge­sell­schaft, die im­mer wie­der An­lass bie­tet ver­fein­de­te Grup­pen zu bil­den. Das steckt ein­fach in un­se­ren Ge­nen. Egal wie auf­ge­bla­sen die Un­ter­schie­de sind, ob Christ vs Mos­lem, Schal­ke vs BVB oder Win­dows vs Li­nux, der Me­cha­nis­mus da­hin­ter ist so ein­fach wie fa­tal. Es ist un­se­re Na­tur in Kon­kur­renz zu wel­schen Grup­pen zu ge­hen und zi­vi­li­sa­to­ri­sche Pa­ti­na bleibt nur er­hal­ten, wenn sie lie­be­voll ge­pflegt wird. Die ak­tu­el­le eu­ro­päi­sche La­ge zeigt dies wie­der, wie mit der Lu­pe be­trach­tet.

  40. Die wohl klein­ste Ein­heit ist wohl die Fa­mi­lie. Ist die­se aber nicht im­mer noch von Ge­sell­schaft oder Staat be­son­ders geschützt/gefördert oder zu­min­dest be­ach­tet?
    Recht­lich z.B. gibt es zwar kei­ne Sip­pen­haft mehr aber um­ge­kehrt z.B. das Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht. Selbst wenn man es al­so als kon­ser­va­tiv ver­brämt »Fa­mi­lie« mit ei­ner po­si­ti­ven Wer­tig­keit zu be­le­gen, so re­spek­tiert der Staat da et­was.

    Ver­su­che ich mög­li­che Ein­wän­de zu struk­tu­rie­ren:
    1) Es gibt auf al­len Ebe­nen, Grö­ßen­ord­nun­gen Grup­pen­zu­ge­hö­rig­kei­ten. War­um soll­ten die klei­nen, »al­ten« Grup­pen als »gut« aus­ge­zeich­net sein? War­um sol­len ir­gend­wel­che ar­chai­schen Stäm­me, die sich klop­pen, bes­ser sein als z.B. heu­ti­ge Fir­men, die viel­leicht Steu­ern hin­ter­zie­hen, Mit­ar­bei­ter mob­ben, aber zu­min­dest meist kei­ne Atom­bom­ben bau­en?
    2) Sie schrei­ben von der Kon­kur­renz der Grup­pen – ist das aber nicht ge­ra­de Evo­lu­ti­on, oder so­zia­le Um­ge­stal­tung? Das Ei­ge­ne für das Wah­re und Rich­ti­ge zu hal­ten, fin­det sich doch über­all. Sie schei­nen es als ge­fähr­lich an­zu­se­hen, wenn die­se Ideen/Zusammenschlüsse ei­ne gan­ze Na­ti­on er­fas­sen (oder grö­ße­re Grup­pen) und in dem Be­wusst­sein der ein­zi­ge Trä­ger des Lichts zu sein or­dent­lich Lun­te le­gen (wer weiß wie na­he wir ’62 am Doomsday vor­bei­ge­schrappt sind?). – Da stim­me ich zu, aber so­lan­ge der Selbst­er­hal­tungs­trieb ideo­lo­gisch nicht völ­lig aus­ge­knipst ist, be­sinnt man sich hof­fent­lich wie­der.
    3) Zwar mag es rich­tig sein, den Hob­be­s’chen Na­tur­zu­stand zu kri­ti­sie­ren (den aber auch kei­ner der Dis­ku­t­an­den ins Feld führ­te?), nur sind (Religions-)geschichte und Evo­lu­ti­on sehr eng ver­wo­ben. Seit An­be­ginn gibt es My­then, Ri­ten und Re­geln für die Ge­mein­schaft – viel­leicht wa­ren sie vor­teil­haft für das Über­le­ben, aber wenn Sie in evo­lu­ti­ons­bio­lo­gi­scher Wei­se nur die­sen Vor­teil her­austel­len dann las­sen Sie den In­halt der sinn­stif­ten­den Er­zäh­lun­gen au­ßen vor. – Und eben­so das gan­ze Bün­del an kon­tin­gen­ten, hi­sto­ri­schen, so­zio­lo­gi­schen,.. Ein­flüs­sen, die die recht­li­chen, mo­ra­li­schen Struk­tu­ren be­din­gen, in de­nen wir heu­te le­ben?
    4) Wol­len Sie die gan­ze Ethik auch evo­lu­ti­ons­bio­gisch fun­die­ren? Von kirch­li­cher Sei­te wür­de da si­cher­lich ein­ge­wen­det, dass dann, wenn nur noch die Re­geln ak­zep­tiert wer­den, die ge­ra­de vor­lie­gen weil sie sich in der na­tür­li­chen Se­lek­ti­on durch­ge­setzt hät­ten, dies in Re­la­ti­vis­mus mün­de: wenn neue Re­geln auf den Plan tre­ten, so ak­zep­tier­te man die­se ge­nau­so? – Oder an­ders aus­ge­drückt, die Ethik wür­de sich zu klein ma­chen, weil sie kei­nen Über­bau, »uni­ver­sel­les« Fun­da­ment hät­te (über das man frei­lich dis­ku­tie­ren müss­te, ob das über­haupt nötig/möglich ist).

  41. Als »gut« aus­zeich­nen, ist die fal­sche Sicht­wei­se. Hin­neh­men, das dies die Haut ist, in der wir stecken und ver­ste­hen, wä­re bes­ser. Und das Klop­pen ar­chai­scher Stäm­me, war im Ge­gen­satz zu heu­te die ab­so­lu­te Aus­nah­me. Als sich er­ste Men­schen in der Le­van­te nie­der lie­ßen und grö­ße­re An­samm­lun­gen von Men­schen ent­stan­den, war die Evo­lu­ti­on des Men­schen im we­sent­li­chen ab­ge­schlos­sen. Ab ei­ner be­stimm­ten Grö­ße ei­ner Grup­pe, be­gin­nen wir uns un­wohl zu füh­len und su­chen wie­der den Halt in ei­ner Sub­grup­pe, die sich schnell über den Ge­gen­satz zu ei­ner an­de­ren Grup­pe de­fi­niert.

    Es gibt ei­ne al­te Fern­seh­se­rie Das Tier Mensch von Des­mond Mor­ris, in der er u.a. gleich­ar­ti­ges mensch­li­ches Ver­hal­ten in un­ter­schied­li­chen Kul­tur­krei­sen und so­gar im Tier­reich par­al­lel stellt. Man muss manch­mal sehr ge­nau hin­se­hen, dass völ­lig un­ter­schied­li­che Phä­no­me­no­lo­gie den glei­chen Mo­tor hat.

    Das Na­ti­on­buil­ding ba­siert da mei­ner be­schei­de­nen Mei­nung nach auf ganz an­de­ren Me­cha­nis­men. Da­zu muss man ver­su­chen die Grup­pe über ei­nen My­thos als Glei­che zu be­schrei­ben, der al­le Un­ter­schie­de so gut wie mög­lich ni­vel­liert. In der Pra­xis funk­tio­niert dies na­tür­lich nur be­dingt und muss im­mer wie­der auf­ge­frischt wer­den. Im Fuß­ball­sta­di­on und z.B. in Nürn­berg gibt/gab es die­se tem­po­rä­ren Son­der­fäl­le.

    Wenn man Ethik als die ra­tio­na­le Va­ri­an­te, der emo­tio­na­len Mo­ral sieht, wür­de ich dort ge­ra­de den Un­ter­schied ma­chen und Ethik soll­te über un­se­re evo­lu­ti­ons­bio­gi­sche Mo­ral hin­aus ge­hen. Bis­her se­he ich aber noch ge­rin­ge Un­ter­schie­de. Oder ver­su­chen Sie mal in ei­ner be­lie­bi­gen Fuß­gän­ger­zo­ne die The­sen von Pe­ter Sin­ger zu ver­mit­teln. Und an wel­cher Stel­le wä­re re­li­giö­se Ethik in die­ser Dar­stel­lung an­zu­sie­deln? Ma­tus­sek ist da, glau­be ich, wie­der auf dem Weg in die Sub­grup­pe.

  42. Ver­such ge­gen die Mü­dig­keit
    @Peter42
    Wer hat hier auf den Hob­bes re­kur­riert? Nie­mand. Es ging um die Fra­ge ei­ner Le­gi­ti­ma­ti­on mo­ra­li­scher Im­pe­ra­ti­ve, die sich nicht in Zir­kel­schlüs­sen oder pro­fa­nem Vor­teils­den­ken er­schöpft. Und Ih­re Pro­blem­ana­ly­se der Über­for­de­rung des In­di­vi­du­ums mit ei­ner »Ge­sell­schaft« ist ja auch nur noch ein Re­kurs auf ei­ne ar­chai­sche Stam­mes­kul­tur, die so zu­meist nur in den Idyl­len der west­li­chen Aus­stei­ger exi­stier­te, die ih­ren Lé­vi-Strauss nur äu­ßerst se­lek­tiv ge­le­sen hat­ten.

    Wie dünn die zi­vi­li­sa­to­ri­sche Pa­ti­na ist, zeigt die neue­ste Ge­walt­for­schung. je­mand wie Reemts­ma hat si­cher­lich Recht, wenn er sagt, dass ei­ne Ge­sell­schaft (ge­nau­er: ei­ne En­ti­tät) nur we­ni­ge Ta­ge oh­ne Ord­nung in Bar­ba­rei ab­stürzt (vgl. auch den Gai­ser, der Ih­nen na­tür­lich po­li­tisch nicht liegt [und mir auch nicht; den­noch...]).

    Aus heu­ti­ger Sicht er­scheint ei­ne De­le­ga­ti­on der mo­ra­li­schen Über-In­stanz an ein über­ir­di­sches We­sen – Gott – ei­ne Aus­flucht aus der Rea­li­tät. Da­mit bin ich so­fort ein­ver­stan­den. Aber al­le aus dem sä­ku­la­ren ar­gu­men­tie­ren­den Ge­sell­schafts­ent­wür­fe sind ent­we­der ge­schei­tert oder in höch­stem Ma­ße fra­gil – we­nig­stens so fra­gil, wie die auf re­li­giö­se Wer­te auf­bau­en­den. Das ist na­tür­lich kein Grund, ei­ne Theo­kra­tie ein­zu­füh­ren.

    Ich blei­be da­bei: Nietz­sches Spruch vom to­ten Gott ist nicht Wunsch­den­ken, son­dern zu­nächst ein­mal Zu­stands­be­schrei­bung. Aber ein Zu­rück gibt es nicht mehr (nur kur­ze Re­vi­vals, die aber schnell ver­puf­fen). Die Al­ter­na­ti­ve ist der­zeit nicht lu­kra­tiv ge­nug für al­le. Auch hier stößt der Uni­ver­sa­lis­mus auf Gren­zen. War­um auch nicht.

    @Phorkyas
    Zu Ih­rem Punkt 4 – die ak­tu­el­le »ta­ges­schau«: Frau Mer­kel vor CDU-Par­tei­mit­glie­dern, die ob der Kurs- und Wer­te­ver­schie­bun­gen in der Par­tei kon­ster­niert sind. Mer­kel (sinn­ge­mäß): ‘Wenn sich die Si­tua­tio­nen än­dert, muss sich auch die Po­li­tik än­dern.’ – Da hät­ten wir Ih­re Re­la­ti­vis­mus-Be­fürch­tung. Die ist ja in Wirk­lich­keit längst Pra­xis. Se­xu­al­prak­ti­ken, die vor 40 Jah­ren noch un­ter Stra­fe stan­den, sind längst le­ga­li­siert. Bald wird das In­zest-Ver­bot auf­ge­ho­ben wer­den. Es ist m. E. nur ei­ne Fra­ge der Zeit, dass die heu­te als pä­do­phil gel­ten­den Per­so­nen in ei­ni­gen Jahr­zehn­ten als »nor­mal« gel­ten (so­fern Ein­ver­neh­men exi­stiert).

    Ich be­wer­te das gar nicht. Ich stel­le nur fest, dass der Wan­del be­stimm­ter Wer­te ge­ne­ra­tio­nen­wei­se statt­fin­det. Gleich­zei­tig wer­den die Men­schen im­mer äl­ter. Das heisst: Die Ver­än­de­run­gen von Wer­ten pas­sie­ren nicht mehr kon­sen­su­ell-evo­lu­tio­när (vul­go: lang­sam), son­dern in­sti­tu­tio­nell (nach In­ter­es­sen­la­gen).

  43. @Peter42: Hin­neh­men, das dies die Haut ist, in der wir stecken und ver­ste­hen, wä­re bes­ser.
    Ja, aber zu die­ser Haut, ge­hört doch auch un­se­re Ge­schich­te. Wenn man an­näh­me, wie dies viel­leicht bei Ih­nen durch­klingt, dass sich in den Jahr­tau­sen­den an dem ge­ne­ti­schen Ma­te­ri­al des Men­schen nicht viel ge­tan hat, was macht dann den Un­ter­schied der Zei­ten und Ge­sell­schaf­ten? Auch die Ge­schich­te aus der sie er­wach­sen möch­te ich mei­nen. – Da fin­de ich es sehr viel­sa­gend, wie man sich zur ei­ge­nen Ge­schich­te po­si­tio­niert. Die­ses Ver­dikt vom »Fin­ster­sein«, das da über das Mit­tel­al­ter ver­hängt wur­de, und mit dem wir uns et­was hel­ler (brigh­ter!) und er­leuch­te­ter vor­kom­men kön­nen. Ein Film wie »Das wei­ße Band« ver­legt die­ses dä­mo­nisch-auf­ge­la­de­ne Mit­tel­al­ter dann gleich in das Dorf knapp vor un­se­re Haus­tür (auch bei Mar­quez fin­det sich die­ser Hass auf die­sen fin­ster-dörf­li­chen Ka­tho­li­zis­mus – bei Arund­hi­ta Roy auf das Ka­sten­sy­stem)... und sie ha­ben ja auch recht mit ih­rer Kri­tik,.. aber ge­hört das al­les nicht auch zu un­se­ren hi­sto­ri­schen Haut? So wie die Scho­la­stik zur Auf­klä­rung ge­hört (dar­auf weist Ma­tus­sek hier zu recht auch wie­der hin)

    [PS. @Keuschnig zu dem Ästhetik/Ethiker Sta­di­en müss­te ich noch al­tes Ma­te­ri­al ha­ben – wenn ich es wie­der­fin­de, und nich all­zu pein­lich ist, wer­de ich es noch ein­stel­len]

  44. ...was macht dann den Un­ter­schied der Zei­ten und Ge­sell­schaf­ten?

    Das ha­be ich mich schon oft ge­fragt. Schau­en Sie, was in Deutsch­land nach He­gel, Fich­te, Schel­ling, Goe­the, Schil­ler etc. für ein Wech­sel­bad über sechs, sie­ben Ge­ne­ra­tio­nen statt ge­fun­den hat. Dar­auf wür­de ich nicht bau­en wol­len. Gut, in Eng­land ist das Fun­da­ment si­che­rer und hat mehr Stür­me aus­ge­hal­ten, aber wür­den Sie je­dem Nach­barn in Zei­ten oh­ne ma­te­ri­el­len Über­fluss ei­nen hi­sto­risch ge­wach­se­nen Wer­te­ka­non un­ter­stel­len? Herr Keu­sch­nig hat ja schon Reemts­ma zi­tiert. Ich möch­te gar nicht kri­ti­sie­ren, nur fest­stel­len. Und von Lö­sun­gen weiß ich schon gar nichts. Ich hal­te die Welt nur für deut­lich fra­gi­ler, als Sie ge­ra­de un­se­rer Ge­ne­ra­ti­on er­scheint.

    Zu Ma­tus­sek: Sein letz­ter Satz (Je­sus hat sei­ne Kir­che auf Men­schen ge­baut, und Men­schen sind fehl­bar, da­mit ha­ben wir zu le­ben) ver­deut­licht sein Pro­blem. Man de­fi­niert ein Re­gel­werk und wer da­ge­gen ver­stößt, fehlt. Das ist ei­ne simp­le Tau­to­lo­gie. Un­se­re Ge­ne sind aber re­al und ge­gen Na­tur­ge­set­ze kann man nicht ver­sto­ßen.

  45. @Peter42
    Un­se­re Ge­ne sind aber re­al und ge­gen Na­tur­ge­set­ze kann man nicht ver­sto­ßen.

    We­der Ge­ne noch Na­tur­ge­set­ze sind Rea­li­tät, son­dern mensch­li­che Kon­struk­te, Krücken, Kon­zep­te, Theo­rien über die Welt. Aber eben nicht sie selbst.

    (Und ganz ähn­lich ver­hält es sich mit Got­tes­vor­stel­lun­gen, wenn wir ein­mal da­von aus­ge­hen, dass es ihn tat­säch­lich gibt.)

  46. Ich hat­te noch kurz über­legt, ob ich ei­nen So­lip­sis­mus-Dis­clai­mer o.ä. set­zen soll. Aber falsch ver­ste­hen kann man im­mer, wenn man will. Mit ein we­nig gu­tem Wil­len hät­te man er­ken­nen kön­nen, dass ei­ne Re­li­gi­on die Flie­gen zur Pflicht ei­nes Gläu­bi­gen macht, eher ge­mie­den wür­de. Aber Chri­sten z.B. le­gen ge­le­gent­lich falsch Zeug­nis ab. Ge­ne sind zwar nicht das Ding an sich, aber aus­rei­chend re­al.

  47. @Peter42: Schau­en Sie, was in Deutsch­land nach He­gel, Fich­te, Schel­ling, Goe­the, Schil­ler etc. für ein Wech­sel­bad über sechs, sie­ben Ge­ne­ra­tio­nen statt ge­fun­den hat. Dar­auf wür­de ich nicht bau­en wol­len. Gut, in Eng­land ist das Fun­da­ment si­che­rer und hat mehr Stür­me aus­ge­hal­ten,
    Aus evo­lu­tio­nä­rer Sicht müss­te Sie das doch im Ge­gen­teil be­ru­hi­gen: Dass sich ei­ne Ge­sell­schaft wan­delt zeigt doch ih­re Le­ben­dig­keit. Ei­ne Ge­sell­schaft oder Art, die so starr ge­wor­den ist, dass sie sich nicht mehr wan­deln kann, die ist doch viel mehr der Ge­fahr aus­ge­setzt zu ver­fal­len oder aus­zu­ster­ben, weil sie mit der sich än­dern­den Um­ge­bung nicht mehr mit­drif­ten kann.
    (Al­ler­dings weiß ich nicht, ob ich zu­stim­men soll, dass es ein sol­ches ideen­ge­schicht­li­ches Wech­sel­bad ge­ge­ben ha­be. Es gibt doch gro­ße, gro­be Tra­di­ti­ons­li­ni­en: der Neu­kan­ti­a­nis­mus hat z.B. noch bis ins 20. Jahr­hun­dert ge­wirkt, und der Po­si­ti­vis­mus ist ja auch nicht aus der lee­ren Luft ent­stan­den usw. – Was die Le­bens­um­stän­de an­be­langt na­tür­lich: Ja, da gab es gro­ße Än­de­run­gen.)

    wür­den Sie je­dem Nach­barn in Zei­ten oh­ne ma­te­ri­el­len Über­fluss ei­nen hi­sto­risch ge­wach­se­nen Wer­te­ka­non un­ter­stel­len
    Ich weiß es nicht, könn­te mir aber z.B. ei­ne Kor­re­la­ti­on vor­stel­len, dass är­me­re Men­schen eher gläu­big sind (was nun nicht heißt, dass sie die Tra­di­ti­on ih­rer Wer­te bes­ser kenn­ten oder gar bes­se­re Men­schen wä­ren). -

  48. Fi­gu­riert bei der Kri­tik an der Dau­er­i­ro­nie nicht so ei­ne Art Ge­sell­schafts­kri­tik im Hin­ter­grund?
    Bes­ser, wir fäl­schen die Kind­heit wie Haut. Bes­ser, ge­rei­nig­tes Milch­pul­ver neh­men, das, kli­nisch ge­te­stet, zu­falls­los nährt, hy­ge­ni­siert für die kom­men­de Nah­rung, vor­zu­be­rei­ten die coo­len und smar­ten Iro­ni­ker, die un­ein­ge­las­sem im All­tag, nur spöt­tisch zu lie­ben ver­ste­hen, kar­rie­re­ver­pflich­tet. So gehn sie, un­an­ge­faßt von der Zeit, durch die Zei­ten, ge­schichts­los den Nutz kal­ku­lie­rend, durch nichts aus dem Gleis derPro­duc­tionzu wer­fen und al­ternd vom Gleich­mut um­sorgt, dem in Re­si­den­cesali­men­tier­ten. Al­ban Ni­ko­lai Herbst »Das blei­ben­de Thi­er – Bam­ber­ger Ele­gi­en«

    Wie soll ich es an­fan­gen? – Viel­leicht fängt ja doch je­mand an­ders an...

  49. @Peter42

    Wenn Sie et­was weg­las­sen oder ver­kür­zen, ist das nicht mei­ne Schuld. Wie­so kom­men Sie auf den So­lip­sis­mus? Und re­al ge­nug: Wo­für?

  50. Ach­so, nochwas,was mich heu­te schon den gan­zen Tag be­schäf­tigt. Viel­leicht wis­sen Sie mehr:
    Die­se neue deut­sche Über­set­zung (end­lich!) von He­ming­ways Pa­ris-Buch A MOVEABLE FEAST hat fast 320 Sei­ten. Das eng­li­sche Ori­gi­nal hat aber nur 140 Sei­ten; je­den­falls mei­ne 35 Jah­re al­te Ta­schen­buch­aus­ga­be.
    Ist die­se »Ur­fas­sung« tat­säch­lich um so vie­les län­ger? Oder ist mein Ta­schen­buch sehr klein ge­druckt und Ro­wohlts Neu­aus­ga­be SEHR groß?
    .
    Ist die­se »Ur­fas­sung« ei­gent­lich nur ein ju­ri­si­sti­scher Trick, um end­lich die oft fal­sche fünf­zi­ger-Jah­re-Über­set­zung (Joy­stick = »Freu­den­spen­der«) doch noch zu er­set­zen?

  51. #53 Phor­k­yas
    Die Kri­tik an der Dau­er­i­ro­nie wird zu­wei­len von de­nen am ve­he­men­te­sten auf­ge­bracht, die erst durch dau­er­i­ro­ni­sche Dis­kurs­füh­run­gen re­üs­siert ha­ben. Da­nach lässt es sich dann ganz be­quem in Rich­tung Ge­sell­schafts­kri­tik »aus­stei­gen«. Ich sa­ge nicht, dass das Ma­tus­sek macht, aber es ist doch häu­fig zu be­ob­ach­ten, dass dem Post-Zy­ni­ker ir­gend­wann der ei­ge­ne Zy­nis­mus schon wie­der lang­weilt.

    Ist das dann De­ka­denz?

  52. Ich be­fürch­te ich kom­me nicht ganz mit (hat­te und hab´ ja auch noch mit der Post­mo­der­ne mei­ne Schwie­rig­kei­ten, die da akro­ba­tisch durch die Me­ta-Ebe­nen turnt http://xkcd.com/917/ )

    dau­er­i­ro­ni­sche Dis­kurs­füh­run­gen – mein phi­lo­so­phi­scher Mit­be­woh­ner brach­te es viel­leicht auf den Punkt: Re­la­ti­vis­mus – schon Plato´s Ver­dre­schen der So­phi­sten ist die Ge­gen­po­si­ti­on zu ei­nem Re­la­ti­vis­mus.. und viel­leicht ist das auch so bei Mo­der­ne con­tra Post­mo­der­ne (und im­mer hin­durch durch die Zei­ten).

    Was ich nicht ganz ver­ste­he: Selbst wenn der Zy­ni­ker sei­nes Zy­nis­mus über­drüs­sig wird (=Post-Zy­ni­ker?), so kann er doch nicht aus sei­ner Dau­er­i­ro­nie her­aus. Selbst wenn er sei­ne Iro­nie iro­ni­sier­te wird dar­aus nicht Ernst. Zu wel­cher Me­ta-Ebe­ne er sich auch schwingt, er kommt nie ir­gend­wo­hin... (Ist die Post­mo­der­ne al­so ver­zwei­felt?)

    Aber viel­leicht ist das auch nur das, was an­ti-re­la­ti­vi­sti­sche Ge­gen­po­si­ti­on sa­gen will (al­so Herr Ma­tus­sek u.a.): komm zu­rück auf den ab­so­lu­ten, ge­si­cher­ten Bo­den?

  53. @Phorkyas
    Mei­ne Hilfs­the­se – es war eher ei­ne Fra­ge – geht da­hin: Der »Post-Zy­ni­ker« (oder auch »Post-Iro­ni­ker«) ver­fällt in ei­ne Art über­ir­di­scher Ge­las­sen­heit. Sei­ne ver­zweif­lung an der Welt, die ihm zum Zy­ni­ker wer­den liess, weicht ei­ner be­stimm­ten Form des He­do­nis­mus; ver­quickt mit To­le­ranz und Groß­zü­gig­keit. Er weiss, die Din­ge nicht mehr än­dern zu kön­nen und ver­zwei­felt dar­an nicht mehr. Da­her fällt auch die Iro­nie von ihm ab wie ei­ne über­stan­de­ne Krank­heit.

    Der Glau­ben, al­so das Re­li­giö­se, kann ihm ei­nen Aus­weg ge­ben. Im nach­hin­ein wird dann auch das Re­bel­len­tum ge­gen El­tern und die ab­wei­chen­den Le­bens­ent­wür­fe (Ma­tus­sek: Sym­pa­thien mit dem Mar­xis­mus) als Kon­ti­nu­um emp­fun­den. Das Le­ben spielt sich da­bei nicht in ei­ner post­mo­der­nen Be­lie­big­keit ab, son­dern nimmt Re­kurs auf ver­klär­te, zu­rück­lie­gen­de Zei­ten. Der Zy­ni­ker mu­tiert zum Men­schen, der dank­bar für das Le­ben ist. Da­her wer­den Leu­te im Al­ter auch kon­ser­va­ti­ver.

  54. Erst jetzt, nach­dem mei­ne Be­spre­chung ge­sen­det wur­de, ha­be ich Ih­re Be­spre­chung dank des Hin­wei­ses auf Face-Book ge­le­sen.

    Scha­de, sie wä­re mir hilf­reich ge­we­sen, ob­wohl ich das Buch wei­ter­hin wohl pein­li­cher fin­de.

    Mit gu­ten Wün­schen
    Rai­ner Kam­pling


    [An­mer­kung G.K.: Die­se Mail er­hielt ich von Prof. Kam­pling auf ei­ne Link­set­zung bei Face­book zu sei­nem Bei­trag im »Deutsch­land­ra­dio Kul­tur«: »Der neue lei­den­schaft­li­che Ka­tho­lik«. Die Ver­öf­fent­li­chung der Mail wur­de mir ge­stat­tet.]