Kreuz­zü­ge

In der ak­tu­el­len ZEIT gibt es ei­nen le­sens­wer­ten Vor­ab­druck aus Sa­bi­ne Rück­erts so­eben er­schie­ne­nem Buch »Un­recht im Na­men des Vol­kes« mit dem Ti­tel: »In­qui­si­ti­on-des-gu­ten-Wil­lens«.

In den 90er Jah­ren rück­te bei uns – über­schwap­pend aus an­gel­säch­si­schen Län­dern – das Ver­bre­chen des se­xu­el­len Miss­brauchs an Kin­dern und Ju­gend­li­chen in den Fo­kus der Öf­fent­lich­keit. Un­glaub­li­che Ab­grün­de ta­ten sich auf. Es kam zu Pro­zes­sen mit De­tails, ge­le­gent­lich sen­sa­ti­ons­lü­stern aus­ge­brei­tet, die in ih­rer Ab­scheu­lich­keit fast un­er­träg­lich wa­ren.

Die The­ma­tik be­herrsch­te Dis­kur­se, sei­en es straf­recht­li­che, phi­lo­so­phi­sche oder ge­sell­schaft­lich. Ir­gend­wann hat­te man das Ge­fühl, hin­ter je­dem Baum, an je­der S‑Bahnstation, in je­dem Bus laue­re die Ge­fahr durch per­ver­se Kin­der­schän­der und je­der al­lein­ste­hen­de Mann ab 30 sei ei­ne po­ten­ti­el­le Ge­fahr.

Rück­ert rückt die­se Hy­ste­ri­sie­rungs­wel­le in den Vor­der­grund und er­zählt in ih­rem Buch von Op­fern fal­scher Be­schul­di­gun­gen. Ich ha­be das Buch noch nicht ge­le­sen, aber in­ter­es­sant und auf­klä­re­risch könn­te es da­hin­ge­hend sein, dass ne­ben der Schil­de­rung der Ge­schich­ten der un­schul­dig Ver­ur­teil­ten (die teil­wei­se jah­re­lang im Ge­fäng­nis in­haf­tiert wa­ren – und dies auf­grund oft ha­ne­bü­chen­der Feh­ler) auch der ge­sell­schaft­li­che Druck ge­zeigt wird, der über die Äch­tung der Kin­der­schän­dun­gen er­zeugt wur­de und weit über das (an sich na­tür­lich lo­bens­wer­te) Ziel hinaus­choss.

Es ent­stand ei­ne wahn­haf­te Fi­xie­rung auf den se­xu­el­len Miss­brauch von Kin­dern und Ju­gend­li­chen, der die ge­sam­te Ge­sell­schaft er­fass­te. Die­ser Wahn hielt Ein­zug in Fa­mi­li­en, spiel­te bei Schei­dungs­ver­fah­ren ei­ne im­mer grö­ße­re Rol­le und fand ih­ren Weg zu Kin­der­ärz­ten, in Schu­len, in die Ju­gend­äm­ter, in die psych­ia­tri­schen Sta­tio­nen, die Un­ter­su­chungs­zim­mer der Ge­richts­psy­cho­lo­gen und die Bü­ros sonst so sach­li­cher Staats­an­wäl­te und Rich­ter. Was als er­höh­te Auf­merk­sam­keit grund­sätz­lich um­sich­tig han­deln­der Ärz­te und Be­hör­den be­grü­ßens­wert ge­we­sen wä­re, wuchs sich rasch zu ei­ner ir­rea­len Kon­fu­si­on aus, die auch je­ne In­stan­zen er­fass­te, de­ren ver­nunft­ge­steu­er­tes Ver­hal­ten die Rechts­si­cher­heit ga­ran­tiert.

Rück­ert kon­sta­tiert:

Auch in Deutsch­land wur­de der Kreuz­zug ge­gen den Miss­brauch ge­führt. Wer be­ruf­lich mit Kin­dern zu tun hat­te, leb­te ge­fähr­lich. Er stand im per­ma­nen­ten Ver­dacht, sich an ih­nen zu ver­grei­fen. Weh­ren konn­te sich kei­ner, denn ko­gni­ti­ve Ar­gu­men­te er­reich­ten die Ver­fol­ger bald nicht mehr. Der Cock­tail aus se­xu­el­len De­tails und kind­li­cher Hilf­lo­sig­keit tat sei­ne un­wi­der­steh­li­che Wir­kung und be­rausch­te selbst die Er­mitt­ler bei Po­li­zei und Staats­an­walt­schaft. Bald fan­den an deut­schen Ge­rich­ten un­ter gro­ßer öf­fent­li­cher An­teil­nah­me Mam­mut­pro­zes­se statt, in de­nen Kin­der­gärt­ner oder gan­ze Fa­mi­li­en an­ge­klagt wa­ren, klei­ne Kin­der auf haar­sträu­ben­de Wei­se miss­braucht zu ha­ben.

Wenn Mis­sio­na­re erst ein­mal die Mensch­heit ret­ten wol­len, ist of­fen­sicht­lich kein Hal­ten mehr – man kennt das (kul­tur­über­grei­fend, üb­ri­gens). Na­tür­lich gibt es bei je­der Er­mitt­lung und in je­dem Pro­zess die Mög­lich­keit, dass Men­schen ir­ren. Hier­um geht es nicht. Es geht um die Stim­mung in ei­ner hy­ste­ri­sier­ten Ge­sell­schaft, die ent­la­sten­des nicht mehr zur Kennt­nis neh­men will, weil es nicht in das ideo­lo­gi­sche Kon­zept passt.

Zu mas­siv ist die Be­rie­se­lung der Me­di­en um sich der Ent­rü­stungs­ma­schi­ne­rie, die emo­tio­nal enorm auf­ge­la­den ist und so­fort in Di­cho­to­mien ar­bei­tet (»Gut – Bö­se«) zu ent­zie­hen, ist schwie­rig, oh­ne so­fort sel­ber in ei­nen an­rü­chi­gen Ver­dacht zu kom­men.

Ei­ne Par­al­le­le heu­te se­he ich in der teil­wei­se wol­lü­sti­gen Be­schäf­ti­gung mit Kin­der­por­no­gra­fie, wie sie im Mo­ment aus den Me­di­en her­aus be­trie­ben wird. Der vor­läu­fi­ge Kul­mi­na­ti­ons­punkt wur­de in der Ak­ti­on »Mi­ka­do« er­reicht (scha­de, dass der Na­me die­ses harm­lo­sen, schö­nen Spiels jetzt für im­mer »be­la­stet« ist): Für die Ober­staats­an­walt­schaft Hal­le über­prüf­ten Kre­dit­kar­ten­an­bie­ter (wel­che ist m. W. nicht ge­nau be­kannt) rund 22 Mil­lio­nen Zah­lun­gen auf ei­ne ge­wis­se Sum­me hin (US$ 79,99) und reich­ten dann die ent­spre­chen­den Tref­fer an die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den wei­ter.

Die Sum­me ent­sprach der Ge­bühr zu ei­nem »In­ter­net­an­bie­ter« (Ser­ver­stand­ort auf den Phil­ip­pi­nen), der da­mit frei­en Zu­gang zu kin­der­por­no­gra­fi­schem Ma­te­ri­al (Bil­der; viel­leicht so­gar Vi­de­os, etc) of­fe­rier­te. Die Ak­ti­on wird als »Er­folg« ge­fei­ert, was merk­wür­dig an­mu­tet, denn man wur­de bei 322 Men­schen (in Deutsch­land) »fün­dig«.

Bei ei­nem »Ein­satz« von 22 Mil­lio­nen Prü­fun­gen er­scheint die Quo­te von 0,0015% al­ler­dings reich­lich ge­ring aus­ge­fal­len zu sein. Der Düs­sel­dor­fer Rechts­an­walt Udo Vet­ter (»Law Blog«) hält die Ak­ti­on für rechts­wid­rig. Er hat ei­nen An­trag beim Amts­ge­richt Hal­le ge­stellt und um Aus­kunft ge­be­ten (an­de­re sind ihm in­zwi­schen ge­folgt). Sei­nes Er­ach­tens han­delt es sich da­bei um ei­ne Ra­ster­fah­nung. Au­sser­dem sieht er die Ver­hält­nis­mä­ssig­keit der Mit­tel ver­letzt (man le­se auch sei­ne straf­recht­li­che Ana­ly­se zur Kin­der­por­no­gra­fie).

Las­sen wir die for­mal­ju­ri­sti­schen Aspek­te ein­mal ei­nen Mo­ment weg (Ra­ster­fah­nung ja/nein? – Ist das An­schau­en kin­der­por­no­gra­fi­scher Bil­der al­lei­ne schon straf­bar ja/nein?) – der un­an­ge­neh­me Ge­schmack bleibt und Par­al­le­len zur Hy­ste­rie des Kin­der­miss­brauchs der 90er Jah­re (ein emo­tio­nal ver­wand­tes The­ma) un­ver­kenn­bar. In­ter­es­sant ist, dass Da­ten­schüt­zer, die bei viel harm­lo­se­ren Ein­grif­fen (bei­spiels­wei­se die Im­ple­men­tie­rung der ge­sam­ten Kran­ken­ge­schich­te von Pa­ti­en­ten auf ei­nem Chip auf der Mit­glieds­kar­te) so­fort »Da­ten­miss­brauch« (sic!) wit­tern, sich hier zu­frie­den äu­ssern oder schwei­gen. Und auch stram­me Geg­ner von Ra­ster­fahn­dun­gen, die sie selbst bei Ka­pi­tal­ver­bre­chen mit Ge­fahr im Ver­zug grund­sätz­lich ab­leh­nen oder so er­schwe­ren wol­len, dass man gleich von Haus zu Haus klin­geln ge­hen muss – sie schwei­gen eben­falls.

Kann es sein, dass die »Hü­ter« der po­li­ti­cal cor­rect­ness den Wi­der­spruch, nein: das Fra­gen der Sinn­haf­tig­keit die­ses Vor­ge­hens, so­fort als heim­li­che Sym­pa­thie für die Tä­ter wer­ten – und da­her das Schwei­gen gro­sser Tei­le der kri­ti­schen Mas­se re­sul­tiert? Wie ist denn die Fra­ge ei­nes Jour­na­li­sten an Udo Vet­ter zu ver­ste­hen: “Sie sind aber kei­ner der 322 Be­schul­dig­ten?”

War­um kommt es mir trotz al­lem un­be­hag­lich vor, den Tri­umph des Mo­de­ra­tors Gert Sco­bel in der Sen­dung »del­ta« zu be­mer­ken, wenn er den Fahn­dungs­er­folg der Ak­ti­on »Mi­ka­do« mit dem Ober­staats­an­walt Pe­ter Vogt lobt? Wo blei­ben die kri­ti­schen Nach­fra­gen Sco­bels, als in ei­nem Film in der Sen­dung die Miss­brauchs­ra­te bei Mäd­chen bei 30% an­ge­setzt wird (bei Jun­gen rd. 10%) – wäh­rend Klaus M. Bei­er spä­ter in der Dis­kus­si­on von 9% spricht? Wie wer­den die­se Zah­len er­mit­telt? Wor­auf ba­sie­ren sie? War­um will man durch ver­mut­lich völ­lig über­höh­te Zah­len Angst­sze­na­ri­en er­zeu­gen, die in Wirk­lich­keit ab­so­lut un­ge­recht­fer­tigt sind? Dient man da­mit der Sa­che wirk­lich oder ist es nicht eher kon­tra­pro­duk­tiv (Stich­wort: Über­sät­ti­gung)?

Und war­um muss man denn, wenn man sich zu die­ser The­ma­tik äu­ssert, mit Ve­he­menz im­mer gleich auch sei­ne Ab­scheu, sei­ne Em­pö­rung, sein Mit­leid mit den Op­fern (den ge­schän­de­ten Kin­dern) äu­ssern? Soll­te das nicht selbst­ver­ständ­lich sein und so­mit nicht dau­ernd be­tont wer­den müs­sen? Mit wel­cher Be­rech­ti­gung wer­den sol­che Art von vor­aus­ei­len­den Recht­fer­ti­gun­gen »ver­langt« (ein grup­pen­dy­na­mi­scher Druck er­zeugt) – und auch (sie­he hier!) noch aus­ge­führt?

Wä­re es nicht Auf­ga­be von Me­di­en, auf­zu­klä­ren, statt bil­li­gem Po­pu­lis­mus das Wort zu re­den? War­um wird kei­ne Ba­lan­ce ver­sucht zwi­schen hah­ne­bü­chen­der Hy­ste­rie, die uns sug­ge­rie­ren soll (war­um ei­gent­lich?), dass wir durch und durch vom Ver­bre­chen um­zin­gelt sind und den zwei­fel­los auch vor­han­de­nen Ver­harm­lo­sern, die für al­les ei­ne ein­leuch­ten­de Er­klä­rung fin­den und die Schuld im­mer an und in der Ge­sell­schaft sieht?

10 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Bil­li­ger Po­pu­lis­mus usw.
    Na ja, wahr­schein­lich eig­net sich kaum ein The­ma bes­ser für Kreuz­zü­ge und selbst­ge­rech­te Auf­trit­te. Schließ­lich geht es um das Wohl un­se­rer Kin­der, da KANN doch nie­mand da­ge­gen sein, nicht wahr? Vor ein paar Jah­ren, nach ei­nem Se­xu­al­mord an ei­nem Mäd­chen hier aus der Ge­gend, wur­de man hier am Ein­gang von Su­per­märk­ten von Leu­ten an­ge­spro­chen, die Un­ter­schrif­ten für die Wie­der­ein­füh­rung der To­des­stra­fe sam­mel­ten. In an­de­ren Lä­den (z.B. Lidl) durf­ten die ih­re Un­ter­schrif­ten­li­sten aus­le­gen. Ein­mal hat die­se Grup­pe es so­gar bis in die 20-Uhr-Ta­ges­schau ge­schafft.

    Und was dei­ne rhe­to­ri­sche Fra­ge »wä­re es nicht Auf­ga­be von Me­di­en, auf­zu­klä­ren, statt bil­li­gem Po­pu­lis­mus das Wort zu re­den?« be­trifft: Ja, klar. Ge­stern zum Bei­spiel. Sci­en­to­lo­gy mag ein mie­ser Ver­ein sein, aber ob die wirk­lich der­ma­ßen ge­fähr­lich sind? Von Ju­ni bis De­zem­ber 2006 gab es hier in der Stadt ein Scientology-»Zentrum« (ein klei­ner La­den in der Fuß­gän­ger­zo­ne). Ich ha­be mich je­des­mal ge­wun­dert, mit was für er­staun­lich däm­li­chen und lach­haf­ten Sprü­chen die auf Kun­den­fang wa­ren. Das soll­ten die­se dä­mo­ni­schen, raf­fi­nier­ten Ver­füh­rer sein, als die sie un­ent­wegt dar­ge­stellt wer­den? Oder letz­tes Jahr. Da wä­re es im Zu­sam­men­hang mit der Er­hö­hung der Mehr­wert­steu­er nicht schlecht ge­we­sen, den Leu­ten et­wa Nach­hil­fe in ein bis zwei Grund­re­chen­ar­ten zu ge­ben, statt den »Näch­stes Jahr wird al­les mäch­tig viel teurer«-Hype mit an­zu­hei­zen. Oder... oder...

  2. Ver­mut­lich...
    ist un­se­re Idee von der Funk­ti­on von Me­di­en hoff­nungs­los ver­al­tet: Statt ge­ra­de sol­che emo­tio­na­len The­men mög­lichst sach­lich zu be­han­deln, wird mit dem Schü­ren von Emo­tio­nen das Ge­gen­teil ge­macht. D. h. statt bil­li­ge Af­fek­te zu ver­hin­dern, wer­den sie er­zeugt.

    Was »Sci­en­to­lo­gy« an­geht ha­be ich ei­ne ähn­li­che Mei­nung: Ein halb­wegs ver­nunft­be­gab­ter Mensch darf doch ei­gent­lich gar nicht auf sol­che plum­pen Pa­ro­len her­ein­fal­len. Wenn ich dann im­mer hö­re, die­se Leu­te trie­ben ei­ne Art von Ge­hirn­wä­sche, dann fra­ge ich mich manch­mal, wel­cher Schon­wasch­gang da­für ei­gent­lich aus­ge­reicht ha­ben muss...

    Ach ja: Will­kom­men!

  3. Zu den recht­li­chen Fra­gen...
    möch­te ich hier ja gar nicht Stel­lung be­zie­hen. Das ist be­reits in dem Link von Klop­stein aus­rei­chend be­han­delt.
    Was ich aber zu­sätz­lich be­denk­lich fin­de: es han­delt sich um ei­ne Art Da­ten­schutz­ver­let­zung, die hier oh­ne rich­ter­li­che Ge­neh­mi­gung be­gan­gen wird.
    Gibt es aber ein­mal ei­ne po­si­tiv be­grün­de­te Ver­an­las­sung zur Ver­let­zung des Da­ten­schut­zes – ich den­ke da­bei an die ver­miss­ten Per­so­nen wäh­rend der gro­ßen Tsu­na­mikri­se – dann ver­stecken sich al­le, die Aus­kunft ge­ben könn­ten, hin­ter Da­ten­schutz. Die Flug­fir­men, die Kre­dit­kar­ten­fir­men, ... man könn­te sehr wohl eru­ie­ren, wer noch zu­letzt in Thai­land ein­ge­kauft hat­te und ver­mut­lich noch im Land war.
    Und be­son­ders hef­ti­ger Da­ten­schutz wird ja auch be­trie­ben, wenn es dar­um geht, wer in Deutsch­land (üb­ri­gens auch in Öster­reich) EU-Agrar­för­de­rungs­gel­der be­kommt, ob­wohl 80% der EU-Län­der die­se Da­ten an­schei­nend oh­ne Da­ten­schutz­ver­let­zung of­fen le­gen kön­nen.

  4. Ja,
    um die­ses am­bi­va­len­te Ver­hal­ten geht es. Bei be­stimm­ten Ver­bre­chen, die ei­ne emo­tio­na­le Em­pö­rungs­wel­le er­zeu­gen, wird der Da­ten­schutz in der be­schrie­be­nen Wei­se ge­op­fert, um »der gu­ten Sa­che wil­len«.

    Be­son­ders in­ter­es­sant fin­de ich fol­gen­den Hin­weis in dem In­ter­view (Dank an Klop­stein!):

    Der Vor­sit­zen­de der Ge­werk­schaft der Po­li­zei, Kon­rad Frei­berg, hat in ei­nem In­ter­view ge­sagt: »Es wä­re ein gro­ßer Sieg für die Kin­der­por­no-Ma­fia, wenn Rich­ter im Nach­hin­ein das Vor­ge­hen der Er­mitt­ler als nicht recht­mä­ßig be­ur­tei­len wür­den«

    Da­mit in­si­nu­iert Frei­berg, dass der­je­ni­ge, der die­se Er­mittl­lung rechts­wid­rig fin­det, Ver­bre­chern zu­ar­bei­tet. Mit die­sem Ver­ständ­nis aus­ge­stat­tet, kann man auch gleich die Ver­tei­di­gung von An­ge­klag­ten ab­schaf­fen.

    In der letz­ten Aus­ga­be der ZEIT gab es ein Dos­sier über die in­zwi­schen recht aus­ge­präg­te Vi­deo­über­wa­chung in Gross­bri­tan­ni­en – ich fand es reich­lich alar­mi­stisch auf­ge­macht. Ich war­te ge­dul­dig, ob ich zur Auf­ar­bei­tung von »Mi­ka­do« in näch­ster Zu­kunft auch ein­mal ein Dos­sier in der ZEIT wer­de le­sen kön­nen...

  5. Hier auch...
    In der CH stim­men wir dem­nächst ver­mut­lich über die le­bens­lan­ge Ver­wah­rung von Se­xu­al­straf­tä­tern ab; ein (er­wach­se­nes) Ver­ge­wal­ti­gungs­op­fer hat die In­itia­ti­ve lan­ciert und of­fen­bar locker die Un­ter­schrif­ten zu­sam­men­ge­kriegt. Ge­mäss der öf­fent­li­chen Mei­nung sind Se­xu­al­straf­tä­ter »nicht the­ra­pier­bar«; Psych­ia­ter fürch­ten sich zu Recht da­vor, sol­che Pro­gno­sen stel­len zu müs­sen. So­viel ich weiss, exi­stie­ren kei­ne sol­chen An­lie­gen be­züg­lich Mör­dern (so­fern sie nicht Se­xu­al­mör­der sind).

  6. In der Sen­dung »del­ta«, die ich im Bei­trag ver­linkt ha­be, sag­te Klaus M. Bei­er (ein wohl re­nom­mier­ter Ex­per­te) sinn­ge­mäss, dass pä­do­se­xu­el­le Ver­an­la­gun­gen tat­säch­lich nicht da­hin­ge­hend the­ra­pier­bar sind, dass sie ver­schwin­den bzw. durch »nor­ma­le« Ver­an­la­gun­gen er­setzt wer­den. Es gibt hier­zu Pro­jek­te (auch ei­nes von Bei­er), in dem Men­schen mit pä­do­se­xu­el­len Nei­gun­gen da­hin­ge­hend ge­hol­fen wird, dass sie kei­ne »Über­grif­fe« (ich glau­be, die­ses Wort fäl­lig im Ori­gi­nal) vor­neh­men. Das macht man nur bei den Leu­ten, die sich frei­wil­lig mel­den.

    Bei Se­xu­al­straf­tä­tern ist na­tür­lich ei­ne The­ra­pier­bar­keit ge­ge­ben; es fehlt nur häu­fig ge­nug an (fi­nan­zi­el­len) Mit­teln. Hin­zu kommt, dass das Phä­no­men sehr stark über­schätzt wird; mitt­ler­wei­se wird ja je­de Tat in die Öf­fent­lich­keit ge­zerrt.

  7. Ein an­de­rer Ge­sichts­punkt
    Im Jahr 1998 gab es als zwei­ten Dog­ma­film das Fest von Tho­mas Vin­ter­berg. (Bit­te Link le­sen bezgl. des Ab­schnitts mit der Le­bens­lü­ge)
    In­zwi­schen wird das Fest als Thea­ter­stück in ei­nem sehr re­nom­mier­ten Thea­ter­haus in Wien, mit gut­bür­ger­li­chem Abon­nen­ten­pu­bli­kum vor­ge­führt. Ein klei­ner Re­giet­rick sorgt da­für, dass es kei­ne Tren­nung zwi­schen Büh­ne und Zu­se­her­raum zu ge­ben scheint. Das gleich­zei­ti­ge He­ben ei­nes gleich­aus­se­hen­den Lust­ers auf der Büh­ne (im Thea­ter in der Jo­sefs­stadt wer­den die Lu­ster zu Be­ginn an­ge­ho­ben) bin­det die Zu­se­her­schaft qua­si als Groß­fa­mi­lie ein.
    Die­se darf sich dann mit der Ent­hül­lung be­schäf­ti­gen. Dun­kel­zif­fern von 10 000 in Öster­reich und 200 000 in Deutsch­land durch­ge­führ­ten Kin­des­miss­bräu­chen im Fa­mi­li­en­kreis laut In­ter­view­part­ner Er­win Stein­hau­er, der in die­ser Pro­duk­ti­on den ver­ge­wal­ti­gen­den Va­ter spielt, ge­hen dann in ei­ne ganz an­de­re Rich­tung als die Mi­ka­do-Ak­ti­on mit 332 Übel­tä­tern er­fas­sen kann.
    Es geht um das Grau­en rund um uns, in den hei­len Fa­mi­li­en, un­ter »an­stän­di­gen« Leu­ten.
    In die­sem Zu­sam­men­hang er­scheint die Mi­ka­do-Ak­ti­on noch aber­wit­zi­ger und in Wirk­lich­keit mehr sen­sa­ti­ons­geil als ziel­füh­rend.

  8. Dun­kel­zif­fern
    Den Film ken­ne ich; ich fand ihn sehr ein­dring­lich und tat­säch­lich in der Tra­di­ti­on der Thea­ter­stücke Ib­sens.

    Was die Dun­kel­zif­fern an­geht, ist das so ei­ne Sa­che. Ich wun­de­re mich manch­mal dar­über, wie in den Me­di­en die­se Zah­len lan­ciert wer­den und fra­ge mich, wor­auf die Schät­zun­gen be­ru­hen. Mei­stens bleibt das am mei­sten im Dun­keln.

    In der »delta«-Sendung war zu hö­ren, rd. 30% al­ler Mäd­chen (und 10% der Jun­gen) wer­den im Lau­fe ih­rer Kind­heit miss­braucht. In der lau­fen­den Dis­kus­si­on war auf ein­mal von »9%« die Re­de. Ih­re Zahl liegt nun bei 200.000 (nur Miss­bräu­che in den Fa­mi­li­en – wo­bei ja der über­wie­gen­de An­teil der sank­tio­nier­ten Miss­bräu­che im Fa­mi­li­en­kreis statt­fin­den sol­len).

    Ich ver­mu­te, mit den Dun­kel­zif­fern wird ge­zielt ei­ne ge­wis­se Hy­ste­rie be­trie­ben.