...die glei­chen Lü­gen...

Ge­ra­de­zu ver­blüf­fend ak­tu­ell:

»So­oft ich ei­ne po­li­ti­sche Re­de hö­re, oder le­se, was die uns Re­gie­ren­den schrei­ben, bin ich ent­setzt, seit Jah­ren nichts zu ver­neh­men, was ei­nen mensch­li­chen Klang hät­te. Es sind im­mer die glei­chen Wor­te, die die glei­chen Lü­gen be­rich­ten. Und daß die Men­schen sich da­mit ab­fin­den, daß der Zorn des Vol­kes die­se Ham­pel­män­ner noch nicht zer­schmet­tert hat, ist für mich der Be­weis, daß die Men­schen ih­rer Re­gie­rung kei­ner­lei Be­deu­tung zu­messen und daß sie spie­len, ja wahr­haf­tig mit ei­nem gan­zen Teil ih­res Le­bens und ih­rer so­ge­nann­ten le­bens­wich­ti­gen In­ter­es­sen spie­len.«

Der Ein­trag ist aus den Ta­ge­bü­chern von Al­bert Ca­mus (1913–1960); da­tiert »Au­gust 1935«

Quel­le: Al­bert Ca­mus, Ta­ge­bü­cher 1935–1951, Ro­wohlt rororo, April 1992, S. 33

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  1. »Die glei­chen Wor­te, die glei­chen Lü­gen...«, ver­blüf­fend? Nicht wirk­lich, son­dern nach der Er­fah­rung von Jahr­zehn­ten trau­ri­ge Nor­ma­li­tät.

  2. Hun­ger, Ar­mut, Durst, Ge­walt: Die­se trei­ben das Volk doch viel eher auf die Bar­ri­ka­den, als die Nich­tig­keit um­fas­sen­der Da­ten­über­wa­chung und ‑samm­lung. Wenn küm­mert et­was, so­lan­ge er Un­ter­hal­tung hat und Fut­ter? Oder?

  3. Auf die Ak­tua­li­tät jen­seits des Live-Tickers ver­meint­li­cher oder tat­säch­li­cher Skan­da­le und Af­fä­ren. Das Kon­ti­nu­um liegt nicht in den Er­eig­nis­sen – die sind voll­kom­men un­ver­gleich­bar mit­ein­an­der. Son­dern auf das We­sen der po­li­tisch Ver­ant­wort­li­chen und Han­deln­den, die ir­gend­wann ei­nen ge­wis­sen Über­druss zu er­zeu­gen schei­nen. In an­de­ren Re­gio­nen der Welt er­lebt man ja auch das Ge­gen­teil; bei­spiels­wei­se in Ägyp­ten. Dort fin­den er­bit­ter­te Aus­ein­an­der­set­zun­gen um po­li­ti­sche und so­zia­le Rich­tun­gen statt. Hier wer­den die »Lü­gen« der »Ham­pel­män­ner« der je­wei­li­gen an­de­ren Sei­te den ei­ge­nen An­schau­un­gen kraft­voll und zum Teil ge­walt­tä­tig ge­gen­über ge­stellt.

    In Deutsch­land gab es am Sonn­tag das so­ge­nann­te »Du­ell« zwi­schen Mer­kel und ih­rem Her­aus­for­de­rer Stein­brück. Wenn man ge­nau hin­ge­hört hat, la­gen die Dif­fe­ren­zen zwi­schen den bei­den nur in Nu­an­cen. Über die Län­der­kam­mer, den Bun­des­rat, ha­ben wir läng­ste ei­ne Gro­ße bzw. »Größ­te« Ko­ali­ti­on; fast schon ein Kon­kor­d­anz­sy­stem wie in der Schweiz. Hier er­lahmt nicht nur das po­li­ti­sche In­ter­es­se des po­ten­ti­el­len Wäh­lers, son­dern auch die Em­pa­thie­fä­hig­keit der Po­li­ti­ker sel­ber. Dem­zu­fol­ge wä­re der von Ca­mus be­schrie­be­ne Zu­stand das Re­sul­tat man­geln­der po­li­ti­scher Un­ter­schie­de. Es feh­len die Po­la­ri­sie­run­gen, die »gro­ßen Welt­ent­wür­fe« (die man ei­gent­lich ja auch nicht mehr will).

  4. Hoch­ak­tu­ell, in der Tat.
    Es ist bi­zarr, wie sehr sich die »po­li­ti­sche REDE« in den me­di­al ver­mit­tel­ten De­mo­kra­tien in Pla­ti­tü­den und Kon­sens­for­meln zu­rück­ge­zo­gen hat.
    Ca­mus sagt aber zwei­er­lei: wäh­rend die Macht­ha­ber sich rhe­to­risch un­an­tast­bar ma­chen, fah­ren die Bür­ger fort, die po­li­ti­sche Sphä­re spie­le­risch, iro­nisch oder zy­nisch zu be­trach­ten. Auf der Ska­la per­sön­li­cher Prio­ri­tä­ten liegt sie ziem­lich weit un­ten. Er sieht hier ei­ne un­heil­vol­le Kon­stel­la­ti­on.
    Ich glau­be, im Mo­ment kann sich kaum noch je­mand die ak­ti­ve Sei­te der Po­li­tik, al­so je­ne die rhe­to­risch ver­dun­kelt wird, über­haupt auch nur vor­stel­len.