Wie dann doch al­les schief­ge­gan­gen ist: Chri­sto­pher Clarks Schlaf­wand­ler

Christopher Clark: The Sleepwalkers

Chri­sto­pher Clark:
The Sleep­wal­kers

Der Er­folg von Clarks »Schlaf­wand­lern« (Spie­gel-Top10; Nr. 1‑Bestseller auf Ama­zon) in Deutsch­land ist auch ein Tri­umph des Mar­ke­tings und der stra­te­gi­schen Pro­dukt­pla­nung. Ge­nau zum rich­ti­gen Zeit­punkt, am An­fang des gro­ßen Ge­denk­ma­ra­thons zum WWI, wird das Buch mit um­fang­rei­chen Wer­be- und PR-Ma­te­ria­li­en in den über­re­gio­na­len Feuil­le­tons plat­ziert, die ge­schickt die Neu­ro­sen rechts-bür­ger­li­cher deut­scher Pu­bli­zi­sten und des AfD-wäh­len­den Teils des Pu­bli­kums be­die­nen. Ein Ver­gleich der »Blurbs«, die das eng­li­sche Ori­gi­nal be­wer­ben, und der Sprech­bla­sen auf der deut­schen Über­set­zung ist hier sehr in­struk­tiv. (Mein Text be­zieht sich auf die eng­li­sche Ta­schen­aus­ga­be Chri­sto­pher Clark, The Sleep­wal­kers. How Eu­ro­pe Went to War in 1914, Lon­don: Pen­gu­in Books, 2013) Gleich vor­weg: Clark schreibt kei­ne Apo­lo­gie des Kai­ser­rei­ches.

Tat­säch­lich las­sen sich die gut 560 Sei­ten rei­ner Text (oh­ne Fuß­no­ten) her­vor­ra­gend le­sen. Ana­ly­ti­sche Pas­sa­gen, zum Bei­spiel zur kom­ple­xen und kom­pli­zier­ten Struk­tur der po­li­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­se in den be­tei­lig­ten Staa­ten und de­ren Be­deu­tung für die tat­säch­li­chen Hand­lun­gen und de­ren Ab­läu­fe, sind ge­schickt in die er­zäh­le­ri­schen Pas­sa­gen in­te­griert. Dass Clark wirk­lich gut er­zäh­len kann, ist ein gro­ßes Plus des Bu­ches: Ent­scheidende Epi­so­den auf dem Weg in den Krieg wer­den sehr pla­stisch, die Haupt­akteure wer­den in klei­nen Vi­gnet­ten vor­ge­stellt. So ist man qua­si live da­bei, als ser­bi­sche Put­schi­sten Kö­nig Alex­an­dar und Kö­ni­gin Dra­ga ab­schlach­ten und dann ei­ni­ge der Kö­nigs­mör­der Jah­re spä­ter die Sa­ra­je­vo-At­ten­tä­ter re­kru­tie­ren oder beim Be­such des fran­zö­si­schen Staats­prä­si­den­ten Poin­ca­ré in Ruß­land wäh­rend der Hoch­zeit der Ju­li-Kri­se 1914, in­klu­si­ve des Ner­ven­zu­sam­men­bruchs des fran­zö­si­schen Re­gie­rungs­chefs Vi­via­ni.

In der Ein­lei­tung weißt Clark aus­drück­lich auf die un­über­schau­ba­re Men­ge an Li­te­ra­tur hin, die es al­lein zum Aus­bruch des 1. Welt­krie­ges be­reits gibt – und dass so ziem­lich je­de mög­li­che Po­si­ti­on zur Fra­ge »Wie konn­te das über­haupt pas­sie­ren?!« schon ein­ge­nom­men wur­de. Schließ­lich er­schie­nen schon kurz nach dem 1. Au­gust die er­sten »Wer war’s?«-Darstellungen, meist in pro­pa­gan­di­sti­scher Ab­sicht. War­um al­so jetzt noch ein Buch und war­um die­ses?

Mo­der­ni­tät der hi­sto­ri­schen Kon­stel­la­ti­on

Clarks Ant­wort: Weil die ak­tu­el­le welt­po­li­ti­sche Si­tua­ti­on nach dem 11. Sep­tem­ber 2001 der Si­tua­ti­on im Som­mer 1913 äh­nelt: Die in­ter­na­tio­na­len Macht­ver­tei­lun­gen sind in Fluss ge­kom­men, fast schon ins Rut­schen; na­tio­na­li­stisch-fun­da­men­ta­li­sti­sche Ter­ror­grup­pen mit schat­ten­haf­ten Be­zie­hun­gen zu of­fi­zi­el­len staat­li­chen Or­ga­ni­sa­tio­nen (v.a. den Geheim­diensten) grei­fen spek­ta­ku­lär ins Welt­ge­sche­hen ein. Da­mit än­de­re sich auch un­ser Blick auf die Er­eig­nis­se 1913 – und wie ich Clark ver­ste­he: zum an­ge­mes­se­ne­ren hin. Eng mit die­ser Po­si­ti­on ist Clarks An­spruch ver­knüpft, nicht nach dem »War­um?«, son­dern nach dem »Wie« des Kriegs­aus­bruchs zu fra­gen. Laut Clark ver­birgt sich in der War­um-Fra­ge ei­gent­lich die Schuld­fra­ge, die er für hi­sto­risch und wis­sen­schaft­lich we­nig er­gie­big hält. Wer nach dem »War­um« bzw. der Schuld fra­ge, im­por­tie­re un­ver­meid­lich straf- und völ­ker­recht­li­che Per­spek­ti­ven und Un­ter­su­chungs­me­tho­den. So näh­me man die Po­si­ti­on des An­klä­gers (oder Ver­tei­di­gers) ein und kön­ne Fak­ten nur in­so­weit wahr­neh­men, wie sie die ei­ge­ne Po­si­ti­on stütz­ten, oder in­ter­pre­tie­re Fak­ten nur in der ei­ge­nen Per­spek­ti­ve. Der Kom­ple­xi­tät und Of­fen­heit der hi­sto­ri­schen Si­tua­ti­on und de­ren Dy­na­mik wer­de man so nicht ge­recht. Wer ver­su­che, das »Wie?« des hi­sto­ri­schen Pro­zes­ses zu re­kon­stru­ie­ren, müs­se da­ge­gen nicht fi­nal den­ken, son­dern kön­ne auch die Mög­lich­kei­ten se­hen, wie auch al­les hät­te an­ders lau­fen kön­nen. Dass sich »War­um«- und »Wie«-Geschichtsschreibung nicht wirk­lich so klar von­ein­an­der tren­nen las­sen, ist Clark selbst­ver­ständ­lich klar. Schließ­lich schreibt er das Buch nur, weil am En­de des gan­zen Hin und Hers der 1. Welt­krieg steht – und da­mit der Un­ter­gang ei­ner gan­zen Welt.

Er­staun­li­cher­wei­se gar nicht (zu­min­dest ha­be ich es nicht ge­le­sen) dis­ku­tiert Clark, dass sein An­satz, kei­ne fi­na­le Ge­schich­te er­zäh­len zu wol­len, ei­ni­ge An­for­de­run­gen an die Art der Dar­stel­lung stellt. Wie stark be­stimm­te, am rea­li­sti­schen Ro­man ori­en­tier­te nar­ra­ti­ve For­men der Ge­schichts­schrei­bung ei­ne of­fe­ne Dar­stel­lung ge­ra­de­zu ver­hin­dern, ist schon seit lan­gem Ge­gen­stand der Dis­kus­si­on in der Ge­schichts­wis­sen­schaft selbst (Hay­den White, Ste­phen Green­blatt, Jörn Rü­sen). Stich­wort Em­plot­ment: Qua­si weg­ge­tra­gen von der nar­ra­ti­ven Lo­gik be­stimm­ter Er­zähl­struk­tu­ren und Gen­res (Epos, Tra­gö­die, Ro­man­ze, aber auch Gen­res wie Thril­ler, Kri­mi etc.) struk­tu­riert sich das hi­sto­ri­sche Ma­te­ri­al. Dann hat man eben plötz­lich doch Schur­ken und Hel­den. Dass der nar­ra­ti­ve Rah­men, in dem man Er­eig­nis­se wahr­nimmt und in­ter­pre­tiert, fun­da­men­tal für die ei­ge­ne Entscheidungs­findung ist, ge­hört gleich­zei­tig zu Clarks wich­tig­sten Er­klä­run­gen für das Ver­hal­ten der wich­tig­sten Prot­ago­ni­sten, vor al­lem der Ver­ant­wort­li­chen in­ner­halb der habs­bur­gi­schen Mon­ar­chie.

Weil er das »Wie?«, de fac­to eher das »Wer macht wann was wie­so«, re­kon­stru­ie­ren will, kon­zen­triert sich Clark auf Re­gie­rungs­mit­glie­der, Bot­schaf­ter und Di­plo­ma­ten als Dra­ma­tis Per­so­na, macht al­so ganz klas­si­sche po­li­ti­sche Ge­schichts­schrei­bung. Sozial‑, Mentalitäts‑, Kul­tur- oder wie auch im­mer ge­ar­te­te struk­tur­ge­schicht­li­che An­sät­ze spie­len nur ei­ne un­ter­ge­ord­ne­te Rol­le. Statt­des­sen nutzt Clark stark Kon­zep­te und Be­grif­fe der Inter­national Re­la­ti­ons-Stu­dies so­wie der Ent­schei­dungs­theo­rie (De­cis­i­on Theo­ry) – auch als Me­tho­de, das »Wie« be­schrei­ben zu kön­nen und ge­gen das »War­um?« stark zu ma­chen. Das Buch, das ich dann ge­le­sen ha­be, weicht von den An­kün­di­gun­gen in der Ein­lei­tung aber si­gni­fi­kant ab:

Ser­bi­en: ein Schur­ken­staat

Im Ge­gen­satz zu Clarks Selbst­po­si­tio­nie­rung, kei­ne Schul­di­gen zu su­chen, al­so neu­tral dar­zu­stel­len, ist schon nach dem er­sten Ka­pi­tel (»Ser­bi­an Ghosts«) ziem­lich klar, wer zu den Haupt­ver­ant­wort­li­chen zählt: das Kö­nig­reich Ser­bi­en, des­sen po­li­ti­sche Eli­te und de­ren na­tio­na­li­stisch-ras­si­sti­sche Groß-Ser­bi­en-Ideo­lo­gie. Auf die­sem Hu­mus bil­det sich dann ei­ne Art »tie­fer Staat« (For­mu­lie­rung von mir) aus, bei dem der stell­ver­tre­ten­de Ge­heim­dienst­chef Dra­gut­in T. Di­mit­ri­je­vić (das Ma­ster­mind hin­ter der Er­mor­dung von Kö­nig Alex­an­dar) gleich­zei­tig ei­ne ter­ro­ri­sti­sche Or­ga­ni­sa­ti­on auf­baut, die ge­gen die um­lie­gen­den Staa­ten, vor al­lem die K.u.K.-Monarchie, agiert und da­zu noch ei­ne wei­te­re Or­ga­ni­sa­ti­on, ge­nannt »Ver­ei­ni­gung oder Tod« bzw. »Schwar­ze Hand«, um die ei­gent­li­che Ter­ror-Or­ga­ni­sa­ti­on zu decken und Druck auf die ser­bi­sche Po­li­tik aus­zu­üben. Clark zeigt, dass po­li­ti­scher Mord und Ter­ror­an­schlä­ge üb­li­che Me­tho­den der ser­bi­schen Po­li­tik der Zeit sind. Ent­spre­chend ge­walt­tä­tig ist auch die Au­ßen­po­li­tik: Ser­bi­en bricht di­ver­se mi­li­tä­ri­sche Kon­flik­te vom Zaun, um das ei­ge­ne Ter­ri­to­ri­um zu er­wei­tern. Denn über­all wo Ser­ben le­ben, ist Ser­bi­en. In den er­ober­ten Ge­bie­ten er­rich­tet man dann ein Schreckens­re­gime in­klu­si­ve eth­ni­scher Säu­be­run­gen.

Den Haupt-Ant­ago­ni­sten Ser­bi­ens, die Do­nau­mon­ar­chie, zeigt Clark in ei­nem mil­de­ren Licht: Mehr­fach hebt er das – v.a. ge­gen­über Ser­bi­en – hoch­klas­si­ge Bil­dungs- und Er­zie­hungs­we­sen, den funk­tio­nie­ren­den Rechts­staat, die fort­schritt­li­che In­du­strie- und Land­wirt­schafts­po­li­tik, die ex­trem ho­he Al­pha­be­ti­sie­rungs­ra­te und die im­mer li­be­ra­ler wer­den­de Min­der­hei­ten­po­li­tik der K.uK.-Monarchie her­vor. Im Kon­trast er­scheint der Le­se­rin das Kö­nig­reich Ser­bi­en als groß­mäu­li­ger Un­ru­he­stif­ter – und man fragt sich, wel­cher Ge­hirn­wä­sche sich die Sa­ra­je­vo-At­ten­tä­ter un­ter­zo­gen ha­ben, um pro-ser­bi­sche At­ten­ta­te durch­zu­füh­ren. Auch ge­gen­über den po­li­ti­schen und struk­tu­rel­len Komple­xitäten und Kom­pli­ziert­hei­ten der Habs­bur­ger Mon­ar­chie zeigt Clark viel Ver­ständ­nis und den Re­form- und Mo­der­ni­sie­rungs­be­stre­bun­gen Wiens, an­ge­trie­ben von Franz Fer­di­nand, räumt er ei­ni­gen Raum ein. In sei­ner Dar­stellung wird ge­ra­de die Schwer­fäl­lig­keit des habs­bur­gi­schen Re­gie­rungs­ap­pa­rats zu ei­nem Ga­ran­ten, dass aus Kon­flik­ten auf dem Bal­kan nicht gleich ein Flä­chen­brand wird – ob­wohl oder weil mit Con­rad von Höt­zen­dorff ei­ne der mo­no­ma­nisch­sten Kriegs­be­für­wor­ter Öster­reichs Ge­ne­ral­stabs­chef war. Nach sei­ner Rück­kehr aus Sa­ra­je­vo woll­ten ihn Franz Fer­di­nand üb­ri­gens ent­las­sen – auch so ei­ne Chan­ce, die durch sei­ne Er­mor­dung zer­stört wur­de. »Selt­sam­kei­ten« der k.u.k‑Politik ge­gen­über Ser­bi­en wie der Ein­satz von ge­fälsch­ten Do­ku­men­ten, um die Re­gie­rung in Bel­grad zu dis­kre­di­tie­ren so­wie die Un­ter­stüt­zung an­ti-ser­bi­scher Or­ga­ni­sa­tio­nen und Be­we­gun­gen in den von Ser­bi­en er­ober­ten Re­gio­nen, misst er da­ge­gen we­nig Be­deu­tung zu – selbst wenn die Fäl­schungs­af­fä­ren die Glaub­wür­dig­keit der habs­bur­gi­schen Ermitt­lungen zum Hin­ter­grund des At­ten­ta­tes auf Franz Fer­di­nand be­ein­träch­ti­gen oder zu­min­dest von den Al­li­anz-Mäch­ten so pro­pa­gan­di­stisch aus­ge­schlach­tet wur­den.

Pan­sla­wis­mus und Im­pe­ria­lis­mus: Russ­land

Näch­ster Haupt­ver­ant­wort­li­cher: Russ­land. Von dort wird die Hoch­ri­si­ko-Po­li­tik Ser­bi­ens un­ter­stützt und auf­ge­sta­chelt, be­son­ders von Ni­co­lai Hart­wig, dem rus­si­schen Ge­sand­ten in Bel­grad. Auf­grund der weit­ge­hend un­ge­re­gel­ten und un­ge­klär­ten Kom­pe­ten­zen und Ver­ant­wort­lich­kei­ten in der rus­si­schen Re­gie­rung – der Pre­mier­mi­ni­ster hat kei­ne Richt­li­ni­en­kom­pe­tenz, der Kriegs­mi­ni­ster wen­det sich stän­dig di­rekt an den Za­ren ge­nau­so wie die Chefs des Sta­bes und mäch­ti­ge Staats­se­kre­tä­re – macht Hart­wig sei­ne ei­ge­ne pan-sla­wi­sche und pan-ser­bi­sche Po­li­tik und wird zur grau­en Emi­nenz der ser­bi­schen Po­li­tik. Ab­sur­der­wei­se stirbt Hart­wig dann mit­ten in den Ver­hand­lun­gen um das von Wien ge­stell­te Ul­ti­ma­tum wäh­rend ei­nes 4‑Au­gen-Ge­sprächs mit dem k.u.k‑Gesandten Giesl – wor­aus die hy­ste­ri­sche Ge­rüch­te­kü­che Bel­grads na­tür­lich so­fort ei­nen Mord mach­te.

Um 1913 hat sich die pan-sla­wi­sti­sche Frak­ti­on in Russ­land durch­ge­setzt – im Zu­ge ei­ner im­pe­ria­li­sti­schen Stra­te­gie, die so­wohl das habs­bur­gi­sche als auch das ot­to­ma­ni­sche Reich als schwäch­li­che Re­ste­ver­wal­ter be­trach­te­te, aus de­ren Ter­ri­to­ri­en man sich gro­ße Stücke her­aus­schnei­den durf­te – qua­si in hö­he­rem hi­sto­ri­schen Auf­trag. Für Russ­land ist der di­rek­te Zu­gang zum Mit­tel­meer von höch­ster stra­te­gi­scher Wich­tig­keit. Der Bal­kan wird zu ei­nem Vor­land des Bos­po­rus und der Krim. Da­mit geht ei­ne enor­me mi­li­tä­ri­sche und in­fra­struk­tu­rel­le Auf­rü­stung ein­her, und die völ­li­ge Igno­ranz ge­gen­über den be­rech­tig­ten In­ter­es­sen Wiens.

For­ciert und fi­nan­ziert wird die rus­si­sche An­ti-Habs­burg-Po­li­tik von der fran­zö­si­schen Re­gie­rung un­ter Staats­prä­si­dent Poin­ca­ré, die das Za­ren­reich als zwei­te Front ge­gen das Deut­sche Reich auf­bau­en will und die K.u.K‑Monarchie nur noch als ein Ma­rio­net­te Ber­lins wahr­neh­men kann – nicht als ei­gen­stän­di­gen Ak­teur.

The Bal­kan In­cep­ti­on Sce­na­rio

Clark macht deut­lich, dass Russ­land und Frank­reich mit ih­rer Bünd­nis- und Bal­kan­po­li­tik ganz be­wusst die Sta­bi­li­tät des po­li­ti­schen Sy­stems in Eu­ro­pa, und da­mit in letz­ter Kon­se­quenz auch den Frie­den, an die kri­sen­an­fäl­lig­ste Re­gi­on der da­ma­li­gen Welt und an äu­ßerst du­bio­ses po­li­ti­sches Per­so­nal bin­den. Oder wie es Jörg Fried­rich am 27. Ju­li im Deutsch­land­funk for­mu­lier­te: »Ir­gend­je­mand muss den Fun­ken auch zum Pul­ver­fass brin­gen.«

Für die Es­ka­la­tio­nen, die mit dem At­ten­tat in Sa­ra­je­vo dann ih­ren Lauf neh­men, schreibt Clark Öster­reich-Un­garn und dem Deut­schen Reich ei­ne im we­sent­li­chen re­ak­ti­ve Rol­le zu. Selbst das auf Un­an­nehm­bar­keit ge­strick­te Ul­ti­ma­tum Wiens er­scheint in sei­ner Dar­stel­lung nicht nur als ver­ständ­lich, son­dern auch im Prin­zip als an­nehm­bar.

Für die­ses Ar­gu­ment ver­weist er mehr­fach auf das Ul­ti­ma­tum, dass die NATO 1999 Ser­bi­en im Rah­men der Ram­bouil­let-Ver­hand­lun­gen zwi­schen Ser­bi­en und den Ko­so­vo-Al­ba­nern stell­te – und das deut­lich har­sche­re Ein­schrän­kun­gen der Sou­ve­rä­ni­tät ent­hielt. Hät­te Russ­land im Ju­li 1914 Druck auf Ser­bi­en aus­ge­übt oder zu­min­dest auf sei­ne Mo­bil­ma­chung ver­zich­tet, wä­re der Krieg auf Ser­bi­en be­schränkt ge­blie­ben – oder viel­leicht so­gar ganz aus­ge­fal­len. Dass die Mo­bil­ma­chungs­plä­ne des Deut­schen Rei­ches ganz selbst­ver­ständ­lich von Bel­gi­en und Lu­xem­burg , zwei sou­ve­rä­ne und neu­tra­le Staa­ten, als Auf­marsch­ge­biet aus­gin­gen, die Mo­bil­ma­chung al­so schon selbst ein krie­ge­ri­scher Akt war, the­ma­ti­siert Clark zwar als völ­ker­recht­lich pro­ble­ma­tisch, die Be­deu­tung, die der Ak­ti­on für den Kriegs­ein­tritt Bri­tan­ni­ens von den bri­ti­schen Po­li­ti­kern selbst zu­ge­schrie­ben wur­de, hält er aber für ei­nen Vor­wand der Kriegs­par­tei un­ter dem Au­ßen­mi­ni­ster Grey und dem Sea­lord Chur­chill. Sie muss­ten den Kriegs­ein­tritt an der Sei­te Frank­reichs und Russ­lands, ge­gen die Re­gie­rungs­mehr­heit und bei der re­la­tiv an­ti­fran­zö­sisch und –rus­sisch ein­ge­stell­ten Be­völ­ke­rung und Pres­se zu­sätz­lich mo­ti­vie­ren und durch­set­zen. Mit dem Ein­marsch in Bel­gi­en hat­te ih­nen Ber­lin die­sen Ge­fal­len ge­tan.

So folg­te je­de Par­tei ih­rem au­ßen­po­li­tisch Skript, wie Clark die nar­ra­ti­ven Mu­ster nennt, in de­nen die Prot­ago­ni­sten die Si­tua­tio­nen und die Hand­lun­gen der an­de­ren in­ter­pre­tier­ten, und die ein­zel­nen Prot­ago­ni­sten noch ih­ren per­sön­li­chen Kar­rie­re-Am­bi­tio­nen. Zum Schluss mar­schie­ren dann die bei­den gro­ßen Blöcke ge­gen­ein­an­der – und vier Jah­re spä­ter sind 17 Mil­lio­nen Men­schen tot.

Die von ihm re­kon­stru­ier­te Dy­na­mik ver­sucht Clark mit dem Bild der »Schlaf­wand­ler« zu fas­sen: »In this sen­se, the prot­ago­nists of 1914 we­re sleep­wal­kers, watchful but un­see­ing, haun­ted by dreams, yet blind tot he rea­li­ty of the hor­ror they we­re about to bring in the world.« (S. 562; das ist der letz­te Satz des Bu­ches) Mir hat Clark vor­her aber et­was an­de­res ver­mit­telt – und das sehr über­zeu­gend:

Er zeigt klar, dass es eben kein blö­der hi­sto­ri­scher Zu­fall war, dass dies­mal ei­ne Balkan­krise rich­tig schief ging – son­dern das Er­geb­nis stra­te­gi­scher Neu­aus­rich­tun­gen und de­ren tak­ti­scher Um­set­zung von al­len be­tei­lig­ten Na­tio­nen, aber vor al­lem von Ser­bi­en, Russ­land und Frank­reich. Zum Bei­spiel die Ent­schei­dung, den Thron­fol­ger des größ­ten po­li­ti­schen Wi­der­sa­chers zu er­mor­den, nach­dem man neue vor­teil­haf­te Ver­trä­ge mit Russ­land ab­ge­schlos­sen hat.

Ein gro­ßer Teil der han­deln­den Per­so­nen hat kon­se­quent auf ei­nen Krieg zu­ge­ar­bei­tet – und dass mit ganz rea­li­sti­schem Be­wusst­sein für die Mög­lich­kei­ten der neu­en Kriegs­technologien. Auf die hat man so­gar ge­setzt.

Was fehlt

Aber es hät­te nicht zwin­gend schief­ge­hen müs­sen. Auch das zeigt Clark. Aber die – zu­min­dest für mich – ent­schei­den­de Fra­ge, wie es mög­lich war, dass sich die Kriegs­parteien durch­set­zen konn­ten, ob­wohl es in fast al­len wich­ti­gen Län­dern si­gni­fi­kan­te Frie­dens­be­we­gun­gen gab und Po­li­ti­ker, die auf ei­ne Ver­hand­lungs­lö­sung set­zen woll­ten, streift Clark nur kurz. Er dis­ku­tiert zwar Vor­aus­set­zun­gen wie die Selbst­stän­dig­keit des mi­li­tä­ri­schen Ap­pa­ra­tes ge­gen­über den po­li­tisch Ver­ant­wort­li­chen in Län­dern wie Russ­land, die grund­sätz­lich po­si­ti­ve Ein­stel­lung ge­gen­über al­lem Mi­li­tä­ri­schen oder die für er­folg­rei­ches Kri­sen­ma­nage­ment ab­so­lut un­ge­eig­ne­ten Po­li­tik­struk­tu­ren in fast al­len Län­dern – aber wirk­lich über­zeu­gend ist das nicht. Vor al­lem weil er sich da­zu viel zu we­nig Platz nimmt. Sei­ne Aus­flü­ge in die Men­ta­li­täts- und Kul­tur­ge­schich­te wir­ken ziem­lich kur­so­risch – und auch et­was lust­los. Ge­ra­de hier hät­te man aus den zahl­rei­chen Stu­di­en, die es mitt­ler­wei­le zum »Zeit­al­ter der Ner­vo­si­tät« (Rad­kau), zur Mo­der­ne als Kri­sen­er­fah­rung und zur wach­sen­den Be­deu­tung der Mas­sen­me­di­en und de­ren Ein­fluss auf po­li­ti­sche Ent­schei­dun­gen ei­ne viel kon­kre­te­re Kon­tex­tua­li­sie­rung der Entscheidungs­situationen ent­wickeln kön­nen. Clark ver­zich­tet dar­auf – oder nutzt ihn nur dann, um sein Ar­gu­ment re: Ser­bi­en zu stär­ken.

Au­ßer­dem ver­zich­tet Clark meist dar­auf, um­strit­te­ne Fak­ten, zum Bei­spiel über die in­for­mel­len Ge­sprä­che wäh­rend des fran­zö­si­schen Staats­be­suchs in Russ­land, deut­li­cher als um­strit­ten und spe­ku­la­tiv zu mar­kie­ren. Na­tür­lich wür­den sol­che Ex­kur­se den Er­zähl­fluss stö­ren, man hät­te aber als Le­se­rin doch lie­ber öf­ter ge­wusst, war­um sich Clark für wel­che Les­art ent­schei­det. Nun ha­be ich doch an ei­ni­gen Stel­len den Ein­druck, Clark op­fert der nar­ra­tiv ele­gan­ten Dar­bie­tung sei­ner Ar­gu­men­te ab und an die Dar­stel­lung der For­schungs­la­ge – und bin et­was ver­stimmt. Ge­nau­so wie über die Dis­kre­panz zwi­schen Ein­lei­tung und tat­säch­li­cher Ar­gu­men­ta­ti­on: Was spricht ei­gent­lich da­ge­gen, den ei­ge­nen An­satz – oh­ne Bal­kan In­cep­ti­on Sce­na­rio der Tri­ple-En­tente kein 1. Welt­krieg – gleich vor­zu­stel­len? So wirft er sich ein Män­tel­chen von Ob­jek­ti­vi­tät und Neu­tra­li­tät über, des­sen Fa­den­schei­nig­keit von der Ge­schichts­wis­sen­schaft selbst schon seit Jahr­zehn­ten dia­gno­sti­ziert wur­de. Und das hät­te die­ses Buch, das die Ge­schich­te des größ­ten di­plo­ma­tisch-au­ßen­po­li­ti­schen De­sa­sters der Mo­der­ne gut les­bar und meist über­zeu­gend nach­zeich­net, wirk­lich nicht ge­braucht. Aber das Werk, das al­le Dis­kus­sio­nen zum The­ma Kriegs­schuld be­en­det und die ar­me deut­sche See­le er­löst, ist es – zum Glück – nicht.

12 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ich bin et­was über­rascht, dass das in ei­nem Kom­men­tar zu dem Mün­k­ler-Buch ge­nann­te Un­be­ha­gen re­la­tiv harm­los aus­fällt. Mir wür­de da noch mehr ein­fal­len. Mich hat­te z.B. deut­lich stär­ker die Miss­ach­tung bzw. Ver­harm­lo­sung der in wei­ten Tei­len der Ge­sell­schaft vor­han­de­nen Kriegs­het­zer in Deutsch­land ge­stört (Dea­rest Nicky...).

    Ein paar Punk­te wür­de ich et­was an­ders se­hen:

    Clark ist Au­stra­li­er. Das ist in­so­fern wich­tig, dass man die gro­tes­ke Gallipo­li-Dar­stel­lung in Be­tracht zie­hen muss. Der er­ste Krieg, den Au­stra­li­en als un­ab­hän­gi­ges Land an der Sei­te der Bri­ten ge­führt hat, wird heu­te noch auf Ba­sis ei­ner nutz­lo­sen, men­schen­fres­sen­den und noch da­zu ver­lo­re­nen Schlacht ver­herr­licht. Da­ge­gen sind die Neu­ro­sen rechts-bür­ger­li­cher deut­scher Pu­bli­zi­sten eher harm­los.

    Der in der Ge­schichts­wis­sen­schaft lan­ge gras­sie­ren­de Um­schwung von der Ver­fas­sungs-/Prot­ago­ni­sten-Ge­schich­te zur Kurl­tur-Ge­schich­te ist in vie­len Be­rei­chen si­cher­lich zu­min­dest er­gän­zend sinn­voll. Die Ge­schich­te des Spät­mit­tel­al­ters z.B. oh­ne Kul­tur­ge­schich­te ist Non­sens. Aber die Fra­ge die sich hier stellt, wird in mei­nen Au­gen tat­säch­lich nur von we­ni­gen Ent­schei­dern be­ant­wor­tet. Die z.B. von Il­lies be­schwo­re­ne Stim­mungs­la­ge, se­he ich nicht als be­son­ders re­le­vant.

    Wie wä­re wohl die Schuld­fra­ge nach dem Krieg ent­schie­den wor­den, wenn in Ser­bi­en mehr als in Deutsch­land an Re­pa­ra­tio­nen zu ho­len ge­we­sen wä­re? Das Frank­reich noch ei­ne spe­zi­el­le Sicht auf die Din­ge hat­te, liegt auf der Hand. Und bei den an­de­ren Sie­ger­mäch­ten? Auch hier lässt ein Blick auf die heu­ti­ge Re­zep­ti­on wei­ten Tei­len des Bal­kans zu­min­dest stut­zen.

    Der Ein­marsch in Bel­gi­en wä­re laut Clark von Eng­land to­le­riert wor­den, da es als zwangs­läu­fig an­ge­se­hen wor­den wä­re. Erst das of­fi­zi­el­le Er­su­chen des deut­schen Rei­ches an Bel­gi­en doch bit­te schön durch­mar­schie­ren zu dür­fen, aber al­le Schä­den be­glei­chen zu wol­len und die an­schlie­ßen­de thea­tra­li­sche Ant­wort des bel­gi­schen Kö­nigs, führ­te zu der PR-Ak­ti­on, die Eng­land den Kriegs­ein­tritt er­laub­te.

    Was mir fehlt, war die schlüs­si­ge Er­klä­rung, war­um die OHL dem Schlief­fen-Plan kein Up­date ver­passt hat­te. Der Plan ba­sier­te auf ei­nem durch den rus­sisch-ja­pa­ni­schen Krieg stark ge­schwäch­ten Russ­land. War­um hat nie­mand ei­ne An­pas­sung an das stär­ker wer­den­de Russ­land ver­langt? Ei­ne Ab­sicht, wür­de die Waag­scha­le der Schuld auf deut­scher Sei­te deut­lich ab­sen­ken. Un­ver­mö­gen wür­de die kol­por­tier­te taktisch/strategische Über­le­gen­heit stark in Mitt­lei­den­schaft zie­hen.

    Den Be­griff Schlaf­wand­ler se­he ich eben­falls als un­pas­send, da die mei­sten Fi­gu­ren se­hen­den Au­ges aber op­ti­ons­los han­del­ten. Tra­gisch, im alt­grie­chi­schen Sin­ne wä­re hier end­lich mal das kor­rek­te Wort.

  2. Der Hin­weis auf Gallipol­li ist span­nend. Das war mir gar nicht so be­wusst. In Groß­bri­tan­ni­en ver­sucht die kon­ser­va­ti­ve Re­gie­rung ja ge­ra­de, den Blick auf den Gre­at War zu­gun­sten der da­ma­li­gen Eli­ten zu wen­den. We­nig er­folg­reich, wie mir scheint: Die Brit­ten schei­nen mir ein wirk­lich trau­ern­des Ge­den­ken um die vie­len Ge­fal­len und To­ten (und so­gar um die Pfer­de und die Hun­de), v.a. am Re­mem­brance Day, völ­lig stim­mig mit ei­nem völ­lig mit­leid­lo­sem Blick auf die Un­fä­hig­keit der da­mals herr­schen­den Klas­se ver­bin­den zu kön­nen, der den Leu­ten das Le­ben ge­ko­stet hat. Ich war ein­mal bei der gro­ßen Pa­ra­de in Lon­don und ein­mal in Cam­bridge, wo auch Clark lehrt, das war un­glaub­lich be­ein­druckend.
    Clarks nicht sehr freund­li­cher Blick auf Grey, der da­ma­li­ge Au­ßen­mi­ni­ster, und die gan­ze Kriegs­par­tei – und sei­ne Nach­sicht ge­gen­über den Ver­ant­wort­li­chen im Reich, muss man si­cher auch vor die­ser bri­ti­schen De­bat­te se­hen.
    Die man­geln­de Dis­kus­si­on der Kriegs­het­zer im Kai­ser­reich (und an­ders­wo) ver­mis­se ich auch, se­he die­sen Man­gel aber un­ver­meid­lich an, bei der Art, wie Clark das Gan­ze an­geht. Eben kei­ne Men­ta­li­täts- und Dis­kurs­ge­schich­te, son­dern Di­plo­ma­tie-Ge­schich­te.

  3. In Mün­k­lers Buch schim­mert ein »Up­date« des Schlief­fen-Plans her­vor, und zwar da­hin­ge­hend, dass Molt­ke da­hin­ge­hend ab­wich, dass die Um­fas­sungs­be­we­gung (Mün­k­ler) ent­ge­gen Schlief­fens ur­sprüng­li­chen Plä­nen aus­schließ­lich über bel­gi­sches, nicht aber auch noch über nie­der­län­di­sches Ter­ri­to­ri­um ge­führt wur­de. Schlief­fens Idee war wohl ge­we­sen, Trup­pen an der dt./frz. Gren­ze, im Raum Aa­chen zu kon­zen­trie­ren und als ‘ba­tail­lon car­ré’ er­kenn­bar wer­den zu las­sen, be­vor die deut­schen Trup­pen die bel­gi­sche und nie­der­län­di­sche Gren­ze über­schrit­ten. Den Fran­zo­sen wä­re da­durch klar­ge­wor­den, wo der An­griff er­fol­gen wür­de, und Schlief­fen rech­ne­te da­mit, dass sie dem nicht ta­ten­los zu­ge­se­hen hät­ten, son­dern nach Bel­gi­en ein­mar­schiert wä­ren. Da­mit hät­te dann nicht Deutsch­land die Neu­tra­li­tät Bel­gi­ens ver­letzt.

    Da­von wich man ab und plan­te di­rekt über Bel­gi­en an­zu­grei­fen. Die­ser ver­än­der­te Plan barg er­heb­li­che Ri­si­ken; sehr viel weit­rei­chen­der aber wa­ren die aus dem Über­ra­schungs­an­griff re­sul­tie­ren­den po­li­ti­schen Fol­gen, denn mit Blick auf die Sperr­fe­stung Lüt­tich war es un­ver­meid­lich, dass die Deut­schen die Kampf­handlungen er­öff­ne­ten, be­vor Bel­gi­er und Fran­zo­sen Ge­gen­maß­nah­men er­grei­fen konn­ten. Da­mit war klar, dass Deutsch­land im We­sten in je­dem Fall als der Ag­gres­sor da­ste­hen wür­de.

    Dass man die Neu­tra­li­tät der Nie­der­lan­de nicht auch noch ver­let­zen woll­te, ver­wirft Mün­k­ler als Ar­gu­ment für die Än­de­rung und nennt mi­li­tä­ri­sche Grün­de: Zum ei­nen hät­te ei­ne zum Är­mel­ka­nal hin of­fe­ne rech­te Flan­ke den Bri­ten ei­ne Ein­bruchs­mög­lich­keit ge­ge­ben. Zum an­de­ren hoff­te man, dass Hol­land neu­tral blie­be und den Bri­ten kei­nen Durch­lass ge­wäh­ren wür­de um Bel­gi­en bei­zu­ste­hen.

    Ver­blüf­fend das Re­sü­mée: Re­tro­spek­tiv be­trach­tet war der deut­sche Ge­ne­ral­stab in sei­ner stra­te­gi­schen Pla­nung je­doch kei­nes­wegs zu optimistisch...sondern eher zu pes­si­mi­stisch: Er ent­schied sich da­für, die bel­gi­sche Neu­tra­li­tät zu ver­let­zen und die so ge­won­ne­nen mi­li­tä­ri­schen Vor­tei­le zu nut­zen, weil er die Lei­stungs­fä­hig­keit des deut­schen Hee­res un­ter­schätz­te, das oh­ne ein eng­li­sches und spä­ter noch ame­ri­ka­ni­sches Ein­grei­fen den Krieg hät­te ge­win­nen kön­nen – im­mer vor­aus­ge­setzt, dass der deut­sche An­griff auf Bel­gi­en tat­säch­lich der Grund für den Kriegs­ein­tritt der Bri­ten war.

    (al­les kur­si­ve Mün­k­ler, S. 86ff)

  4. @Doktor D
    Ich stel­le im­mer wie­der fest, dass das Er­in­nern in den ver­schie­de­nen Län­dern ei­nen völ­lig an­de­ren Te­nor hat. Wäh­rend in Deutsch­land die zi­vi­li­sa­to­ri­sche Ka­ta­stro­phe der ge­sam­ten Mensch­heit be­tont wird, se­he ich in Eng­land aber auch in vie­len Fa­cet­ten das Fest der Sie­ger. Nicht über­ra­schend, aber be­mer­kens­wert. War Grey üb­ri­gens mög­li­cher­wei­se der ein­zi­ge Ak­teur, der tat­säch­lich Op­tio­nen hat­te?

    @Gregor Keu­sch­nig
    Die tak­ti­schen Va­ri­an­ten an der West­front po­si­tio­nie­ren sich aber nicht ge­gen die »rus­si­sche Dampf­wal­ze«. Dass die bei­den Her­ren Tan­nen­berg ge­won­nen ha­ben, ba­sier­te so­weit ich das se­he auf den Be­find­lich­kei­ten der rus­si­schen Ge­ne­rä­le und nicht der mi­li­tä­ri­schen Bril­li­anz der Deut­schen. Hät­ten Ren­nen­kampff und Sam­so­now ko­ope­riert, hät­te die Ost­front ei­nen deut­lich grö­ße­ren Ein­fluss auf den Frank­reich­feld­zug ge­habt. Der Zu­fall hat al­so nur die stra­te­gi­sche Fehl­pla­nung ver­schlei­ert und wenn man wei­ter­denkt, Hin­den­burg zum Prä­si­den­ten ge­macht, der Hit­ler...

  5. @Joseph Bran­co
    Man ging ja wohl von ei­nem schnel­len Er­folg an der West­front aus und woll­te sich da­nach dann der Ost­front »wid­men«. Das es dann an­ders kam, trägt nicht zu­letzt zur Nie­der­la­ge Deutsch­lands bei. Mün­k­ler be­schreibt die­ses stän­di­ge Hin- und Her­ver­schie­ben zwi­schen West- und Ost­front von Sol­da­ten und Lo­gi­stik. Hin­zu kam, dass Öster­reich-Un­garn sich mi­li­tä­risch als äu­ßerst schwach her­aus­stell­te und hier mehr als nur sym­bo­lisch un­ter­stützt wer­den muss­te.

    Was Sie zu Tan­nen­berg schrei­ben, ent­spricht wohl den Tat­sa­chen. Dass ins­be­son­de­re Hin­den­burg (we­ni­ger Lu­den­dorff) zum »Su­per­star« hoch­sti­li­siert wur­de, ver­deck­te ja auch die Pro­ble­me an der West­front. Dass dann 20 Jah­re spä­ter aus­ge­rech­net Hin­den­burg zum »Hoff­nungs­trä­ger« für die Wei­ma­rer De­mo­kra­tie aus­er­ko­ren wur­de, ist ein Witz mit fa­ta­len Fol­gen. Es zeigt ne­ben­bei wie un­fä­hig die de­mo­kra­ti­schen Par­tei­en in den 30er Jah­ren wa­ren. Aber das ist ei­ne an­de­re Sa­che.

  6. Ein, zu­ge­ge­ben zor­ni­ger und an­lass­be­zo­ge­ner, aber doch sach­li­cher und aus­führ­li­cher Text in der Pres­se vom 14.02. von Man­fried Rau­chen­stei­ner, der sein Stan­dard­werk zum Un­ter­gang der Habs­bur­ger-Mon­ar­chie vor ei­ni­ger Zeit er­wei­tert und neu auf­ge­legt hat. — Clark steht mit sei­ner kri­ti­schen Sicht be­züg­lich Ser­bi­ens Bei­trag viel­leicht nicht al­lei­ne da (al­ler­dings ha­be ich Clarks Buch noch nicht ge­le­sen). — An ei­ner an­de­ren Stel­le (ich weiß nur ge­ra­de nicht wo) ha­be ich von Rau­chen­stei­ner ge­le­sen, dass die Min­der­hei­ten­po­li­tik der Mon­ar­chie, die er kei­nes­wegs un­kri­tisch sieht, vor­bild­lich war (ge­mes­sen an den da­ma­li­gen Stan­dards). — Die Sa­ra­je­vo-At­ten­tä­er wa­ren et­wa 20 Jah­re alt und wur­den po­li­tisch be­nutzt, die Fra­ge nach ei­ner Ge­hirn­wä­sche stellt sich m.E. nicht (eher die nach Ver­blen­dung). — Die Ver­hand­lung vor Ge­richt wur­de auf ser­bo­kroa­tisch ge­führt, es gab Be­gna­di­gun­gen, Prin­cip war ge­ra­de nicht voll straf­mün­dig, etc., dies­be­züg­lich hat sich die Mon­ar­chie glau­be ich, kor­rekt ver­hal­ten.

    Schreibt Clark von Schuld oder von Ver­ant­wor­tung (bei­de Wor­te tau­chen in der Be­spre­chung knapp hin­ter­ein­an­der auf, letz­te­res wä­re für den Hi­sto­ri­ker zu­läs­sig, er­ste­res nicht)?

    Und noch ei­ne Fra­ge: Der Satz »Dann hat man eben plötz­lich doch Schur­ken und Hel­den.« be­zieht sich auf das hi­sto­ri­sche, nicht durch ei­ne nar­ra­ti­ve Struk­tur ge­ord­ne­te, Ma­te­ri­al?

  7. @metepsilomena:
    Die Min­der­hei­ten­po­li­tik lobt Clark auch – und zeigt, wie fort­schritt­lich der öster­rei­chi­sche Teil der KuK-Eli­ten ge­gen­über den un­ga­ri­schen war. V.a. Franz Fer­di­nand war hier en­ga­giert, der in ei­ner li­be­ra­len Min­der­hei­ten-/Völ­ker-Po­li­tik (so nann­te man das wohl), die ein­zi­ge Mög­lich­keit sah, die Habs­bur­ger Mon­ar­chie ei­ni­ger­ma­ßen er­hal­ten zu kön­nen. Sei­ne größ­ten Geg­ner wa­ren, wie ge­sagt, die un­ga­ri­schen Eli­ten, die ih­re Macht mit dem Al­lein­ver­tre­tungs­an­spruch für al­le nicht-deut­schen Min­der­hei­ten in der Mon­ar­chie be­grün­de­ten. Und zwi­schen den Zei­len Clarks le­se ich, dass auch das ser­bi­sche Kö­nig­reich Angst hat­te, sein pan­sla­wi­scher Ap­peal lei­de deut­lich un­ter der re­la­tiv li­be­ra­len Herr­schaft, die Habs­burg in Bos­ni­en-Her­ze­go­vina er­rich­te­te. Franz Fer­di­nand (und sei­ne Frau) zu er­mor­den war un­ter stra­te­gi­schen Ge­sichts­punk­ten, tat­säch­lich ei­nen Krieg grö­ße­ren Aus­ma­ßes zu pro­vo­zie­ren, sehr ge­schickt.

    Das Habs­bur­ger Reich hat in der Ge­schichts­schrei­bung, spä­te­stens seit den neu­en Bal­kan­krie­gen, ei­ne Um­be­wer­tung ins Po­si­ti­ve er­fah­ren, scheint mir. Stich­wort Mit­tel­eu­ro­pa-Nost­al­gie der 80er und 90er Jah­re. Rau­chen­stei­ners Em­pö­rung über die ser­bi­schen Glo­ri­fi­zie­run­gen Prin­cips kann ich gut nach­voll­zie­hen. Zu­mal sich die Be­schrei­bun­gen der groß­ser­bi­schen Pro­pa­gan­da und der Säu­be­rungs­po­li­tik in den angschlos­se­nen Ge­bie­ten in den von Clark zi­tier­ten Be­rich­ten der bri­ti­schen und fran­zö­si­schen Bot­schaf­ter tat­säch­lich liest, als hät­te Mi­lo­se­vic die ein­fach aus ei­ner Schub­la­de ge­holt und dann in den Ju­go­sla­wi­en­krie­gen wie­der in die Tat um­ge­setzt. Es ist wirk­lich de­pri­mie­rend – und lässt ei­nen um­so mehr schät­zen, wie se­gens­reich es ist, dass in Deutsch­land Na­tio­na­lis­mus als po­li­ti­sche Be­grün­dung für In­nen- und Au­ßen­po­li­tik weit­ge­hend dis­kre­di­tiert ist. Und das es sich lohnt, sich da­für zu en­ga­gie­ren, dass es auch so bleibt.

    zu Schuld und Ver­ant­wor­tung:
    Clark lehnt den Schuld-Be­griff als ge­schichts­wis­sen­schaft­lich un­zu­läs­sig ab. Ich schmug­gel ihn wie­der ein, weil mir die Tren­nung zwi­schen Schuld und Ver­ant­wor­tung (Why and How) durch die von Clark eta­blier­te nar­ra­ti­ve Struk­tur wie­der ver­schlif­fen wird – oder mir zu­min­dest nicht wirk­lich durch­ge­führt er­scheint.

    Zu Schur­ken und Hel­den:
    Das be­zieht sich auf die Art, wie Clark das hi­sto­ri­sche Ma­te­ri­al er­zäh­le­risch prä­sen­tiert: Er nutzt ro­man­ar­ti­ges Er­zäh­len (in dem er z. B. aus der Per­spek­ti­ve der Por­ta­go­ni­sten er­zählt oder Über­schrif­ten wählt wie »Count Ho­yos goes to Ber­lin«), scheint sich aber kei­ne Re­chen­schaft dar­über ab­zu­le­gen, dass er sich da­mit so­was wie Hel­den (z. B. Franz Fer­di­nand, den er sehr pla­stisch dar­stellt) und Schur­ken (ne­ben Apis auch den frz. Bot­schaf­ter in Russ­land Mau­rice Pa­léo­lo­gue) ein­han­delt. Die­ses Ver­fah­ren macht das Buch sehr les­bar, sa­bo­tiert aber gleich­zei­tig Clarks An­spruch an die so­zu­sa­gen rein ak­teurs­ba­sier­te Dar­stel­lung oh­ne Par­tei­nah­me. (Was ich das ir­ri­tie­rend­ste an den Schlaf­wand­lern fin­de.)

  8. Der er­ste Hi­sto­ri­ker, der Russ­land ins Zen­trum des gan­zen Schlammas­sels stellt, ist aber nicht Clark, son­dern Sean Mc­Mee­kin mit The Rus­si­an Ori­g­ins of the First World War. Weil’s den aber nicht auf Deutsch gibt, das Ti­ming falsch war (2010) und Mc­Mee­kin nur ein As­si­tenz­prof an ei­ner Istan­bu­ler Uni ist, hat das na­tür­lich (au­ßer in UK) nicht so ei­ne Wel­le in DE ge­macht. Zi­tiert wird er aber selt­sa­mer­wei­se bei Clark nicht.
    Mc­Mee­kin hat auch selbst ein Buch über die Ju­li-Kri­se ge­schrie­ben: Ju­ly 1914. Count­down to War.

  9. Auch Mün­k­ler lehnt ja den Be­griff »Schuld« ab und er­setzt ihn durch »Ver­ant­wor­tung«. Die sieht er dann weit ge­streut und nicht bei ei­ner Par­tei fest­zu­ma­chen.

    Die Par­al­le­len zu Mi­loše­vić mö­gen zu­nächst schla­gend sein, aber der Na­tio­na­lis­mus in Ju­go­sla­wi­en war ja mit­nich­ten ei­ne ex­klu­si­ve Ver­an­stal­tung der Ser­ben. Nach dem Tod Ti­tos 1980 »blockier­ten sich Re­for­mer und Dog­ma­ti­ker so­wie die acht Olig­ar­chen der Re­pu­bli­ken und Au­to­no­men Pro­vin­zen wech­sel­sei­tig, so­dass un­ge­ach­tet des enor­men Hand­lungs­be­darfs jah­re­lang nichts ge­schah, was Ju­go­sla­wi­en hät­te zu­kunfts­fä­hig ma­chen kön­nen«, so Sund­haussen in sei­nem Buch über Ju­go­sla­wi­en 1943–2011. 1986 ver­fass­ten ser­bi­sche In­tel­lek­tu­el­le ein Me­mo­ran­dum, in­dem sie Be­nach­tei­li­gun­gen der Ser­ben im Ko­so­vo brand­mark­ten. Da­mals kur­sier­te ver­stärkt im Un­ter­grund auch die so­ge­nann­te »Is­la­mi­sche De­kla­ra­ti­on« von Izet­be­go­vić (1970 ver­fasst; An­fang der 80er ging er da­für so­gar ins Ge­fäng­nis). Auch Tudj­man war das, was man ei­nen »Ul­tra-Na­tio­na­li­sten« nen­nen konn­te. Das Ti­to-Ju­go­sla­wi­en war ein fra­gi­les Ge­bil­de mit nach au­ßen sehr sou­ve­rä­nen Bun­des­staa­ten. Die ein­zel­nen Ver­fas­sun­gen re­gel­ten bis ins klein­ste al­le Zu­stän­dig­kei­ten und im­ple­men­tier­ten ei­nen am En­de läh­men­den Pro­porz. Of­fi­zi­ell gab es kei­ne ju­go­sla­wi­sche Iden­ti­tät, son­dern nur »ser­bisch«, »kroa­tisch«, usw. Nach Sund­haussen könn­te man fast die The­se auf­stel­len, es herrsch­te zu we­nig »ju­go­sla­wi­scher Na­tio­na­lis­mus«. Statt­des­sen gab es die fö­de­ra­ti­ve Iden­ti­tät, die dann von na­tio­na­li­sti­schen Kräf­ten von al­len Sei­ten mas­sen­wirk­sam in­stru­men­ta­li­siert wur­de.

    Ich ha­be ja Clarks Buch nicht ge­le­sen, aber das er Ser­bi­en ei­ne we­sent­li­che Ver­ant­wor­tung zum Aus­bruch des Welt­krie­ges zu­spricht, hal­te ich fast für ab­surd. Selbst wenn Pri­cip ein ge­dun­ge­ner Mör­der ge­we­sen sein soll, er­klärt es nicht, war­um die Ent­wick­lun­gen der­art ver­lau­fen sind.

  10. Es ist eher die Ser­bi­en-Russ­land-Con­nec­tion. Aber es ist schon ziem­lich deut­lich, dass Clark die ser­bi­schen Eli­ten als be­son­ders ver­ant­wor­tungs­los und kriegs­lü­stern ein­schätzt (und den Hin­ter­grund der mo­der­nen Ju­go­sla­wi­en-Krie­ge mit­schwin­gen lässt). Die Ma­chen­schaf­ten im Kö­nig­reich Ser­bi­en neh­men ei­nen gro­ßen Raum im Buch ein – und schon die Ent­schei­dung, mit der sehr pla­stisch be­schrie­be­nen Er­mor­dung von Alax­an­dar und Dra­ga in das Buch zu star­ten, legt die Rol­len fest. Das mein­te ich mit den Tücken der nar­ra­ti­ven Struk­tur. Er ba­lan­ciert das eben fast gar nicht durch men­ta­li­täts- oder dis­kurs­ge­schicht­li­che Kon­tex­te aus. Ich hal­te zwar die ser­bi­sche Ver­herr­li­chung Prin­cips für völ­lig un­mög­lich, aber die Ab­leh­nung, auf die Clarks Buch in Ser­bi­en und bei ser­bi­schen Hi­sto­ri­kern trifft, kann ich schon nach­voll­zie­hen.

  11. Man kann Ser­bi­en (bzw. den ver­ant­wort­li­chen Eli­ten) si­cher­lich nicht vor­hal­ten den er­sten Welt­krieg mit Ab­sicht oder al­lei­ne aus­ge­löst zu ha­ben, aber: Im Be­wusst­sein der vor­an­ge­gan­ge­nen Bal­kan­krie­ge, dem Zu­stand der habs­bur­gi­schen Mon­ar­chie, der in Eu­ro­pa gut be­kannt war (und die ein At­ten­tat si­cher­lich nicht ein­fach hin­neh­men wür­de), den Bünd­nis­sen und Bei­stands­pflich­ten, so­weit sie nicht ge­heim ge­hal­ten wur­den und des m.E. völ­lig grund­lo­sen At­ten­tats, das nur Pro­vo­ka­ti­on und Zün­de­lei war, kann man oh­ne wei­te­res von Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit und Fahr­läs­sig­keit spre­chen (viel­leicht kann man als Bild fol­gen­des sa­gen: Die ser­bi­schen Na­tio­na­li­sten ha­ben ei­ne Zünd­schnur an­ge­steckt, die al­ler­dings so lang war, dass man sie ab­schnei­den oder aus­dämp­fen hät­te kön­nen). — Ob man dach­te, dass das At­ten­tat tat­säch­lich Er­folg ha­ben wür­de, weiß ich nicht, man hat es ein­fach (im­mer wie­der) pro­biert, ir­gend­wann wür­de man Er­folg ha­ben; Rau­chen­stei­ner schreibt, dass je­de aus Wien kom­men­de hö­he­re Per­son in Ge­fahr ge­we­sen wä­re, es ging al­so nicht um den Thron­fol­ger, son­dern »ums Prin­zip« (mei­ne Wor­te). Po­tio­rek, den Lan­des­chef der Pro­vinz, hät­te man si­cher­lich auch ger­ne er­wischt.

  12. @Gregor Keu­sch­nig
    Die Angst oder bes­ser Furcht vor der rus­si­schen Dampf­wal­ze be­stand ja nicht nur in Deutsch­land. Auch Frank­reich rech­ne­te da­mit, dass Russ­land bald zu stark ist, um noch des fran­zö­si­schen Part­ners zu be­dür­fen. Das sich schlie­ßen­den Zeit­fen­ster be­stand al­so für bei­de Sei­ten. Aber hät­te man in der OHL nicht er­ken­nen müs­sen, dass das Fen­ster für den Schlief­fen-Plan längst zu war? Mei­ne Fra­ge war ja, ob man dies ab­sicht­lich in Kauf nahm, um die­sen Zeit­druck ge­gen­über der Po­li­tik zu miss­brau­chen. Hät­te man stra­te­gisch re­agiert, als ab­seh­bar war, dass Russ­land bald wie­der ernst zu neh­men ist, wä­ren die Op­tio­nen der Po­li­tik deut­lich grö­ßer ge­we­sen.

    Wenn die Dar­stel­lung Clarks bzgl. Ser­bi­en nur an­nä­hernd rich­tig ist, glau­be ich nicht, dass der Vor­wurf an Ser­bi­en ab­surd ist. Das mit der Zünd­schnur scheint mir schon ganz rich­tig, aber viel­leicht war es durch die mehr oder min­der explizit/implizit ge­ge­be­ne pan­sla­wi­sti­sche Car­te blan­che von Russ­land an Ser­bi­en (wie z.B. auch von Frank­reich an Russ­land) schon eher Feu­er­zeug und Ben­zin­tank. So wie Clark die di­plo­ma­ti­sche Mei­ster­schaft des Ant­wort­schrei­ben Ser­bi­ens auf das öster­rei­chi­sche Ul­ti­ma­tum lobt, muss den Ver­ant­wort­li­chen sehr be­wusst ge­we­sen sein, was sie dort ma­chen. Man agier­te dort im Mi­kro­me­ter­be­reich, wäh­rend in den be­setz­ten Ge­bie­ten eth­ni­sche Säu­be­run­gen mit un­be­kann­ter Bru­ta­li­tät vor­ge­nom­men wur­den.