Al Qai­da – Tex­te des Ter­rors (I)

  • Vor­be­mer­kun­gen

Gilles Kepel / Jean-Pierre Milleli: Al-Qaida - Texte des Terrors

Gil­les Ke­pel / Jean-Pierre Mil­le­li: Al-Qai­da – Tex­te des Ter­rors


„Al-Qai­da – Tex­te des Ter­rors“ er­schien 2005 in Frank­reich („Al-Qai­da dans le tex­te“) und liegt nun ins Deut­sche über­setzt vor. Gil­les Ke­pel und Jean-Pierre Mil­lel­li ha­ben in Ver­bin­dung mit drei an­de­ren Au­toren die­ses Buch her­aus­ge­ge­ben. Es ver­sam­melt Tex­te von vier Prot­ago­ni­sten der „Or­ga­ni­sa­ti­on“ Al-Qai­da:
  • Osa­ma Bin La­den (geb. 1957)


  • Ab­dul­lah Azz­am (1941 – 1989)


  • Ay­man al-Za­wa­hi­ri (geb. 1951)


  • Abu Mu’sab al-Zar­qa­wi (geb. 1966)

Es han­delt sich um Ab­schrif­ten von Vi­deo-Bot­schaf­ten, Ver­laut­ba­run­gen, In­ter­views, schrift­li­chen Er­klä­run­gen, re­li­giö­sen Pre­dig­ten, usw. Die Tex­te wer­den aus­führ­lich kom­men­tiert, was auch drin­gend not­wen­dig ist, da sich der In­halt vie­ler Text­pas­sa­gen dem nicht in die­sem Kul­tur­kreis be­hei­ma­te­ten Le­ser kaum oder gar nicht er­schlie­ssen wür­de; das es in­ner­halb der Er­läu­te­run­gen ge­le­gent­lich Wie­der­ho­lun­gen gibt, ist nicht stö­rend, son­dern durch die Fül­le des Ma­te­ri­als eher hilf­reich.

Den Tex­ten selbst, die teil­wei­se un­ge­kürzt ab­ge­druckt wer­den, sind je­weils „Ein­füh­run­gen“ über die Prot­ago­ni­sten vor­an­ge­stellt. Die­se wir­ken oft sehr lücken­haft, was durch­aus ein­ge­stan­den wird, da es in ara­bi­schen Staa­ten bei­spiels­wei­se kein oder nur ein un­ge­nü­gen­des Mel­de­sy­stem gibt und auch durch Flücht­lings­be­we­gun­gen in­fol­ge von Krie­gen oder Ver­trei­bun­gen oft­mals kei­ne lücken­lo­sen Do­ku­men­ta­tio­nen exi­stie­ren. Auf die Ge­fahr von Le­gen­den­bil­dung muss zu­sätz­lich noch hin­ge­wie­sen wer­den. Hin­zu kommt, dass sehr viel bio­gra­phi­sches Ma­te­ri­al nicht in ei­ner west­li­chen Spra­che über­setzt ist oder auf in­zwi­schen de­ak­ti­vier­ten In­ter­net­sei­ten kur­sier­te.

In­so­fern han­delt es sich bei die­sen Ein­füh­run­gen um fra­gi­le Ge­bil­de. Ei­ne Schwä­che ist es, dass die­se Ein­füh­rungs­auf­sät­ze zwar ver­su­chen, den Weg der je­wei­li­gen Fi­gur hin­sicht­lich sei­ner Ak­ti­vi­tä­ten zum Is­la­mis­mus bzw. Ter­ro­ris­mus hin zu er­läu­tern, hier­über je­doch fast im­mer der Mensch ver­ges­sen wird. Über das We­sen die­ser Prot­ago­ni­sten er­fah­ren wir nichts. Soll­te dies auf­grund der be­reits an­ge­deu­te­ten schwie­ri­gen Quel­len­la­ge zu­rück­zu­füh­ren sein, so ist es zwar bes­ser zu schwei­gen, als ir­gend­wel­che Ge­rüch­te zu ver­brei­ten. Aber teil­wei­se hät­te man sich schon ger­ne ein biss­chen mehr ge­wünscht, et­wa was an den Ge­rüch­ten über Osa­ma Bin La­dens Krank­heit wahr ist.

Ein gro­sses Pro­blem ist, dass wir den Au­toren fast blind ver­trau­en müs­sen, und zwar so­wohl was die Tran­skrip­ti­on als auch die Über­set­zung der je­wei­li­gen Tex­te an­geht. Weit­ge­hend war es not­wen­dig, die nur im Ara­bi­schen vor­ge­fun­de­nen Kon­vo­lu­te zu über­set­zen und ent­spre­chend zu kom­men­tie­ren. Für die deut­sche Aus­ga­be kommt noch da­zu, dass vom Fran­zö­si­schen ins Deut­sche über­setzt wer­den muss­te.

Das Buch wur­de von mir im Ver­trau­en auf die Red­lich­keit und Kor­rekt­heit des Tuns der Her­aus­ge­ber und Ver­fas­ser ge­le­sen und auch be­wer­tet. Ich ha­be kaum Mög­lich­kei­ten, dies zu kon­trol­lie­ren oder sel­ber zu re­cher­chie­ren. Bis zum Be­weis des Ge­gen­teils ge­he ich von dem grösst­mög­li­chen Wahr­heits­ge­halt aus.


  • Osa­ma Bin La­den

Der Ein­füh­rungs­text von Omar Saghi ent­wickelt zu­nächst Bin La­dens Le­bens­weg. Er wur­de 1957 ge­bo­ren; sein Va­ter stammt aus dem Je­men, aus dem er im­mi­grier­te und in Sau­di Ara­bi­en als Mann aus ar­men Ver­hält­nis­sen sehr schnell zu Reich­tum und Wohl­stand auf­stieg. Sehr schnell kon­trol­lier­te er das öf­fent­li­che Bau­we­sen Sau­di Ara­bi­ens und wur­de zum Mil­li­ar­där. Die „Bin­la­den-Group“ ist in Sau­di Ara­bi­en heu­te ein Im­pe­ri­um. Sein Sohn Osa­ma, Sohn ei­ner Sy­re­rin, war der 17. Sohn von 24; Mo­ham­med Bin La­den hat­te auch noch 30 Töch­ter.

Der klei­ne Osa­ma zog mit 10 Jah­ren mit sei­ner ge­schie­de­nen Mut­ter (die durch In­ter­ven­ti­on ih­res Ex-Man­nes schnell wie­der­ver­hei­ra­tet und zeit­le­bens durch die Fa­mi­lie wirt­schaft­lich un­ter­stützt wur­de) von Ri­ad nach Dsch­id­da. 1967 starb Mo­ham­med Bin La­den bei ei­nem Flug­zeug­ab­sturz. Dem all­ge­mei­nen Trend im Sau­di Ara­bi­en der 70er Jah­re, ei­ne An­nä­he­rung an eher west­li­chen Le­bens­stil zu kul­ti­vie­ren, gab Osa­ma nicht nach; er wur­de re­li­gi­ös, blieb aber eher Au­to­di­dakt. 1974 hei­ra­te­te er ei­ne Cou­si­ne.

Po­li­tisch ak­tiv wur­de er zum er­sten Mal 1979, als er ei­ne Or­ga­ni­sa­ti­on, die den sy­ri­schen Prä­si­den­ten Ha­fis al-As­sad stür­zen wol­le, fi­nan­zi­ell un­ter­stütz­te – mit mä­ssi­gem bzw. gar kei­nem Er­folg. Die Wen­de kam für den Stu­den­ten der Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten mit dem Ein­marsch der so­wje­ti­schen Trup­pen in Af­gha­ni­stan am 24.12.1979. Saghi wi­der­spricht der Selbst­dar­stel­lung Bin La­dens, er sei so­fort nach Af­gha­ni­stan auf­ge­bro­chen und macht An­fang 1980 als das Da­tum des Be­ginns sei­ner Ak­ti­vi­tä­ten fest. Bin La­den pen­del­te zwi­schen der ara­bi­schen Halb­in­sel, Pa­ki­stan und Af­gha­ni­stan. Sei­ne Haupt­auf­ga­be war durch sein Netz­werk gu­ter Kon­tak­te (über sei­ne Fa­mi­lie) Geld für die Mud­scha­hed­din zu sam­meln. Saghi stellt her­aus, dass Bin La­den kein mi­li­tä­ri­scher Kämp­fer war; er schreibt ihm nur die Teil­nah­me an ei­ner Schlacht 1986 zu; sei­ne Auf­ga­be bliebt be­schränkt auf die Be­schaf­fung der fi­nan­zi­el­len Mit­tel und – spä­ter – Pla­nung und Er­rich­tung von Aus­bil­dungs­la­ger für die ara­bi­schen Wi­der­stands­kämp­fer – an­fangs in en­ger Ko­ope­ra­ti­on mit Ab­dul­lah Azz­am.

Saghi be­schreibt, wie die USA in die Fal­le hin­ein­tapp­ten, als sie den Mu­scha­hed­din die neu­en, mo­bi­len Stin­ger-Ra­ke­ten lie­fer­ten, mit de­nen nun auch der Luft­raum Trup­pen an­ge­grif­fen wer­den konn­te. Die USA rück­ten 1986 von der Tak­tik des „Aus­blu­tens“ des Krie­ges ab und un­ter­stütz­ten die Kämp­fer (die im »Schach­spiel« des Kal­ten Krie­ges plötz­lich ei­ne wich­ti­ge Po­si­ti­on zu­ge­wie­sen be­ka­men), um den so­wje­ti­schen Trup­pen noch schwe­re Ver­lu­ste zu­zu­fü­gen. Hier­in sieht der Au­tor den ent­schei­den­den Punkt für den „Sieg“ der Re­bel­len, und nicht in der von Bin La­den spä­ter be­schwo­re­nen und idea­li­sier­ten Kraft der Kämp­fer. In der Tat wird in den spä­ter zi­tier­ten Do­ku­men­ten Bin La­dens nicht ein­mal die Un­ter­stüt­zung der USA er­wähnt. Statt­des­sen wird der Ab­zug der So­wjets 1988/89 ver­klärt als al­lei­ni­ger Sieg.

Die Tren­nung von Ab­dul­lah Azz­am, der als gei­sti­ger Vor­den­ker des Hei­li­gen Krie­ges der Neu­zeit gel­ten kann, ge­schah auf­grund wach­sen­der in­ter­ner Kon­kur­renz. Bin La­den, der sei­ne Or­ga­ni­sa­ti­on als Sam­mel­becken mi­li­tan­ter Mus­li­me sah (das spä­te­re Al-Qai­da Netz­werk), trenn­te sich von Azz­am, dem es um ei­ne strin­gen­te Le­bens­füh­rung sei­ner Leu­te an­kam und der ei­nen eher in­tel­lek­tu­el­len Stand­punkt ver­trat.

Über die Jah­re im af­gha­ni­schen Bür­ger­krieg schweigt der Bei­trag. 1990 sta­tio­nier­ten die USA auf Bit­ten des sau­di­schen Kö­nigs­hau­ses Trup­pen in Sau­di Ara­bi­en, um ei­nen even­tu­el­len Krieg ge­gen Sad­dam Hus­sein vor­be­rei­ten zu kön­nen, der Ku­wait über­fal­len hat­te. Für Osa­ma Bin La­den fand für sich qua­si die glei­che Si­tua­ti­on wie in Af­gha­ni­stan vor: Un­gläu­bi­ge be­setz­ten ein mus­li­mi­sches Land. Azz­ams Leh­re sah für die­sen Fall als ei­ne per­sön­li­che Pflicht je­des Mus­lim, den Un­gläu­bi­gen in ei­nem Hei­li­gen Krieg zu be­kämp­fen. Er­schwe­rend war noch, dass es sich um das „Land der Hei­li­gen Stät­ten“ han­delt. Der Schock muss gross ge­we­sen sein. Saghi misst ihm nicht ei­ne zen­tra­le Be­deu­tung zu, was den Le­bens­weg Bin La­dens an­geht, und doch scheint es so, als sei ge­ra­de die­ser Vor­gang prä­gend für die wei­te­re „Kar­rie­re“ die­ses Man­nes. In al­len Tex­ten, die spä­ter zi­tiert wer­den, die For­de­rung nach dem Ab­zug der ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen ein es­sen­ti­el­ler Be­stand­teil.

Kur­so­risch wer­den Bin La­dens Ak­ti­vi­tä­ten im Je­men, im Su­dan und in So­ma­lia ge­streift. 1994 wur­de der „Stö­ren­fried“ Bin La­den von der sau­di­schen Re­gie­rung ernst­ge­nom­men und sei­ne Kon­ten, de­rer man hab­haft wer­den konn­te, ein­ge­fro­ren. Die ter­ro­ri­sti­sche Kar­rie­re Bin La­dens und sei­ner Or­ga­ni­sa­ti­on Al-Qai­da be­gann wahr­schein­lich am 7. Au­gust 1998 mit den An­schlä­gen auf die ame­ri­ka­ni­schen Bot­schaf­ten in Nai­ro­bi und Dar­essa­lam, bei de­nen mehr als 200 Men­schen star­ben (in­ter­es­sant das Da­tum – am 7. Au­gust 1990 be­gann die Sta­tio­nie­rung der US-Trup­pen in Sau­di Ara­bi­en; Saghi weist dar­auf hin, dass al­le Da­ten von Ter­ror­ak­tio­nen nicht zu­fäl­lig sind, son­dern in ei­nem ge­wis­sen Kon­text zu se­hen sind – lei­der geht er hier nicht ins De­tail, was an­de­re An­schlä­ge an­geht).

Nicht nur die Aus­füh­rung der Ak­tio­nen ist pro­fes­sio­nell ge­plant und aus­ge­führt. Auch die Art und Wei­se – es gibt im­mer meh­re­re An­schlä­ge, so dass nicht der An­schein er­weckt wird, dass es sich um Ein­zel­ak­tio­nen han­delt – und, vor al­lem, die an­schlie­ssen­de me­dia­le „Ver­wer­tung“, in Form von Be­ken­ner­schrei­ben im In­ter­net und Vi­deo-Bot­schaf­ten im Fern­se­hen ist höchst am­bi­tio­niert.

Lu­zi­de ana­ly­siert Saghi die Rol­le, die der Fern­seh­sen­der Al-Dscha­si­ra (und die spä­te­ren „Ko­pien“ des Sy­stems Al-Dscha­si­ra) nicht nur für die Ver­brei­tung der Bot­schaf­ten Bin La­dens spielt, son­dern ge­ne­rell für die ara­bi­sche Welt be­deu­tet: Sen­der wie Al-Dscha­si­ra sind so et­was wie das Un­be­wuss­te der ara­bi­schen Welt, oh­ne Di­stan­zie­rung und Ab­stand [...] [sie] kön­nen ei­ner aus­ge­präg­ten ara­bi­schen Fru­stra­ti­on Aus­druck ge­ben.

Bin La­den muss sehr früh das Po­ten­ti­al die­ser Kom­mu­ni­ka­ti­ons­me­di­en ge­se­hen ha­ben und ver­wen­det es sehr ge­schickt. Mit Tex­ten in ein­fa­cher Spra­che (ei­ne re­li­giö­se Kon­no­ta­ti­on ist zwar ge­ge­ben, aber es han­delt sich nicht um Pre­dig­ten), kurz, klar, mehr auf Bil­dern auf­bau­end (In­sze­nie­run­gen) und oh­ne kom­ple­xe Ar­gu­men­ta­ti­on; ein west­li­cher Mar­ke­ting­stra­te­ge hät­te es nicht bes­ser kon­zi­pie­ren kön­nen.

Omar Saghis Ein­füh­rungs­text über­zeugt mich nicht ganz (die Ex­ege­se der Tex­te Bin La­dens da­nach um so mehr). Kurz die Grün­de, war­um. Zum ei­nen schreibt Saghi manch­mal sehr mit dem Wis­sen heu­ti­ger Zeit, bei­spiels­wei­se wenn er es für aus­ge­macht hält, das 1987 der Zu­sam­men­bruch der So­wjet­uni­on ab­zu­se­hen war. Oder wenn er fast in Gän­ze den USA den Ruhm des Ab­zu­ges der so­wje­ti­schen Trup­pen zu­schreibt, zu­mal er sel­ber fest­stellt, dass die USA bis 1986 kaum ak­tiv die Mud­scha­hed­din un­ter­stützt ha­ben. Al­so wur­de der gue­ril­la-ähn­li­che Kampf sehr wohl von Af­gha­nen – und eben spä­ter Ara­bern – „auf­recht er­hal­ten“. Oh­ne die­se Zer­mür­bungs­tak­tik hät­te sich die So­wjet­uni­on viel si­che­rer im Land ein­rich­ten kön­nen. Merk­wür­dig sei­ne Fest­stel­lung, der Irak hät­te den 1. Golf­krieg 1980–1988 ge­gen den Iran ge­won­nen.

Was fast voll­stän­dig fehlt, ist ei­ne auch nur kur­so­ri­sche Be­schrei­bung der Vor­gän­ge nach dem Ab­zug der so­wje­ti­schen Trup­pen in Af­gha­ni­stan. Der blu­ti­ge und schreck­li­che af­gha­ni­sche Bür­ger­krieg und die Rol­le, die Bin La­den hier­in ge­spielt hat, kommt nicht vor. Statt­des­sen er­scheint er wie ein Um­her­ir­ren­der, was nicht ge­nug aus­ge­leuch­tet wird.

In­ter­es­sant ist die Zu­wei­sung der „Tri­bu­nen­funk­ti­on“ von Al-Qai­da. Saghi zi­tiert Ge­or­ges Lav­au von der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei Frank­reichs (PCF), der sei­ner­zeit die PCF auf die Funk­ti­on des po­li­ti­schen Sprach­rohrs ei­ner be­stimm­ten Kli­en­tel be­schränk­te, d. h. ei­ne Macht­be­tei­li­gung aus­schloss, um nicht durch die Macht ge­zwun­gen zu wer­den, ei­ne po­li­ti­sche Li­nie zu ver­tre­ten, die dann ggf. zu stark von Kom­pro­mis­sen ge­prägt sein könn­te.

Saghi spricht von der Ni­sche des Pro­te­stes, in der sich Al-Qai­da ein­ge­rich­tet ha­be, in der man ver­mei­de, ei­ne ech­te Ver­än­de­rung der Si­tua­ti­on her­bei­zu­füh­ren. Die­ser Schluss ist kühn und un­ter­schlägt, dass die Tri­bü­nen­funk­ti­on im­mer auch vom (po­li­ti­schen) Geg­ner ab­hängt. Über­haupt scheint der Ver­gleich zwi­schen ei­nem par­la­men­ta­risch-de­mo­kra­ti­schen stra­te­gi­schen Vor­ge­hen (man könn­te auch die Grü­nen der frü­hen 80er Jah­re oder die ak­tu­el­le Links­par­tei im Bun­des­tag neh­men) und ei­nem „Ver­hält­nis“ zwi­schen „dem We­sten“ und Al-Qai­da – al­so nicht di­rekt kom­mu­ni­zie­ren­den En­ti­tä­ten – un­ver­hält­nis­mä­ssig, da we­sent­li­che Ele­men­te feh­len, über das die­se Funk­ti­on aus­ge­ho­ben wer­den könn­te: ei­ne ge­mein­sa­me Kom­mu­ni­ka­ti­ons­platt­form und – noch wich­ti­ger – ei­nen (we­nig­stens mi­ni­ma­len) Kon­sens des je­wei­li­gen Ak­zepts. Es nutzt nichts, mich auf ei­ner Tri­bÜ­ne zu be­fin­den, wenn zu die­ser Zeit gar kein Fuss­ball­spiel im Sta­di­on statt­fin­det.

Man könn­te fast ei­ne Ge­gen­the­se auf­stel­len: Die me­dia­len In­sze­nie­run­gen Bin La­dens sind ver­klau­su­lier­te An­ge­bo­te – frei­lich für uns un­an­nehm­ba­re, so­wohl was die Ge­schich­te seit 1998 über den 11.9.2001 bis zu den Ter­ror­ak­tio­nen in Lon­don und Ma­drid an­geht, als auch was die für uns er­pres­se­risch klin­gen­den For­de­run­gen Bin La­dens an­ge­hen. Wie man dies auch be­wer­ten könn­te, wird noch zu er­ör­tern sein.

Schliess­lich über­zeugt mich Saghis Dar­stel­lung der Be­grün­dung des Al­lein­ver­tre­tungs­an­spruchs Bin La­dens nicht, was aber viel­leicht dar­an liegt, dass ich ihn nur in­so­weit ver­stan­den ha­be, dass Bin La­den die­sen re­li­gi­ös un­ter­füt­tert, in dem zu den be­stehen­den fünf Säu­len des Is­lam wei­te­re fünf po­stu­liert.

Sehr in­ter­es­sant sind die Hin­wei­se auf die »Öku­me­n­ebe­stre­bun­gen« Bin La­dens, über die in den An­werkun­gen zu den Ori­gi­nal­tex­ten aus­führ­li­cher ein­ge­gan­gen wird: Bin La­den kit­tet die fast schis­ma­ti­schen Dif­fe­ren­zen zwi­schen Schii­ten und Sun­ni­ten, in dem er mehr­fach in vie­len Be­mer­kun­gen die Ein­heit al­ler Mus­li­me be­schwört. In den Ein­lei­tungs­wor­ten der Her­aus­ge­ber wird dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die­ser Punkt neu­er­dings von dem im Irak agie­ren­den Ter­ro­ri­sten al-Zar­qa­wi (der am En­de des Bu­ches be­spro­chen wird) auf­ge­grif­fen und um­ge­kehrt wird, in dem er ne­ben den Ame­ri­ka­nern und Kol­la­bo­ra­teu­ren Ame­ri­kas auch die Schii­ten als Fein­de dar­stellt.

Die klei­nen Ein­wür­fe am En­de sol­len nicht ver­zer­ren. Es ist ei­ne in­ter­es­san­te Ein­füh­rung, die es er­mög­licht, den Te­nor der an­schlie­ssen­den Ori­gi­nal-Tex­te auch oh­ne so­for­ti­ge Lek­tü­re der de­tail­rei­chen An­mer­kun­gen zu ver­ste­hen; frei­lich kommt man dann um ein zwei­tes Le­sen nicht her­um.

...wird hier fort­ge­setzt

5 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Kur­ze An­mer­kung
    Hier fin­det man ein Deutsch­land­funk-In­ter­view mit Prof. Pe­ter Hei­ne, Is­lam­wis­sen­schaft­ler an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät, zu dem Buch.

  2. Vie­len dank für den Link
    Hier ist das In­ter­view auch nach­zu­le­sen.

    Der Pro­fes­sor ver­wickelt sich m. E. in ei­nen Wi­der­spruch, in dem er ei­ner­seits fest­stellt, es sei al­les mehr oder we­ni­ger für den Spe­zia­li­sten be­kannt, an­de­rer­seits je­doch er­kennt er dann doch Neu­es (und wenn es in den Ein­füh­rungs­tex­ten ist).

    Man könn­te auch ar­gu­men­tie­ren, dass das Buch nicht pri­mär für Spe­zia­li­sten ge­schrie­ben wur­de, son­dern für den in­ter­es­sier­ten Lai­en.

    Die Fra­ge­rin hat si­cher­lich we­der das Buch noch Re­zen­sio­nen hier­zu ge­le­sen, sonst könn­te sie nicht be­haup­ten, es be­stün­de aus 500 Sei­ten Al-Qai­da-Tex­ten. Der Ver­gleich mit »Mein Kampf« ist ab­surd.

    Wie ge­sagt, Dank für den Ein­wurf – das ist kei­ne Kri­tik wi­der sol­che EIn­wür­fe; das ist für mich in je­dem Fall in­ter­es­sant.

  3. In­ter­view
    Zu­stim­mung. Der Ei­er­tanz des Herrn Pro­fes­sor stell­te mir die Fra­ge, was der Mann den gan­zen Tag macht. Auch die Mo­de­ra­to­rin konn­te mei­ne Lieb­äu­ge­lei mit dem Buch nicht ver­stär­ken. So ge­se­hen: Neu, »Be­gleit­schrei­ben« jetzt at­trak­ti­ver als DLF.

  4. Tri­bu­nen­funk­ti­on
    Der PCF wur­de ei­ne Tri­bU­nen­funk­ti­on zu­ge­wie­sen (zu­rück­ge­hend auf die rö­mi­schen Volks­tri­bu­ne). KEINE Tri­bü­nen­funk­ti­on!

  5. Tat­säch­lich
    Erst ein­mal vie­len Dank für Ih­ren Kom­men­tar.

    Sie ha­ben Recht. Ich ha­be mich ver­le­sen, da ich in an­de­rem Zu­sam­men­hang so et­was schon ein­mal ge­le­sen hat­te.

    Da war der Wunsch der Va­ter des Ge­dan­ken. Zu­mal auch die Er­klä­rung ent­spre­chend der »Tri­bÜ­nen­funk­ti­on« war: man setzt sich auf die Tri­bü­ne und war­tet, dass sie an­de­ren ei­nen Feh­ler ma­chen.

    Ich än­de­re dies nicht im Text; es ist nicht es­sen­ti­ell und durch die­sen Kom­men­tar klar­ge­stellt.